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Kapitel 2

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Dienstag, 05.08.2008, Philadelphia-Airport, 19:05 Uhr

„Hallo, hier ist die Mailbox von William Carrington. Ich bin gerade nicht zu erreichen. Bitte hinterlasst mir eine Nachricht, ich werde mich dann umgehend melden.“

„Hi Willi, hier ist dein Brüderchen. Du brauchst mich nicht zurückrufen. Ich wollte dir nur mitteilen, dass ich heute Nacht noch nach Wellington komme. Gib deiner Freundin doch Bescheid, dass sie mein Zimmer fertig machen soll. Vielleicht bringe ich ja noch jemanden mit. Mal sehen, was sich noch so ergibt. See you later.“


Eigentlich wiederstrebte es Mike seinen Bruder und dessen Freundin zu besuchen. Das Verhältnis zwischen den Brüdern war schon seit jeher angespannt und hatte sich auch mit den Jahren eher noch verschlechtert. Nicht, dass Mike nichts Gutes an seinem Bruder fände, aber alleine schon die Tatsache, dass William in allem von ihren Eltern bevorzugt wurde, war Grund genug ihn zu hassen. Egal was Mike versucht hatte, um Aufmerksamkeit und Lob von seinen Eltern zu bekommen, William war ständig im Mittelpunkt. Mit 9 Jahren hatte Mike schließlich die Erkenntnis gewonnen, dass er nur noch Aufmerksamkeit von ihnen erhielt, wenn er negativ auffiel. Natürlich war diese Art der Aufmerksamkeit nicht das, was er wollte, aber besser überhaupt bemerkt als übersehen zu werden. Seitdem ließ er keine Gelegenheit aus, dies gründlich umzusetzen. Vor allem seit sein Vater die Dreistigkeit besaß William die Leitung der Hotels zu übertragen. Die Carringtons waren Besitzer von mehr als 130 Hotels weltweit, die sein Großvater aufgebaut und sein Vater noch vergrößert hatte. Es war das Familiengeschäft mit dem Mike aufgewachsen war und das er immer als der ältere, der beiden Brüder, übernehmen wollte. Er hatte Ideen und Visionen, die nach der letzten Niederlage gegen seinen Bruder nun endgültig zerplatzt sind. Daher bestand sein jetziger Zeitvertrieb nur noch daraus von Hotel zu Hotel zu reisen und so viele Frauen in sein Bett zu bekommen, wie nur möglich. Sein Name alleine hätte ihn schon genügend Türen bei Frauen geöffnet, doch wesentlich leichter viel es ihm natürlich auch noch mit seinem guten Aussehen. Er war knapp 1,90 m groß und schlank, doch keinesfalls schmächtig. Im Gegenteil, vom täglichen Schwimmen hatte er seinen Körper gestählt und gerade sein Oberkörper hatte Muskelpartien genau an den richtigen Stellen, die schon mehreren Frauen einen Seufzer entrungen hatten. Doch die Frauen mussten gar nicht erst vom nackten Zustand Mikes überzeugt werden. Die meisten verfielen schon seinem attraktiven Gesicht und seinem Charme. Seine kurzgeschnittenen, schwarzen Haare und die maskulinen Züge seines Gesichtes mit großen, rehbraunen Augen und vollen, aber keineswegs femininen Lippen rundeten das Gesamtbild eines Traummannes ab und ließen ihn überaus attraktiv auf Frauen wirken. Daher fiel es ihm auch nicht schwer, in seinen Reisen immer mehr neue Frauen ins Bett zu bekommen. Sie waren sein Spielzeug für eine Nacht und mehr wollte er nicht von ihnen. Und da eine Leistung im Familienunternehmen nicht wirklich von ihm erwartet wurde, genoss er das Leben lieber auf seine Weise. Dennoch spürte er eine Unzufriedenheit in seinem Leben und ein bohrendes Gefühl, dass ihm etwas fehlte, ließ ihn einfach nicht mehr los. Angefangen hatte diese Unzufriedenheit, als William vor 3 Jahren seine Freundin kennengelernt hatte. William hatte sogar mit dem Gedanken gespielt, zu ihr nach Europa auszuwandern. Ein Vorschlag, der die Lösung für alle seine Probleme hätte sein können. Doch das wusste sein Vater leider zu verhindern. Dennoch war schon der Gedanke daran für Mike unbegreiflich. William hätte einfach so die Konzernleitung für diese Frau aufgegeben. Aber viel mehr störte Mike, diese Harmonie und Einigkeit, die die beiden verband. Sie waren ein eingespieltes Team und auch wenn manche Sachen gar nicht ausgesprochen wurden, hatten die beiden sich mit Blicken bereits verständigt. Er konnte ihre glücklichen Gesichter nicht ertragen. Es machte ihn wahnsinnig, auch wenn er den Grund dafür nicht wusste. Wäre William doch nur ausgewandert! Doch seine Eltern hatten