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Adler oder Wölfe? Das zweischneidige Schwert der Römer

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All die Feindseligkeit und Kampfbereitschaft, welche sie (sc. die Römer) bisher gegen andere Völker eingesetzt hatten, richteten sie nun aufeinander. Die Wölfe waren geblendet von gegenseitiger Wut und Raserei …

Livius 3.6648

Die Römer brachten eine Vielzahl von Symbolen und Mächten mit ihrem Staat und Militär in Verbindung. Eines der bedeutendsten war der majestätisch segelnde Adler (aquila), der würdevollste aller Raubvögel, das Symbol des Jupiter Optimus Maximus (des Besten und Größten), der obersten Staatsgottheit. In der späten Republik wurde der Adler immer stärker mit dem Militär identifiziert, vor allem wegen der aus Edelmetall gefertigten Statuette eines Adlers, der als oberer Abschluss der Legionsstandarte auf einem Donnerkeil thronte (Abb. 3). Dies war nicht nur die Standarte einer jeden Legion, sondern ein heiliges Objekt und gewissermaßen die Seele der Legion, ein materielles Artefakt von außergewöhnlichem Wert und Effekt.49 Die kaiserlichen Legionäre marschierten hinter den Adlern Jupiters. Ihre Schilde waren mit Adlerschwingen und Donnerkeilen heraldisch verziert. Der Verlust der Adlerstandarte einer Legion war die größte vorstellbare Schande. 55 v. Chr. trieb lediglich die Furcht um ihre Standarte Caesars Legionäre dazu, von ihren Schiffen in das Wasser zu springen und ihrem Adlerträger an den Strand zu folgen, um sich den Briten zu stellen, die dort auf sie warteten.50

Eine weitere bedeutende Gottheit von besonderer Wichtigkeit für die Soldaten war selbstverständlich Mars, der Gott des Krieges mit seinem Totem, dem Wolf. Neben dem Adler Jupiters und dem Donnerkeil fungierte die mythische lupa als zentrales Symbol Roms: die Wölfin, welche die Zwillingssöhne des Mars, die Halbgötter Romulus und Remus, säugte, nachdem sie diese vor dem Tod im Tiber gerettet hatte, damit Rom geboren werde. Deshalb verkörpert das Bild der Wölfin und der Zwillinge den göttlich inspirierten Ursprung des römischen Volkes. Das Bild der Wölfin findet sich auf Münzen, die geprägt wurden, um den Sold auszubezahlen (Abb. 4). Es wurde in der Frühzeit auch für die Legionsstandarte verwendet und zierte die Ausrüstung der Soldaten bis in die späte Kaiserzeit. In der republikanischen Epoche kleideten sich manche velites (junge, leicht bewaffnete Legionäre) in Wolfspelze.51


3. Die älteste bekannte Darstellung des Legionsadlers (Adlerstandarte) auf einem Siberdenarius, 82 v. Chr.


4. Die Wölfin säugt die Zwillinge und Halbgötter Romulus und Remus (Silberdenarius).

Der Wolf ist ein weiteres Symbol der Stärke, Schnelligkeit, Kraft und ungezähmter Wildheit, das zum Selbstverständnis (der Ideologie) von Soldaten passt und in diesem Sinne verwendet wurde.52 Allerdings ist es ein zwiespältigeres Bild als das des fernen, hoch am Himmel segelnden Adlers, der Majestät verkörpert, aber kaum eine Gefahr für die menschliche Gesellschaft darstellt. Die Wölfe bedeuteten nämlich eine echte Bedrohung für die Gemeinschaften des frühen Italien. Auch wenn sie in den Bergen und Wäldern am Rand der Zivilisation lebten, waren sie vor allem in den Hungerzeiten des Winters eine ständige Gefahr, und dies nicht nur für die Menschen. Manchmal reißen sich Wölfe gegenseitig in Stücke.

