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2.2.4 Vom Öffentlichen zum gemeinsamen Privaten mit sprachlichen Eigenstrukturensymbolische Auslagerung

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Ich entziehe unserer Interpretin nun das Know-howKnow-how wieder und ermesse die Distanz zwischen dem, was sie mit ihm interpretativ leisten konnte und dem, was sie ohne es leisten kann, um herauszupräparieren, worin es besteht. Was sie behält, sind ihre vorsprachlichen interpretativen Fähigkeiten, ihre Einsicht in das, was wir die Zwänge der Öffentlichkeit bezeichnet haben, wozu zentral die Notwendigkeit der symbolischensymbolische Auslagerung Auslagerung gehört, und die Evokation von Vorstellungen durch sprachliche Ausdrücke.

Vor diesem Hintergrund kann nun die Äußerung in (4) so gedeutet werden, dass ganz andere InstruktionenInstruktion zutage treten, also Möglichkeiten, wie die Ausdrücke in (4) hinsichtlich ihres instruktiven Wertes behandelt werden können. Mit verschiedenen Deutungen ändert sich, ob ein Ausdruck eine Leistung erbringt, ob er bestimmungsbedürftig oder bestimmend ist und worauf eine Bestimmung konkret gerichtet ist. Ich greife nur einige Möglichkeiten heraus.

Da könnte beispielsweise auch als Spezifikation eines Ortes statt eines Zeitpunkts, beziehungsweise als Indikator eines Suchraums interpretiert werden. Insofern würde der Ausdruck auch zur Vorstellung von etwas instruieren, könnte diesen Vorstellungsinhalt aber nicht selbst beisteuern, sondern diesen müsste die Interpretin aus dem Ko- oder Kontext beziehen (a), womit der Ausdruck auch eine kohärenzstiftende Funktion bekäme (d). Es könnte sein, dass das gesamte Ereignis des zu-sich-Nehmens als an diesem Ort stattfindend vorgestellt werden soll (‚An diesem Ort nahm …‘). Wenn die Interpretin dies täte, würde sich aber die ganze komplexe Vorstellung verändern. Wir haben gesehen, dass das zu-sich-Nehmen neben dem Nehmen auch eine zweite Eventualität des (Weg-)Bringens oder gemeinsam (Weg-)Gehens beinhaltet, die mit zu zusammenhängt. Zu sich kann dann aber schwerlich so interpretiert werden, dass es einen anderen Ort als den Ort des Nehmens bezeichnet (?‚An diesem Ort nahm der Jünger die Mutter Jesu zu seiner Heimstatt‘). Das ginge wahrscheinlich nur, wenn kein (Weg-)Bringen oder -Gehen vorgestellt würde.

Da muss aber nicht als Ort des Nehmen-Ereignisses interpretiert werden. Es kann auch den Ort einzelner Gegenstände spezifizieren (‚der Jünger da‘, ‚die Mutter da‘) (a). Insofern wäre der Ausdruck eine in die außersprachliche Situation gerichtete Suchanweisung, die der Erdung der Vorstellung dienen würde (c), aber in einer Weise, die der Kohärenz des Gesamttextes nicht zuträglich wäre, da es für den Schreiber und die Interpretin keine gemeinsame außersprachliche Situation gibt.

Der und die müssen nicht als bestimmte Artikel (oder Demonstrativartikel), sie können auch als Demonstrativpronomen interpretiert werden. Dann instruieren sie, anders als die Artikel, zur Vorstellung von Gegenständen (a). Die Vorstellungen müssten aber aus dem unmittelbaren Ko(n)text bezogen werden und wären dann andere als diejenigen des Jüngers, der Mutter und Jesu. Sofern sie in den unmittelbaren außersprachlichen Kontext verwiesen, wären sie auch geerdet (c). Sofern sie in den unmittelbaren Kotext verwiesen, stifteten sie Kohärenz (d). Das alles würde dazu führen, dass die demonstrativ ausgedrückten Gegenstände beispielsweise Kandidaten für die Rollen als Nehmer und Genommenes würden (b). Neben den anderen Gegenständen wären das eindeutig zu viele Kandidaten für diese Rollen, zumal keine zwei Gegenstände koordiniert sind und gemeinsam eine Rolle einnehmen könnten.

