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Kapitel 3
ОглавлениеDienstag, 05.08.2008 Wellington, 21:17 Uhr
William zuckte zusammen, als er die Tür knallen hörte. Das konnte nur seine Verlobte Laura sein. Wie sehr er ihr Temperament und ihre offene Art im Umgang mit Gefühlen auch liebte, aber wenn sie sauer war, würde er ihr am liebsten nicht begegnen. Warum war sie so wütend? Sie konnte doch noch gar nichts davon wissen, dass sein Bruder zu Besuch kam. Und jetzt auch noch diese Neuigkeit, nachdem sie sowieso schon sauer war? Laura und Mike waren regelrecht wie Hund und Katze. Mike provozierte sie und Laura ließ sich das nicht gefallen und zahlte es ihm mit gleicher Münze heim. Und das würde jetzt die nächsten 3 Tage so weitergehen. William stellte sich innerlich bereits auf das Schlimmste ein. Am liebsten würde er sich für diese Zeit in seine Arbeit verkriechen, aber das würde Laura ihm nie verzeihen. Immerhin war Mike sein Bruder und somit erwartete sie auch eine gewisse Unterstützung und Rückhalt von ihm gegen Mike. William liebte seine Eltern, aber die Bedingung, dass Mike jederzeit kommen dürfte und sie ihn aufzunehmen hatten, war unter diesen Umständen, die reinste Folter und konnte er einfach nicht gutheißen. Doch das Jammern nützte nichts. Er musste in den sauren Apfel beißen und Laura die schlechte Nachricht beichten.
„Laura, Liebling. Wo bist du?“ rief William durch die Eingangshalle des riesigen Anwesens. Es war nicht seine Art zu schreien, aber wenn Laura sauer war und sich erst einmal zurückgezogen hatte, müsste man alle Zimmer absuchen, um sie zu finden und das waren dann doch zu viele in dieser alten Villa.
„Ich bin hier. Ist etwas passiert?“ rief sie aus der Küche heraus, in die William ging.
„Wie man es nimmt! Ich habe vorhin meine Mailbox abgehört und rate mal, wer sich wieder angekündigt hat?“
„Sag jetzt bloß nicht dein Bruder! Der hat mir heute gerade noch gefehlt“, sagte Laura bereits schon eine Tonlage schriller als sonst. Er spürte, wie ihr Blutdruck in die Höhe schoss und sie sich aufregte. Er wollte sie eigentlich beruhigen, aber musste ihr auch noch den Rest erzählen, ehe es später in einer Eskalation endete. Also beichtete er ihr auch noch den Rest.
„Leider doch. Er kommt noch heute Nacht an, aber nicht alleine, schätze ich. Er hat am Schluss so eine Andeutung gemacht, die nichts Gutes verheißt.“
„Er weiß doch genau, dass ich im Haus nicht ständig irgendwelche Fremden mag, die dann durchs Haus streunen und herumschnüffeln!“
„Wahrscheinlich will er dich bloß schon im Vorfeld ärgern und bringt tatsächlich niemanden mit. Versuch dieses Mal ihm am besten aus dem Weg zu gehen. Okay?“
„Du weißt doch ganz genau, dass ich das nicht kann. Egal wie oft ich es mir vornehme, er treibt mich regelrecht in den Wahnsinn und du bist auch nie da, wenn ich dich brauche“, warf sie ihm vor.
Da war die versteckte Anspielung wieder, auf die er schon gewartet hatte. Wenn er jetzt nicht einlenkte, begann der Streit zwischen ihnen schon bevor Mike überhaupt gekommen war.
„Das weiß ich doch, Liebling. Aber welche Laus ist dir denn sonst noch über die Leber gelaufen? Dein Türenknallen war durchs ganze Haus zu hören“, lenkte William vom eigentlichen Thema ab.
„Isabella hat mich versetzt! Ich hätte mir denken können, dass sie ihre Flugangst nicht überwinden kann, aber zumindest Bescheid hätte sie mir geben können! Ich hatte dieses Mal wirklich das Gefühl, dass sie weg von zu Hause wollte und kommen würde.“
„Oh Süße, komm her zu mir.“
Er spürte wie sehr sie den Tränen nahe war und zog sie an seine Brust, um sie fest zu drücken und ihr am liebsten allen Schmerz zu nehmen. Er konnte sie einfach nicht traurig oder leidend sehen. Für ihn war Laura immer sein Sonnenschein, der sich auch aufmunternd auf seine Laune auswirkte.
