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5. ETAPPE:

Freiheit aus eigener Kraft?


So ging Christian von seinem Weg ab, um im Hause des Herrn Gesetzlich Hilfe zu suchen. Aber als er ganz nahe an den Hügel herangekommen war, erschien ihm dieser so hoch – auch hing eine Bergwand so drohend über seinem Weg –, dass er sich nicht weitertraute, weil er fürchtete, sie könne auf ihn herabstürzen. So stand er still und wusste nicht, was er tun sollte. Dabei schien ihm seine Last immer schwerer zu werden. Er sah feurige Blitze aus dem Hügel fahren, die ihm Angst einjagten. Er fürchtete sich und zitterte, und Reue stieg in ihm auf, weil er Herrn Weltlichs Rat befolgt hatte. Da sah er Evangelist auf sich zukommen und schämte sich sehr.

Evangelist sah ihn zornig an.

»Was tust du hier, Christian?«, fragte er.

Christian blieb stumm. Er wusste nicht, wie er antworten sollte. »Bist du nicht der Mann, den ich jammernd vor den Mauern der Stadt Verderben fand?«

»Ja, guter Herr, ich bin der Mann.«

»Habe ich dir nicht den Weg zur engen Pforte gewiesen?«

»Ja, guter Herr.«

»Wie kommt es dann, dass du so bald abgewichen bist?«

»Als ich aus dem Sumpf der Hoffnungslosigkeit herausgekommen war, traf ich mit einem Herrn zusammen, der mir sagte, ich würde in der Stadt dort vor mir einen Mann finden, der mir die Bürde abnähme. […]

Ich glaubte ihm das und ging seinen Weg. Aber als ich hierherkam und sah, wie die Dinge wirklich sind, bekam ich Angst, und nun weiß ich nicht, was ich tun soll.«

»Bleib einen Augenblick stehen!«, befahl Evangelist, »damit ich dir Gottes Wort sagen kann.«

Zitternd blieb Christian stehen und Evangelist sprach das Wort: »Seht zu, dass ihr nicht den abweist, der redet. Denn wenn jene nicht entronnen sind, die den abwiesen, der auf Erden redete, wie viel weniger werden wir entrinnen, wenn wir den abweisen, der vom Himmel redet.« Und dies noch: »Mein Gerechter wird aus Glauben leben. Wenn er aber zurückweicht, hat meine Seele kein Gefallen an ihm.« Dies übertrug er sofort auf Christian: »Du bist der Mann, der in dieses Elend hineinläuft. Du hast schon angefangen, den Rat des Allerhöchsten zu verwerfen und deinen Fuß vom Weg des Friedens zurückzuziehen, und hast dich der Gefahr deines eigenen Untergangs ausgesetzt.«

Christian fiel wie vernichtet zu seinen Füßen nieder und rief: »Oh nein, nun ist mein Leben vorbei.«

Aber als Evangelist das sah, ergriff er ihn bei seiner rechten Hand und sprach: »Alle Sünde und Lästerung wird den Menschen vergeben. Sei nicht ungläubig, sondern gläubig.«

Das tröstete Christian sehr. Zitternd richtete er sich auf, als Evangelist fortfuhr:

