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In der Y.M.C.A. war eine ansehnliche, reichlich neugierige Menge versammelt. Den ganzen Tag hatte man im Hof debattiert: »Ist Höllenhund wirklich ganz sicher gerettet? Wird er mit seinen Schweinereien aufhören?«

Alle, die er kannte, waren da, ihre offenen Münder sahen fragend aus, grinsten oder zweifelten. Ihr Schauen und Blinzeln verwirrte ihn, und er ärgerte sich darüber, daß er von Eddie Fislinger, dem Präsidenten der Y.M. C.A., vorgestellt wurde.

Er begann schlecht, stammelnd. Aber Ingersoll hatte den Anfang seiner Rede geliefert, und er erwärmte sich am Glanz seiner eigenen Stimme. Er sah das Auditorium im geschweiften Y.M.C.A.-Saal als strahlende Wolke, er wurde voll Zuversicht laut, er begann die ergreifenden Gedanken hinzuzufügen, die ganz und gar sein eigen waren – abgesehen davon, höchstens, daß er sie dreißig- oder vierzigmal in Predigten gehört hatte.

Es klang recht gut, wenn man die Umstände in Betracht zog. Bestimmt ließ es sich mit den mystischen Durchschnittstiraden der Kanzel vergleichen.

Trotz seinem Slang, seinem Fluchen, seiner mangelhaften Grammatik, war Elmer im College gezwungen gewesen, gewisse Bücher zu lesen und gewisse Kollegien zu hören, die alle mit prachtvollen, blühenden langen Worten erfüllt waren, mit schönen Sentenzen über Gott, den Sonnenuntergang, die moralische Nutzanwendung, die aus dem täglichen Betrachten der Berglandschaft zu ziehen sei, über Engel, das Fischen von Seelen, das Fischen von Fischen, Ideale, Patriotismus, Demokratie, die Keuschheit, den Irrtum der Vorsehung beim Erschaffen des weiblichen Beins, Mut, Demut, Gerechtigkeit, die Ackerbaumethoden in Palästina um das Jahr 4 A.D., die Schönheit der Häuslichkeit, und das Gehalt der Prediger. Diese blühenden Worte, diese orgeltönenden Sätze, diese tiefen Gedanken waren ihm eingehämmert worden, bis sie gebrauchsfertig in seinem Hirn hafteten.

Aber sogar für den schulmüden Lehrkörper, der dieses Einhämmern besorgt hatte, der die Quellen hätte kennen müssen, war es erstaunlich, daß Elmer Gantry nach vier Jahre langem Ächzen mit diesen Floskeln herausrückte, die sie ganz ernst nahmen, weil sie selbst in engherzigen Baptisten- und Campbelliten-Colleges erzogen worden waren.

Keiner von ihnen dachte daran, daß etwas Komisches daran sein könnte, wenn ein kräftiger junger Mann, der göttlich zum Kohlenschleppen geeignet war, sich hinstellte und in geschwollenen, unwahren Phrasen über die Liebe und die Seele schwelgte. Sie saßen da – junge Lehrer, die noch nicht lange von der Farm weg waren, Professoren, die das jahrelange Schlafen in ungelüfteten Pfarrerstuben bleich gemacht hatte – und blickten Elmer respektvoll an, der schwadronierte:

»Es ist schrecklich schwer für einen, der mehr daran gewöhnt ist, auf die feindliche Linie loszugehen, als öffentlich zu reden, zu sagen, wie er es meint, aber manchmal glaub' ich, man kann vielleicht doch über alles mögliche nachdenken, auch wenn man sich nicht immer so ausdrückt, wie man's meint, und ich möchte wovon ich reden möchte, das ist, daß man, wenn man tief in die Dinge sieht und wirklich seine Rechnung mit Gott ausgeglichen hat, und wenn man sich das Herz von Gott mit höheren Bestrebungen erfüllen läßt, daß man dann sieht – daß man sieht, daß die Liebe das einzige ist, was wirklich mit Sicherheit alle dunklen Wolken des Lebens erhellen kann.«

»Jawohl, nur die Liebe! Sie ist der Morgen- und der Abendstern. Sie ist – sogar im stillen Grab, ich meine die, die um das stille Grab stehen, sogar dort findet man sie. Was ist es, das alle großen Männer inspiriert, alle Dichter, alle Patrioten und alle Philosophen? Die Liebe ist es, nicht wahr? Was hat der Welt das erste Zeugnis von Unsterblichkeit gegeben? Die Liebe! Sie erfüllt die Welt mit Melodien, denn was ist Musik? Was ist Musik? Ja! Die Musik ist die Stimme der Liebe