ihn nicht gehen lassen. Wie konnte es auch anders kommen? Zu der Übertragung der Konzernleitung hatte er auch noch das Elternhaus in Wellington überschrieben bekommen und Mike wurde nur noch ein Besuchsrecht eingeräumt. Nicht, dass Mike leer ausgegangen wäre, aber wie kann man eine Penthousewohnung in New York mit einer millionenschweren Villa in Boston schon vergleichen? Um sich in gewisser Weise für die Verschwörung gegen ihn zu rächen, besuchte er nun regelmäßig und weitaus öfter als früher seinen Bruder und dessen Freundin in seinem Elternhaus und sein eingeräumtes Besuchsrecht wurde dabei mehr als nur überspannt. Viel ärgerlicher war jedoch, dass sie aus unerfindlichen Gründen die einzige Frau auf der Welt, die nicht seinem Charme unterlag und regelrecht eine Abneigung gegen ihn hatte. Schon alleine diese Tatsache war für Mike unerklärlich, da doch er der weitaus besseraussehende und charmantere Carrington war. Wie dem auch sei, es machte ihm einen Mordsspaß zu sehen, wie sie regelrecht ausflippte, sobald er sich für ein paar Tage eingenistet hatte. Und gerade ihre Art, sich mit ihm anzulegen sorgte dafür, dass es nie langweilig wurde. Es kam regelrecht zu Streitigkeiten zwischen ihr und William und das wiederum war Balsam für Mikes Seele. Er sah auf die Uhr. Es waren nur noch zehn Minuten, bis sein Flug nach Boston ging. Am Bistro vorbeigehend hatte er Lust auf einen Kaffee, doch ein Blick über die Tische brachte Ernüchterung seiner Gelüste. Freie Tische waren nirgends zu sehen und folglich würde es zu lange dauern, bis die Bedienung ihm den Kaffee bringen würde. Mike war es gewohnt, als einer der ersten Passagiere einzusteigen. Er mochte es nicht, wenn er über andere Passagiere darüber steigen musste, um an seinem Platz zu kommen. Und sein Platz war eben immer am Fenster. Also ging er leicht enttäuscht weiter, als sein Blick an einer Blondine hängen blieb, die alleine an einem der Tische saß. Das war nicht ungewöhnlich, dennoch irritierte ihn diese Aufmerksamkeit, die er ihr entgegen brachte. Sie zählte definitiv nicht zu der Kategorie Frau, die ihm sonst auffiel. Sie war weder geschminkt, noch hatte sie aufreizende Kleidung an, im Gegenteil sie war eher unscheinbar. Sie hatte große, grüne Augen, mit kleinen Flecken darin, die ihr Gesicht beherrschten und schön geschwungene, volle Lippen, die sich gerade am heißen Kaffee verbrannten und dabei zusammenzuckten. Die blonden Locken hüpften bei jeder Bewegung, die sie machte freudig mit. Eine davon fiel ihr ins Gesicht und Mike musste sich beherrschen, um nicht hinzugehen und sie ihr aus dem Gesicht zu streichen. Sie hatte etwas Faszinierendes an sich. Sie strahlte regelrecht aus der Menschenmenge heraus, obwohl sie eher unscheinbar wirken wollte. Doch am auffälligsten war der traurige Blick ihrer Augen. Erst jetzt merkte er, dass er stehen geblieben war und sie anstarrte, während sie dagegen ihn nicht einmal bemerkt hatte. Die Faszination und Anziehung, die von dieser Frau ausging, störte ihn und machte ihn gleichzeitig neugierig. Er war versucht zu ihr zu gehen um sie anzusprechen, doch ein weiterer Blick auf seine Uhr sagte ihm, dass er jetzt endgültig zum Gate gehen musste. Also ging er widerwillig weiter und befand sich kurz darauf an seinem Platz im Flugzeug und versuchte die Frau wieder aus seinen Gedanken zu bekommen. Er hatte immer alles unter Kontrolle, aber sie schien ihm zu entgleiten. Er zwang sich an etwas anderes zu denken und fing an die Menschen, die das Flugzeug betraten, zu studieren. Er beobachte gerne Menschen. Das war ein Hobby von ihm. Über lange Zeit hatte er sich antrainiert auf Kleinigkeiten und Details zu achten, die ihm Aufschluss über die Personen gaben. Ein Flugzeug war immer ein interessanter Platz um Menschen zu beobachten. Es öffnete so viele Emotionen bei den Menschen. Die einen waren ängstlich, andere wiederum waren wie elektrisiert vom bevorstehenden Start. Wieder andere waren traurig vom Abschied, einige dagegen gespannt und voller Vorfreude auf ein Wiedersehen mit geliebten Menschen. Für Mike war es richtiggehend zu einem Spiel geworden die Emotionen der einzelnen zu erraten und durch manchmal zufällige Gespräche seine Einschätzung bestätigt zu bekommen. Das Spiel begann!

