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Kapitel 7

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Donnerstag, 07.08.2008 Wellington, 19:34 Uhr

Isabella beobachtete von der Tür aus Mike, der mit dem Rücken zu ihr vertieft in sein Buch war. Sie stand wie angewurzelt da und wusste nicht, was sie davon halten sollte. Er las den Roman „Eisfieber“ von ihrem Lieblingsautor Ken Follett, den sie gerade erst gestern Nachmittag zu Ende gelesen hatte. Sie wusste nicht warum, aber sie hatte ihn so nicht eingeschätzt. Es war neu für sie, die Facetten eines Menschen Stück für Stück erst zu entdecken, anstatt den Menschen von Anfang an zu durchleuchten, wie sie es gewohnt war. Doch Mike war eben anders und überraschte sie so immer wieder aufs Neue.

„Haben Sie den Virus schon gestohlen?“, fragte sie ihn schließlich.

Aber keine Antwort von Mike. Hatte er sie nicht gehört oder ignorierte er sie absichtlich? Sie ging einen Schritt auf ihn zu und tippte ihn auf die Schulter. Augenblick zuckte er zusammen und ein Lächeln umspielte er ihre Lippen. Es ging ihm also genauso, wie ihr. Wenn sie sich in einen Roman vertiefte, bemerkte sie um sich herum nichts mehr. Die Rollen wurden lebendig, die Geschichten nahmen ihren Lauf und die Realität war weit, weit entfernt. Isabella liebte es sich in Geschichten hinein zu denken und wollte manchmal, wie in einem schönen Traum einfach nicht mehr aufwachen. Mike dagegen sah sie erschrocken und verlegen zugleich an. Einen kurzen Augenblick lüftete sich sein schwarzer Vorhang und sie konnte in ihn hineinsehen. Er liebte spannende Kriminalgeschichten und wenn er ein Buch begonnen hatte, hatte er es auch meist schnell gelesen. Dennoch war es ihm peinlich, dass jemand das über ihn wissen konnte. Das konnte sie am deutlichsten bei ihm sehen. Aber warum? Sie hätte den schwarzen Vorhang gerne weiter aufgeschoben, doch der Augenblick der Überraschung war vorbei und Mike kehrte schnell wieder in seine Rolle zurück.

„Seid ihr schon wieder zurück?“ fragte er wieder gefasst.

„Ja, gerade eben. Haben Sie den Virus schon gestohlen?“ wiederholte sie ihre Frage von eben.

„Ja. Sie sind gerade aus dem Labor geflüchtet und haben Probleme mit den Schneeverhältnissen. Du kennst das Buch?“, fragte er erstaunt.

„Natürlich, ich besitze alle Bücher von Ken Follett. Er zählt zu meinen absoluten Lieblingsautoren. Mir gefallen sein lebensnaher Schreibstil und seine Sicht der Dinge. Es gibt bei ihm nicht nur gut und böse, sondern einfach nur Menschen, die alle ihre Probleme haben. Die Bösewichte beispielsweise sind nicht einfach nur böse, sondern sie haben eine Geschichte, die sie geprägt hat und man empfindet sogar fast ein bisschen Mitleid für sie.“

Mike war erstaunt von ihrer Meinung und von der Freude, die sie ausstrahlte, als sie eben sehr lebhaft von Ken Follett erzählte. Er kannte bislang nur „Der dritte Zwilling“ von ihm und jetzt auch bald „Eisfieber“. Aktuelle Themen und Problematiken der heutigen Zeit, waren viel mehr sein Metier. Dennoch konnte er mit ihr übereinstimmen, dass ihm die Charaktere und Denkweisen der Bösewichte gefielen. Er wollte mit ihr weiter diskutieren, doch Laura ließ ihm keine Chance.

„Endlich habe ich dich gefunden! Hast du etwas von Martha gehört?“, fragte Laura aufgeregt.

