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Kapitel 1

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Dienstag, 05.08.2008, Philadelphia-Über den Wolken, 16:28 Uhr

Isabella machte die Augen auf und wusste im ersten Moment nicht, wo sie sich befand. Vor ihr stand eine Frau in dunkelblauer Uniform, deren Knopf am Ausschnitt bereits zu platzen drohte. Völlig irritiert und noch verschlafen verstand sie weder den genervten Gesichtsausdruck der Frau, noch deren Worte. „Was will diese Frau bloß von mir und wo bin ich überhaupt?“, ging es Isabella durch den Kopf. Sie brauchte einen Moment bis sie wach genug war, dass die Erinnerungen der letzten Tage und Stunden zurückkamen und ihr die traurige Wirklichkeit wieder einfiel. Sie befand sich im Flugzeug auf dem Weg nach Boston, was auch die Verständigungsprobleme erklären würde. Englisch, sowie jede andere Sprache, die nicht deutsch war, waren für Isabella Schneider nur komisch klingende Worte ohne Sinn. Und so kurz nach dem aufwachen, konnte erst recht nicht von ihr erwartet werden, sich dessen auszusetzen. Mit fragendem Gesichtsausdruck lächelte sie die genervte Stewardess vor sich an, der schließlich der Geduldsfaden riss. Sie nahm die beiden Gurtenden links und rechts von Isabella und schnallte sie auf ihren Platz fest. Warum hatte sie sich diese Tortur nur angetan? Nie hätte sie sich von Laura dazu überreden lassen sollen. Es war einfach eine Schnapsidee gewesen, die ihr bei klaren Gedanken nie passiert wäre. Aber die letzten Wochen waren einfach ein Desaster gewesen und länger hätte sie es auch nicht mehr zu Hause ausgehalten. Daher war jede Idee, die sie nur wegführte schnell überzeugend gewesen. Auch wenn es im Nachhinein völlig bescheuert war mit Flugangst in ein Flugzeug zu steigen, das auch noch mehrere Stunden unterwegs in ein Land war, dessen Sprache sie nicht verstand. Mit Hilfe von Valium hatte sie zumindest den ersten Flug im Schlaf verbracht und hatte nicht mitbekommen, was um sie herum geschah, was den Flug durchaus erträglich gemacht hatte. Doch der kommende Anschlussflug war viel zu kurz, um weiterhin schlafen zu können und so blieben ihr noch zwei angsterfüllte Ladungen, sowie ein Start, der ihren Magen völlig umdrehte. Wie gut, dass sie nichts gegessen hatte, sonst würde die arme Stewardess sich auch noch mit diesem Problem auseinandersetzen müssen. Ihre Gedanken schweiften ab zum wieso und warum des Lebens und halfen sie soweit abzulenken, dass sie die Armaturen nicht vollständig herausriss, die ihre verkrampften Finger beim Landeanflug auf Philadelphia malträtierten. Als sie endlich wieder festen Boden unter sich wahrnahm, spürte sie auch das unangenehme Gefühl von eingeschlafenen Beinen, die bitzelten und nicht richtig unter Kontrolle waren. Sie trat daher auf der Stelle von einem zum anderen Bein während um sie herum aufgescheuchte Menschenmassen das Flugzeug verließen. Geduldig wartete sie ab bis der größte Ansturm vorüber war und holte dann ihre Tasche und ihre Jacke aus den Fächern über ihr, um auch selbst das Flugzeug verlassen zu können. Wie ein Entenküken watschelte sie der Schlange hinterher die zum Einreiseschalter führte und stellte sich schon gedanklich auf längere Wartezeiten ein, nachdem dort nur langsam etwas voran ging. Isabella war es schleierhaft, wie Laura freiwillig in dieses Land ziehen konnte, das so völlig unterschiedlich zu dem kleinen Ort Dorfstetten war, das sie ihre Heimat nannte. Aber das war nicht der einzige Bruch, der zwischen ihnen beiden stand, obwohl sie früher ein sehr inniges Verhältnis hatten. Sie waren zwar nur Cousinen und keine Geschwister, dennoch waren sie so aufgewachsen und fühlten sich damals auch so. Nicht zuletzt, da ihre Mütter schon Geschwister waren und sehr viel Zeit verbrachten, aber auch weil sie gleich alt waren, im gleichen Ort wohnten und sich beide immer Geschwister wünschten, die einfach nicht kamen. Doch seit Isabella verheiratet und Laura nach Boston gezogen war, hatte sich der Kontakt, nicht zuletzt wegen Isabellas Flugangst, drastisch minimiert und ausschließlich auf vereinzelte Telefonate und Emails beschränkt, die mit der Zeit auch immer weniger wurden. Doch das war nicht der Anfang! Der lag schon 5 Jahre früher, als Isabella Ralf heiratete. Laura konnte ihn einfach nicht leiden und fand, dass die beiden nicht zusammenpassten. Das Verhältnis war nur noch gespannt, schließlich entscheidet man sich nicht gerne zwischen der besten Freundin und dem Mann, dem man liebt. Doch als Laura dann 2 Jahre später Hals über Kopf nach einem Urlaub nach Boston zog und alles aus der Heimat einfach hinter sich ließ, ohne sich noch einmal umzusehen, war der Knacks in ihrer Freundschaft mehr als nur groß geworden. Isabella, die nie so spontan gewesen wäre, verstand es einfach nicht, wie Laura wegen einem Urlaubsflirt ihren Job, ihre Freunde und auch ihre Heimat einfach so aufgeben konnte. Vor allem hatte sie ihn noch nicht einmal kennengelernt. Sie kannte nur seinen Namen, gesehen hatte sie ihn noch nie. Der eine Grund war, wie gesagt die Flugangst, die bisher einen Besuch ihrerseits unmöglich gemacht hatte. Aber auch Laura hatte einen Schnitt mit ihrer Vergangenheit in Deutschland gemacht und war seit ihrer Auswanderung nie mehr wieder gekommen. 3 Jahre war das jetzt her und es war schon ein komisches Gefühl so plötzlich kurz davor zu sein, sie wieder zu sehen. Vor einigen Tagen noch rief sie spontan an, um ihre Verlobung mitzuteilen und merkte sehr schnell, dass es Isabella nicht gut ging und hatte sie Sache auch schnell auf den Punkt gebracht: Ralf! Kurzerhand buchte sie Isabella ein Ticket nach Boston. Und so war sie in diesen Schlamassel überhaupt erst hineingeraten. Immerhin hatte sie die Hälfte der Reise schon überstanden und die Freude darüber Laura wieder zu sehen, nahm ihr auch etwas die Angst, vor dem nächsten Flugzeug, das ihr noch bevorstand. Aus ihrer Handtasche, die sie sicher vor Dieben in ihrer Tasche versteckt hatte, holte Isabella die Tickets heraus, um die Abflugzeit und das Terminal des Anschlussfluges nachzusehen.