»Achte nun mit größerem Ernst auf das, was ich dir jetzt sage: Du sollst wissen, wer es war, der dich verführt hat, und zu wem er dich geschickt hat: Der dir begegnete, heißt Weltlich. […] Der Rat dieses Mannes enthält drei Ziele, die du verwerfen musst: Er will dich vom richtigen Weg abbringen, will dir das Kreuz verhasst machen und dich dem Tod ausliefern. Wenn du seinem Rat folgst, dann heißt das den Rat Gottes verwerfen und den Rat eines Weltlichen annehmen. Der Herr sagt aber: ›Ringt darum, dass ihr durch die enge Pforte hineingeht‹ – das ist die Pforte, zu der ich dich sende – ›denn eng ist die Pforte und schmal der Weg, der zum Leben führt, und es sind wenige, die ihn finden.‹ Von dieser engen Pforte und dem Weg, der dahin führt, hat dich dieser gottlose Mann weggelockt und dich fast dem Verderben ausgeliefert. Lass es dir leid sein, dass ihm das gelungen ist und dass du auf ihn gehört hast. Du musst diesen Mann auch deshalb verabscheuen, weil er versucht hat, dir das Kreuz verhasst zu machen, das dir doch größerer Reichtum ist als alle Schätze Ägyptens. […] Drittens musst du den Mann hassen, weil er deinen Fuß auf einen Weg lenkte, der zum Tod führt. Und schließlich musst du dir klarmachen, zu wem er dich geschickt hat und wie unfähig jener ist, dir deine Last abzunehmen. Jener Mann, der Gesetzlich heißt, ist Sohn einer Magd, einer Sklavin, und auf geheimnisvolle Weise des Berges Sinai, von dem du gefürchtet hast, er könne dir auf den Kopf fallen. Wie kannst du erwarten, durch sie, die in Gefangenschaft geboren sind, befreit zu werden? Dieser Gesetzlich kann dir deine Last nicht nehmen. Noch nie ist ein Mensch durch ihn befreit worden. Durch die Werke des Gesetzes kann keiner seine Last loswerden. Dieser Herr Weltlich ist also ein Lügner und Herr Gesetzlich ein Betrüger. […] Glaube mir, hinter aller Angeberei dieser dummen Leute steckt nichts als der Plan, dich um dein Heil zu bringen, indem sie dich von dem Weg, auf den ich dich geführt habe, weglocken.«

Die Pilgerreise, Seiten 24-28


Der Aufräum-Trend hat auch Deutschland erreicht. Marie Kondō, eine japanische Beraterin und Bestsellerautorin, verhilft Leuten zu einem minimalistischen Lifestyle ohne jeglichen Ballast. Es ist ein Hype, der um die ganze Welt geht: Wohnung und Leben endlich mal so richtig entrümpeln, um wahre Freude und Freiheit zu erleben. Eigentlich ist das Ganze eine Banalität, aber ich vermute, dass bei den meisten Menschen mehr dahintersteckt. Die Sehnsucht nach Ordnung im Kleiderschrank verweist auf die Sehnsucht nach einem Leben, das in jeder Hinsicht geordnet ist. Der Wunsch, die Altlasten im Keller loszuwerden, verweist auf den Wunsch, endlich von der so viel größeren Last loszukommen, die uns alle bedrückt. Wir sehnen uns nach Freude und Freiheit. Und jegliches menschengemachte System, das solche Freude und Freiheit verspricht, wird dankbar angenommen. Am Ende jedoch bleiben wir enttäuscht zurück.

Diese Wahrheit sehen wir auch im Leben von Christian bestätigt. Herr Weltlich hatte ihm einen leichten, bequemen Weg versprochen, von seiner Last befreit zu werden. Und dankbar hatte Christian diesen Weg eingeschlagen. Als er nun jedoch vor dem riesigen Berg steht, den es zu erklimmen gilt, bekommt er es mit der Angst zu tun: Eine herabhängende Felswand droht ihn zu erschlagen. Bunyan spielt hier auf den Berg Sinai an, an dem das Volk Israel mit dem Gesetz Gottes konfrontiert wurde und ebenfalls voller Furcht zitterte. Die Israeliten hatten Gott damals versprochen, seine Gebote zu halten, aber der Verlauf der späteren Geschichte macht ihr ständiges Versagen deutlich. Durch das Gesetz erkennen wir, wie Paulus es schreibt, unsere Sünde (Römer 3,20), aber es kann uns nicht dazu befähigen, auf Gottes Wegen zu gehen und zu bleiben. Kein Mensch wird aus Werken des Gesetzes vor Gott gerechtfertigt (Römer 3,20), der Berg Sinai steht vielmehr für die Knechtschaft, in der wir Menschen uns befinden (Galater 4,24-25).