„Nein. Sie war gestern noch bei Peter im Krankenhaus und ist gegen 15 Uhr wieder gegangen. Seit dem hat er auch nichts mehr von ihr gehört. Ich bin zu ihr nach Hause gefahren, aber da war sie auch nicht. Eine Nachricht habe ich ihr hinterlassen. Jetzt müssen wir eben abwarten!“

Für Laura passte alles zusammen und sie sah Lady Karas Vorhersage nun mehr endgültig bestätigt. Das Verschwinden von Martha musste mit der Entführung zusammenhängen.

„Martha ist entführt worden und wird derzeit irgendwo festgehalten. Wir müssen sofort die Polizei verständigen und eine Anzeige aufgeben“, sprudelte sie daher darauf los.

„Wie kommst du darauf?“, unterbrach Mike sie.

„Lady Kara hat es gesehen. Sie ist in einem dunklen Raum eingesperrt und ist meistens betäubt.“

„Das ist jetzt nicht dein Ernst! Weil deine Quacksalberin dir solche Hirngespinste in den Kopf setzt, willst du zur Polizei gehen? Dann kannst du dich auch gleich in die geschlossene Anstalt einweisen lassen! Du hättest dir das Geld besser sparen sollen, als so einen Blödsinn zu glauben.“

„Aber es stimmt, was sie sagt. Isabella, sag es ihm. Wir müssen sofort die Polizei verständigen!“

„Das hat überhaupt keinen Sinn, da keine Anzeige aufgenommen wird, solange sie nicht mindestens 48 Stunden vermisst wird. Und solange du deine Version nicht mit realen Beweisen belegen kannst, und Lady Kara zählt garantiert nicht darunter, wird vorher kein Finger krumm gemacht.“

„Dann müssen wir eben etwas unternehmen! Wir können doch nicht einfach herumsitzen, während Martha in der Gewalt von diesen Verbrechern ist.“

„Liebe Schwägerin, ich sorge mich auch um Martha, aber es macht überhaupt keinen Sinn, den Teufel an die Wand zu malen. Wir können noch ein paar Mal bei ihr anrufen oder Peter belästigen, der sich dadurch nur unnötig Sorgen machen würde, aber es ändert momentan gar nichts. Ich habe Martha Nachrichten hinterlassen und sie meldet sich bei mir, sobald sie diese bekommen hat. Also geh` einkaufen oder mach` sonst was, worauf du Lust hast, denn momentan kannst du nichts anderes machen.“

„Warum bist du immer nur so verdammt arrogant? Ich dachte Martha liegt dir auch am Herzen.“

Isabella verfolgte ruhig die Diskussion, die sich zwischen Laura und Mike abspielte, ohne sich einzumischen. Aber jetzt wurde es persönlich und sie wollte nicht, dass ein Streit ausbrach. Daher versuchte sie die Situation zu entschärfen.

„Laura, du bist unfair. Objektiv betrachtet hat Mike Recht. Wir haben keinen Beweis dafür, dass Martha entführt wurde. Die Polizei wird daraufhin gar nichts machen und abgesehen von der Vorhersage, dass sie entführt wurde, konnte auch Lady Kara nichts Brauchbares beisteuern. Also lass uns bitte bis morgen noch abwarten, dann sind die 48 Stunden vorbei und wir werden die Polizei informieren“ schlichtete sie.

Laura war es zuwider, einfach abzuwarten. Andererseits hatte sie auch keine andere Idee, um die Situation zu verbessern. Lady Kara hatte keinerlei Informationen für sie, um mit einer Suche beginnen zu können. Und dunkle Räume gab es überall. Wäre doch nur William hier! Er würde sie zumindest verstehen und ihr glauben. Wütend und enttäuscht stampfte sie in die Küche, um das Abendessen vorzubereiten. Isabella und Mike blieben auf der Terrasse zurück.

