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Vorspiel Schock und Furcht: Der unerwartete Aufstieg Roms

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Im Jahr 146 v. Chr. plünderten und zerstörten römische Soldaten zwei der berühmtesten Städte der Antike. Gegen heftigsten und verzweifelten Widerstand bis zuletzt nahmen sie das große phönizische Handelszentrum Karthago in Nordafrika ein, den Sitz einer gewaltigen Seemacht im westlichen Mittelmeer. Sie ließen in diesem ‚Venedig der Antike‘ keinen Stein auf dem anderen und machten den Standort unbewohnbar, indem sie Salz unterpflügten. Damit beendeten sie ein Jahrhundert schrecklicher Kriege mit Karthago. Der Erste Punische Krieg (264–241 v. Chr.)1 brachte Rom seine ersten Territorien außerhalb des italischen Festlandes ein, mündete aber in den Zweiten Punischen Krieg (218– 201 v. Chr.) und Hannibals verheerendes, nicht enden wollendes Wüten in Italien. Letztendlich besiegten die Römer Hannibal, doch ihre paranoide Rachsucht trieb das angeschlagene Karthago in einen selbstmörderischen dritten Konflikt, der 146 v. Chr. in einem Massaker endete. Im gleichen Jahr, aber auf einem anderen Kontinent, eroberte eine weitere römische Armee das ehemals mächtige Korinth im Herzen Griechenlands, beraubte es seiner Schätze, schlachtete die männliche Bevölkerung ab und versklavte den Rest. Die Vernichtung dieser großen Stadt des klassischen Griechenland war ein Akt kalkulierten Terrors, der den aufsässigen Griechen der Ägäis ein für allemal zeigen sollte, wer jetzt das Sagen hatte.2

Dieser Doppelpack von Gräueltaten schockte einen Mittelmeerraum, der den plötzlichen Aufstieg des italischen Stadtstaates zur Supermacht immer noch nicht verdaut hatte. Dessen kritische Phase ist ungefähr zwischen 270 und 190 v. Chr. anzusiedeln und umspannte den Ersten Punischen Krieg, das Ringen mit Hannibal und dessen Folgen, die Rom in Kriege mit den Nachfolgestaaten von Alexanders Reich verwickelten, den hellenistischen Königreichen, die damals die östliche Hälfte der bekannten Welt beherrschten.

In dieser Zeit erlernten die Römer die Kriegsführung zur See. Sie lernten auch, wie man Soldaten besiegt, die nach den neuesten griechischen und makedonischen Erkenntnissen – den Fortentwicklungen der unschlagbaren Kriegskunst Alexanders des Großen – ausgerüstet, ausgebildet und ins Feld geführt wurden. Römische Armeen fügten 197 v. Chr. der legendären makedonischen Phalanx von dichtgedrängten Spießträgern eine erste Niederlage zu und zerstörten sie 168 v. Chr. in der Schlacht von Pydna für immer. Zu diesem Zeitpunkt hatte Rom die anderen hellenistischen Staaten – wie das ptolemäische Ägypten und das seleukidische Asien – ebenfalls bereits eingeschüchtert. Ungefähr innerhalb eines menschlichen Lebensalters war Rom von der Führungsrolle in Italien zur konkurrenzlosen Supermacht aufgestiegen, die auf drei verschiedenen Kontinenten militärisch agierte.

Die plötzlich erworbene Hegemonialstellung militärischer Unbesiegbarkeit führte bei den Römern zu einer erstaunlichen Arroganz, die sich kurz nach Pydna zum Beispiel darin manifestierte, dass C. Popillius Laenas um den Seleukidenkönig Antiochus IV. einen Kreis in den Sand zeichnete und von ihm eine Antwort auf die römische Forderung nach seinem Rückzug aus Ägypten verlangte, bevor er aus diesem Kreis heraustreten durfte.3 Rom regierte im Mittelmeerraum. Die Geschichte von Rom und Karthago verfehlte ihre Wirkung auf die Zeitgenossen nicht. 133 v. Chr. vererbte König Attalos von Pergamon sein gesamtes Königreich an Rom, in der Hoffnung, sein Volk auf diese Weise vor römischer Gewalt und Raffgier schützen zu können.

