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Ihr Kreis wurde auf glänzende Weise erweitert durch Herrn und Frau Whittier N. Smail – Kennicotts Onkel Whittier und Tante Bessie.

Der echte Hauptstraßler definiert einen Verwandten als Menschen, in dessen Haus man uneingeladen geht, um so lange zu bleiben, wie man Lust hat. Wenn man hört, daß Lym Cass auf seiner Reise nach dem Osten die ganze Zeit in Oyster Centre »zu Besuch« war, so heißt das nicht, daß er dieses Dorf dem übrigen Neuengland vorzieht, sondern daß er Verwandte dort hat. Es heißt nicht, daß er seit vielen Jahren mit den Verwandten korrespondiert, auch nicht, daß diese jemals den Wunsch verraten hätten, etwas von ihm zu sehen. Aber »man kann doch nicht erwarten, daß ein Mensch hergeht und sein gutes Geld in einem Bostoner Hotel ausgibt, wenn seine eigenen Vettern dritten Grades im gleichen Staat leben, nicht?«

Als die Smails ihre Molkerei in Nord-Dacota verkauft hatten, besuchten sie Herrn Smails Schwester, Kennicotts Mutter, am Lac-qui-Meurt, dann kamen sie nach Gopher Prairie, um ihren Neffen aufzusuchen. Sie erschienen unangemeldet, noch bevor das Kind auf die Welt gekommen war, hielten es für selbstverständlich, daß sie willkommen waren, und begannen sofort darüber zu klagen, daß ihr Zimmer nach Norden ging.

Onkel Whittier und Tante Bessie hielten es für ihr gutes Recht als Verwandte, Carola auszulachen, und für ihre Pflicht als Christen, ihr zu verstehen zu geben, wie lächerlich ihre »Ideen« seien. Sie hatten etwas gegen das Essen einzuwenden, gegen Oscarinas Unfreundlichkeit, gegen den Wind, gegen den Regen und gegen die Ungehörigkeit von Carolas Umstandskleidern. Sie waren stark und ausdauernd; sie konnten eine ganze Stunde, ohne eine Pause eintreten zu lassen, danach forschen, was für ein Einkommen ihr Vater gehabt habe, wie es um ihren Glauben bestellt sei und warum sie nicht die Galoschen angelegt hätte, als sie über die Straße ging. Sie hatten ein großes, reiches Talent für langweilige Diskussionen, und ihr Beispiel entwickelte in Kennicott eine Neigung zur gleichen Form liebevollen Nörgelns.

Die Smails »hielten nichts von dem ganzen Unsinn mit privaten und eigenen Angelegenheiten«. Als Carola einen Brief von ihrer Schwester auf dem Tisch liegengelassen hatte, mußte sie zu ihrem Erstaunen von Onkel Whittier hören: »Deine Schwester sagt, ihrem Mann geht's sehr gut. Du müßtest sie öfter besuchen. Ich hab' Will gefragt, und er sagt, du besuchst sie nicht sehr oft. Wirklich! Du solltest sie öfter besuchen!«

Es war reine Liebe.

Carola entdeckte, daß es etwas gibt, was noch unangenehmer ist als vernünftiger Haß: fordernde Liebe.

Sie glaubte in der Anwesenheit der Smails angenehm dumm und normalisiert zu sein, aber diese rochen die Ketzerin, saßen in vorgebeugtem Entzücken da und suchten ihr ihre albernen Vorstellungen zu entlocken, um sich darüber belustigen zu können. Sie waren wie der Pöbel, der an Sonntagnachmittagen die Affen im Zoo anstarrt, die Finger durch das Gitter steckt, Gesichter schneidet und über den Unwillen dieser würdevolleren Rasse kichert.