„Und was hat Madame Wahrsagerin euch sonst noch für Blödsinn aufgetischt?“

„Nichts!“

„Das kann ich mir nicht vorstellen. Also was hat sie gesagt? Ich lache auch nicht, versprochen!“

„Wirklich nichts! Ich habe nach Martha gefragt und danach war Laura so aufgeregt, dass sie nur noch die Polizei verständigen wollte.“

„So viel Raffinesse habe ich dir gar nicht zugetraut! Darum also das Theater um die angebliche Entführung.“

„Du glaubst nicht daran?“, fragte Isabella ihn.

„Nein. Ich halte von diesem Quatsch nicht das Geringste. Was ist mit dir?“

„Grundsätzlich halte ich es für Profitmacherei und Spielwiese für Betrügereien.“

„Aber? Du klingst, als würde ein großes aber kommen.“

„Nun ja, bei ihr hatte ich nicht den Eindruck, dass sie lügen würde. Außerdem sind ihre sogenannten Vorhersagen komisch.“

„Was meinst du mit komisch?“

„Naja, die Tatsache, dass sie gleich von Entführung gesprochen hat! Keiner von uns hatte etwas in dieser Richtung gesagt oder gedacht. Denk doch mal logisch nach! Hellseher leben davon, ihre Aussagen so vage wie möglich zu halten. So klingt es mystischer und übernatürlicher und jeder kann die Aussage so interpretieren, wie er will und es für einen passt. Sie liegen dadurch immer richtig und ihre Kundschaft kommt immer wieder. Eine Entführung dagegen ist nicht gerade vage, sondern sehr präzise und auch nicht interpretierbar sondern eindeutig. Also warum sollte sie so eine Behauptung auf die Gefahr hin aufstellen, dass sie Laura als Kundin verliert, wenn es nicht stimmt?“

„Klingt logisch, aber deshalb glaube ich es trotzdem noch nicht“, bestand Mike auf seinen Standpunkt.

„Ich habe nicht gesagt, dass ich es glaube, sondern nur, dass ich derzeit am zweifeln bin. Laura wird sicher sauer sein. Ich gehe besser zur ihr rein und helfe ihr beim Essen. Bis später.“

Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte sie sich um und ging durch die Terrassentür zurück ins Haus. In der Küche fand sie Laura, die den Salat putzte und die ganze Arbeitsfläche mit Lebensmittel und Haushaltsutensilien übersät hatte. Laura war zwar manchmal chaotisch, doch nie in der Küche. Die Küche war ihr Heiligtum. Hier war alles strukturiert und alle ihre Handgriffe waren routiniert. Die Situation brachte sie gewaltig aus dem Konzept, das sich auch auf ihre Arbeit übertrug.

„Kann ich dir helfen?“ fragte Isabella.

Laura stierte weiterhin in die Spüle zum Salat.

„Laura, bitte. Ich will mit dir nicht streiten und ich kann verstehen, dass du enttäuscht bist. Aber andererseits musst du auch meine Situation verstehen.“

„Ach ja, muss ich das?“ giftete Laura sie an.

„Du weißt genau, was ich von Hellsehern und dergleichen halte und trotzdem hast du mich zu Lady Kara gebracht. Eigentlich müsste ich sauer auf dich sein!“

„Das ist was anderes. Ich wollte dir helfen. Ich dachte, wenn du deine Zukunft kennst, bist du nicht mehr so traurig, weil du weißt, was Schönes auf dich zu kommt.“

„Wer sagt, dass ich wissen möchte, was auch mich zukommt? Und wer sagt, dass etwas Schönes kommt? Vielleicht wird alles nur noch schlimmer, als es jetzt schon der Fall ist. Egal, wie es für mich kommt, ich will es definitiv vorher nicht wissen. Und so wie du an Lady Kara glaubst, musst du auch anderen zugestehen, dass sie nicht an sie glauben. Mike hat nur versucht, dir das Vorgehen der Polizei zu erklären. Und die werden sich sicherlich nicht mit der Auskunft, dass eine Wahrsagerin es vorhergesehen hat, zu einer Suche bewegen lassen.“