Kandidat 1: Mann um die 40, Ehering, dunkelblauer Anzug und Krawatte, die Financial Times unter dem Arm. Dieser Mann war garantiert auf dem Weg zu einem Geschäftstermin.

Kandidatin 2: Frau um die Mitte 20, Jeans, T-Shirt, Trackingrucksack als Handgepäck. Die Frau war auf Abenteuerurlaub unterwegs.

Kandidaten 3+4: Älteres Ehepaar, bepackt mit Geschenken in Tüten und zufriedenem Lächeln auf dem Gesicht. Fazit, die zwei besuchen Enkel oder andere Verwandte mit Kindern.

Er hätte das Spiel ewig weiter so spielen können. Doch plötzlich entdeckte er die Frau aus dem Café, die geradewegs auf ihn zukam. Sie blieb vor ihm stehen und hielt prüfend ihr Ticket in der Hand und sprach ihn schüchtern an. „Excuse me“ war alles, was er von ihr zu hören bekam und sie zeigte auf seinen Platz. Seinen Fensterplatz! Das konnte zwar unmöglich stimmen und vermutlich hatte sie sich nur in der Reihe geirrt, doch er wollte den Irrtum nicht aufklären und räumte bereitwillig seinen Platz für eine Stunde in der er mehr über sie herausfinden konnte. Ganz Gentleman half er ihr auch die Tasche in den Gepäckfächern über den Sitzen zu verstauen und beobachtete sie verstohlen von der Seite aus. Er war sich unsicher, ob er sie ansprechen sollte. Woher kam plötzlich diese Unsicherheit? Das passte doch gar nicht zu ihm! Was strahlte diese Frau nur aus, dass er so aus dem Konzept kam? Gedankenverloren blickte sie aus dem Fenster. Erst als die Türen geschlossen wurden und die Motoren aufheulten, begann sie augenblicklich sich zu verkrampfen. Höchstwahrscheinlich hatte sie Panik vor dem Fliegen, dachte Mike, aber das war noch lange nicht die Erklärung, für ihren traurigen Blick. Da steckte noch mehr dahinter und Mike war versessen darauf es zu erfahren. Doch wie viel Zeit blieb ihm denn? Gerade einmal 100 Minuten Flugzeit. Was sollte er machen, wenn sie nicht bereit war mit ihm zu reden? Er versuchte, es mit beruhigenden Worten für sie.

„It`s ok. The noises are normal. You shouldn´t be afraid“, begann Mike das Gespräch und berührte sanft ihren Arm. Blitzartig und erschreckt drehte sie sich zu ihm um und ihren Augen blickten nicht mehr traurig, sondern ängstlich. Sie schaute irritiert auf seine Hand, die ihren Arm berührte. Schon alleine ihr Blick reichte aus, dass er seine Hand sofort zurück zog, auch wenn er noch nicht aufgeben wollte und versuchte es daher, in dem er ein Gespräch begann.