Die Welt der Griechen wurde im 2. Jahrhundert v. Chr. auf den Kopf gestellt, und sie fragten sich ratlos, wie es dazu kommen konnte. Was war das Geheimnis der Macht Roms und seines Erfolgs? Diese Fragen werden seither immer wieder gestellt. Es überrascht keineswegs, dass sich dabei häufig das Augenmerk auf das Wesen und die Besonderheiten von Roms Soldaten, Armeen und Kriegsführung richtete.4

Der militärische Erfolg der Römer in der Zeit um 200 v. Chr. hatte weitgehend nichts mit außergewöhnlicher Feldherrenkunst zu tun. Die Elite im Senat war genialen Individuen gegenüber sogar misstrauisch. Scipio Africanus, der erste große Heerführer und Bezwinger Hannibals, starb im Exil. Die römischen Generäle entwickelten sich zu soliden Strategen und Taktikern, doch ihre wahren Stärken lagen anderswo, vor allem in der Sicherung und Pflege einer riesigen Versorgungsgrundlage und deren Nutzung mit Hilfe einer ausgeklügelten Logistik, die den Fluss von Menschen und Kriegsmaterial aufrecht erhielt, um mehrere große, aus Römern und Verbündeten zusammengestellten Armeen im Feld zu halten.5

Am tiefsten beeindruckt waren die Griechen jedoch von den Faktoren Material und Moral. Rom schien ein unerschöpfliches Reservoir an erstklassigen Soldaten zu besitzen. Ebenso beeindruckend waren die Entschlossenheit und Aggressivität der römischen Soldaten sowie die Durchschlagskraft ihrer Waffen, exemplifiziert durch das Blutbad, das römische Soldaten mit ihren ‚spanischen Schwertern‘ anrichteten: Als Rom 200 v. Chr. nach dem Sieg über Hannibal sich dessen makedonischen Verbündeten zuwandten, bekam Philipp V. von Makedonien eine erste Vorstellung vom römischem Landkrieg, als seine Männer ihre Toten nach einem unentschiedenen Kavalleriegefecht bargen:

Philipps Soldaten hatten lediglich Wunden von Speeren und Pfeilen, seltener von Lanzen gesehen, da sie nur an Kämpfe mit Griechen und Illyrern gewöhnt waren. Als sie jedoch die von spanischen Schwertern in Stücke geschnittenen Körper sahen, die ab gerissenen Arme und Schultern oder die vom Körper abgetrennten Köpfe, die herausquellenden Eingeweide und andere schreckliche Verwundungen, da wurde ihnen panikartig klar, gegen welche Waffen und welche Männer sie kämpfen mussten.Auch den König befiel die Angst, obwohl er den Römern noch gar nicht in einer wirklichen Schlacht begegnet war.

Livius 31.34.4–66

Die römischen Armeen gewannen in dieser Ära nicht jede Schlacht, doch sie erwarben sich den grimmigen Ruf von Wildheit, Gnadenlosigkeit, unbezähmbarer Entschlossenheit und – was ebenso wichtig war – die Reputation, auf unerschöpfliche Ressourcen zurückgreifen zu können, letzlich der Garantie, am Ende als Sieger dazustehen. Wie konnten sie diese Ausnahmestellung erreichen? Lag es an Charakterzügen, welche den Römern schon immer zu eigen waren, die ihnen diese Dominanz als unvermeidliche Bestimmung in die Wiege legten?