„Es tut mir leid, aber ich glaube nun mal daran, weil ich schon sehr oft erlebt habe, dass sie Recht hat. Zu wissen, dass Martha in der Gewalt von skrupellosen Verbrechern ist und ich kann ihr nicht helfen, macht mich rasend. Ich möchte irgendetwas tun.“

„Das glaube ich dir. Aber momentan wüsste ich nicht, was du tun könntest. Lass uns bis morgen noch abwarten, dann wissen wir mehr. Die Arbeit wird dich morgen ablenken und wenn wir bis abends immer noch nichts von ihr gehört haben, dann können wir immer noch zur Polizei gehen. Willst du zur Beruhigung bei ihr vorbei fahren?“

„Du hast ja Recht. Die Fahrt können wir uns sicher sparen. Mike war bestimmt sehr gründlich. Hilfst du mir Gemüse für den Salat zu schnippeln? William wird gleich nach Hause kommen und dann können wir essen.“

„Gerne. Mit was soll ich anfangen?“

„Erst Paprika, dann Tomaten und Champignons und zum Schluss noch die Gurke da drüben bitte. Ich reibe noch schnell die Steaks ein, dass sie kurz noch etwas einziehen können.“

Isabella machte sich über das Gemüse her, während Laura allerhand Gewürze auf die Steaks streute und festdrückte. Die Arbeit in der Küche und das rationelle Gespräch mit Isabella, halfen ihr sich wieder zu beruhigen. Logisch betrachtet hatten die beiden zwar Recht, aber leider waren Lauras Gefühle nicht immer logisch.

„Mir hat unser Ausflug heute, trotz des frühen Endes, viel Spaß gemacht. Es war schön, mit dir über alles quatschen zu können und dir ein Stück meiner Arbeit zu zeigen. Ich hoffe es hat dir auch ein wenig gefallen.“

„Das Astoria Place war den Ausflug auf jeden Fall wert. Ich habe noch nie so lecker gegessen, wie dort. Und die Atmosphäre dort, ist dir wirklich gelungen. Viel schöner fand ich aber, dass wir wie in alten Zeiten über alles gesprochen haben. Es ist anders jemanden am Telefon zu sprechen, als wenn man sich doch persönlich gegenübersitzt. Und das hatten wir schon viel zu lange nicht mehr getan.“

„Ich bin wirklich froh, dass du es endlich gewagt hast zu kommen. Auch wenn nicht ich der Grund für deine Reise war, sondern die derzeitigen Umstände. Meinst du, du hast deine Flugangst soweit überwunden, dass du wiederkommen wirst? Zum Beispiel zu meiner Hochzeit?“

„Wenn ich es jetzt schon geschafft habe, werde ich es sicherlich auch zu deiner Hochzeit schaffen. Das werde ich mir sicherlich nicht entgehen lassen, auch wenn ich jetzt noch gar nicht daran denken darf!“

„Gut, dann hätte ich eine Bitte an dich. Würdest du meine Trauzeugin werden? Es gibt keinen Menschen, außer William, dem ich mehr vertraue, als dir. Und wenn ich deinen Segen dazu bekomme, weiß ich auch, dass ich wirklich das Richtige tue.“

„Warum hast du Zweifel? William liebt dich über alles und du liebst ihn auch. Was sollte daran schief gehen? Und falls ich dich daran erinnern darf, bin ich derzeit in Liebessachen sicherlich der schlechteste Berater, wenn man mein eigenes Desaster mit einbezieht.“

„Ich hake Ralf unter die Kategorie blind vor Liebe ab und sehe ihn als eine Erfahrung, die du eben machen musstest. Das heißt aber nicht, dass das Leben mit 29 Jahren schon abgehakt ist und es keine anderen Männer mehr gibt.“

William kam zur Küche herein.

„Wie, es gibt noch andere Männer für dich? Reiche ich dir etwa nicht aus?“ scherzte er.