„Das habe ich vor lauter Arbeit total vergessen. Deine Cousine hätte ja heute kommen sollen. Das tut mir so leid für dich. Ich hätte sie wirklich gerne kennengelernt.“
„Aber angesichts der Tatsache, dass Mike heute kommt, bin ich ganz froh, dass sie nicht gekommen ist. Sie hätte ihn in ihrer momentanen Lage nicht auch noch ertragen können.“
„Vielleicht hast du Recht. Trotzdem tut es mir leid. Du hattest dich so auf sie gefreut. Ich weiß, dass es schon spät ist und du niedergeschlagen bist, aber kannst du noch schnell das Bett in Mikes Zimmer überziehen?“
Mit seinem Hundeblick sah er sie an und sie konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. Er wusste haargenau, wie er sie herumbekam.
„Habe ich dir überhaupt schon gesagt, wie sehr ich dich liebe?“ setzte er auch gleich noch eins obendrauf.
Zärtlich streichelte William über ihr schwarzes Haar, hob ihr Kinn und schaute ihr tief in die ozeanblauen Augen, die ihn von Anfang an am meisten an ihr faszinierten. Sie spiegelten das blaue Meer von Gran Canaria wieder, dem Urlaub, in dem sie sich kennen und lieben gelernt hatten. Wie sehr wünschte er sich diese unbeschwerte Zeit zurück. Einfach nur Händchenhaltend am Strand spazieren gehen, im Sonnenuntergang die wundervollste Frau der Welt küssen zu dürfen und stundenlange Gespräche über alles und Nichts zu führen. Alles war damals so einfach. Keine Verpflichtung, nur sie beide. Dagegen erdrückte ihn jetzt die Last, die ihm seine Eltern übertragen haben. Mehrere tausend Menschen vertrauten ihm, dass er in die viel zu großen Fußstapfen seines Vaters trat und ihre Arbeitsplätze erhielt. Der einzige Lichtblick und Halt in seinem Schicksal war Laura. Er vergötterte sie und konnte nie verstehen, warum sie ausgerechnet ihm ihre Liebe schenkte, da ihr doch die halbe Welt zu Füßen lag. Aber er war dankbar dafür, dass sie voll und ganz für ihn da war und er sich bei ihr zurückziehen konnte. Umso mehr tat es ihm daher weh, wenn Mike sie ärgerte und ihm durch das Versprechen an seine Eltern die Hände gebunden waren. Wäre er nur damals seinem Gefühl gefolgt und wäre zu Laura nach Deutschland gegangen, anstatt sich von seinen Eltern kaufen zu lassen. Er wäre jetzt frei und könnte tun und lassen, was er wollte. So, wie Mike es tat. Angesichts dieser Nachteile machte Mike es gar nicht so verkehrt. Von ihm wurde nichts erwartet, seine Arbeitszeiten und –orte suchte er sich selbst heraus und falsch konnte er nichts machen, da für ihn sowieso keine Regeln galten. Und auch wenn er keine Verantwortung übernehmen wollte, wurde er dennoch weiterhin von ihren Eltern als vollwertiges Mitglied der Familie behandelt, weshalb er auch dieses bescheuerte Besuchsrecht eingeräumt bekommen hatte.
„William, bekomme ich auch noch einen Kuss oder bist du mit deinen Gedanken lieber bei deinen Geschäftszahlen?“
„Ich bin überhaupt nicht bei meinen Geschäftszahlen. Ich habe nur wieder einmal daran denken müssen, wie ich die schönste und verständnisvollste Frau der Welt kennengelernt hatte. Und außerdem habe ich mich gefragt, womit ich dich verdient habe. Insbesondere, da du dich mit meinen Bruder herumschlagen musst.“
„Für deinen Bruder kannst du doch auch nichts. Ich habe mir immer Geschwister gewünscht. Erst seit ich deinen Bruder kenne, bin ich doch irgendwie froh ein Einzelkind zu sein.“
„Ich bin so froh, dass ich dich gefunden habe. Nie mehr in meinem Leben möchte ich dich missen. Ich liebe dich von ganzem Herzen und noch viel mehr. Schon alleine, dass du damals zu mir gezogen bist und zu Hause alles aufgeben hast, werde ich dir nie vergessen.“
„Aber William! Warum bist du heute wieder so sentimental? Mein Zuhause ist doch bei dir. Glaubst du ich wäre glücklich in Deutschland gewesen, wenn du dafür hier gewesen wärst. Ich weiß noch ganz genau, wie ich gelitten hatte, als wir uns in Gran Canaria getrennt hatten, weil ich zurück musste. Und ich wusste nicht, ob und wann ich dich wiedersehen würde. Ich war total verunsichert, ob das alles nur ein Traum oder Urlaubsflirt war oder ob du es wirklich ernst mit mir meintest. Diese Unsicherheit war die schlimmste Zeit in meinem Leben. Umso glücklicher war ich, als du plötzlich wie ein Prinz vor meiner Tür gestanden warst. Mir war in diesem Moment klar, dass wir beide für immer zusammengehören und daran hat sich für mich bis heute nichts geändert.“
Mit einem Satz hatte er sie hochgehoben und trug sie eng an sich gedrückt die Treppen hinauf.