„Everything ok, with you?“

Zu ihm hingewandt sah sie ihm tief in die Augen und schien die Frage verstanden zu haben. Leise und schüchtern antwortete sie daher: „Yes, I`m ok. I don`t speak and understand English very well.”

Das war doch immerhin ein Anfang. Immerhin beherrschte Mike durch seinen vielen Reisen mehrere Sprachen. Die einen etwas besser, die anderen etwas schlechter, aber meist gut genug, um etwas Konversation zu betreiben.

„Where do you come from?“, versuchte er es weiter.

“I come from Germany.”

“Jetzt bin ich aber erleichtert! Mit russisch hätte ich nicht dienen können. Von welchem Teil aus Deutschland kommen Sie denn genau?“, sprach er sie auf Deutsch an.

Überrascht strahlten ihre jadegrünen Augen ihn an. Die kleinen Flecken im grünen Meer schienen bei Freude zu hüpfen und machten die Augen unheimlich lebendig und beeindruckend.

„Kommen Sie auch aus Deutschland?“, fragte sie überrascht.

„Das nicht, aber ich reise viel und unter anderem komme ich dabei nach Deutschland. Außerdem habe ich einen Teil meines Studiums in Heidelberg verbracht und hatte so genügend Gelegenheit Deutsch zu lernen.“

„Ich bewundere Menschen, die mehrere Sprachen sprechen. Ich würde das auch gerne können, aber bei mir reicht dafür das sprachliche Talent einfach nicht aus“, gestand sie.

„Sprache ist nichts anderes als Leben. Man darf sie nicht vom Rest abtrennen. Sie gehört dazu und ist ein Stück Kultur. Man lebt und übt sie dadurch automatisch. Dann funktioniert es von ganz alleine. Apropos darf ich mich vorstellen? Ich heiße Mike. Mike Carrington. Und wie heißt du? Ich darf doch du sagen, oder?“

„Warum nicht?! Ich heiße Isabella. Und um auf deine Frage von vorhin zurückzukommen, ich komme aus der Nähe von München. Und du?“

Isabella merkte, wie sie anfing sich zu entspannen. Durch das Gespräch, das ihr Sitznachbar glücklicherweise begonnen hatte, war sie so abgelenkt gewesen, dass sie den Start nur noch am Rande mitbekommen hatte. Allein schon jemanden zu haben, der die gleiche Sprache sprach, war eine riesen Erleichterung für Isabella. So sprachlich isoliert und schwierig, hatte sie sich die Reise in ihren wildesten Albträumen nicht vorgestellt. Aber immerhin die nächste Stunde schien die Angst sich mit Mike gut vertreiben zu lassen.

„Meinen Wohnsitz habe ich in New York, aber eigentlich verbringe ich die meiste Zeit unterwegs und bin selten sesshaft. Das kann ich mir bei dir dagegen schlecht vorstellen. Leidest du unter Flugangst?“

„Erinnere mich bloß nicht daran! Ich reise wirklich nicht gerne und fliegen schon gleich gar nicht.“

„Was machst du dann im Flieger?“

„Wenn ich das mal so genau wüsste! Meine Cousine hat mich überredet, dass ich sie besuchen komme. Sie will mir endlich ihren Verlobten vorstellen. Die beiden wohnen in Bost….“

Mitten im Wort fiel Isabella es ein. Oh mein Gott, Laura! Sie hatte ganz vergessen Laura Bescheid zu geben, dass sie den Flug in Philadelphia verpasst hatte und jetzt nicht, wie geplant, schon in Boston angekommen war.

Besorgt fragte Mike: „Ist irgendwas? Du bist plötzlich ganz bleich geworden?“

„Wie man es nimmt. Ich habe in Philadelphia meinen Anschlussflug verpasst und daraufhin den nächsten Flug genommen, aber ganz vergessen meiner Cousine Bescheid zu geben. Sie weiß nicht, dass ich jetzt erst komme und wird sicherlich nicht mehr warten.“

„Aber sicher wird sie warten“, versuchte Mike sie zu beruhigen.