„Was du wieder nur hörst! Du hast die Hälfte verpasst. Ich hatte von Isabella gesprochen. Du reichst mir natürlich voll und ganz aus. Was denkst du denn?“

„Ich denke, dass ich eine wahnsinnig attraktive Frau habe, der sämtliche Männer zu Füßen liegen, die nur darauf warten, dass du sie beachtest. Und dann habe ich schlechte Karten!“

„Du Spinner!“, lachte Laura und umarmte und küsste William. „Ich liebe doch nur dich!“

„Ich liebe dich auch mein Schatz. Wie war euer Mädelstag heute?“

„Schön, aber auch bedrückend. Wir waren in Salem im Astoria Place und bei Lady Kara“, begann Laura.

„Schlechte Nachrichten für Isabella?“ unterbrach William sie mitfühlend.

„Nein, aus Isabellas Vorhersage wird wohl keiner schlau werden. Aber Lady Kara hat gesagt, dass sie gesehen hat, wie Martha entführt wurde. Sie wird in einem abgedunkelten Raum festgehalten und betäubt.“

„Moment mal! Nochmal von vorne. Martha ist entführt worden? Wer sollte denn Martha entführen?“

„Das weiß ich doch nicht. Sie wurde betäubt und entführt und sitzt nun in einem dunklen Raum. Das ist das einzige, was Lady Kara gesehen hat und dass die Entführer vermummt sind. Wir müssen doch etwas tun können!“

„Hat Mike etwas herausgefunden, als er heute bei ihrer Wohnung war?“

„Glaubst du mir etwa auch nicht? Er hat mich auch schon, wie eine Verrückte behandelt!“

„So war das gar nicht gemeint“ verteidigte sich William. „Natürlich glaube ich dir. Ich habe nur wissen wollen, ob er etwas Neues herausgefunden hat.“

„Es tut mir leid. Ich mache mir nur schreckliche Sorgen um sie und Mike nimmt mich nicht ernst. Es ist zum verrückt werden. Es muss doch irgendetwas geben, womit wir Martha helfen können!“ lenkte Laura ein, die immer noch der Verzweiflung nahe war.

„Lass uns erst mal Essen. Ich werde mir etwas überlegen - versprochen. Okay?“ wollte William sie beruhigen.

„Ja, ist okay. Holst du Mike dazu? Er sitzt auf der Terrasse!“

„Mach ich. Ich gehe mich nur schnell umziehen.“

Er gab ihr einen Kuss und verschwand mit Grübeln aus der Küche. Es bestand für ihn kein Zweifel an Lady Karas Aussage. Jedoch ergab es logischerweise keinen Sinn. Was sollten Entführer von einer pensionierten Haushälterin wollen? Bis auf ihre kleine Wohnung war sicherlich nichts an Wert zu holen und auch eine Lösegeldforderung stellte sich schwer dar, da Peter im Krankenhaus lag und Catherine irgendwo auf der Straße untergetaucht war. Was war also das Ziel der Entführer? Die Frage beschäftigte ihn und er war sich nicht sicher, ob nicht letztlich die Carringtons selber das Ziel der Entführung waren. Doch dafür müsste man die Familie schon sehr gut kennen, um zu wissen, dass Martha als Familienmitglied gesehen wird. Und das war eher unwahrscheinlich, da sie doch relativ zurückgezogen lebten. William, aber auch schon seinen Eltern, war es immer wichtig gewesen, die Öffentlichkeit von ihrem Zuhause fern zu halten. Home Stories oder auch Fototermine zu Hause waren strengstens verboten und auch die Telefonnummern und die Adresse waren geheim, damit eben keine Angriffspunkte sich für Außenstehende boten. Sämtliche Post, auch privat, ließen sich Laura und William in ein Schließfach senden, das täglich von ihren persönlichen Assistenten geleert und ungeöffnet auf dem Schreibtisch deponiert wurde. Mike hielt es ebenso, schon aufgrund seiner vielen Abwesenheiten durch Reisen quer durch die Welt. Sie würden eine mögliche Lösegeldforderung nicht einmal mitbekommen. Außer Martha würde ihnen die Telefonnummer oder Adresse verraten, aber das war sehr unwahrscheinlich. In manchen Dingen war sie sturer, wie ein Esel und um die Carringtons zu schützen war sie mutiger, wie eine Löwin. Sie würde niemals die Adresse oder Telefonnummer preisgeben. Und genau da bestand für William die größte Sorge. Könnte sie dieses Mal ihre Loyalität mit dem Leben bezahlen? Der Gedanke erschreckte ihn am meisten und er ging über den Flur zum zweiten Ausgang zur Terrasse, um seinen Bruder zum Essen zu holen. Mike saß immer noch in seinem Liegestuhl und las sein Buch weiter. Seit William denken konnte, hatte Mike sich zu Büchern zurückgezogen, wenn ihn etwas beschäftigte und er nicht weiter wusste. Er hatte ihm früher mal beschrieben, dass er sich so in eine andere Welt flüchtete und die Probleme aus einer anderen Perspektive betrachten konnte. Auch wenn er Mike oft auch nur lesen sah, wenn ihn Themen im Hotel nicht interessierten, so hatte er dieses Mal den Eindruck, dass ihn wirklich etwas beschäftigte. Machte er sich auch Sorgen um Martha? William ging näher zu ihm.