„Übst du schon mal für unsere Hochzeit und wo willst du hin?“, fragte Laura lachend und schmiegte sich an ihn.
„Wenn du so fragst, übe ich schon mal die Hochzeitsnacht!“
William grinste sie frech an und trug Laura hinauf ins Schlafzimmer. Auf dem Bett legte er sie sanft ab und beugte sich über sie. Mit einer Hand streichelte er zärtlich ihre Wange und sah ihr tief in die ozeanblauen Augen.
„Ich liebe dich“, hauchte er ihr ins Ohr und küsste sie lange und leidenschaftlich auf ihren sinnlichen Mund. Er küsste jeden Zentimeter ihres Halses und ließ dabei seine Zunge an ihrem Hals hinab gleiten bis zu ihrem Dekolletee. Ausgiebig ließ er sich Zeit, was Laura schier in den Wahnsinn trieb. Sie seufzte, als er ihren Pullover hochschob und mit den Fingerspitzen über ihren schwarzen Spitzen-BH und der danach freigelegten Brust strich. Mit seiner Zunge umspielte er eine ihrer Brustwarzen und öffnete bereits den ersten Knopf ihrer Hose. Sie genoss so sehr seine Berührungen, aber noch mehr wollte sie ihn selbst berühren. Sie knöpfte einen Knopf nach dem anderen seines Hemdes auf und ließ ihre Finger über seine Brust nach unten wandern. Gerade als sie sich an seiner Hose zu schaffen machte, störte sie ein Klingeln.
„Lass es klingeln. Es hört wieder auf“, bat Laura ihn, als er versuchte sich aufzurichten. „So wichtig kann es gar nicht sein, wie ich dich jetzt brauche. Lass mich bitte nicht hier liegen“, flehte sie ihn an.
„Das wird nur Mike sein, ich lass ihn schnell rein und dann komme ich sofort zu dir. Bleib wo du bist, ich bin noch lange nicht mit dir fertig.“
„Wenn du mich jetzt liegen lässt, brauchst du mich auch nicht mehr anfassen!“ drohte sie ihm.
„Ach Liebling, mach es mir doch bitte nicht so schwer! Ich beeile mich und dann mache ich alles wieder gut. Ich verspreche es dir. Okay?“
„Ausnahmsweise und nur weil ich dich liebe. Aber beeil dich!“
Sie konnte sehen, wie schwer es ihm fiel, dass er aufstehen musste. Und ein schlechtes Gewissen überkam sie wegen ihrer Drohung. Er öffnete die Tür und erstarrte im ersten Moment. Es war also doch nicht nur eine Andeutung, Mike hatte seine Ankündigung wirklich war gemacht und jemanden mitgebracht. William musterte die Begleitung neugierig. Sie wich erheblich von Mikes sonstigem Beuteschema ab und sah auch nicht gerade danach aus, als dass sie ein Abenteuer suchte. Eigentlich war sie ihm sogar richtig sympathisch, so schüchtern und zurückhaltend, wie sie wirkte. Wie um alles in der Welt, ist er nur zu ihr gekommen und hatte er vor mit ihr? Unverblümt starrte William sie an und er merkte, wie unsicher sie war. Es war ihr anzusehen, dass sie sich nicht wohlfühlte.
„Hallo Brüderchen, darf ich dir Isabella vorstellen? Isabella das ist mein Bruder Willi“, sagte Mike, um die beklemmende Situation zu unterbrechen, die nicht zu enden schien.
„Äh, hello“ sagte William verlegen und reichte Isabella die Hand. „Your welcome.“
„Thank you. Sorry, that I disturb you“, erwiderte Isabella.