München – Philadelphia

Abflug: 12.30 Uhr Terminal 2; Ankunft 15.55 Uhr Terminal A


Philadelphia – Boston

Abflug: 17.15 Uhr Terminal B; Ankunft 18.55 Uhr Terminal B


Sie sah auf die Uhr, die 21.49 Uhr anzeigte und ärgerte sich darüber, damit sie sich nicht früher über die Zeitverschiebung Gedanken gemacht hatte. Wie viel Stunden musste sie vor oder doch zurück rechnen? Mit ihren spärlichen Englischkenntnissen fragte sie ihren Vordermann in der Schlange, der ihr freundlicherweise die Uhr zeigte, so dass ein Missverständnis ausgeschlossen war: 16.25 Uhr. Der Hinflug hatte eindeutig Verspätung und ihr blieben gerade eine knappe Stunde Zeit, bis sie schon wieder in das nächste Flugzeug steigen musste. Sie konnte nur hoffen, dass die Schlange vor ihr, sich endlich lichtete. Sie war das lange Sitzen einfach nicht gewöhnt und auch ihre Beine schmerzten von der unnatürlichen Sitzhaltung, die sie stundenlang ausgehalten hatte. Dennoch wartete sie artig in der Schlange, wie es deutsche Tugend war, bis sie endlich an der Reihe war. Der Schalterbeamte in seinem kleinen Gitterhäuschen meinte es gut mit ihr und hatte sie innerhalb kürzester Zeit abgefertigt und frei zur Weiterreise gegeben. Dennoch wurde es zeitlich immer knapper. Sie beschleunigte ihre Schritte und steuerte die Gepäckausgabe an, um ihren Koffer, der schon einsam seine Runden drehte, endlich vom Band zu nehmen. Mit ihrem Koffer im Schlepptau steuerte sie, wie Laura ihr vorher haargenau schilderte, den Zoll an und hoffte auch hier schnell weiter zu kommen. Immerhin blieben ihr gerade noch 17 Minuten, um den Koffer neu aufzugeben und ins Terminal B zu kommen, von dem sie keine Ahnung hatte, wo es sich befand. Doch sie hatte die Rechnung ohne den amerikanischen Zollbeamten gemacht. Die Eile, die Isabella an den Tag legte, kam dem Beamten verdächtig vor, so dass er Isabella aufhielt. Ein kleiner, untersetzter, glatzköpfiger Beamte führte Isabella zu einem Tisch. Eine große, maskuline Blondine eilte hinzu und bat sie darum ihren Koffer zu öffnen. Immerhin vermutete sie das den Gesten entnehmend, denn verstanden hatte sie gar nichts. Sie versuchte die Beamten davon zu überzeugen, dass sie es eilig hatte und zeigte ihnen ihre Tickets. Doch das schien die beiden überhaupt nicht zu interessieren. Die Blondine schob Isabella beiseite und öffnete selbst den Koffer. Seelenruhig durchwühlte der glatzköpfige Mann ihren Koffer und machte noch nicht einmal vor der Unterwäsche halt. Schon einen Moment später hob er doch wirklich einen Slip hoch, dass ihn jeder, der umstehenden Menschen sehen konnte. Und ausgerechnet den wenig attraktiven Baumwollslip, den sie sich für die nächste Periode eingepackt hatte, musste er herausziehen. Selbst die ernste, maskuline Blondine konnte sich ein Grinsen nun nicht mehr verkneifen. Isabella spürte, wie ihr die Röte in die Wangen schoss und sie hätte sich am liebsten verkrochen, so peinlich war ihr der Vorfall. Doch der Beamte war noch nicht fertig mit ihr und wühlte sich weiter durch die Kleider- und Büchermassen, bis er schließlich doch noch zu seiner Freude, etwas entdeckte – die Pralinen für Laura. Dass die Pralinen für den Zoll ein Problem darstellen sollten, war Isabella weder einleuchtend, noch verständlich. Ihres Wissens wurde auf Schokolade keine Steuer erhoben. Durch ihren fragenden und