Wenn man nach Erklärungen für den Aufstieg der römischen Republik sucht, erscheint es vernünftig anzunehmen, dass sie besondere Anlagen dafür mitbrachte. Immerhin war Rom etwa ab 300 v. Chr. die Führungsmacht in Italien, nicht das etruskische Capua oder das griechische Neapel, nicht ehrgeizige imperialistische Außenseiter wie Pyrrhus von Epirus (der es versuchte), auch nicht, wie vor einiger Zeit im Osten, ein König von Makedonien. Kann das ganze Geheimnis von Roms Erfolg allein an seinem ‚Schwert‘ liegen? Die Versuchung ist groß, Roms Aufstieg einfach als die Geschichte erfolgreicher Gewalt und Aggression zu betrachten und primär an seiner kriegerischen Spezialbegabung festzumachen.7

Ein Jahrhunderte zurückliegendes Ereignis warf offensichtlich seinen Schatten voraus auf den Untergang von Karthago und Korinth: die Zerstörung und Entvölkerung von Roms Nachbarn, der bedeutenden etruskischen Stadt Veji im Jahr 396 v. Chr. Nach den Maßstäben der italischen Kriegsführung war dies eine atemberaubende militärische Meisterleistung und ein außergewöhnliches Ereignis: Große Städte wurden von ihren Feinden selten eingenommen und nur selten dem Erdboden gleich gemacht. Die Zerstörung Vejis wurde später von den Römern als der symbolische Auftakt für ihren Aufstieg zur Weltmacht gesehen, eine frühe Offenbarung jener kriegerischen Begabung, die zwei Jahrhunderte später alle anderen Mächte im Mittelmehrraum überwältigen sollte, um ein dauerhaftes Reich zu schaffen.

In der Tat gefiel es den Römern zu glauben, dass ihre imperiale Bestimmung von Beginn an einer göttlichen Vorsehung geschuldet und in erster Linie ein Produkt des Schwertes war. Livius legt Romulus folgende Worte in den Mund:

Gehe und sage den Römern, dass die Götter (es) so wollen, dass mein Rom das Oberhaupt der gesamten Welt werde. Lasse sie die Kriegskunst pflegen und versichere ihnen und gib es an die Nachwelt weiter, dass keine menschliche Macht den Waffen Roms Widerstand leisten kann.8

Sollten die Götter wirklich Rom auserkoren haben, über die bekannte Welt zu herrschen, dann ließ sich Rom viel Zeit, bevor es in Schwung kam. Als der letzte König am Ende des 6. Jahrhunderts vertrieben war und Rom eine aristokratische Republik wurde, war es bereits einer der größten Stadtstaaten auf der Halbinsel – ließ jedoch keine außergewöhnlichen militärischen Fähigkeiten erkennen. Die fragmentarischen geschichtlichen Dokumente legen nahe, dass im 5. Jahrhundert, als die Griechen die Perser besiegten und die Demokratie Athens ihren Zenit erreichte, Rom sich nur mühevoll gegen seine mächtigen etruskischen Nachbarn im Norden behaupten konnte und nur langsam die Oberhand über die kleineren latinischen Stadtstaaten im Süden gewann. Dieses zweite Ziel wurde erst 338 erreicht, kurz vor der Inthronisierung Alexanders des Großen. All dies lässt die Einnahme Vejis umso eindrucksvoller erscheinen – oder als eine Anomalie.

Man kann tatsächlich daran zweifeln, ob die Eroberung Vejis ein frühes Zeichen von Roms außergewöhnlicher militärischer Genialität war, auch wenn sie auf beträchtliche Fähigkeiten schließen lässt. Wenn Rom damals auch militärisch schon ein so hohes Niveau besessen haben sollte, fällt es nämlich schwer, die Katastrophen zu erklären, die auf dem Fuße folgten, als Rom zum ersten Mal nicht-italischen ‚Barbaren‘ geenüberstand und sich mit den marodierenden gallischen Senonen anlegte. In der Schlacht an der Allia (390 v. Chr.) gerieten die römischen Soldaten in Panik und ergriffen die Flucht. Die Gallier plünderten daraufhin Rom, das sich freikaufen musste, was bei den Römern einen nachhaltigen terror Gallicus auslöste. Rom überlebte diese Erniedrigung, doch es verging einige Zeit, bis es seine Macht und Prestige zurückgewann.