„Du kennst meine Cousine nicht. Sie weiß, dass ich ungern, bzw. besser gesagt gar nicht fliegen will und denkt vielleicht noch, dass ich den Flug einfach nicht angetreten habe. Ich habe noch nicht einmal eine Adresse von ihr, da ich mich voll und ganz darauf verlassen habe, dass sie mich abholt.“

„Mach dir mal keine Sorgen. Es wird sicherlich alles halb so schlimm. Und sollten alle Stricke reißen, werde ich dir einfach helfen! Das bekommen wir schon geregelt.“ Mike war selbst von seinem Angebot überrascht, aber andererseits konnte er so weiterhin mit ihr zusammen bleiben und diese Aussicht beflügelte ihn in diesem Moment.

„Das ist lieb von dir, aber ich wüsste nicht, wie du mir helfen willst. Ich hätte gleich auf meine innere Stimme hören und die schwachsinnige Reise einfach bleiben lassen sollen.“

„Also so würde ich das jetzt nicht sehen, immerhin haben wir zwei uns jetzt kennengelernt. Das ist doch auch schon was wert!“, sagte Mike und lächelte umwerfend selbstsicher Isabella an.

„Ich will dir keine falschen Hoffnungen machen. Ich bin verheiratet“, gestand sie ihm verunsichert durch Mikes Lächeln. Sie konnte nicht sehen, was er dachte, aber sie wollte ihm lieber im Vorfeld reinen Wein einschenken, ehe er sich verrannte.

„Das sehe ich“, sagte Mike und zeigte auf ihren Ehering. „Dürfen wir uns trotzdem noch unterhalten oder hat dein Ehemann etwas dagegen?“, provozierte er sie.

Isabella errötete. Die Situation war ihr peinlich. Sie wollte nicht mit Mike über ihren Mann diskutieren, also wechselte sie lieber das Thema.

„Nein, garantiert nicht. Ich kann nur bisher nichts Positives an einem verpassten Flieger erkennen. Insbesondere, droht mir die Übernachtung am Flughafen und dazu habe wirklich gar keine Lust.“

„Das droht dir sicherlich nicht. Ich habe dir doch gesagt, dass ich dir helfen werde, falls es notwendig wird. Ich denke aber trotzdem noch, dass deine Cousine warten wird. Und zu deiner Beruhigung, ich habe keinerlei Hintergedanken.“

Sie wollte es zwar nicht unbedingt noch ausgesprochen haben, aber es beruhigte sie tatsächlich ungemein, dass er es von sich aus erwähnte.

„Danke, das ist nett von dir. Was machst du in Boston? Bist du geschäftlich dort oder fliegst du weiter?“

„Ich besuche meinen Bruder in Boston. Wenn du möchtest kann ich dir auch die Stadt und die Sehenswürdigkeiten zeigen. Ich bin in Boston aufgewachsen und kenne mich daher gut aus, würde ich meinen.“

„Danke für das Angebot, aber ich denke das hat meine Cousine auch schon vor“ versetzte sie ihm einen erneuten Korb.

Mit oberflächlichem, vorsichtigem Geplänkel, um ihre Skepsis zu entschärfen, hielt Mike das Gespräch weiter in Gang. Im Nu verflog die Zeit und das Flugzeug setzte zum Landeflug an, was Mike durch ihre plötzliche Verkrampfung bemerkte. Instinktiv nahm er ihre Hand und redete einfühlend zu ihr.

„Es ist kein Problem. Ich habe schon die meiste Zeit meines Lebens in Flugzeugen verbracht. Es läuft gerade alles normal ab.“

„Es lässt sich leichter reden, als es für mich gerade ist“, flüsterte sie. Er spürte das Zittern unter seiner Hand und drückte sanft fester zu.

„Du hast es in wenigen Augenblicken geschafft. Wir setzen gleich auf. Dann ist es schon vorbei“, erklärte er ihr beruhigend.

