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Die römische Armee: Eine Kriegsmaschine?

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In unserer Zeit wird das römische Militär gewöhnlich als ein Gesamtgebilde mit der Bezeichnung ‚die römische Armee‘ dargestellt, wobei eine monolithische staatliche Institution stillschweigend vorausgesetzt wird, die der modernen US Army, der britischen Royal Army oder der Bundeswehr vergleichbar ist. Wenn sie in Aktion tritt, wird sie zudem häufig als „Kriegsmaschine“ betitelt, eine Metapher, die paradoxerweise häufig von Vertretern ansonsten diametral gegensätzlicher Auffassungen vom Imperialismus Roms verwendet wird, denn die „Maschine“ wird vielleicht ob ihrer Macht und offensichtlichen Effizienz bewundert oder löst wegen ihrer scheinbar unhinterfragten Gnadenlosigkeit Entsetzen aus. Es überrascht auch keineswegs, dass das Image der ‚Kriegsmaschine‘ mit Vorliebe in populären Büchern und Fernsehsendungen kultiviert wird.35 Beide Konzepte, der Monolith ebenso wie die Kriegsmaschine, sind äußerst irreführende und der Sache entsprechend abträgliche Anachronismen.36 ‚Die römische Armee als Kriegsmaschine‘ ignoriert, ja widerspricht sogar der Vorstellung der Römer von ihrem Militärwesen, mit der Konsequenz, wie sich zeigen wird, dass dadurch seine Funktionsweise völlig falsch dargestellt wird. Es wird sich nämlich zeigen, dass sich die Römer darunter in erster Linie eine Gruppe von Menschen vorstellten, nicht eine Institution und schon gar keine Maschine. Es mag verblüffen, doch die Römer besaßen überhaupt keinen äquivalenten Begriff für unsere Rede von „der römischen Armee“, weil weder ein solches Gebilde noch ein entsprechendes Konzept existierte.

Wir stellen uns heute einen Staat vor, der eine zentralisierte Armee aufbaut, mit einer einheitlichen, in einer invertierten Baumstruktur organisierten Hierarchie von Unterabteilungen wie Korps, Division, Brigade, Regiment, Bataillon, Kompanie und Zug bis hinunter zu Sektionen, ineinander verschachtelten Kästchen, die den einzelnen Soldaten zugewiesen werden. Diese Kategorisierung von oben nach unten betont Befehls- und Organisationsstrukturen. Die römische Auffassung von ihrem Militärwesen, die aus der Zeit der Republik stammte, aber auch in der Kaiserzeit noch die konzeptionelle Basis bildete, war das genaue Gegenteil: Sie war von unten nach oben strukturiert und ging von der Existenz einer verfügbaren Gruppe von freien Männern innerhalb der Bürgerschaft aus, die in der Lage und gewillt waren, bei Bedarf als Soldaten (milites) für den Staat Kriegsdienst (militia) zu leisten.37 Wenn zur Zeit der Republik Krieg drohte, wurden aus dieser Gruppe wehrfähige Männer ausgewählt und in legiones (sing. legio) eingeteilt. Zusammen mit Kontingenten von Verbündeten wurden die Legionen in Armeebrigaden zu einer Armee (exercitus) zusammengefasst.38 Es gab fast immer mehrere Armeen, die zu spezifischen Anlässen eingesetzt wurden. Auch in der Kaiserzeit wurden die inzwischen professionalisierten Soldaten weiterhin verschiedenen Armeen zugewiesen, die nun als territorial stationiertes stehendes Heer an bestimmte Provinzen gebunden waren.39 So waren die Streitkräfte, welche dem Statthalter von Syrien zugeteilt waren, der exercitus Syriacae (Abb. 2).

In der Republik wie in der Kaiserzeit sprachen die Römer normalerweise von ‚den Armeen‘ (exercitūs) oder den ‚Legionen‘ im Plural, wenn von ihren Streitkräften die Rede war.40 Den Amerikanern vergleichbar, die oft von ‚our troops‘ sprechen statt von ‚the Army‘ oder ‚Marine Corps‘, sprachen auch die Römer gewöhnlich von milites, ‚Soldaten‘ anstelle institutionalisierter Kollektive.

Oberhalb dieser verschiedenen Armeen gab es weder in der Republik noch in der Kaiserzeit eine Kommandozentrale analog zu einem modernen Generalstab oder einem Verteidigungsministerium. Die Kommandeure der jeweiligen Armeen waren in den meisten Abschnitten der römischen Geschichte führende Politiker, eher Teilzeitgeneräle als Berufssoldaten, die direkt dem römischen Senat oder später dem Kaiser verantwortlich waren. In der späten Kaiserzeit finden sich stärker vereinheitlichte und zentralere Befehlshierarchien – aber auch von diesen existierten fast immer mehrere, weil es in dem segmentierten Reich in der Regel mehrere Kaiser und Armeen gab.