Selbst dann, wenn die Interpretin der und die als Artikel identifizierte, würde sie ohne weitere Kenntnisse nichts daran hindern, der als Bestimmer von Mutter, die als Bestimmer von Jünger oder einen von beiden als Bestimmer von Jesus zu interpretieren ((a), (b), (c)).

Es gibt auch nichts, das die Interpretin zwänge, mit zu das Nehmen zu spezifizieren. Zu kann auch als Spezifikation zu einem Gegenstand oder einem Ort verwendet werden. Da könnte also durchaus auch als Ort zu zu vorgestellt werden (‚gerichtet auf den Ort, der durch Da bezeichnet wird‘) ((a), (b), (c), (d)).

Für sich ist beispielsweise nicht klar, woher der Vorstellungsinhalt bezogen werden soll. Die Interpretin könnte sich darunter den Jünger, die Mutter, Jesus oder den Referenten von der oder die (als Demonstrativpronomen) vorstellen (a). Zudem käme die Vorstellung des Gegenstandes auch als Kandidat für eine Rolle in der Nehmen-Beziehung in Frage – sowohl des Genommenen als auch im Sinne eines freien Dativs (b). Dadurch wäre nicht klar, was genau die Vorstellung des sich-Gegenstandes schließt (a).

Neben diese Probleme treten die bereits erwähnten bezüglich der Zuordnung von vorsprachlichen Gegenständen und Eventualitäten zu den Einteilungsschablonen, die Sprachen über diese vorsprachlichen Einteilungen stülpen können und die es zwar nicht unwahrscheinlich, aber auch nicht gewissGewissheit der Interpretation erscheinen lassen, dass aus den Eventualitäten des Jüngerseins und Nehmens auf ein Substantiv beziehungsweise Verb zu schließen ist. Würde Jünger als Ausdruck für die Aktivität des Jüngerns interpretiert, veränderte sich die Deutung der Äußerung gewaltig ((a) bis (e)).

Selbst die Illustration dieser Fehldeutungen ist noch eine Vereinfachung. Die Interpretin wüsste ohne ihr Eigenstruktur-Know-how nämlich gar nicht, welche Leistungen die P.K.N.G.MD.TP.D.-Spezifikationen überhaupt erbringen. Die Möglichkeiten, die Äußerung in (4) zu interpretieren, sind somit noch weitaus zu zahlreich für die Interpretin, als dass sie die Äußerung – wenn nicht gerade durch Erraten – erfolgreich interpretieren könnte.

Welches Know-howKnow-how benötigt sie nun, um die Distanz zwischen der privaten Vorstellung des Schreibers und ihrer eigenen zu reduzieren oder, anders ausgedrückt, um nicht bei solchen falschen Interpretationen zu landen, die eben beispielhaft dargestellt wurden? Mein Vorschlag lautet, dieses Know-how als solches über einzelsprachliche Eigenstrukturen zu charakterisieren. Zu diesen gehören wohlgemerkt weder die vorsprachlichen interpretativen Fähigkeiten, noch die Einsicht in die Notwendigkeit symbolischersymbolische Auslagerung Auslagerungen, noch die Fähigkeit, sich auf Basis arbiträrer Entäußerungen etwas vorzustellen. Die Kenntnisse der einzelsprachlichen Eigenstrukturen erlauben es der Interpretin, an bestimmten Äußerungsteilen zuverlässigHinweiszuverlässig zu erkennen, wozu sie sie konkret instruieren.

Wir können die Eigenstruktur schon in den WortartenWortart ausmachen. Die Linguistik wäre eine einfachere Disziplin und das Sprachenlernen eine einfachere Aufgabe, wenn das, was wir schon vorsprachlich als Dinge oder Gegenstände, Aktivitäten, Prozesse und Zustände unterscheiden können, auch konsequent, nachvollziehbar und alternativlos als Dinge oder Gegenstände, Aktivitäten und so weiter versprachlicht würde. Wir könnten das eine lebenswelttreue Wortartenlehre nennen. Dieser Gefallen wird uns nicht getan. Wer schon einmal Heidegger gelesen hat, wird vorsichtig dabei, irgendetwas auszuschließen. „Das Spiegel-Spiel der weltenden Welt entringt als das Gering des Ringes die einigen Vier in das eigene Fügsame, das Ringe ihres Wesens. Aus dem Spiegel-Spiel des Gerings des Ringen ereignet sich das Dingen des Dinges.“1