Isabella konnte nicht sagen warum, aber es half ihr, dass er da war. Sie war froh darum und merkte sichtlich, wie sich ihr verkrampfter Körper langsam löste und der Entspannung etwas Näher kam. Das Flugzeug setzte endlich auf und auch das starke Abbremsen, machte ihr nichts mehr aus. Es war überstanden und sie hörte, wie alle umliegenden Passagiere dem Piloten mit ihrem Beifall die Dankbarkeit der sicheren Landung zollten. Auch Isabella war dankbar, doch war sie gerade nicht in der Lage, ihre verkrampften Hände zum klatschen zu bewegen. Ha


Mike dagegen stand auf und holte seinen kleinen Trolley aus dem Gepäckfach und übergab auch Isabella ihre Tasche. Zusammen verließen sie das Flugzeug und gingen zur Gepäckausgabe.

„Willst du deine Cousine sicherheitshalber anrufen? Du kannst mein Handy haben?“, fragte Mike sie. Er fragte sie nicht nur aus reiner Hilfsbereitschaft. Es war mehr durchdachte Raffinesse. Wenn Isabella gleich von ihrer Cousine abgeholt wurde, würde er sie nie wieder sehen. Wenn sie aber versuchte ihre Cousine anzurufen, hatte er zumindest eine Telefonnummer, der er nachgehen konnte. So hatte er zumindest einen Anhaltspunkt für ein Wiedersehen.

„Danke, das ist nett von dir. Aber ich muss erst auf meinen Koffer warten. Ich habe am Koffer einen Zettel mit ihrer Telefonnummer angebracht.“

Sie standen wartend vor der Gepäckausgabe und die Bänder begannen sich gerade in Bewegung zu setzen. Die ersten Koffer wurden vom Gepäckband gezogen und Koffer für Koffer fanden ihren Besitzer wieder. Mike entdeckte seinen und zog ihm vom Band und überlegte, ob er nun gehen oder doch lieber bleiben sollte. Wenn er ging, würde er sie nie wiedersehen, so viel war ihm klar. Doch das gleiche konnte ihm auch passieren, wenn er blieb. Was sollte er also tun? Was würde sie wollen? Kurzerhand entschied er sich zu bleiben und auf eine Gelegenheit zu warten, die ihm mehr über sie und ihren Aufenthaltsort in Boston verriet. Er stellte seinen Koffer neben ihr ab und wartete weiter, bis auch sie ihren Koffer hatte.

„Mit wie vielen Koffern reist du denn?“, fragte sie ihn, nachdem er immer noch neben ihr stand.

„Nur mit den beiden hier.“

Mike zeigte auf seine zwei Stücke und verstand sofort was sie mit ihrer Frage bezwecken wollte.

„Hast du schon vergessen, dass ich dir helfen wollte? Ich habe Zeit und will nur sichergehen, dass deine Cousine dich auch wirklich abholt. Stört dich das?“

„Nein, aber erwartet dich dein Bruder nicht? Ich will dir wirklich keine Umstände machen. Ich bin dir schon dankbar für deine Ablenkung im Flugzeug.“

„Gern geschehen. Mach dir mal um meinen Bruder keine Gedanken, der ist schon alt genug und kann auch auf sich alleine aufpassen. Eher mache ich mir Sorgen um dich, wenn deine Cousine wirklich nicht kommen sollte. Es ist gleich 21 Uhr und die sicherste Gegend ist es hier nachts wirklich nicht.“

„Willst du mir Angst einjagen?“

„Nein, sicher nicht. Aber ich will auch nicht, dass du die Gefahren unterschätzt. Du kennst dich hier nicht aus und bist alleine unterwegs. Geradezu das perfekte Opfer.“

„Das könnte man genauso gut jetzt auch auf dich beziehen, findest du nicht?“ konfrontierte sie ihn.

Er lachte. Sie war direkt, intelligent und ließ sich nicht einschüchtern. Sie war so ziemlich alles, was er bisher nie an einer Frau zu schätzen wusste. Dennoch machte es ihm Spaß sie herauszufordern.

„1:0 für dich. Wobei es immer noch ein Unterschied ist männlich und ortskundig zu sein im Gegensatz zu weiblich und Tourist. Aber es ist wirklich nicht meine Absicht dich zu ängstigen, das kannst du mir glauben“

„Sagte der Fuchs zur Gans, kurz bevor er sie gefressen hatte“, beendete Isabella den Satz.