Den Römern entging die potentielle Zwiespältigkeit des Bildes vom miles als Wolf des Kriegsgottes keineswegs. Einer alternativen Überlieferung folgend war die Wölfin, die Romulus und Remus säugte, keine göttlich inspirierte Vierbeinerin, sondern eine bodenständigere Variante: lupa ist auch ein Slangausdruck für Hure.53 In ihrer gesamten Geschichte waren sich die Römer dessen bewusst, dass neben der Bedrohung durch Fremdlinge von ihren eigenen Soldaten, vor allem wenn sie in Horden auftraten, eine potentiell tödliche Gefahr für das Wohlergehen der Gemeinschaft ausging. Die Furcht vor einem internen Konflikt war allzeit präsent in einer Gesellschaft, deren Gründung, wie der Mythos besagt, mit einem Brudermord einherging, als Romulus seinen Zwillingsbruder tötete.54 Niemand konnte mit Sicherheit vorhersehen, wann ein Soldat sich in einen reißenden Wolf verwandeln würde. Im Satyricon beschreibt Petronius, wie des Nachts ein Soldat sich zwischen den Gräbern vor der Stadt zum Entsetzen seines Begleiters in einen Werwolf verwandelt.55 Die berühmte Definition, mit der Tiberius, Roms zweiter Kaiser, das Regierungsgeschäft definierte, lautete: „den Wolf an den Ohren festhalten“. Dabei hatte er die tödliche Bedrohung durch seine aristokratischen Standesgenossen, aber auch seine eigenen Soldaten im Sinn.56 Als erfahrener General wusste er, wovon er sprach. Zudem sah er sich bei seinem Amtsantritt 14 n. Chr. mit ernstzunehmenden Meutereien gegen die Bedingungen des Wehrdienstes konfrontiert.

Wie andere Krieger und Soldaten der Antike weichen die römischen milites dramatisch vom modernen Ideal – oder Fantasiebild – des Soldaten als eines jederzeit gehorsamen Roboters ab.57 Obwohl sie zweifellos intensiv ausgebildet und mit grimmiger Härte dizipliniert wurden, ist eine der am meisten unterschätzten, erstaunlichsten und am wenigsten roboterhaften Eigenschaften der römischen milites ihre schiere Ungebärdigkeit, sei es in der Republik oder in der Kaiserzeit. Die Kultur der Römer war extrem vom Wettbewerbsgedanken geprägt, was sich am deutlichsten auf dem Schlachtfeld zeigte. Völlig anders als es der Teamgeist moderner Armeen erfordert, setzten die milites alles daran, einander im Kampf zu überbieten.58 Mannschaften und Unteroffiziere scheuten sich nicht, in Gegenwart der Kommandeure ihrer Zustimmung oder ihrem Zorn lautstark Ausdruck zu verleihen.59 Zur Meuterei neigend, kämpften sie seit der späten Republik ab und zu gegeneinander und töteten in der Kaiserzeit gelegentlich Generäle, hohe Beamte und Kaiser. Mit Übergriffen, manchmal tödlicher Art, gegen Zivilisten, auch römische, musste man immer rechnen, ob diese nun befohlen oder untersagt worden waren. Die Kommandeure mussten die Soldaten in gleichem Maße ermahnen, bitten, ihnen schmeicheln und sie manchmal bei der Ehre packen oder sie zu etwas zwingen. Milites wurden von den anderen Römern eher gefürchtet und verachtet denn als „unsere Jungs“ bewundert.60 Der Adler lieferte demnach die Metapher für die Männer, die unter einem Befehlshaber Wehrdienst für ihr Vaterland leisteten, der Wolf hingegen für die ständige Bedrohung, die sie füreinander, für ihre Offiziere und die Gesellschaft darstellten.


5. Der zweigesichtige Gott Janus auf einer Silbermünze der Republik.


6. Der Tempel des Janus auf einer Bronzemünze Neros. Die Tore sind geschlossen und zeigen damit an, dass in allen römischen Gebieten Frieden herrscht – ein so seltener Zustand, dass er des Gedenkens würdig ist.

Der Adler und der Wolf waren die zwei Seiten der römischen Militärmacht – Gegensätze, aber untrennbar verbunden wie die beiden Gesichter des Gottes Janus, welche gleichzeitig in entgegengesetzte Richtungen blicken (Abb. 5). Er war der Gott der Torwege und der Veränderung von Zuständen – vor allem des Wechsels zwischen Krieg und Frieden. Die Tore seines Tempels auf dem Forum Romanum standen offen, wenn Rom irgendwo einen Krieg führte.61 Ihre Schließung, die Frieden in allen römischen Herrschaftsgebieten symbolisierte, war ein so seltener Vorgang, dass man ihn einer Würdigung durch die Prägung von Sondermünzen für würdig befand (Abb. 6). Die beiden Gesichter des Janus könnten auch das binäre Wesen eines Großteils unseres Themas symbolisieren: seine Kontraste und Widersprüche sowie die diametral gegenläufigen Perspektiven, aus denen man es betrachten kann. Beider gleichzeitig gewahr zu sein erweist sich häufig als weit fruchtbringender als sich ausschließlich für eine einzige Perspektive zu entscheiden.