„Laura hat das Essen fertig. Kommst du auch?“

Mike rührte sich nicht und William war sich sicher, dass er völlig in seinem Buch vertieft war und seine Umgebung nicht im Geringsten wahrnahm. Also ging er noch näher und fasste ihn an der Schulter an. Wie erwartet zuckte Mike zusammen. Doch so schnell, wie er aus der Fassung war, genauso schnell hatte er sich wieder gefasst. Eine Eigenschaft, die auch ihre Mutter sehr gut beherrschte und er zweifellos von ihr hatte. William wiederholte daraufhin seine Frage. Mike nickte und stand vom Liegestuhl auf.

„Hast du etwas von Martha gehört?“ fragte William trotz der Gefahr, von Mike verspottet zu werden.

„Nein. Ich war bei Peter und er hat mich auch schon gefragt, wo sie heute geblieben war. Gestern Mittag war sie von ihm gegangen und gesagt, dass sie heute wiederkommen würde. Doch dem war eben nicht. Ich habe ihn soweit beruhigt und gesagt, dass sie mit Laura und Isabella kurzfristig unterwegs wäre.“

„Gut, dann macht er sich zumindest keine Sorgen.“

„Aber nur bis morgen. Spätestens dann wird er sich Sorgen machen, wenn sie ihn nicht besuchen kommt. Sie ist sehr fürsorglich und da wäre es doch sehr ungewöhnlich, wenn sie zwei Tage nicht kommt.“

„Du hast Recht! Glaubst du es ist ihr etwas passiert?“ lenkte William das Thema auf Lady Karas Wahrsagung.

„Falls du auf das Orakel von Laura anspielst, glaube ich es nicht. Welchen Sinn sollte es auch geben? Sie ist nicht reich und niemand aus der Familie ist greifbar, der eine Lösegeldforderung ausführen, geschweige denn das Geld dafür bekommen würde.“

„Das habe ich mir auch schon gedacht. Aber was ist, wenn nicht sie, sondern wir das Ziel der Entführung sind?“ hakte William nach.

