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In aufgeregtem Evangelisteneifer kämpfte Jim Lefferts, damit Elmer nach der frommen Bloßstellung bei Eddies Verteidigung in Cato standhaft bliebe.

Er war, alles in allem, fast zelotischer und ermüdender als Eddie.

Nachts, wenn Elmer sich danach sehnte, schlafen zu gehen, trug Jim Argumente vor; morgens, wenn Elmer seine Geschichte vorbereiten sollte, las Jim laut aus Ingersoll und Thomas Paine vor.

»Wie möchtest du so etwas erklären – wie würdest du es erklären?« drängte Jim. »Hier heißt's im Deuteronomion, daß Gott diese Jidden vierzig Jahre in der Wüste herumgejagt hat, und daß ihre Schuhe dann nicht einmal abgetragen waren. So heißt es, ganz genau, in der Bibel. So was willst du glauben? Und glaubst du, daß Simson seine ganze Stärke verloren hat, bloß weil sein Mädel ihm die Haare abgeschnitten hat? Das glaubst du? Ja? Du meinst, daß die Haare irgendwas mit seiner Kraft zu tun hatten?«

Jim lief im dumpfigen Zimmer auf und ab und trat nach Stühlen, seine sonst sanften Augen glänzten wie im Fieber, voll Zorn schüttelte er seinen Zeigefinger, während Elmer bucklig auf der Bettkante saß, die Stirn in den Händen, und sich eigentlich darüber freute, daß so um seine Seele gekämpft wurde.

Um zu beweisen, daß er noch immer ein freigeistiger, ganzer Kerl wäre, unterzog sich Elmer eines Abends mit Jim der ziemlich anstrengenden Arbeit, ein kleines Vorbauhäuschen auszuheben und auf die Stufen des Verwaltungsgebäudes zu setzen.

Nach dem Kampf zwischen Eddie und Dr. Lefferts vergaß Elmer seine Sorgen fast ganz.

Jims Vater war praktischer Arzt in einem benachbarten Dorf. Er war ein rundlicher, bärtiger, gelehrter, munterer Mann, voller Stolz auf seinen Atheismus. Er hatte Jim im Glauben und in seiner Vorliebe für Alkohol erzogen; er hatte Jim in dieses Sekten-College geschickt, einerseits weil es billig war, und andererseits weil es ihm eine kitzelnde Freude bereitete, zuzusehen, wie sein Sohn diese Heiligen aus ihrer mürrischen Selbstgefälligkeit aufstörte. Er kam unerwartet ins Zimmer, während Elmer und Jim aufgeregt die Ankunft Eddies erwarteten.

»Eddie sagte«, klagte Elmer, »er sagte, er kommt her und bringt noch mehr von den Beweisen mit, daß ich direkt in die Hölle komm'. Herr Gott, Doktor, ich weiß nicht, was in mich gefahren ist. Sie sollten mich untersuchen. Ich muß blutarm sein oder so was. Tatsächlich, früher einmal, wenn Eddie Fislinger mich angelächelt hätte, der Teufel soll ihn holen, bloß zu denken, daß er sich traut mich anzulächeln! – wenn er gesagt hätte, daß er in mein Zimmer kommt, hätt' ich ihm gesagt: ›Einen Dreck wirst du!‹ und ihm einen Tritt vor die Beine gegeben.«

Dr. Lefferts schnurrte in den Bart. Seine Augen glänzten auf.

»Ich will mir Ihren Freund Fislinger vornehmen, daß er was davon hat. Und um dieses widersinnigen imaginären Himmels willen, Jim, tu dein möglichstes, um nicht überrascht auszusehen, wenn du merkst, daß dein ehrwürdiger Vater fromm ist.«

Als Eddie kam, wurde er einem seidenweich freundlichen Dr. Lefferts vorgestellt, der ihm so lang und so unangenehm die Hand drückte, wie es Politiker, Reisende und Gottesmänner tun. Der Doktor freute sich:

»Bruder Fislinger, mein Junge da und Elmer erzählen mir, daß Sie versuchen, ihnen zur wahren Bibelreligion zu verhelfen.«