Anders ausgedrückt: Die Freude und Freiheit, nach denen wir uns so sehr sehnen, kann uns Marie Kondō nicht geben. Ihr System kann uns zu einem aufgeräumten Kleiderschrank verhelfen, aber sie kann uns nicht dabei helfen, unsere Beziehung zu Gott zu ordnen. Ihr System funktioniert prima, wenn es darum geht, Altlasten im Keller loszuwerden, aber es hält keine Lösung für unsere Sündenlast parat. Das gilt auch für jede Religion, die darauf basiert, dass sich der Mensch durch eigene Kraft und Anstrengung Freiheit verschaffen kann und muss. Ja, es gilt sogar für das eigentlich heilige und gute Gesetz Gottes, wenn wir es nicht aus Glauben und durch die Befähigung des Geistes Gottes erfüllen, sondern krampfhaft versuchen, es aus unserem Fleisch herauszuhalten. Bei diesem Versuch werden wir ständig scheitern, weil wir Sklaven der Sünde sind (Römer 7,12-14). Das ist es, worauf Sinai verweist.

Die Herausforderung besteht darin, dass diese »Gesetzlichkeit«, mit der Christian und auch wir immer wieder konfrontiert werden, eine enorme Attraktivität ausstrahlt. Wir stehen in der beständigen Gefahr, uns auf Abwege zu begeben und uns »einem anderen Evangelium« zuzuwenden (Galater 1,6). Es gibt aber nur einen wahren Weg der Erlösung (Johannes 14,6) und wir dürfen dankbar sein, wenn Gott uns Menschen wie Evangelist schickt, die uns erneut an das Wort Gottes erinnern. Wir leben in einer Zeit, in der solch ernste Ermahnungen, wie Evangelist sie gegenüber Christian ausspricht, nicht an der Tagesordnung sind. Doch das Neue Testament ist voll davon. Die Pilgerreise ist kein Einmannprojekt, wir sind gemeinsam unterwegs.

Der Brief an die Galater beispielsweise ist alles andere als ein schmeichelnder Liebesbrief. Paulus schreibt an die dortigen Christen (die von ihm zu Jesus geführt wurden!), weil er in großer Sorge um sie ist: Auch sie sind vom rechten Weg abgekommen und haben sich einem gesetzlichen System zugewandt. Paulus weist sie scharf zurecht und macht sehr deutlich, dass sie wieder zu ihrem anfänglichen Glauben zurückkehren und daran festhalten müssen, um gerettet zu werden, das ewige Ziel zu erreichen. Es gilt, sich auf den Geist Gottes zu verlassen, und nicht auf sich selbst (Galater 6,8).

Wir wissen nicht, wie die Galater darauf reagiert haben. Wir haben aber unsere eigene Reaktion in der Hand, wenn uns jemand deutlich macht, dass wir Gottes Weg verlassen haben. In so einem Fall sollten wir wie Christian Buße tun. Dann dürfen wir Vergebung erfahren – Vergebung, die nur möglich ist durch Jesus Christus. Er ist den geraden Weg gegangen, ohne jemals davon abzuweichen. Weil er um die Freude wusste, die vor ihm lag, hat er sogar den Tod am Kreuz von Golgatha auf sich genommen (Hebräer 12,2). Und weil er dort für uns die Freiheit errungen hat, dürfen wir schon jetzt in ihr leben (Galater 5,1), und die Freude Jesu darf in uns immer mehr Raum gewinnen (Johannes 15,11). Dazu braucht es kein Ordnungssystem à la Marie Kondō oder sonst irgendein menschengemachtes System.


»Mein Gerechter aber wird aus Glauben leben«; und: »Wenn er sich zurückzieht, wird meine Seele kein Wohlgefallen an ihm haben.«

Hebräer 10,38

Vater,

hilf mir, auf dem rechten Weg zu bleiben und im Glauben auszuharren.

Danke, dass du mich zur Freiheit berufen hast und mir in deinem Sohn wahre Freude schenkst. Ich muss dazu keine starren Regeln befolgen, sondern darf im kindlichen Vertrauen auf dich den Weg der Nachfolge Christi einschlagen.

Bitte gib mir auch einen Blick für andere Menschen, denen ich auf diesem Weg zu einem Evangelist werden kann.

Amen.


40 Tage Wanderschaft

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