Mit einem großmäuligen, überlegenen Dorflächeln fragte Onkel Whittier: »Was ist das, Carrie, was man mir erzählt: du meinst, Gopher Prairie müßte ganz niedergerissen und neu aufgebaut werden? Ich weiß nicht, wo die Leute diese neumodischen Ideen herkriegen. 'ne Menge Farmer in Dacota haben sie jetzt auch. Über Genossenschaftssachen. Bilden sich ein, daß sie 'n Laden besser führen können als 'n Kaufmann! Hu!«

»Whit und ich haben keine Genossenschaften gebraucht, wie wir noch unsere Farm gehabt haben!« triumphierte Tante Bessie. »Carrie, sag' mal deiner alten Tante: gehst du am Sonntag mal in die Kirche? Du gehst manchmal? Aber du solltest jeden Sonntag gehen! Wenn du so alt sein wirst wie ich, dann wirst du schon lernen, daß Gott, ganz egal, was obergescheite Leute auch von sich glauben, daß Gott eine ganze Menge mehr weiß als die, und dann wirst du's einsehen und froh sein, wenn du in die Kirche gehen und deinem Pastor zuhören kannst!«

Mit wechselnder Geduld wartete Carola auf den köstlichen Tag, da die beiden von ihrer Abreise sprechen würden. Nach drei Wochen bemerkte Onkel Whittier: »Uns gefällt Gopher Prairie recht gut. Ich glaub', wir werden vielleicht dableiben. Wir haben schon immer drüber nachgedacht, was wir anfangen sollen, jetzt wo wir die Molkerei und die Farmen verkauft haben. Deshalb hab' ich jetzt auch mal mit Ole Jenson über sein Lebensmittelgeschäft geredet, ich werd' ihn wohl auskaufen und 'ne Zeitlang Laden halten.«

Er tat es.

Carola rebellierte. Kennicott beruhigte sie: »Ach, wir werden sie nicht viel sehen. Sie werden ja ihr eigenes Haus haben.«

Sie beschloß, so eiskalt zu sein, daß die beiden sich fernhalten würden. Doch sie hatte kein Talent für absichtliches Grobsein. Die Smails fanden ein Haus, aber Carola war nie sicher davor, daß sie plötzlich erschienen und herzlich riefen: »Wir haben gemeint, wir könnten heute abend rüberschauen und dir 'n bißchen Gesellschaft leisten. Nanu, du hast ja die Vorhänge noch immer nicht gewaschen!«

Tante Bessie war eine Brücke, über welche die älteren Frauen, Ratschläge bringend, in Carolas Insel der Zurückgezogenheit eindrangen. Tante Bessie redete der guten Witwe Bogart zu: »Springen Sie recht oft zu Carrie hinüber. Heutzutage verstehen die jungen Leute nicht so das Wirtschaften wie wir.«

Frau Bogart zeigte sich durchaus bereit, die Zusatzverwandte zu spielen.

Carola dachte an Grobheiten zu ihrem Schutz, als Kennicotts Mutter kam und zwei Monate bei Bruder Whittier blieb. Carola hatte Frau Kennicott gern. Sie konnte ihre Grobheiten nicht loswerden.

Sie fühlte sich befangen.

Sie war von der Stadt vergewaltigt worden. Sie war Tante Bessies Nichte, sie hatte Mutter zu sein. Man erwartete von ihr, fast erwartete sie es selbst, daß sie in alle Ewigkeit dasäße und von Kindern, Köchinnen, Stickstichen und Kartoffelpreisen spräche oder darüber diskutierte, ob den einzelnen Ehegatten Spinat schmecke oder nicht.

In der Lustigen Siebzehn fand sie eine Zuflucht. Mit einemmal begriff sie, daß sie sicher sein konnte, dort mit den jungen Frauen über Frau Bogart zu lachen; sie sah in Juanita Haydocks Klatsch jetzt nicht mehr etwas Vulgäres, sondern Fröhlichkeit und bedeutende Analyse.

Ihr Leben hatte sich geändert, schon bevor Hugh erschien. Sie wartete auf die nächste Bridgepartie der Lustigen Siebzehn und auf das Flüstern mit ihren lieben Freundinnen Maud Dyer und Juanita und Frau McGanum.

Sie gehörte der Stadt an. Die Philosophie und die Fehden der Stadt beherrschten sie.

Sinclair Lewis: Die großen Romane

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