Sie hatte sich schon im Taxi den Satz zurechtgelegt. Es widerstrebte ihr innerlich mit einem wildfremden Mann einfach mitzugehen, auch wenn er sich als nett und hilfsbereit bislang erwiesen hatte. Doch was hätte sie sonst machen sollen? Es gab weit und breit keine Chance Lauras Adresse und Telefonnummer herauszufinden und immerhin war es nun mitten in der Nacht. Mike hatte sie dazu überredet, als sie den vermissten Koffer gemeldet hatten. Aus Ratlosigkeit und einer fehlenden Alternative hatte sie dann sein Angebot angenommen. Ehe sie sich versah, war sie schon mit ihm im Taxi gesessen, ohne eine genaue Vorstellung, wo es eigentlich hinging. Als das Taxi dann vor einem riesigen Tor hielt, war es ihr doch schon etwas mulmig. Wo brachte er sie nur hin? Durch eine kleine Seitentür ging Mike voraus, über die lange Auffahrt, bis hin zu einer gigantischen Tür, die durch große Säulen eingesäumt war. Mikes Bruder Willi starrte sie weiter unverblümt an. Er war so das komplette Gegenteil von seinem Bruder, sinnierte sie, um ihre Unsicherheit zu verlieren. Willi hatte hellere Haare und blaue Augen und weniger des Charmes, im Gegensatz zu Mike. Trotzdem war er für Isabella der beneidenswertere Bruder. Er hatte eine Herzlichkeit und Wärme an sich, die Isabella sofort wahrnahm. Bei Mike dagegen konnte sie einfach nichts spüren, es war zum Haare ausreißen und sie zweifelte schon selbst an sich.
„Sie stören doch nicht. Fühlen Sie sich, wie zu Hause…“
Isabella hatte nicht alles verstanden, was William ihr noch sagte. Dafür waren ihre Englischkenntnisse einfach zu gering. Sie war daher sehr froh, als Mike das Reden wieder übernahm.
„Isabellas Koffer ist verloren gegangen. Es wäre nett, wenn Laura ihr vielleicht ein paar Sachen leihen könnte.“
Isabella verstand nicht was er sagte, war aber überrascht, dass Mike Laura erwähnte, obwohl sie doch ihren Namen bislang nie erwähnt hatte.
William antwortete wieder und sprach Isabella direkt an. Verständnislos schaute sie ihn an und dann wieder Mike. Mike übersetzte ihr daraufhin die Worte seines Bruders.
„Seine Freundin wird dir gerne ein paar Kleidungsstücke leihen, bis dein Koffer hier ankommt. Hast du noch Hunger? William macht dir sicherlich schnell etwas. Du musst nur sagen, was du möchtest.“
William starrte Isabella verwirrt an. Wer war diese Frau und warum sprach Mike Deutsch mit ihr? Mike sah seinen fragenden Blick und erklärte ihm ausnahmsweise die Umstände. Sonst war es nicht seine Art, seinem Bruder Erklärungen abzugeben, doch heute war schon alles zu verrückt und so störte auch das nicht mehr.
„Isabella ist aus Deutschland hergeflogen, um ihre Cousine zu besuchen, doch sie hat ihren Anschlussflug in Philadelphia verpasst und konnte erst den nächsten Flug nehmen. Dabei ist ihr Koffer abhanden gekommen. Sie hat weder Telefonnummer, noch Adresse ihrer Cousine, da sie sich darauf verlassen hatte, dass sie von ihr abgeholt wird. Doch die Cousine war durch die Verspätung nicht mehr am Flughafen. Da Isabella nicht wusste, wo sie hinsollte, habe ich sie zu uns eingeladen.“
Plötzlich brach William in so schallendes Gelächter aus, das Mike und Isabella erst erschraken und sich dann nur über ihn wunderten. Isabella hatte schon nicht verstanden, was die Brüder gesprochen hatten, umso mehr konnte sie auch den Lachanfall von ihm nicht verstehen. Doch an Mikes verwirrten Gesichtsausdruck konnte sie schnell feststellen, dass auch er nicht verstand, worum es ging.
„So witzig ist das auch wieder nicht Willi“, sagte Mike und provozierte ihm mit dem Spitznamen, den William hasste.
„Oh doch, das ist mehr als nur witzig. Ich bin gleich wieder zurück, dann erkläre ich es euch.“
Und ehe die beiden sich versahen, war William schon die Treppe im Laufschritt hinauf verschwunden. Er steuerte ohne Umwege das Schlafzimmer an.
„Liebling, aufstehen. Wir haben Besuch“, flötete er fröhlich.
„Ich will Mike aber nicht sehen, es reicht mir schon, wenn ich ihn morgen zu Gesicht bekomme. Ich mache auch nicht mehr sein Zimmer fertig. Er soll einfach im Gästezimmer schlafen, das hatte ich für Isabella bereits hergerichtet.“
„Das geht aber nicht mein Liebling, denn Mike hat noch Besuch mitgebracht, den du unbedingt gesehen haben musst.“
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich seine neue Dumpfbacke kennenlernen will. Sie wird mich morgen noch genug nerven. Das Bett ist groß genug und Mike hat es sonst auch nicht gestört, wenn sie bei ihm im Bett geschlafen haben.“
„Ich glaube aber nicht, dass dir das Recht wäre“, stichelte William weiter.