Es gibt einige Diagnostiken, um die Wortarten in Sprachen zu ermitteln. Sie führen oft zu unterschiedlichen Ergebnissen, auch innerhalb einer Sprache. Was sie aber alle zeigen, ist, dass die Annahme von LebenswelttreueTreue (vs. Sparsamkeit) den sprachlichen Phänomenen nicht gerecht wird. Wir müssen in der Sprache mit Wortarten rechnen, die zumindest teilweise unabhängig von der vorsprachlichen Einteilung in Dinge und Eventualitäten sind. Wer das anerkennt, erkennt damit bereits die Eigenstrukturiertheit einer Sprache an.2

Ich hatte oben bereits versucht, auf der Suche nach einer interpretativen Ankerstelle diesen Anker für unsere Interpretin am Verb zu befestigen, weil es finit ist und damit einen zentralen HinweisHinweis darauf gibt, welche HandlungHandlung der Schreiber mit der Äußerung tätigt und welche Möglichkeiten zur Verwertung der Äußerung die Interpretin hat. Das finite Verb leistet aber noch mehr. Wir können dies in Abbildung 6 daran erkennen, wie viele fette Linien von dem Ausdruck nach oben hin führen. Das heißt, mit dem (finiten) Verb instruiert der Schreiber zu allen Aspekten des Vorstellens und Handelns infolge einer sprachlichen Äußerung. Anhand des Verbs kann die Interpretin die für die Deutung bestimmungsbedürftigen Ausdrücke, die bereits wahrgenommenWahrnehmung wurden, bestimmen (b) und aufgrund des Verbs kann sie diejenigen Bestimmungen im noch folgenden Teil der Äußerung erwarten, die für die Vorstellung nötig sind, zu der das Verb selbst instruiert (a). Durch diese ErwartungErwartungen kann die Ausdeutbarkeit der folgenden Ausdrücke eingeschränkt werden, denn ihre Deutung kann an den Erwartungen ausgerichtet werden, die das Verb hervorruft. Damit ist es der Interpretin möglich, über das Verb die meisten Äußerungsteile interpretativ zusammenzubinden. Es ist allerdings nicht so, dass die Interpretin ohne das (finite) Verb keine irgendwie kohärente Deutung zustandebringen könnte. Was das finite Verb leistet, ist zuverlässigHinweiszuverlässig zu instruieren und zur korrekten Interpretation zu instruieren. Es ist also für die Interpretin angezeigt, nahm zuverlässig als (finites) Verb zu erkennen.

Die Kriterien zur Abgrenzung von anderen WortartenWortart kann die Interpretin nicht allein aus dem Ausdruck selbst gewinnen. Ohne weitere Kenntnisse weiß sie nicht einmal, ob nahm ein Ausdruck, nur ein Teil eines Ausdrucks wie Entnahme oder Vereinnahmung ist oder es gar zwei Teile verschiedener Ausdrücke sind, wie in nah mit jemandem verwandt ist. Sie muss also über die Kenntnisse der WortbildungMorphologie und Flexion verfügen und von den Ausdrücken in der Umgebung auch bereits wissen, ob sie mit nahm einen Ausdruck bilden können oder nicht. Das läuft darauf hinaus, dass sie über diese Ausdrücke auch schon wissen muss, ob sie selbst Wörter oder bloß Wortteile sind. Weiß sie dann, dass nahm ein Wort ist, muss sie wissen, dass es auf eine bestimmte Weise flektiert werden kann und dass die Flexionsweise für Verben sich von derjenigen für Substantive und andere Wortarten darin unterscheidet, was sie jeweils instruktivinstruktive Leistungen leisten. Die Flexive sind auch eine Form von symbolischensymbolische Auslagerung Auslagerungen, die bestimmte vorstellungs- und handlungsbezogene Aspekte von Deutungen anzeigen, aber selbst keine Vorstellungsinhalte ausdrücken. Die Tatsache, dass in Sprachen symbolisch ein- und ausgelagert wird, gehört nicht zur Eigenstruktur einer Sprache, sondern aller Sprachen, aber es gehört sehr wohl zur einzelsprachlichen Eigenstruktur, mit welchen eigensprachlichen Mitteln welche Aspekte in welche Ausdruckstypen ein- und ausgelagert werden.