„Dann müsste der Entführer über Insider Kenntnisse verfügen und das ist eher unwahrscheinlich. Außer ihr beiden habt natürlich die Regeln geändert, seit ihr hier das Ruder übernommen habt.“

„Nein, haben wir nicht. Es gibt ab und zu einen Empfang in kleiner Runde und enge Freunde kommen vorbei. Mehr aber auch nicht.“

„Dann ist diese Möglichkeit mehr als nur ausgeschlossen! Eine natürliche Erklärung für ihr Verschwinden scheint mir nach allem, auch mehr als unwahrscheinlich. Sie hätte sich zumindest gemeldet. Ich kann mir nur noch vorstellen, dass sie einen Unfall hatte und im Krankenhaus liegt, ohne Bescheid geben zu können. In Peters Krankenhaus liegt sie jedenfalls nicht. Da habe ich schon nachgefragt. Ich werde morgen früh sicherheitshalber nochmal bei ihr zu Hause nachsehen und anschließend sämtliche Krankenhäuser abtelefonieren und nach ihr und unbekannten Personen fragen, oder hast du eine bessere Idee?“

„Und wenn an der Entführung doch etwas Wahres dran ist, vergeuden wir nur wertvolle Zeit. Ich tendiere dazu den Privatdetektiv, der immer zu den Sicherheitsschulungen und bei Diebstahlfällen ins Hotel kommt, zu engagieren. Vielleicht findet er etwas heraus, indem er ihren letzten Weg nachforscht. Außerdem kann er dir das Telefonieren mit den Krankenhäusern abnehmen. Du wirst sicherlich Besseres zu tun haben.“

„Gut, meinetwegen. Aber morgen früh fahre ich trotzdem noch zu Martha. Sollte nichts dabei herauskommen, kannst du ihn danach beauftragen“, willigte Mike in Williams Vorschlag ein.

„Okay, dann wäre das auch geklärt. Lass uns Essen gehen!“

Sie gingen hinein und trafen im Speisezimmer bereits auf die wartenden Frauen mit dem Essen. Die Stimmung war im Gegensatz zum gestrigen Abend sehr gedrückt und so war es auch nicht verwunderlich, dass jeder nach dem Abendessen das Weite suchte. Mike verließ als Erster den Tisch und entschuldigte sich, weil er noch weg wollte. Isabella spürte, dass Laura jetzt lieber mit William alleine wäre und zog sich daher in ihr Zimmer zurück, um zu lesen. Sie hatte sich schon im Vorfeld darauf vorbereitet, dass Laura auch zu arbeiten hatte und somit auch, dass sie viel Zeit alleine verbringen würde. Daher hatte sie mehr als genug Bücher eingepackt. Völlig die Zeit vergessend, las sie mehrere Stunden, bis ein Blick auf die Uhr sie überraschte. Es war bereits nach halb drei Uhr nachts. Sie hörte plötzlich Geräusche von der Treppe und erschrak. War noch jemand außer ihr so spät wach? Die Tür vom Zimmer nebenan wurde geöffnet und sie konnte sich denken, wer die Geräusche verursachte. Mike kam von seinen nächtlichen Streifzügen nach Hause. Isabella war nicht verwundert, da sie bereits von Laura über Mikes Gewohnheiten mehr als genug aufgeklärt wurde. Dennoch störte sie etwas an ihm. Sie konnte nicht sagen, was sie störte, es war nur ein komisches Gefühl, das sie in Bezug auf Mike einfach nicht in Ruhe ließ. Vielleicht lag es auch einfach nur daran, dass er sie immer Bella nannte. Keiner hatte sie je so genannt. Isa oder Isi, so wurde sie schon genannt, aber niemals Bella. Sie legte ihr Buch beiseite und stand auf, um sich endlich ihrer Jeans zu entledigen. Sie hatte zwar die halbe Nacht schon damit in ihrem Bett gelegen, doch den Rest der Nacht bevorzugte sie doch lieber ihren Pyjama. Sie zog sich schnell um und schlich sich leise ins Bad, um die Zähne zu putzen und hoffte nicht gerade auf Mike zu treffen. Doch ehe sie sich nach dem Lichtschalter umdrehen konnte, stieß sie auch schon mit Mike zusammen.

„Hi Bella. Warum bist du denn noch auf? Kannst du nicht schlafen?“ fragte Mike sie auch gleich.