„Wieso? Ich kann es sowieso nicht ändern! Warum grinst du bitte die ganze Zeit so dümmlich?“, fragte sie ihn genervt.
„Vertrau mir doch bitte! Komm steh auf und sag kurz hallo. Okay?“, bat er sie.
„Nur weil du mich so lieb bittest. Aber das kostet dich gleich eine Ganzkörpermassage!“
„Ob du die gleich noch willst bezweifle ich, aber gerne, du kannst sie haben! So und jetzt steh auf.“
Laura stand auf zog enttäuscht und provozierend zugleich vor William ihren Pullover wieder herunter. Sie hätte sich jetzt wahrlich besseres vorstellen können, als ihren Schwager in spe und dessen neue hirnlose Tussi zu sehen. Gelangweilt stieg sie hinter William die Treppe hinunter. William wurde immer ungeduldiger und sie fragte sich, was er vorhatte. Etwas war nicht normal, so viel war sicher. Aber was? Als erstes entdeckte sie Mike. Er war mit dem Rücken ihr zugewandt und dahinter erkannte sie eine blonde Frau, die mindestens einen Kopf kleiner war, wie Mike. Das war nicht schwer. Laura war selbst auch so klein und musste sich William regelrecht entgegenstrecken. Die Frau hatte wunderschöne blonde Locken. Laura ging weiter die Treppen hinunter und wäre fast die letzten Stufen heruntergefallen, als Mike zur Seite trat und sie Isabella erblickte. William ahnte es bereits und hielt sie deshalb vorsichtshalber fest. Ungläubig lief sie die Treppe weiter herunter, aber je näher sie sich ihr näherte, umso klarer wurde es ihr, dass es sich wirklich um Isabella handelte. Das hatte Williams Grinsen zu bedeuten. Er hatte sie erkannt, obwohl er sie noch nie gesehen hatte. Das war unglaublich und sie konnte ihm seinen Triumph ansehen. Überwältigt vor lauter Freude, umarmte sie Isabella und küsste sie auf beide Backen. Mike wusste jetzt überhaupt nicht mehr, wie ihm geschah. Hatte er etwas verpasst? Erst das sonderliche Verhalten von William und jetzt auch noch Laura. Sind hier alle verrückt geworden?
„Oh mein Gott! Du bist wirklich gekommen! Ich hatte geglaubt, dass du einen Rückzieher gemacht hast. Du warst nicht einmal auf der Passagierliste gestanden. Wie bist du hier her gekommen?“
„Hör mir bloß mit dem Flug auf. Ich weiß jetzt genau, warum ich nie fliegen wollte. Es war die reinste Katastrophe und mein Koffer ist der Leidtragende, der es nicht überlebt hat.“
„Aber wie bist du hier her gekommen? Mit dem Taxi? Und die Adresse?“
„Nachdem ich nicht wusste wohin und meine Englischkenntnisse, wie du weißt, nicht die besten sind, hat sich Mike angeboten, mich mitzunehmen.“
„Moment, du bist freiwillig mit ihm mitgegangen? Oh mein Gott Isa, was hätte alles passieren können! Haben deine Sinne dich verlassen?“
„Anscheinend nicht ganz. Immerhin haben sie mich zu dir geführt und Mike war ganz Gentleman, so dass ich nichts Schlechtes sagen kann. Hätte ich am Flughafen übernachten sollen?“
„Nein, das auch nicht. Komm lass dich drücken. Ich bin so froh dich zu sehen!“
Überschwänglich lagen sie sich in den Armen und Laura konnte es nicht fassen, dass Mike zum ersten Mal im Leben etwas für sie getan hatte, für das sie ihm sogar ewig dankbar sein würde. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn Isabella mutterseelenallein am Flughafen geblieben wäre. Damit hatte er sogar einige Sticheleien gut bei ihr. Überschwänglich umarmte sie auch ihn und küsste ihn auf die Wangen.
„Danke, danke, danke. Du hättest mir keine größere Freude machen können.“
Mike fing sich langsam wieder und hatte endlich die Zusammenhänge begriffen, die ihm schlichtweg bislang entgangen waren. Schon allein Williams Lachanfall hätte ihn misstrauisch machen müssen, aber wer könnte denn ahnen, dass ausgerechnet er die Cousine von Laura auftreiben würde? Das waren schon etwas zu viele Zufälle. Und schlagartig wurde ihm auch eine andere Information bewusst, die Isabella über ihre Cousine gesagt hatte.