Die Kenntnisse über die morphologischenMorphologie Eigenschaften von Ausdrücken reichen aber immer noch nicht aus, um sie in jedem Fall als Substantive, Verben, Adjektive und so weiter zu erkennen. Wir können an der Form /'ʃpɪt͡sə/ mit all unserem morphologischen Know-howKnow-how nicht erkennen, ob es sich um ein Verb, ein Substantiv oder ein Adjektiv handelt. Um nahm als Verb zu erkennen, muss die Interpretin neben den verschiedenen morphologischen Formen, die der Ausdruck als Verb annehmen kann, also auch über die Kenntnis darüber verfügen, ob es beispielsweise gleichgestaltige Substantive oder Adjektive gibt. Für nahm kann sie das ausschließen, wenn sie die lexikalischen Lücken im Deutschen kennt, für Jünger kann sie es aber – wenn wir von den graphischen HinweisHinweisgraphischen absehen – nicht ausschließen. Bei Jünger beziehungsweise /'jʏŋɐ/ ist nicht klar, ob der Ausdruck zur Vorstellung eines Gegenstandes instruiert, dem religiöse Anhängerschaft zugeschrieben werden soll, oder dazu, sich einen Gegenstand als geringer im Alter (im Vergleich zu einem anderen) vorzustellen.3 Hier muss die Interpretin also andere Kriterien als morphologische heranziehen.

Hinweise erhält sie daraus, wie die einzelnen Ausdrücke mit ihren jeweiligen morphologischenMorphologie Formen in Äußerungen miteinander kombiniert sind und kombinierbar sind. Wenn wir in der geschriebenen Äußerung in (4), Da nahm der Jünger die Mutter Jesu zu sich …, das Substantiv Jünger durch das komparierte Adjektiv jünger ersetzen, erhalten wir eine Äußerung, die uns hinsichtlich ihrer Interpretierbarkeit verunsichert: Wenn wir davon ausgehen, dass der Schreiber die kodifizierten Regeln der Groß- und Kleinschreibung beherrscht, werden wir die Äußerung als fehlerhaft, als außerhalb dessen liegend betrachten, was in unserer Sprache möglich ist. Das verunsichert uns aber in anderer Weise als das, was in unserer Sprache möglich ist, was wir aber vielleicht dennoch nicht verstehenverstehen können: Farblose grüne Ideen schlafen wütend. Während wir auf letztere Äußerung hin zuverlässigHinweiszuverlässig sagen können, was in welcher Eventualität vorkommend vorgestellt werden soll, aber vielleicht nicht unbedingt, was wir daraufhin tun können, lässt uns die erste Äußerung mit dem Adjektiv jünger sowohl im Unklaren darüber, wasWas steht womit in welcher Beziehung? womit in welcher Beziehung stehend vorgestellt werden soll, als auch darüber, was wir daraufhin tun können. Die Äußerung instruiert im Unterschied zu der grüne Ideen-Äußerung eben nicht zuverlässig zu einer bestimmten Interpretation. Mit anderen Worten, eine Äußerung instruiert nicht einmal zuverlässig dazu, was vorgestellt werden soll, wenn die Interpretin nicht in der Lage ist, die WortartenWortart zu erkennen.

Ähnlich wie bei nahm verhält es sich bei der und die in der Äußerung in (4). Unsere Interpretin kann beispielsweise an den morphologischenMorphologie Formen der und die nicht erkennen, ob es sich dabei um Artikel oder Pronomen handelt. Auch unter Kenntnis der morphologischenMorphologie Paradigmen dieser Ausdrücke als Artikel oder Pronomen würde sie nicht dahinterkommen, da sich die Paradigmen gleichen. Ihre paradigmatischen Eigenschaften sind allerdings verschiedene. Wir können der Jünger und die Mutter Jesu durch d(ies)er beziehungsweise di(es)e ersetzen und erhalten einen Satz, der den Konventionen des neuhochdeutschen Standards entspricht: Da nahm d(ies)er di(es)e zu sich. Die Demonstrativpronomen verweisen aber, damit sich etwas unter ihnen vorgestellt werden kann, in den unmittelbaren Ko(n)text, aus dem die Gegenstände, die vorgestellt werden sollen, geholt werden müssen. (Im Falle von dies- sind es die nächsten vorangegangenen Gegenstände, die mit denselben P.N.G.-Spezifikationen ausgedrückt wurden.) Das ist anders bei bestimmten Artikeln, denen dieser Zeigecharakter in den unmittelbaren Ko(n)text fehlt.4 Ihre kohärenzstiftende Bestimmungsfunktion können die bestimmten Artikel ohne die Nennung des entsprechenden Gegenstandes nicht erfüllen. Ohne deren Nennung stünde die Interpretin wieder vor dem Problem, weder angeben zu können, was womit in welcher Beziehung steht, noch angeben zu können, welche HandlungsmöglichkeitenHandlung es ihr eröffnet.