Die gängige Vorstellung von der Einnahme Vejis ist tatsächlich revisionsbedürftig. Sie war, in den Worten des italienischen Archäologen Nicola Terrenato, vermutlich eher eine Notehe als ein Akt kriegerischer Zerstörung.9 Die zwei großen Städte lagen einfach zu nah beeinander, als dass die Ressourcen der Region für die Versorgung beider ausgereicht hätten. In krassem Gegensatz zu Roms Umgang mit Karthago oder Korinth war die Aktion in Veji eher eine Fusion als eine Eroberung. Einen deutlichen Hinweis hierfür liefert die Übernahme von Vejis Schutzgöttin Juno als eine der drei Hauptgottheiten des römischen Staates10. In der Folge treten einige aus Veji stammende Familien mit römischer Identität auf, und die Sieger spielten mit dem Gedanken, den Sitz Roms nach Veji zu verlegen. Diese Beispiele und weitere Anzeichen lassen vermuten, dass die Vorgänge, die zu Roms unfassbarer militärischer Stärke im 2. Jahrhundert v. Chr. führten, wesentlich komplexer und subtiler waren, als sie häufig dargestellt werden – und dass sie nicht nur auf militärischem Gebiet lagen.

Livius und die anderen frühen Geschichtsschreiber stellen Roms Aufstieg in Form eines scheinbar endlosen Katalogs von Kriegen, Triumphen und Eroberungen dar. Das Schwert stand sicher auch im Mittelpunkt, doch es war auf jeden Fall nur ein Aspekt des Gesamtbildes, dessen sich Polybios (ca. 200–120 v. Chr.), ein griechischer Soldat und Politiker, wohl bewusst war. Er erlebte mit, wie die Römer über die hellenistische Welt hereinbrachen, kämpfte gegen sie und verbrachte etliche Jahre bei ihnen halb als Geisel, halb als Gast, war Zeuge ihrer Kriege in Spanien und wohnte der Vernichtung Karthagos bei.11 Seine Historíai verfasste er, um seinen griechischen Landsleuten Roms Aufstieg zu erklären.12 Er entschied sich dabei für ein ganzheitliches Vorgehen und schrieb den Erfolg Roms einer Kombination von Faktoren zu, darunter dem Design der römischen Schwerter, den Fähigkeiten und Motiven der Männer, die sie einsetzten, deren Feldherren sowie den besonderen Charakteristiken des römischen Staatswesens. Wir sind gut beraten, den weit gefassten Ansatz des Polybios zu übernehmen und ihn sogar auszuweiten, vor allem durch die Einbeziehung von Roms Verbündeten und Feinden als wichtigen Faktoren in der Gesamtgleichung, anstatt diese als ‚Speerträger‘ oder ‚Schwertfutter‘ abzutun.

Bloße militärische Schlagkraft liefert keine ausreichende Erklärung für den unglaublichen Aufstieg Roms und dessen Nachhaltigkeit über einen langen Zeitraum. Ein Regime, das ausschließlich auf Zwang und Terror setzt, hat selten eine lange Lebensdauer. Während des titanischen Konflikts mit Karthago entschieden sich die meisten von Roms Untertanen und Verbündeten, an der Seite Roms zu verharren, sogar zu einem Zeitpunkt, als Hannibal ihnen eine reelle Möglichkeit eröffnete, die Macht Roms zu brechen, und bewiesen damit, dass ihre Loyalität auf einer breiteren Grundlage basierte als der Furcht vor dem Schwert. Es muss also auch ein positives Gefühl der Zugehörigkeit existiert haben.13 Wie wir noch sehen werden, kam der Erfolg Roms durch eine einzigartig wirkungsvolle Kombination militärischer Aggression und politischer Verhandlungstaktik zustande, von Peitsche und Zuckerbrot – beziehungsweise von Schwert und dargebotener, offener Hand der Teilhabe.14

Am Beginn der Untersuchung, warum die römische Republik sich im 3. Jahrhundert zu einer Supermacht aufschwingen konnte, soll eine Momentaufnahme stehen: von dem Augenblick, als Rom, die zukünftige Imperialmacht, zum ersten Mal in der Geschichte die Völker Italiens vereinigt hatte und auf einen direkten Konflikt mit den erstklassigen Armeen des hellenistischen Mittelmeerraumes und Karthagos, der Supermacht zur See, zusteuerte.

Rom und das Schwert

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