„Moment einmal, Isabella hat was erzählt von Verlobung. Seit wann seid ihr denn verlobt und warum erfahre ich nichts davon?“
William und Laura lächelten sich an, als würden sie ein Geheimnis hüten. Da waren wieder diese tiefen und innigen Blicke, die Mike so verhasst waren. Er drehte sich daher zu Isabella, die wie verändert schien. Keine Spur von Traurigkeit war zu sehen. Funkensprühende Augen leuchteten ihn an. Die kleinen Punkte in ihren Augen schienen zu tanzen vor Freude. Keine Unsicherheit mehr war zu sehen, dagegen gab sie ein unwiderstehliches Lächeln von sich, das über das ganze Gesicht strahlte. Sie sah in diesem Moment so verändert aus, dass sie mit der Frau im Café, die vor Traurigkeit fast umgekommen wäre, nichts mehr gemeinsam hatte. Jetzt fiel ihm auch auf, was ihn von Anfang an, an ihr so faszinierte. Ihr ganze Mimik und Gestik war so stark ausgeprägt, dass man in ihr lesen konnte, wie in einem Buch. Sie spielte nichts vor, sondern war so ausdrucksstark, wie es die besten Schauspielerinnen nicht sein konnten und brachte dabei so eine Natürlichkeit mit. Allein schon, wie sie sich für Laura und William freuen konnte, ohne den geringsten Neid, beeindruckte ihn.
„Tja Mike, du weißt eben nicht alles. William hat mir letzte Woche einen Heiratsantrag gemacht. Wir wissen noch keinen Termin, doch wir hätten es dir spätestens per Einladungskarte noch mitgeteilt!“, stichelte Laura.
„Wissen es Mum und Dad schon oder bekommen sie es auch per Einladungskarte mit?“ wendete sich Mike patzig an William.
„Wir haben es ihnen gestern mitgeteilt. Sie sind vor ihrer Toskanareise noch kurz bei uns vorbei gekommen. Die beiden haben sich jedenfalls für mich gefreut, du dagegen siehst aus, als würdest du jeden Moment platzen“, bemerkte William treffsicher.
„Nein, ich bin eben nur überrascht, das ist alles“, wiegelte Mike ab und versuchte die Sache herunterzuspielen.
Es war mehr als Überraschung so viel merkte auch Isabella. Seit sie hier war, hatte sie schon mehrfach die geladene Stimmung unter allen Anwesenden gespürt, jedoch konnte sie sich noch keinen Reim darauf machen. Mike schien hier sein anderes Gesicht zu zeigen und für einen kurzen Augenblick konnte sie in ihm lesen, wie in einem Buch. Seine Gesichtszüge verhärteten sich und von den warmen braunen Augen, die ihr im Flugzeug aufgefallen waren, war nichts mehr zu sehen. Sie strahlten Härte und Hass aus und Isabella wusste, dass es seinem Bruder galt. Die beiden hatten Probleme miteinander, die sie nie aufgearbeitet hatten. Laura war nur ein Auslöser, jedoch sicherlich nicht die Ursache für diese Probleme. Sie würde es noch bald genug herausfinden, doch jetzt war sie müde und spürte nur die Strapazen des heutigen Tages. Sie wollte nur noch ein Bett und schlafen.
„Ihr könnt euch gerne noch weiter angiften, wenn ihr wollt, aber würdest du mir vorher noch schnell mein Bett zeigen, damit ich schon mal schlafen gehen kann? Ich bin schon ewig auf den Beinen und ganz kaputt. Kannst du mir auch ein paar Sachen leihen?“, fragte sie Laura und unterbrach somit die geladene Stimmung.
„Und denkst du bitte noch an Mikes Zimmer“ erinnerte William sie. „Oder sollen wir die beiden doch zusammen ins Gästezimmer stecken?“, neckte er sie.