Offensichtlich lassen sich Ausdrücke durch andere Ausdrücke an gleichen Stellen ersetzen, so wie wir Da durch Dann und nahm durch brachte ersetzen könnten. An dem Beispiel, dass der Jünger durch d(ies)er ersetzbar ist, zeigt sich aber, dass die Einheiten, die hier gegeneinander austauschbar sind, nicht unbedingt einzelne Ausdrücke, oder Wörter, sind, sondern auch Gruppen von Ausdrücken beziehungsweise Wortgruppen sein können. Da wäre beispielsweise auch austauschbar gegen Von jener Stunde an. Beide fungieren als adverbiale Bestimmungen und instruieren zur Herstellung von Kohärenz, aber nur Da kann der Wortart Adverb zugeordnet werden. Von jener Stunde an ist und enthält kein Adverb, wird aber wie eines, das heißt in der Funktion einer adverbialen Bestimmung, verwendet. Diese größeren Einheiten – ich werde sie Satzglieder nennen – könnten auch in unterschiedlicher ReihenfolgeReihenfolge geäußert werden, ohne dass sie dann zu einem anderen Vorstellungsinhalt instruieren würden, zum Beispiel Der Jünger nahm da die Mutter Jesu zu sich oder Zu sich nahm da der Jünger die Mutter Jesu oder Die Mutter Jesu nahm der Jünger da zu sich, aber wohl nicht *Der Jünger die Mutter Jesu nahm zu sich da. Die Satzglieder können unterschieden werden von den kleineren Einheiten, die die Satzglieder konstituieren, wie die, Mutter und Jesu, und auch unter diesen sind die möglichen ReihenfolgenReihenfolge geregelt, meist sogar strikter als unter den verschiedenen Satzgliedern. Der Jünger, die Mutter Jesu und zu sich gehören jeweils nur in dieser Reihenfolge zur Eigenstruktur des Deutschen, zumindest, wenn sie die gleichen Funktionen wie in der Äußerung in (4) erfüllen sollen.

Auch *das Jünger und *dem Mutter sind nicht zu erwarten. Substantive bringen im Satz spezifische P.K.N.G.-Spezifikationen mit. Bestimmte andere Ausdrücke müssen dieselben Spezifikationen auch aufweisen, wenn sie in determinierender oder attributiver Funktion mit den Substantiven zu einem Satzglied zusammengebunden werden sollen. Den Kasus haben ihnen Jünger beziehungsweise Mutter aber nur weitergereicht. In ihrem KasusKasus sind diese nämlich vom Verb abhängig. So entsprächen den Jüngern und der Mutter zwar den Anforderungen der P.K.N.G.-KongruenzKongruenz, aber mit *Da nahm den Jüngern der Mutter zu sich hätte es die Interpretin wieder nicht mit einer Instruktion zu tun, die zuverlässigHinweiszuverlässig zu einer bestimmten Interpretation anleitete. Der Gebrauch einer finiten Aktivform von nehmen ist konventionell an den Gebrauch eines Satzglieds im Nominativ – das Subjekt – und eines im Akkusativ – das direkte Objekt – gebunden und in der Interpretation löst die Wahrnehmung von nahm die ErwartungErwartung eben solcher formal spezifizierten Satzglieder aus. In Abbildung 6 schlägt sich dies darin nieder, dass nahm kraft seiner FlexionsformMorphologie bestimmende Funktion hat (b), aber dennoch ergänzungsbedürftig ist (a). Das setzt der Interpretation recht enge Grenzen. Diese formalen Anforderungen, die an den Gebrauch von Verben gebunden sind, sind ein Grund dafür, dass die Interpretin neben Jünger und Mutter nicht auch der und die als Pronomen sowie Jesu als mögliche Nehmer und Genommene für die Nehmen-Beziehung interpretieren wird, sondern der und die als Artikel statt als Demonstrativpronomen und Jesu als Attribut zu Jünger oder Mutter, da der Ausdruck im Genitiv steht und dadurch nicht die Bedingungen erfüllt, als Nehmer oder Genommenes zu fungieren.