»Ich hab' mir Mühe gegeben.«

»Es tut mir in der Seele wohl, Sie das sagen zu hören, Bruder Fislinger! Sie können nicht ermessen, wieviel Kummer es einem alten Mann bereitet, der dem Grabe zuwankt, dessen einziger Trost es ist, zu beten und in der Bibel zu lesen« – Dr. Lefferts war vor drei Nächten bis vier Uhr aufgesessen, hatte Poker gespielt und mit seinen Intimis, dem Nachlaßrichter und dem englischen Viehzüchter, über Biologie diskutiert – »wieviel Kummer es ihm bereitet, daß sein einziger Sohn, James Blaine Lefferts, kein Gläubiger ist. Aber vielleicht können Sie mehr erreichen, als ich, Bruder Fislinger. Mich halten sie für einen fanatischen alten Narren. Jetzt wollen wir mal sehen – Sie sind doch ein Bibelrechtgläubiger?«

»Oh ja!« Eddie blickte tirumphierend zu Jim hinüber, der sich an den Tisch lehnte, die Hände in den Taschen, ausdruckslos wie Holz. Elmer hockte neugierig im Lehnstuhl, die Hände vor dem Mund.

Der Doktor sagte erfreut:

»Das ist großartig. Sie glauben an jedes einzelne Wort darin, hoff' ich, von der ersten bis zur letzten Seite?«

»Oh ja. Ich sage immer: ›Es ist besser, eine ganze Bibel zu haben, als eine Bibel voller Lücken‹.«

»Ja, das ist ein richtiger Gedanke, Bruder Fislinger. Den muß ich mir merken, um ihn diesen erklärten höheren Kritikern zu sagen, wenn ich mal mit einem zusammenkommen sollte! ›Ganze Bibel – keine Bibel voller Lücken‹. Oh, das ist ein schöner Gedanke, und ausgezeichnet ausgedrückt. Von Ihnen selbst?«

»N–nein, nicht ganz.«

»Aha, aha. Also, das ist ja großartig. Sie glauben natürlich an die praemillenniale Wiederkunft – ich meine die richtige, wirkliche, echte, direkte praemillenniale Wiederkunft Jesu Christi im Fleische?«

»O ja, freilich.«

»Und an die jungfräuliche Geburt?«

»Oh, aber selbstverständlich.«

»Das ist großartig! Es gibt natürlich Doktoren, die bezweifeln, daß die jungfräuliche Geburt sich ganz mit ihren Geburtshelfererfahrungen in Einklang bringen läßt, aber den Leuten sag' ich immer: ›Passen Sie mal auf! Woher weiß ich, daß es wahr ist? Weil's in der Bibel so heißt, und wenn's nicht wahr wäre, glauben Sie, daß es dann in der Bibel so heißen würde?‹ Das stopft ihnen immer den Mund! Danach wissen sie herzlich wenig zu sagen!«

Um diese Zeit hatte sich eine wirklich schöne, edle Kameradschaft zwischen Eddie und dem Doktor angesponnen, und sie warfen mitleidige Blicke auf die verwirrten Gesichter der beiden kaltgestellten Ketzer. Dr. Lefferts kraute seinen Bart und murmelte salbungsvoll:

»Und, Bruder Fislinger, Sie glauben natürlich auch an die Kinderverdammnis.«

Eddie erklärte: »Nein; das ist keine baptistische Lehre.«

»Sie – Sie –« Der gute Doktor schnappte nach Luft, er zerrte an seinem Kragen, keuchte und jammerte:

»Das ist keine baptistische Lehre? Sie glauben nicht an die Kinderverdammnis?«

»W–wieso, nein –«

»Dann möge Gott der baptistischen Kirche und der baptistischen Lehre beistehen! Gott steh' uns allen bei, in diesen verderbten Tagen, daß wir davor bewahrt bleiben mögen, von solchem Unglauben angesteckt zu werden!« Eddie schwitzte, während der Doktor sich in die runden Hände schlug und stöhnte: »Passen Sie mal auf, mein Bruder! Es ist sehr einfach. Sind wir nicht dadurch erlöst, daß wir im Blut des Lamms gewaschen wurden, und nur dadurch, nur durch sein heiliges Opfer?«

