Читать книгу The Guards - Simone Lilly - Страница 4
Оглавление4.
Sie hatten ihr ihr Heft genommen, das wusste Nina schon bevor sie ihr Klassenzimmer nach der langen Mittagspause betrat. Bestimmt hatten sie es in den Mülleimer oder aus dem Fenster geworfen. Jedenfalls würde Nina es, wenn überhaupt noch einmal, nicht mehr im ursprünglichen Zustand wiedersehen.
Gefühlskalt schlenderte sie nach hinten, als sie aus den Augenwinkeln Andrew ausmachte. Mit seinen teuren Chucks, lässigen Shorts und einem weiten T-Shirt ließ er sich betont cool auf seinem Tisch nieder. Nina wurde heiß und kalt zugleich. Sie wusste, dass er nicht der hellste war und auch dass man mit der Menge seiner Schulverweise ein ganzes Zimmer tapezieren konnte. Aber genau das war es, das sie an ihm faszinierte. Er war trotzdem sehr beliebt, oder gerade deswegen. Von ihren Mitschülern und verständlicherweise Mitschülerinnen umringt, hob Andrew seinen Kopf, lächelnd warf er seine locker nach hinten gekämmten, braunen Haare zurück und blickte zu ihr. Direkt auf Nina. Ein Schüttelfrost überkam sie, sodass sie schnell versuchte, aus seinem Blickfeld zu verschwinden. Ungelenk stob sie vorwärts, rasch genug, um gegen den vor ihr stehenden Tisch zu prallen. Andrews Grinsen wurde breiter und Nina setzte sich peinlich berührt auf ihren Stuhl. Erst als es schien, als hätte es sonst keiner bemerkt, meldete sich ein pochender Schmerz in ihrem Knie, welcher ihre Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Ihr Bein schmerzte, so sehr das nicht einmal die Blamage diesen Schmerz übertünchen konnte.
Missmutig blickte sie auf ihren Stundenplan, den sie auf ihren Ordner abgedruckt hatte. Sie hatten jetzt Mathematik. Nicht nur, dass Nina dieses Fach hasste, nein, sie war sich auch noch sicher, dass ihr Lehrer Simk sie nicht mochte. Es war nicht nur reine Einbildung, oder Ausreden für ihre schlechten Noten, so wie es ihr Vater nannte. Jeden Tag wurde sie sich sicherer, dass er sie wirklich nicht mochte, und das auch immer und überall zeigte. In allen verschiedenen Weisen. Erst ein halbes Jahr zuvor hatte er sie bei einem Schulausflug rein zufällig vergessen auf die Liste zu setzten. Konnte das einfach so passieren? Eigentlich nicht. Und das bestätigte Nina ihren Verdacht. So oft sie versucht hatte einen Grund dafür zu finden, warum sie von ihren Mitschülern und sogar Lehrern nicht gemocht wurde, so oft hatte sie keinen gefunden. War es wirklich nur ihr Aussehen? Zugegeben, sie war etwas dicker, hatte eine unreine Haut und trug eine Brille. Aber konnte es daran liegen? Wenn sie sich umsah, sah sie durchaus ähnliche Mädchen in ihrer Klasse. Oder lag es daran, dass sie nicht mit den anderen redete, sich in ihrer Ecke zurückzog und dort blieb? Das sie in den Pausen alleine umherstreunte und sich nicht zu den anderen setzte? Eigentlich auch nicht, denn auch wenn sie sich jetzt so verhielt, so war sie anfangs noch ernsthaft daran interessiert gewesen, Freundschaften zu schließen. Konnte es etwa an ihrem Reichtum liegen? Das war das einzige was blieb. Was sie noch nicht ausgeschlossen hatte. Aber, sie hatte noch nie mit ihrem Geld oder dem Beruf ihres Vaters angegeben, noch nie geprahlt. Sie kreuzte nicht jeden Tag in Designerklamotten auf oder trug den teuersten Schmuck. Sie war normal gekleidet. Abgesehen davon, dass sie in der Schule Uniformen tragen mussten. Jedesmal wenn sie darüber nachdachte, blieb es ihr ein Rätsel. Eines, das sie womöglich niemals lösen würde. Vielleicht war es gar nicht ihre Schuld, vielleicht lag es einfach an dieser Klasse. Vielleicht würde es besser und anders werden, wenn sie wieder umzogen. Es müsste nur etwas passieren, wieder ein Ereignis auftreten, dass ihrem Vater angst machte, das ihn dazu bewegte, wieder die Koffer zu packen.