Hinsichtlich der FormdependenzDependenz (b) kann über zu Ähnliches gesagt werden. Die Präposition ist konventionell an den Gebrauch einer Substantivgruppe im Dativ gebunden. Damit scheiden die Nichtdative der Jünger, die Mutter und Jesu als mögliche Ziele der Gerichtetheit aus. Da (‚dazu‘) und sich (‚zu sich‘) können aber ohne weitere Einschränkungen neben einem diskontinuierlichen der … Mutter (‚zu der Mutter‘) immer noch von zu bestimmt werden (b). Was seine Flexionsform betrifft, so kongruiertKongruenz das Verb mit dem im Nominativ stehenden Satzglied in Person und Numerus. In Kombination mit anderen verbbezogenen Spezifikationen wie der Diathese können die entsprechenden morphologischenMorphologie und syntaktischenReihenfolge HinweisHinweiseigenstrukturelle dazu benutzt werden, Subjekt- und Objektfunktionen und damit Nehmer und Genommenes zu unterscheiden. Die formalen Erfordernisse des Verbgebrauchs sind auch einer der Gründe, warum die Interpretin die diskontinuierlichen Elemente der und Mutter auf der einen Seite und die und Jünger auf der anderen Seite nicht jeweils als Satzglieder behandelt, also so, dass diese Artikel und diese Substantive jeweils Bestimmungen füreinander liefern. Der und Mutter und die und Jünger sind zwar in KasusKasus, Numerus und Genus kongruent, aber die Kasus sind nicht die, die zuverlässigHinweiszuverlässig zu einer korrekten Vorstellung des Nehmen-Ereignisses führen. Damit scheidet auch der … Mutter als Objekt zu zu aus.

Mit der Kenntnis der WortartenWortart, der Wortbildung und der FlexionMorphologie, der Satzglieder, der Kasusbestimmung, der Kongruenz und den formalen DependenzbeziehungenDependenz kommt die Interpretin einer erfolgreichen Interpretation schon näher. Sie kann jetzt wissen, zu welcher komplexen Vorstellung nahm der Jünger die Mutter sie instruiert, weil sie die einzelnen Ausdrücke, ihre Formen und ihre Beziehungen untereinander so interpretieren kann, dass sie die Leistungen erbringen, die ihnen in Abbildung 6 auch tatsächlich zugeordnet wurden.

Sie kann aber die restlichen Ausdrücke, Da, Jesu, zu und sich, noch nicht zuverlässig unterbringen. Dass sie das nicht kann, hängt daran, dass sie einen wichtigen Faktor der sprachlichen Eigenstrukturiertheit noch nicht kennt, nämlich, dass die Kombinierbarkeit von Äußerungsteilen nicht nur durch Wortarten und morphologische Marker sowie deren kombinatorische Erfordernisse geregelt ist, sondern auch durch die relative Position von Ausdrücken in der Äußerung. Weder aus den jeweiligen morphologischen Formen, noch aus den Wortarten der beteiligten Ausdrücke und den kombinatorischen Erfordernissen von beiden folgt, dass mit zu kein Präpositionalattribut eingeleitet wird, dass mit Jesu kein Genitivattribut zu Jünger ausgedrückt wird, dass mit der nicht der Artikel zu Mutter gemeint ist, dass mit Da nicht der adverbiale Teil einer gespaltenen (präpositional-)adverbiellen Bestimmung Dazu realisiert ist, dass mit Da nicht bloß der Jünger oder die Mutter Jesu im Kontext geerdet werden und so weiter. Mit relativer Position sind entweder die relativen räumlichen oder die relativen zeitlichen Positionen von Einheiten in einer geschriebenen beziehungsweise gesprochenen Äußerung gemeint.