Der große Rektor Quarles lehnte sich zurück und setzte seine Brille auf, was seinem fliegengezierten Gesicht ein leicht gelehrtes Aussehen gab. (Sonst wirkte es wie das eines Kleinstadtbankiers aus dem Jahr 1850.) Er war das Zentrum einer Reihe auf der Tribüne des Y.M.C.A.-Saals, die aus einem Dutzend Würdenträger bestand – es war eine niedrige Tribüne unter einer Stuck-Halbkuppel. Die Wand hinter ihnen war mit graphischen Darstellungen behängt, die ein wenig an anatomische Tafeln erinnerten; sie zeigten den Seelengewinn in Ägypten, die Summen, die für Whisky ausgegeben wurden, im Vergleich zu den Summen, die für Gesangbücher ausgegeben wurden, und den illustrierten Fortschritt eines Erdenpilgers von sündhaftem Reden durch Zigarettenrauchen und Bierkneipen in eine muntere Verfassung, in der er seine Frau schlug – die keinen Gefallen daran zu finden schien. Darüber war ein großes, weises Motto aufgemalt: »Lasse dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit dem Guten.«

Das ganze Lokal hatte jenen dumpfigen Strohgeruch, der den Stätten der Frömmigkeit eigen ist; Rektor Quarles schien jedoch nicht darunter zu leiden. Er hatte sein ganzes Leben in Heiligtümern verbracht, und in Zimmern, welche dünnen Kirchenzeitschriften und dicken Predigtbänden gehörten. Er hatte ein leichtes chronisches Schnüffeln, aber sein Organismus war anscheinend dem Leben ohne Luft angepaßt. Er strahlte und rieb sich die Hände, er blickte in frommer Freude auf Elmers langen, breiten Rücken, während Elmer, immer sicherer, loslegte, die Zuhörer anbrüllte – sie zerschmetterte, ihren Widerstand brach, mitten ins Tor schoß:

»Was ist es, das uns von den Tieren unterscheidet? Das Gefühl der Liebe! Ohne sie sind wir – sind wir tatsächlich nichts; mit ihr, wird die Erde zum Himmel, und sind wir, ich meine in gewissem Maße, wie Gott selbst! Nun, das ist es, was ich über die Liebe sagen wollte, und hier findet sie ihre Nutzanwendung. Wahrscheinlich ist eine ganze Menge unter Ihnen, die so sind wie ich selber – oh, ich hab's getan, ich will mich nicht schonen – ich bin herumgegangen und hab' gedacht, ich wäre zu gut, zu groß, zu gescheit für die göttliche Liebe des Heilands! Hören Sie! Ist einer unter Ihnen, der mal in sich gegangen ist und darüber nachgedacht hat, wie sehr er sich selber im Weg steht, wenn er denkt, daß er ohne göttliche Hilfe weiterkommen kann? Ich glaube, Sie sind wahrscheinlich größer als Moses, größer als der heilige Paulus, größer als Pasteur, dieser große Gelehrte –«

Rektor Quarles jubelte: »Das war eine echte Bekehrung! Aber auch noch mehr als das! Das ist eine richtige Entdeckung – meine Entdeckung! Elmer ist der geborene Prediger, sobald er sich einmal losläßt, und ich kann ihn dazu bringen! O Herr, wie wunderbar sind deine Wege! Du hast gewollt, daß unser junger Bruder hier weniger im Gebet als in den machtvollen Kämpfen des olympischen Feldes herangezogen wurde! Ich – Du, Herr, hast uns einen geborenen Prediger gezeigt. Eines Tages wird er einer unserer führenden Propheten sein!«

Die Zuhörer klatschten Beifall, als Elmer seinen Schluß hinausschrie: »– und ihr Füchse werdet euch viel von der Zeit ersparen, die ich vergeudet hab', wenn ihr gleich jetzt einseht, daß ihr, solang ihr nicht von Gott wißt – nichts wißt!«

Sie klatschten, sie zeigten ihm strahlende Gesichter. Eddie Fislinger gewann ihn, indem er seufzte: »Alter Junge, du hast mich in meinem eigenen Spiel geschlagen, genau so wie in deinem!« Es gab viel Händeschütteln. Keines war wärmer als das seines alten Feindes, des Lateinprofessors, der keuchte:

»Wo haben Sie alle die schönen Ideen und Metaphern über die göttliche Liebe her, Gantry?«

»Ach,« ganz bescheiden, »ich kann kaum sagen, daß sie von mir wären, Professor. Ich glaub', ich hab' sie im Gebet bekommen.«

Sinclair Lewis: Die großen Romane

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