„Garantiert nicht! Ich bringe nur schnell Isa nach oben und gebe ihre alles was sie braucht. Du kannst mit deinem Bruder so lange noch einen Absacker trinken, bis ich fertig bin.“
Sie hauchte einen flüchtigen Kuss auf Williams Lippen und tänzelte gutgelaunt nach oben, Richtung Gästezimmer. Das konnte heiter werden die nächsten Tage. Das Haus war zwar groß, aber für so viele Dickschädel unter einem Dach, nicht groß genug, dachte William. Am besten rief er gleich morgen Martha an. Sie war von klein auf schon ihre Haushälterin gewesen und gehörte einfach zur Familie. Nach ihrer Pensionierung jedoch, vertrat Laura die Ansicht, dass sie sich selber um den Haushalt kümmern wollte. Anfangs war er deswegen skeptisch gewesen, ob das große Haus und der Garten alles ohne Personal zu bewerkstelligen wäre, immerhin war Laura noch mit ihrer Marketingagentur sehr eingespannt, aber jetzt möchte er es auch nicht mehr ändern. Er hatte durch gemeinsame Kochabende, die Laura mit ihm veranstaltete, seine Leidenschaft fürs Kochen entdeckt. Laura hatte sein Leben von Grund auf verändert und Talente an ihm gefunden, die er selbst nicht kannte. Trotzdem wird es die nächsten Tage besser sein, wenn Martha das Ruder wieder übernahm. Sie hatte Mike leichter unter Kontrolle. Vor ihr hatte er großen Respekt und sie nahm kein Blatt vor den Mund, um ihn zurechtzuweisen, wenn er übers Ziel hinaus geschossen war. Schon früher, wenn Mike ausrastete oder seine Streiche spielte, war Martha die Einzige, die ihn wieder zur Vernunft brachte. Außerdem wird sie sich sicherlich freuen, wenn sie ihn wieder verwöhnen konnte. Man hatte immer das Gefühl, dass Mike für sie der Sohn war, den sie sich immer gewünscht hatte. William ging zur Bar und drehte sich dann seinem Bruder zu. Er sah wirklich sehr zerknirscht aus. Warum konnte er sich nicht einfach für ihn freuen?
„Was möchtest du denn gerne trinken? Wein, Cognac, Whiskey oder ganz was anderes?“
„Cognac, bitte.“
William schenkte ihm ein und stellte sicherheitshalber die Flasche gleich daneben. Mike wartete nicht lange und schluckte in einem Zug das ganze Glas hinunter. Schnell hatte er selbst das Glas wieder gefüllt und starrte es an, während er es im Licht der Lampe hin und her schwenkte und die honigbraune Flüssigkeit betrachtete.
„Wie lange hast du vor zu bleiben? Ich möchte Martha Bescheid geben“, fragte William vorsichtig an.
„Warum lässt du Martha kommen? Denkst du ich brauche noch eine Gouvernante?“
Sein Verstand war, wie immer, messerscharf, ging es William durch den Kopf.
„Ich dachte Martha würde sich freuen, dich wieder zu sehen. Laura wird mit Isabella viel unternehmen wollen und wird daher keine Zeit haben. Wie lange soll ich Martha sagen, dass du bleibst?“
„Kann ich dir noch nicht genau sagen. Ich habe mir die nächsten Wochen noch keine Reisen vorgenommen, also bin ich flexibel. Wenn mich eure traute Familienidylle nervt, verschwinde ich wieder!“
„Darf ich dich mal etwas fragen? Du musst mir nicht antworten, wenn du nicht willst, aber es würde mich nur interessieren“, fragte William neugierig.
„Frag, wenn es dich glücklich macht“, gab Mike gleichgültig von sich.
„Warum hast du Isabella wirklich mitgebracht? Du hast vorhin schon gesagt, dass sie Hilfe brauchte. Aber es ist doch sonst auch nicht deine Art den Wohltäter zu spielen. Also warum hast du ihr geholfen?“
Mike schwenkte weiterhin lautlos das Glas in seiner Hand und William rechnete schon nicht mehr mit einer Antwort. Er stand auf, um sich selbst ein Glas zu holen, als Mike das Glas ansetzte und es in einem weiteren Zug leerte.
„Ehrlich gesagt, weiß ich es selber nicht. Ich hatte das Gefühl, dass ich ihr helfen sollte. Aber irgendwas stimmt mit ihr nicht. Weißt du etwas darüber?“
Die Offenheit seines Bruders überrascht William. Er konnte sich nicht erinnern, wann er jemals so ein Gespräch mit Mike geführt hatte.
„Es geht ihr momentan nicht so gut, aber ich kenne nur die Kurzfassung, die mir Laura erzählt hat."
Du hast Recht, aber ich kenne nur die Kurzfassung, die mir Laura erzählt hatte.“
„Mach es nicht so spannend. Was ist die Kurzfassung?“
„Ihr Mann hat sie betrogen. Laura hatte sich sehr darüber aufgeregt.“
„Das kann unmöglich alles gewesen sein. Ich habe sie ihm Flugzeug erlebt. Sie hat panische Angst vom fliegen. Nur deswegen hätte sie unmöglich diese Reise auf sich genommen. Da muss mehr dahinter stecken“, analysierte er die Informationen, die er Stück für Stück zusammentrug.
„Das mit der Flugangst stimmt. Laura hatte sie schon so oft eingeladen, aber sie hatte immer wieder abgesagt, deswegen. Daher hatte es mich schon sehr gewundert, dass sie heute kommen wollte. Wenn du mehr wissen willst, wirst du mit ihr selbst oder Laura sprechen müssen. Letzteres bezweifle ich aber.“
„Darauf wäre ich selbst wohl nie gekommen“ gab Mike sarkastisch von sich.