Selbst als in der Kaiserzeit die Institution einer stehenden Streitmacht von Berufssoldaten in permanent aktiven Regimentern eingerichtet wurde, existierten weiterhin mehrere voneinander unabhängige Armeen, während das Bild der Soldaten als einer gesellschaftlichen Klasse sich noch stärker ausprägte, da die milites sich zu einer Gruppe mit einer auch für sie selbst immer klarer erkennbaren Identität entwickelten. Die im Denken der Römer angelegte Betonung von Gruppen konkreter Individuen reflektierte im Falle ihres Militärs die Wirklichkeit der gesellschaftlichen und politischen Bedeutung der Soldaten. Dadurch wird eine fundamentale praktische und ideologische Unterscheidung im römischen Militärwesen verdeutlicht: Auf der einen Seite gab es die institutionellen, vom Staat geschaffenen Strukturen unter der Kontrolle der Herrscher und Aristokraten (Einheiten, Armeen und Befehlshierarchien), auf der anderen die milites, die im Rahmen dieser Strukturen ihren Dienst verrichteten und die, wie wir sehen werden, in der Kaiserzeit zu einer Klasse von Menschen heranwuchsen, die sich ihrer Bedeutung und Ziele sehr wohl bewusst waren. Sie bildeten eine „vorgestellte Gemeinschaft“ (imagined community), das heißt eine weithin verstreute Gemeinschaft, deren Mitglieder ein gemeinsames Gruppenbewusstsein empfinden, obwohl sie immer nur mit einigen ihrer Gruppenmitglieder persönlich zusammentreffen.41


2. Auf Bronzesesterzen Hadrians wurden verschiedene Heere verewigt, darunter der exercitus Britannicus (oben) und der exercitus Syriacus (unten).

Wenn man auf diese Weise das römische Militär mit römischen anstatt mit modernen Augen betrachtet, wird deutlich, dass es ‚die römische Armee‘, wie man sie sich heutzutage vorstellt, buchstäblich nie gab. Im vorliegenden Buch wird deshalb, der römischen Terminologie und Vorstellung folgend, statt dessen die Rede von den ‚Soldaten‘ als einer gesellschaftlichen Klasse sein, von Einheiten, von Armeen und vom ‚römischen Militär(wesen)‘,42 wenn die Gesamtheit der kriegerischen Aspekte Roms von den Institutionen bis hin zu den gewöhnlichen Soldaten gemeint ist.


Gegenüber ihren Zeitgenossen pflegten die Römer sorgfältig einen Nimbus unwiderstehlicher Unbesiegbarkeit. Bei der Behandlung dieses Gegenstandes bedienen wir uns natürlich vertrauter, zeitgenössischer Metaphern, um dieses Charakteristikum zu erfassen, darunter (wie oben erwähnt) die moderne Vorstellung von einer Armee als Kriegsmaschine, die meist auf die nationalsozialistische Wehrmacht oder die Rote Armee angewandt wurde. Das Bild schöpft seine Wirkung aus der verführerischen Gleichsetzung einer modernen, hoch technisierten Armee mit den von ihr verwendeten Gerätschaften. Die von oben nach unten orientierte, monolithische Konzeption einer modernen Armee lässt sich mit einem Militärfahrzeug und seinen Subsystemen vergleichen. Von oben (General, Panzerkommandeur, Pilot) werden Anweisungen – Befehle, elektronische Impulse – nach unten weitergegeben; Relais, Hydauliken und Zahnräder gehorchen automatisch, Maschinen röhren, Geschütze feuern. Man kann sich Soldaten als Zahnräder in der Kriegsmaschinerie vorstellen, als Bauern auf den riesigen Schachbrettern der militärischen Formationen. Die modernen Vorstellungen von blindem Gehorsam, strikter Disziplin und präzisem Kasernenhofdrill fördern das Bild vom Soldaten als Roboter.43 Aber, so lebhaft diese Vorstellung auch sein mag, sie trägt kaum etwas zum Verständnis des römischen Militärwesens bei.

Natürlich entwickelten die Römer großes Geschick im Umgang mit Belagerungsmaschinen. Manche römischen Kavalleristen trugen tatsächlich starre Gesichtsmasken, die sie für uns wie Cyborgs aussehen lassen. In der klassischen Antike entstanden die ersten Automaten,44 und die Römer gingen in der Dehumanisierung von Menschen weiter als ihre Zeitgenossen, wenn sie in der Landwirtschaft eingesetzte Sklaven als mobile Arbeitsgeräte beschrieben, die man verwenden und ausmustern kann.45 Nichtsdestotrotz fürchteten sie diese angeblich willenlosen ‚Besitzgegenstände‘ und widerlegten damit ihre eigene Rhetorik. Dass sie je Soldaten mit solchen Begriffen belegt hätten, war undenkbar, betrachteten sie doch ihre Heere als Ansammlungen von Mitbürgern. Für die Zeitgenossen ähnelten die Kavalleristen mit den Metallmasken nicht Maschinen, sondern den Statuen von Helden (siehe S. 214). Roboter und Schachfiguren kennen keine Demoralisierung, Erschöpfung, Krankheit oder Panik. Trotz ihrer eiskalten Gnadenlosigkeit waren römische Soldaten nicht völlig unanfällig für Sentimentalitäten46 und konnten beim Anblick eines Kometen oder bei einem überraschenden Angriff völlig die Fassung verlieren. Manchmal rannten sie davon, wenn auch weniger häufig als ihre Feinde. Zudem verweigern Zahnräder niemals bewusst den Gehorsam. Es ist geradezu schockierend, welches Maß an Aufsässigkeit römische Soldaten regelmäßig an den Tag legten. Die milites waren aktive, ihrer selbst bewusste Menschen, nicht roboterhafte Werkzeuge des Staates, und, wie sich zeigen wird, wussten dies alle Römer – vom ärmsten Sklaven bis hin zum Kaiser – nur allzu gut.47

Rom und das Schwert

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