Читать книгу Sinclair Lewis: Die großen Romane - Sinclair Lewis, Sinclair Lewis - Страница 179

2

Оглавление

Selbst wenn Elmer die Kirche nicht schon lange gekannt hätte, wäre er ihr durch seine Mutter zugeführt worden. Außer seiner Freundschaft mit Jim Lefferts hatte Elmer nur eine einzige wahre Zuneigung: zu seiner Mutter, und diese gehörte der Kirche.

Sie war eine kleine, energische, herumnörgelnde, aber freundliche Frau, einst leidenschaftlicher Zärtlichkeit, jetzt aber leidenschaftlichem Beten ergeben, die einen außerordentlichen Mut besaß. Von Logan Gantry, Futtermittel-, Mehl-, Holz- und Ackergeräthändler, einem großen, liebenswürdigen Mann, der gern Schulden machte und Whisky trank, früh als Witwe zurückgelassen, hatte sie sich und Elmer durch Nähen, Hutgarnieren, Brotbacken und Milchverkaufen erhalten. Jetzt besaß sie ihre eigene Putz- und Kleiderwerkstatt, klein und finster, aber voll Stolz in der Hauptstraße errichtet, und war in der Lage, Elmer die dreihundert Dollars jährlich zu geben, die im Verein mit seinem Sommerverdienst bei der Ernte und auf dem Holzplatz genügten, um ihn zu ernähren – in Terwillinger, im Jahre 1902.

Sie hatte immer gewünscht, daß Elmer Prediger würde. Sie war ganz munter und zählte die Pfennige beim Wechseln nicht mit törichter Genauigkeit, aber vor einem Prediger, der im langen Rock auf der Tribüne stand, empfand sie atemlose Scheu.

Elmer war seit seinem sechzehnten Lebensjahr ein gut beleumundetes Glied der Baptistenkirche gewesen er war höchst befriedigend durch Untertauchen im Kayooska River getauft worden. Der Evangelist war ein kräftiger Mann gewesen und hatte Elmer trotz dessen Größe nicht nur untergetaucht, sondern in heiliger Begeisterung unter Wasser gehalten, so daß er spuckend wieder heraufgekommen war, im Zustand der Gnade und Verdrecktheit. Er war auch öfters gerettet worden, und einmal, als er Lungenentzündung hatte, waren der Pastor und alle besuchenden Damen der Meinung gewesen, er nähme schnell an Gnade zu.

Doch dem Wunsch seiner Mutter, daß er Prediger werden sollte, hatte er Widerstand entgegengesetzt. Er hätte seine unterhaltsamen Laster aufgeben müssen, und in großäugiger und keuchender Glückseligkeit entdeckte er alljährlich mehr davon. Und dann empfand er auch ein schwerfälliges Unbehagen und schämte sich, sooft er vor seinen kichernden Kameraden in Paris aufzustehen und fromm zu erscheinen versuchte.

Selbst noch in seiner Collegezeit war es schwer für ihn, seiner Mutter nicht nachzugeben. Sie reichte ihm zwar nur bis an die Achsel, aber ihr geschäftiger Eifer, ihre gelenkige Zungenfertigkeit und der Heroismus, mit dem sie seit so langer Zeit für ihn sorgte, hatten solchen Einfluß auf ihn, daß er sich vor ihr fürchtete, wie er sich vor Jim Lefferts' Spott fürchtete. Er brachte es nie über sich, ihr ehrlich seine Ungläubigkeit einzugestehen, sondern knurrte immer nur: »Ach, sieh mal. Ma, ich weiß nicht. Das Dumme ist, daß man mit dem Predigen nicht viel Geld verdient. Sieh mal, 's hat ja keine Eile. Ich muß mich ja noch nicht entscheiden.«

Und jetzt wußte sie, daß er wahrscheinlich Anwalt werden würde. Nun, das war nicht das Schlechteste, dachte sie; er könnte eines Tages in den Kongreß kommen und die ganze Nation reformieren, bis sie ein wohlgefälliges Ebenbild Kansas' wäre. Aber wenn er nur der Mysterien hätte teilhaftig werden können, die den Abendmahlstisch umschweben –

Sie hatte mit Eddie Fislinger über ihn gesprochen. Eddie kam aus einer Stadt, die zwölf Meilen von Paris entfernt war. Obgleich noch Jahre vergehen konnten, bis er schließlich zum Geistlichen ordiniert sein würde, war Eddie schon in seinem zweiten Jahr im Terwillinger von seiner Heimatgemeinde zum Predigen zugelassen worden, und eines Sommers hatte er allen Ernstes einen Monat lang (während Elmer draußen bei der Ernte war oder beim Baden, oder Obstgärten plünderte) auf der Baptistenkanzel in Paris Dienst gemacht.