Sie zuckte beim Namen Bella zusammen und dachte an Ihre Gedanken von eben wieder. Warum nannte er sie nur so? Sie merkte, dass er auf eine Antwort wartete und sie immer mehr besorgt ansah, weil sie noch nichts sagte.

„Geht es dir nicht gut? Habe ich dich erschreckt?“ versuchte er der Sache auf den Grund zu gehen.

„Nein, mir geht es gut. Darf ich dich mal was fragen?“

Er nickte und sie fragte weiter.

„Warum nennst du mich immer Bella?“

„Stört es dich?“ ging er zu Gegenfrage über und blieb ihr dadurch die Antwort schuldig.

„Es interessiert mich nur. Keiner hat mich je so genannt!“

„Das ist aber schade. Ich finde es passt viel besser zu dir!“

„Warum sollte es besser zu mir passen? Das verstehe ich nicht.“

„Versprichst du mir, dass du nicht lachst?“ Sie nickte kurz, dann fuhr er fort. „Deine Augen haben mich sofort ans Meer in Italien erinnert. Sie strahlen und leuchten so schön, wie das Meer in der Nachmittagssonne. Die Italiener bezeichnen diese Schönheit mit „bella“. Und ich finde, dass sie auch gut zu dir passt. Möchtest du trotzdem lieber Isabella genannt werden?“

Sie war im ersten Moment verwirrt. Seine Worte klangen schön und jede andere Frau fühlte sich sicher sehr geschmeichelt. Aber Isabella war nicht jede andere Frau. Sie sah wieder den schwarzen Vorhang von ihm und wusste, dass es eine seiner weiteren Floskeln im Umgang mit Frauen war, jedoch nicht im Geringsten die Erklärung, die sie sich erhofft hatte. Er war eben durch und durch ein Schauspieler und auch seine Worte waren perfekt auf seine Fassade abgestimmt. Isabella war enttäuscht, dass er ihr nicht einmal in dieser einen Frage vertraute und eine ehrliche Antwort gab, auch wenn sie vielleicht nicht so charmant ausgefallen wäre. Sie drehte sich um und ging zurück in ihr Zimmer. Sie wollte nicht länger diese Konversation ins Nichts mit ihm betreiben. Das Zähne putzen musste eben für heute ausfallen!

„Habe ich etwas Falsches gesagt? Isabella, bleib doch stehen!“

Ihr war sofort aufgefallen, dass er nun doch Isabella sagte.

„Ich habe dich gefragt, weil es mich interessiert. Ich brauche keine charmante oder gut klingende Antwort. Ich wollte einfach nur den Grund wissen. Mehr nicht. Gute Nacht!“

Sie schmiss mit einer Wucht die Tür von innen zu und ließ dabei ihrem Frust freien Lauf. Das war ganz und gar nicht ihre Art, aber sie musste zugeben, dass es in diesem Moment richtig gut tat. Es war zum verrückt werden, wie sehr sie die Tatsache aufregte, dass sie nicht in ihn hineinschauen konnte. Da beschwerte sie sich mittags noch bei Laura, dass ihre Gabe eine Belastung für sie wäre und jetzt wenn sie einmal nicht funktionierte, schmiss sie gleich die Tür zu!

Mike stand verdattert im Badezimmer und wusste nicht, was er falsch gemacht hatte. Normal schmolz jede Frau regelrecht bei seinen Komplimenten dahin. Was war mit ihr nur los? Dass sie nicht, wie normale Frauen war, hatte er schon kapiert, aber dass sie nach Komplimenten gleich so reagiert, hätte er nicht geglaubt. Hatte sie geglaubt, dass er sie zum Narren halten wollte? Es wäre möglich, dass sie es so aufgefasst hätte, aber er hatte eher den Eindruck, dass sie richtig sauer auf etwas war. Nur den Grund dafür konnte er sich einfach nicht erklären. Die Situation gab einfach keinen solchen Grund her!


Blick der Veränderung

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