Die erforderlichen Kenntnisse bestehen darin, dass die Interpretin wissen muss, worauf das, wozu ein Ausdruck oder Ausdrucksteil instruiert, anwendbar ist. Das Worauf kann wiederum aus Einheiten verschiedener Größe und verschiedener Funktion bestehen. Die P.K.N.G.-Spezifikationen, die, wie man vielleicht sagen könnte, im -er-Bestandteil von der sitzen, können die Wortgrenze von der nicht überschreiten und etwa auf den d-Bestandteil von die angewendet werden. Ebenso darf Da nicht durch bestimmte Elemente von dem Satzglied der Jünger getrennt sein, ohne seine Zugehörigkeit zu diesem Satzglied und seine erdende Funktion für den Jüngergegenstand einzubüßen. Da der Jünger oder der Jünger da sind zwar denkbar, aber in Da nahm der Jünger … wäre Da nicht mehr mit der Jünger als Satzglied integrierbar. Dagegen wäre es in Da hinten der Jünger noch möglich. Es spielt also eine Rolle, welche Ausdrücke zwischen den Ausdrücken stehen, für die wir uns fragen, ob sie Leistungen füreinander erbringen oder nicht. Ebenso darf nichts zwischen einem Substantiv und seinem Genitivattribut stehen, so dass Jesu wohl von keinem deutschen Muttersprachler auf Jünger bezogen werden kann.

Wie verhält es sich mit zu und sich? Die positionalen Regelungen würden es ermöglichen, Da und zu als gespaltene (präpositional-)adverbielle Bestimmung zu interpretieren, im Sinne von ‚Der Jünger nahm die Mutter Jesu dazu‘, aber dann bliebe sich übrig. Diesen Ausdruck könnte die Interpretin aber versuchen, als Reflexivpronomen unterzubringen im Sinne von ‚Der Jünger nahm sich die Mutter Jesu dazu‘. Instruiert die Äußerung in (4), Da nahm der Jünger die Mutter Jesu zu sich, zu dieser Deutung? Wohl eher nicht. Dass sowohl das Objekt als auch der präpositionale Teil des Präpositionaladverbs zwischen nahm und sich stehen, scheint eine solche Interpretation auszuschließen.5

Schon am Beispiel der neuhochdeutschen Äußerung in (4) sehen wir also, was dieser letztgenannte Aspekt der sprachlichen Eigenstruktur – die Regelung, welche bestimmungsbedürftigen Elemente auf welche bestimmenden Elemente in Abhängigkeit von ihrer jeweiligen Position beziehbar sind – für die Interpretation leistet: Er verhindert, dass die Interpretin naheliegende, aber nicht beabsichtigte Bestimmungen an den Ausdrucksteilen und Ausdrücken vornimmt. Welche Regelungen das im Einzelnen sind, kann hier nicht diskutiert werden.6 Da es einzelsprachliche Eigenstrukturen sind, unterscheiden sie sich, wenn auch nicht in zufälliger Weise, von Sprach(stuf)eSprach(stuf)e zu Sprach(stuf)e. Um diesen Punkt aber wenigstens kurz zu illustrieren, schauen wir auf die mittelenglische Übertragung von Johannes 19, 27.


Um sich unter fro etwas vorstellen zu können, muss sich eine Interpretin hier mindestens einen Gegenstand vorstellen, der den Ausgangspunkt der zeitlichen Gerichtetheit darstellt, die durch fro ausgedrückt wird (a). Umgekehrt bestimmt fro die Art und Weise, wie diese Gerichtetheit vorgestellt werden soll, indem es einen Objektkasus für diesen Gegenstand bestimmt (b). Sowohl that, als auch (that) our, als auch (the) disciple, hir und (his) modir erfüllen diese Forderung. Dieselben Ausdrücke erfüllen daneben auch die Forderungen von in und to. Auf der anderen Seite bestimmt took durch seinen flexivischen Bestandteil, wie die Nehmen-Beziehung vorgestellt werden soll, indem es für Nehmer-Ausdruck die 3. Person Singular und den Nominativ sowie für den Genommenen-Ausdruck einen Objektskasus bestimmt. Als Nehmer kommen damit in Frage that, (that) our, (the) disciple und (his) modir, als Genommenes that, (that) our, (the) disciple, hir und (his) modir. Mit anderen Worten, fast alle Ausdrücke, die prinzipiell Gegenstände bezeichnen können, können fast alle vorstellungsmäßig offenen Eventualitätsausdrücke schließen! Bezüglich der Frage, was womit in welcher Beziehung steht, kann die Interpretin lediglich ausschließen, dass sie sich unter hir die Nehmerin vorstellen soll. In der mittelenglischenMittelenglisch Äußerung gibt es anders als im neuhochdeutschen Beispiel in (4) kaum aussagekräftige K.N.G.-Spezifikationen. Dieser Teil der sprachlichen Eigenstruktur – KasusKasus und KongruenzKongruenz – kann aber zuverlässigHinweiszuverlässig regeln, dass sich eine Interpretin die Eventualität auf die korrekte Art und Weise vorstellt, sie also sicher erkennen kann, was womit in welcherWas steht womit in welcher Beziehung? Beziehung steht. Mit diesen Mitteln kommt eine Interpretin im NeuhochdeutschenNeuhochdeutsch weiter als ihre Schicksalsgenossin im Mittelenglischen (und im modernen StandardenglischenNeuenglisch).