Mrs. Gantry konsultierte ihn, und Eddie belehrte sie mit der ganzen Würde eines Neunzehnjährigen.

Oh ja, Bruder Elmer wäre ein prächtiger junger Mann – so stark – sie alle bewunderten ihn – ein wenig zu sehr von den eitlen Freuden dieser Welt versucht, doch das hätte seinen Grund darin, daß er jung wäre. Oh ja, eines Tages würde Elmer sich die Hörner abgelaufen haben und ein guter christlicher Gatte, Vater und Geschäftsmann sein. Aber, was den geistlichen Dienst anlangte – nein. Mrs. Gantry dürfte sich nicht zu sehr um diese Mysterien kümmern. Das hinge von Gott ab. Man müßte seinen Ruf bekommen, bevor man die Berufung zum geistlichen Dienst in sich fühlte, einen richtigen überwältigenden, geheimnisvollen, zu Boden werfenden Ruf, wie Eddie selbst voll Ekstase einen erlebt hätte, eines Abends, in einem Kohlfeld. Nein, gar nicht daran zu denken. Die Aufgabe, die sie jetzt hätten, hieße: Elmer in den richtigen Gnadenzustand bringen, und das sähe ihm, versicherte ihr Eddie, schwer genug aus.

Ganz bestimmt hätte Elmer, erklärte Eddie, die Bekehrung empfunden, als er mit sechzehn Jahren getauft worden sei, er hätte die Einladung empfunden, und die Last seiner Sünden wäre von ihm genommen worden. Aber er hätte nicht, Eddie bezweifelte es, voll und ganz das Heil erfahren. Er wäre nicht eigentlich im Zustand der Gnade. Fast könnte man ihn unbekehrt nennen.

Eddie diagnostizierte den Fall vollständig, mit allen dazu gehörigen pathologischen Fachausdrücken. Welche Schwierigkeiten ihm auch Philosophie, Latein und Rechnen bereitet haben mochten, seit seinem zwölften Lebensjahr hatte es nie eine Zeit gegeben, in der es Eddie Fislinger schwer geworden wäre, zu verstehen, was Gott, der allmächtige Herr, wollte, und warum er, die ganze Geschichte hindurch, so oder so gehandelt hatte.

»Ich bin der letzte, der den Sport verurteilt«, sagte Eddie. »Wir müssen starke Körper haben, um die Last und Anstrengung, das Evangelium in der Welt zu verbreiten, ertragen zu können. Aber gleichzeitig scheint mir doch, daß Fußball die Tendenz hat, von der Religion abzulenken. Ich hab' ein bißchen Angst, daß Elmer grade jetzt nicht im Stand der Gnade ist. Doch, o Schwester, wir wollen uns nicht bekümmern und sorgen! Wir wollen auf Gott vertrauen. Ich werde persönlich zu Elmer gehen und schauen, was ich machen kann.«

Daß mußte damals gewesen sein – ganz gewiß war es in den Ferien zwischen ihrem Sophomoren- und Juniorenjahr – als Eddie zu der Farm hinausging, wo Elmer arbeitete, ihn groß, kräftig und bäuerisch aussehend im ärmellosen Unterhemd sah, vernünftig vom Wetter redete und wieder zurückging …

Obwohl Elmer, sooft er zu Hause war, voll Zärtlichkeit versuchte, nach dem Lebensplan, den seine Mutter für ihn gemacht hatte, zu leben, obwohl er, ohne lang zu brummen, um halbzehn zu Bett ging, das Hühnerhaus tünchte und sie in die Kirche begleitete, argwöhnte Mrs. Gantry dennoch, daß er ab und zu Bier tränke und Zweifel über Jona hegte; voller Unbehagen hörte Elmer sie schluchzen, während sie an ihrem hoch aufgetürmten, altmodischen Bett mit der weißen Steppdecke kniete.

Sinclair Lewis: Die großen Romane

Подняться наверх