Читать книгу The Guards - Simone Lilly - Страница 2

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 2.

Der Morgen kam für Nina viel zu schnell. Zwar war sie nicht müde, wollte aber trotzdem in ihrem großen, warmen Bett liegen blieben, sich die Decke über den Kopf ziehen und warten. Darauf warten, dass es Abend wurde, dass der Schultag verging.

„Schläfst du immer noch?“, die Frage ihrer Mutter, die ihr Zimmer rasch betreten hatte, klang schnippisch. „Es ist zehn nach acht, los, los! Nicht das du wieder zu spät kommst und ich in die Schule muss.“

Nina reagierte nicht. Wenn das ihre einzigen Sorgen waren, brauchte sie keine Kraft daran zu verschwenden, indem sie ihr eine Antwort gab. Durch ihr dickes Kissen, dass sie sich genervt über den Kopf gezogen hatte, hörte sie, wie ihre Mutter mit ihren sündhaft teuren Schuhen über den Holzboden, bis hin zum Fenster stöckelte, das Rollo nach oben zog und das Fenster

öffnete.

„Es ist warm draußen.“, stellte sie fest und schloss es wieder. Nina reagierte immer noch nicht, sie begann schon wieder etwas zu dösen. Ihre Mutter verlor allmählich die Geduld. „In zehn Minuten bist du unten, verstanden?“

Sie hatte es verstanden. Klar und deutlich. Und doch brauchte sie ganze zwanzig Minuten, um aufzustehen, sich aus ihrem Schrank etwas Passendes zum Anziehen rauszusuchen und um sich so gut es ging hübsch zu machen.

So saß sie wenig später gelangweilt am halb abgeräumten Frühstückstisch. Ihre Haushälterin Miriam hatte ihn, nachdem ihre Mutter und ihr Vater das Haus verlassen hatten, bis auf ihren Teller, einem Käsebrot und einer Tasse Milch, abgedeckt. Schnell hatte Nina gegessen, trug die übrigen Sachen in die Küche zurück und ging missmutig wie jeden Morgen aus dem Haus. Sorgen machte ihr ihr Schulweg nie. Er war noch eines der schönen Dinge an ihrem Schultag. Zumindest wenn die Sonne schien.

Nina genoss die Ruhe, solange sie noch konnte. Da sie in einer ziemlich reichen und auch vornehmen Gegend wohnte, begegneten ihr hier selten Schüler ihrer Klasse. Ein Punkt, der ihr an ihrem neuen Haus sichtlich gefiel. Die Straße war lang, führte einen kleinen Hügel hinab und mündete beinahe direkt in der Stadtmitte. Es war praktisch, man konnte schnell dorthin gelangen ohne sich einen besonderen Weg merken zu müssen. Links und rechts von ihr erstreckten sich die Villen ihrer Nachbarn, nicht sehr viele und dennoch kannte Nina keinen einzigen von ihnen.

Verträumt blickte sie in den tiefblauen, wolkenlosen Himmel und begann sogar ein Lied, das sie über ihren IPod nano hörte, zu summen. Im Sommer war es immer tropisch warm, doch dieses Jahr übertraf alles, was Nina je erlebt hatte. Dicke Luft umgab sie, von morgens bis abends, von allen Seiten, ganz gleich wohin sie ging. Sie war sogar so dick und sengend, dass man sie als flimmernden Schleier ausmachen konnte. So flimmernd und erdrückend heiß, dass die Abgase der Autos und Gerüche aus Küchen, Bahnstationen und Abwasserkanälen beißend in der Luft lagen und gerade so vor sich hinzuköcheln schienen.

Der Weg wurde breiter, die Menschenmasse dichter. Hob sie aufmerksam den Kopf, konnte Nina vor sich das gewaltige Schulgebäude erkennen. Das große, gelb gestrichene Mittelhaus und die zwei kleinen, vermutlich nachträglich angebauten Ost-und Westflügel. Für Nina Zeichen genug jetzt ihren Kopf und Blick zu senken, stur in ihre Klasse zu gelangen, am besten auch noch unerkannt auf ihren Platz.

Gebückt erreichte sie den grünen Vorplatz auf dem sich Schüler vor oder nach dem Unterricht trafen. Sie redeten miteinander, beachteten Nina nicht. Ihr war es recht. Als sie den kühlen Schulflur betrat und zu ihrem Spint ging, wagte sie kurz aufzusehen. Da sie wie jeden Tag viel zu früh gekommen war, war es noch angenehm leer. Das billige Metall ihrer Spinttür hallte laut durch das wenig belebte Gebäude. Nina liebte die Ruhe vor dem Sturm. Entspannt wickelte sie das lange Kabel ihres IPods um dessen Schutzhülle und legte ihn zusammen mit ihrer Jacke hinein. Im Spint war viel Platz, denn Nina zog es vor, ihre Schulsachen jeden Tag mit nachhause zu nehmen.

Die Glocke läutete, sie läutete einmal, zehn Minuten vor Unterrichtsbeginn, und sagte den Schülern, dass es an der Zeit war das Schulhaus zu betreten. Sie läutete auch ein zweites Mal, bei Unterrichtsbeginn. Noch bevor sie die Horde an Jugendlichen, die nun durch die Türen quollen einholen konnte, war Nina schon längst in ihrem Klassenzimmer verschwunden. Dort saß sie auf dem hintersten Platz. Hinten rechts und am Fenster.

An einem Tag wie diesem folgte sie dem Gerede des Lehrers überhaupt nicht, lieber sah sie aus dem Fenster, auf den Pausenhof, den Sportplatz und auf die angelegte Grünfläche. Ihre Abwesenheit war nur dann schlimm, wenn sie unerwartet aufgefordert wurde, etwas zu sagen. Immer dann, wenn Nina in ihren tiefsten Träumereien versunken war, wurde sie abrupt gestört, und anschließend wenn sie es nicht wusste, belächelt. Alle Köpfe drehten sich zu ihr nach hinten und musterten sie argwöhnisch und abwartend.

Die Tür wurde aufgeworfen. „Hi, Brille.“ Waren die ersten Worte, die zu hören waren.

Der Gruß war weder freundlich, noch bösartig gemeint, er lag einfach unbeantwortet in der Luft.

„Brille“ war Nina um einiges lieber, als „Brillenschlange“. Im Laufe der Monate waren ihre Mitschüler zu faul geworden, sie „Brillenschlange“ zu nennen. Denn der Name war ihnen viel zu lang. „Brille“ war also eine passende Abkürzung, die so gut wie jeder verstand. Leider.

The Guards

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