Der andere Aspekt der sprachlichen Eigenstruktur – positionale oder ReihenfolgeregelungenReihenfolge – spielt dagegen im MittelenglischenMittelenglisch und in der darauffolgenden Sprachgeschichte des Englischen anscheinend eine besonders große Rolle dabei, zuverlässig zur korrekten Interpretation zu instruieren und Interpretinnen Äußerungen auch regelmäßig verstehen zu lassen. Diese Regelungen scheinen im Mittelenglischen in viel stärkerem Maße als noch im AltenglischenAltenglisch und in allen Sprachstufen und Dialekten des Deutschen die relativen Positionen der vom Verb abhängigen Satzglieder zu erfassen. Gemeinhin wird angenommen, dass im späteren Mittelenglischen der überarbeiteten BibelübersetzungWycliffe-Bibel vom Team Wycliffe das Subjekt fast immer an seiner Position relativ zum finiten Verb und dem Objekt erkannt werden kann.7 Dies soll sogar dann gelten, wenn Kasus- und Kongruenzspezifikationen bereits zuverlässigHinweiszuverlässig instruieren, wie in Äußerung (6). Eine alternative mittelenglische Äußerung wie And fro that our hir took the disciple in to his modir sollte also bei Wycliffe höchstwahrscheinlich nicht zu finden sein, obwohl für hir bereits ausgeschlossen ist, dass es das Subjekt ist. Dagegen scheint es im MittelhochdeutschenMittelhochdeutsch problemlos möglich zu sein, die Positionen von Subjekt und Objekt zu tauschen, wie die Übertragung desselben Verses durch Matthias von Beheim zeigt.


WasWas steht womit in welcher Beziehung? womit in welcher Beziehung steht, würde eine Interpretin in der mittelhochdeutschen Äußerung also nur an den morphologischenMorphologie Formen und nicht an der SatzgliedreihenfolgeReihenfolge erkennen, während es eine Interpretin der entsprechenden mittelenglischen Äußerung sowohl an den relativen Positionen der Elemente – Subjekt, finites Verb, Objekt – als auch an dem KasusKasus von hir erkennen würde. In vielen anderen mittelenglischen Äußerungen würde sie es mutmaßlich nur an der ReihenfolgeReihenfolge erkennen.

Sollen wir daraus schließen, dass für eine Interpretin die positionalen Regelungen die zuverlässigen eigenstrukturellen HinweiseHinweiszuverlässig darauf sind, was womit in welcher Beziehung steht, wenn die Kasus- und Kongruenzverhältnisse nicht aussagekräftig sind – wie anscheinend im Mittelenglischen? Aber warum gelten die positionalen Regelungen dann immer noch, wenn die Kasus- und Kongruenzverhältnisse eindeutigeindeutig sind? Sollen wir schließen, dass positionale Regelungen keine funktionsanzeigenden eigenstrukturellen HinweiseHinweiseigenstrukturell sind, wenn die Kasus- und Kongruenzverhältnisse aussagekräftig sind – wie im MittelhochdeutschenMittelhochdeutsch? Oder sollen wir schließen, dass KasusKasus und KongruenzKongruenz immer zuverlässige HinweiseHinweiszuverlässig sind und dass positionale Regelungen zuverlässige Hinweise sein können, aber nicht müssen? Ich werde diese Fragen weiter in diesem Buch zu beantworten versuchen.

Der Mensch und seine Grammatik

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