Wir neigen dazu, jene Aspekte, die wir als unvereinbar ansehen, gesondert zu behandeln: auf der einen Seite jene, die wir als gesellschaftlich ‚positiv‘ einstufen, zum Beispiel gegenseitige Hilfe, Freundschaft und Liebe, auf der anderen diejenigen, welche wir als ‚negativ‘ bewerten: Gewalt, Töten und das Zufügen von Leid. Doch in Wirklichkeit können sie untrennbar miteinander verbunden sein, vor allem im Reich des Mars. Denn einige der größten und emotionalsten aller kooperativen menschlichen Unternehmungen haben diesen dualistischen Charakter: Die Rede ist von den Kriegen. Auf der individuellen Ebene, so berichten ehemalige Soldaten, gibt es kein engeres und stärkeres Band der Freundschaft und Liebe als zwischen Menschen, die Seite an Seite gekämpft und zusammen dem Tod ins Auge geblickt haben. Dies sind gewichtige und oft schwer zu akzeptierende Wahrheiten.

Eine weitere grundlegende, aber häufig übersehene Wahrheit ist die Tatsache, dass zum Streiten immer zwei Seiten gehören. Auch wenn unser eindeutiges Ziel darin besteht, das römische Militärwesen zu verstehen, müssen wir auch die Feinde Roms und die Interaktion zwischen den Kriegsparteien in Blick behalten.62 Während in der Forschung ein hohes Maß an Aufmerksamkeit in die interne Organisation der kaiserlichen Armeen und die Details der Grenzsysteme (wie z.B. des Hadrianswalls) investiert wurde, ist bei vielen Forschern immer noch ein seltsam gedämpftes Interesse an den Gesellschaften zu erkennen, die den wesentlichen Anlass für die Einrichtung dieser Organisationen und Systeme lieferten; der Erfolg des römischen Militärs wird immer noch weitgehend an seinen tatsächlichen oder zugeschriebenen internen Qualitäten festgemacht. Zum Teil liegt dies daran, dass Roms Gegner uns weniger verwertbare Spuren hinterlassen haben, häufig aber auch daran, dass wir diese weit weniger intensiv verfolgt haben. Die Struktur der römischen Armeen, die Ausrüstung ihrer Soldaten und die Männer, die in ihren Reihen dienten, waren in ihrer Gesamtheit ebenso das Produkt der Reaktion auf das Wesen und den Charakter der Völker, auf die Rom traf, wie das Resultat der internen römischen Geschichte. Die Gegner sind ein wichtiger Aspekt dieses Bildes.

Eine weitere janusköpfige Komponente des römischen Militärs ist seine Blickrichtung an den Grenzen des Römischen Reiches. Diese war ebenso in das Innere des Reiches gerichtet wie nach außen, denn eine fundamentale Funktion des Schwertes war die Einschüchterung und Unterdrückung der Bevölkerung der Provinzen. Doch selbst dieser Aspekt hatte ambivalente Züge.

Roms Provinzen wurden durch die Androhung von Gewalt zusammengehalten, doch ebenso wichtig waren gewisse ‚Bindemittel‘, positive, integrierende Anpassungskräfte. Der Militärdienst war eine der wirkungsvollsten dieser Kräfte. Im Zenit seiner imperialen Macht stammte ungefähr die Hälfte des römischen Militärs aus den Provinzen. Durch ihren Militärdienst erwarben Männer die römische Staatsbürgerschaft und machten die Armeen damit zu einem wichtigen Werkzeug der Integration, indem sie ein intensiv empfundenes, militärisch geprägtes, auf das Grenzland fokussiertes römisches Bewusstsein inmitten einer bemerkenswerten ethnischen Vielfalt schufen.

Eine weitere, bereits erwähnte tiefe Ambivalenz ergab sich aus Roms Haltung gegenüber seinen Soldaten. Die Gesellschaften der Antike betrachteten kriegerische Gewalt zumindest als notwendig und unvermeidbar, häufig sogar als positiv im Sinne einer Quelle der Macht, des Reichtums und des Ruhms. In Rom sah man den Krieg als Voraussetzung für die Gesundheit und Lebenskraft der Gesellschaft. Dennoch unternahmen die Römer seit den Tagen der frühen Republik außergewöhnliche Anstrengungen, das Schwert wegen seiner zweischneidigen Natur aus dem politischen Leben zu verbannen: Die eine Schneide konnte zwar Feinde zerstückeln, dem Staat, den Senatoren und den Soldaten Reichtum und Macht bringen, doch die zweite Schneide war immer umgekehrt auf die römische Gesellschaft selbst gerichtet. Das römische und die meisten zeitgenössischen Schwerter waren im wörtlichen und allegorischen Sinne zweischneidig, wie in der Offenbarung des Johannes 1.16: „Und er hielt in seiner Hand sieben Sterne und aus seinem Mund ragte ein scharfes, zweischneidiges Schwert …“63 Um das Verständnis des römischen Militärwesens zu vertiefen, müssen wir uns mit der Zweischneidigkeit des römischen Schwertes befassen.

Rom und das Schwert

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