„Jetzt beleidigst du mich wirklich. Sehe ich für dich wirklich wie ein Verbrecher aus?“ er versuchte eine beleidigte Miene aufzusetzen, auch wenn ihm das nicht ganz gelang.

„Das hat nichts mit dem Aussehen zu tun. Würde man es jedem ansehen, wären schon alle weggesperrt, ehe etwas passieren würde.

„Gut 2:0 für dich, dennoch bleibe ich zu deinem Schutz bei dir, bis deine Cousine dich abholt. Vielleicht brauchst du noch meine Hilfe.“

„Na gut“, lenkte Isabella ein.

Die Reihen der Passagiere, die sich um das Gepäckband versammelt hatten, lichteten sich mittlerweile. Die meisten hatten ihre Koffer und verließen das Flughafengebäude. Nur Isabella und Mike standen noch in der Halle und Verzweiflung machte sich in Isabella breit. Ein einzelner Koffer drehte einsam seine Runden. Nur gehörte dieser Koffer nicht ihr! Panik stieg in Isabella auf. Das war das Letzte was ihr in dieser Situation noch fehlte! Sie konnte nur noch hoffen, dass Laura in der Ankunftshalle auf sie wartete. Doch realistisch betrachtet hatte sie keinerlei Hoffnung nach über 2 Stunden Verspätung, dass sie noch wartete. Warum auch? Sie wusste ja nichts von dem verpassten Anschlussflug. Ratlos und mit den Nerven am Ende stand Isabella da und sah Mike an, der scheinbar ungewollt doch ihre einzige Hilfe zu sein schien.

„Siehst du, so schlecht war es doch nicht, dass ich geblieben bin. Ich bin nämlich Spezialist im Abwickeln von verloren gegangenem Gepäck. Wenn du willst mache ich das für dich?“, bot er sich freiwillig an.

Sie wusste es hatte keinen Sinn das Angebot abzulehnen, es blieb ihr sowieso keine Alternative. Es war auch nicht unbedingt das Gefühl ihm ausgeliefert zu sein, was sie störte. Es störte sie viel mehr, dass sie ihn einfach nicht einschätzen konnte. Normalerweise fiel ihr es sehr leicht, Menschen einzuschätzen und sie konnte schon fast deren Gedanken lesen, wenn sie nur richtig konzentrierte. Doch bei ihm war es wie abgeschnitten. Sie wusste nicht ob er falsch spielte und gefährlich war oder einfach nur harmlos nett.

„Das wäre überaus nett von dir, wenn du das für mich erledigen könntest. Wie dir bereits schon aufgefallen sein dürfte, habe ich leichte Verständigungsprobleme. Es tut mir leid, dass ich dich vorhin so provoziert habe. Aber es fällt mir ehrlich gesagt schwer dich einzuschätzen, was normal nicht der Fall ist. Hast du eine Idee, an was das liegen könnte?“

Mike war von ihrer Offenheit verblüfft und noch viel mehr verwundert von ihren Worten. Ihr ging es offenbar genau, wie ihm selbst auch. Er wurde aus ihr einfach nicht schlau, aber er kam auch nicht los von ihr. Es verwirrte ihn und trotzdem wäre er nie auf die Idee gekommen, ihr das auch noch einzugestehen. Sie war so völlig anders, wie alles, was er bisher kennengelernt hatte.

„Woran das liegt kann ich dir auch nicht sagen. Ich bin jedenfalls kein Außerirdischer oder sowas. Aber ich kann dir zumindest bei deinem Kofferproblem helfen.“

Mike schleppte Isabella hinter sich her zur „Lost and Found“ Stelle. Er sprach einige Zeit mit der Schalterangestellten der Airline und hatte das Formular mit ihr größtenteils alleine ausgefüllt. Nur bei einer Stelle wusste er nicht was er ausfüllen lassen sollte.

„Isabella, wo soll der Koffer hingeschickt werden, wenn sie ihn finden?“

„Ich habe nicht den leisesten Schimmer!“


Blick der Veränderung

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