„Wie auch immer, ich freue mich, dass du da bist und du kannst so lange bleiben wie du willst, solange du Laura in Ruhe lässt. Verstanden?“
„War ja klar und deutlich. Ich werde mich zusammen reißen, falls dich das beruhigt.“
„Ja, wenn ich dein Wort habe, reicht mir das. Ich liebe sie von ganzem Herzen und möchte sie, um keinen Preis auf der Welt verlieren. Sie hat lange genug unter deinen Sticheleien gelitten, begrabt endlich euer Kriegsbeil und fangt von vorne an. So wie ich Laura kenne, ist sie dir sowieso schon ewig dankbar, dass du ihr Isabella gebracht hast. Also nutze bitte mir zuliebe die Chance und vertrag dich endlich mit ihr.“
„Und was habe ich davon? Vielleicht gefällt es mir ja, so wie es jetzt ist und ich will nichts daran ändern!“
„Ich habe lange genug zugeschaut und kann dich nur warnen. Reiß dich zusammen oder ich schmeiß dich eigenhändig hier raus. Es ist mir egal, was Mum dazu sagt. Es ist jetzt endgültig Schluss damit.“
Mike war von Williams Entschlossenheit überrascht. Das hätte er seinem Bruder gar nicht zugetraut, da es doch sonst nicht zu seinen Stärken zählte aufzumucken. Sonst war Laura immer der kämpferische Part der beiden. Wahrscheinlich färbte das auch mit der Zeit ab, dacht er.
„Ich werde mich zurückhalten, aber erwarte nicht, dass wir Freunde werden.“
„Das erwartet keiner von dir und ist wahrscheinlich auch Laura nicht zuzumuten.“
„Sei mir nicht böse, aber ich bin jetzt müde und gehe nach oben. Laura wird ja mittlerweile endlich fertig sein, oder?“
„Seit wann bist du vor 3 Uhr im Bett? Das sind ja ganz neue Töne!“
„Du brauchst es ja nicht weiter zu erzählen. Gute Nacht, bis morgen.“
„Gute Nacht.“
Mike stand auf und ging zu den Schlafzimmern nach oben. Laura war fertig, so dass er sich ungestört zurückziehen konnte. Die Müdigkeit war nur eine Ausrede gewesen. Viel mehr hatten ihn seine Gedanken so verwirrt, dass er nicht länger in Williams Nähe bleiben konnte, ohne sich zu verplappern. Im angrenzenden Badezimmer waren noch Geräusche hörbar. Das Badezimmer war ein Gemeinschaftsbad von ihm und dem Gästezimmer und somit von beiden Seiten zu erreichen. Den Geräuschen nach zu urteilen, duschte Isabella offenbar noch. Er zog seine Hose aus und hängte sie über den Stuhl am Schreibtisch. Das Hemd folgte der Hose und als er sich gerade die Socken von den Füßen streifte, kam Isabella nur mit einem Handtuch umschlungen aus der Badezimmertür. Sie hatte die falsche Ausgangstür erwischt. Mike starrte sie einen Moment zu lang an. Nie hätte er gedacht, dass sich unter ihrer lockeren Kleidung solche Kurven verbargen. Es fiel ihm schwer, wieder seinen Blick auf ihre Augen zu richten. Dennoch locker kamen ihm die Worte „gute Nacht Bella und träum schön“ über die Lippen.
„Äh… gute Nacht“ stammelte sie und verschwand peinlich berührt schnell durchs Badezimmer in ihr Zimmer. Oh mein Gott, wie konnte mir das nur passieren, ging es Isabella durch den Kopf. Sie hatte Talent dafür, alle peinlichen Situationen magisch anzuziehen. Ausgerechnet im Handtuch stand sie vor Mike. Doch immerhin gab es einen geringen Ausgleich. Mike stand auch nur in seiner Boxershort vor ihr. Eigentlich hätten ihre Augen in sein Gesicht sehen sollen, aber unerklärlicherweise hatte sie ihn von Kopf bis Fuß gemustert. Besonders aufgefallen sind ihr der braungebrannte, muskulöse Oberkörper und die prall gefüllte Boxershorts. Was hatte er wohl über sie gedacht? An was dachte sie hier eigentlich? Sie war doch immerhin eine verheiratete Frau. Wie konnte sie überhaupt an andere Männer, wie ihren eigenen Mann denken? Schnell zog sie Lauras Nachthemd an, schlüpfte unter die Bettdecke und versuchte zu schlafen. Die Ereignisse heute waren turbulent genug und die Konstellation in diesem Haus, versprach keine Langeweile.