verwirrten Gesichtsausdruck hatte auch der Beamte verstanden, dass Isabella die Problematik, die es auf sich hatte, nicht verstand und zeigte daher auf ein Plakat hinter sich. Es zeigte eine Kuh und ein Schwein, die durchgestrichen waren. In Fettschrift und großen Lettern war das Wort „FOOT – AND – MOUTH – EPIDEMIC“ darunter geschrieben. Isabella hatte den Sinn immer noch nicht verstanden. Seit wann hatte Schokolade etwas mit der Maul- und Klauenseuche zu tun? Die maskuline Frau versuchte immerhin einen Ansatz der Erklärung für Isabella und mit der kurzen und prägnanten Wortwahl „NO FOOD!“ schien sie alles erklärt zu haben, was es zu wissen gab. Die Pralinen wurden eingezogen und Isabella konnte ihre durchwühlte Kleidung wieder einpacken. Doch ein Blick auf die Uhr, ließ ihre Adern gefrieren. Sie hatte ihren Anschlussflug gerade verpasst. Was sollte sie jetzt hier in Philadelphia machen? Kein Mensch würde sie verstehen. Was gab es schlimmeres als einen Flieger zu verpassen? Natürlich einen Flieger in einem fremden Land zu verpassen, in dem man die Hälfte nicht verstand, von dem, was man tun musste. Aber vielleicht war sie nicht die Einzige und es gab eine Stelle für vom Zoll aufgehalten und daher verpasste Flüge? Deprimiert und verärgert suchte sie sich den Weg zum US Airways Schalter und hoffte darauf, dass es irgendjemanden gab der dort deutsch sprach. Sie kam in die Eingangshalle, in der alle Airlines ihre Schalter hatten und stellte sich wieder einmal in die Reihe der Wartenden ein. Minuten über Minuten verstrichen dahin, doch es störte sie nicht mehr. Sie wusste doch sowieso nicht, was sie jetzt anfangen sollte, also war auch die Zeit kein Problem mehr. Eine lächelnde, brünette Schalterangestellte winkte sie schließlich zu sich heran und prüfte die Tickets die Isabella ihr in die Hand drückte. Sie sprach zwar kein Deutsch, verstand aber sehr schnell das Problem und signalisierte Isabella, dass es kein Problem sei. Sie buchte den Flug um und checkte auch gleich Isabellas Koffer ein. Anschließend druckte sie ihr die neuen Tickets aus und zeigte ihr anhand der Papiere die neue Abflugzeit, die sie vorsichtshalber mit dem Kugelschreiber einkreiste. Sie hatte noch etwas mehr als eine Stunde Zeit, bis der nächste Flug ging. Isabella ließ sich noch die grobe Richtung zum Gate und Terminal erklären und machte sich gleich auf den Weg dorthin. Sie wollte den Anschlussflug nicht noch einmal verpassen. Vorbei an Burgerbuden und Fast Food Ständen staunte sie nicht schlecht über die Masse an Menschen, die fettige Pommes und Burger oder triefende Pizzen in sich hineinstopften. Isabella mochte diese Art des Essens nicht und ekelte sich regelrecht davor. Sie liebte gutes Essen und zählte daher auch nicht gerade zu den schlankesten Frauen der Welt, wobei dick eine übertriebene Beschreibung für sie gewesen wäre. Sie genoss das Essen und das war für sie mehr Lebensphilosophie als irgendeine Kleidergröße oder gar ihr Aussehen. Sie hielt sich mit Schwimmen fit und hatte so ihren Körper über Jahre hinweg trainiert, dass ihr auch einmal größere Schlemmer-Eskapaden nichts anhaben konnten. Nachdem sie ihr Gate gefunden hatte, entschloss sie sich zu einem Café in der Nähe, in dem sie sich die Zeit vertreiben wollte.


Blick der Veränderung

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