»W–wieso, ja, aber –«

»Also dann sind wir entweder weiß gewaschen, und erlöst, oder wir sind nicht gewaschen, und wir sind nicht erlöst. Das ist die einfache Wahrheit, und alles Herumdeuteln, alle Erklärungen, alles Stottern und Stammeln über diese schöne und klare Wahrheit, das alles ist einfach vom Teufel, Bruder! Und in welchem Augenblick wird die Menschenkreatur in all ihrer unvermeidlichen Sündhaftigkeit Objekt der Taufe und Erlösung? Mit zwei Monaten? Mit neun Jahren? Mit sechzehn? Mit siebenundvierzig? Mit neunundneunzig? Nein! Im Augenblick, wo sie geboren wird! Und infolgedessen, wenn er nicht getauft wird, muß er ewig in der Hölle brennen. Wie heißt es im Buch der Bücher? ›Denn es ist kein anderer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, durch den wir erlöst werden können.‹ Es mag ein wenig hart erscheinen, daß Gott hübsche kleine Kinder brät, aber dann denken Sie nur an die hübschen Frauen, die er so gern zur Erbauung der Heiligen röstet! Oh, Bruder, Bruder, jetzt begreif' ich, warum mein Jimmy da und der arme Elmer für den Glauben verloren sind! Nur, weil erklärte Christen wie Sie sie dieser verschnittenen Religion überliefern! Ja, Leute wie Sie sind es, die den Damm des wahren Glaubens einreißen und einen Kanal auftun für höhere Kritik und Sabellianismus und Nymphomanie und Agnostizismus und Ketzerei und Katholizismus und Sabbath-Adventismus und alle diese fürchterlichen deutschen Erfindungen! Sowie man zu zweifeln beginnt, ist das Böse bereits geschehen! Oh, Jim, Elmer, ich habe euch aufgefordert, auf unseren Freund hier zu hören, aber jetzt, wo ich tatsächlich einen Freidenker in ihm finde –«

Der Doktor wankte zu einem Stuhl. Eddie stand da und schnappte nach Luft.

Es war das erstemal in seinem Leben, daß ihn jemand anklagte, schwach im Glauben, nicht streng genug zu sein. Er war voller Selbstzufriedenheit daran gewöhnt, als überstreng verschrien zu sein. Es bereitete ihm fast ebensoviel Vergnügen, über den Alkohol zu schimpfen, wie anderen Studenten, ihn zu trinken. Er hatte, teils von seinen Lehrern, teils aus seinem eigenen Verstand, eine beliebige Anzahl schlagfertiger Antworten für Klassenkameraden, die ihm vorwarfen, es wäre altmodisch von ihm, so viel über Dominospielen zu reden, über die freie Gemeinschaft, über die Frevel, sich Tanzmusik anzuhören, einen Talar auf der Kanzel zu tragen, am Sonntag spazierenzugehen, Romane zu lesen, über die Transsubstantiation und diese neueste Erfindung des Teufels, die Film heißt. Er konnte fast jeden lauen Christen in Furcht jagen. Aber daß er selbst wankelmütig genannt wurde, daß er ketzerisch und unsicher genannt wurde – auf diesen unbegreiflichen Angriff hatte er keine Erwiderung.

Er blickte den entsetzten Doktor an, er blickte zu Jim und Elmer, die offenbar über seinen Sturz aus geistiger Führerschaft bekümmert waren, und dann flüchtete er sich in einsames Gebet.

Er brachte seine Sorgen bald vor Rektor Quarles, der ihm alles völlig erklärte.

»Aber dieser Doktor hat doch die Schrift zitiert, um seinen Standpunkt zu beweisen!« blökte Eddie.

»Vergessen Sie nicht, Bruder Fislinger, daß ›der Teufel die Schrift für seine Zwecke zitieren kann‹.«

Eddie meinte, das wäre ein sehr hübscher Gedanke, und sehr hübsch ausgedrückt, und hob ihn, obwohl er nicht ganz sicher war, ob er aus der Bibel stammte zum künftigen Gebrauch in Predigten auf. Doch bevor er sich hinreichend erholt hatte, um sich Elmer vorzunehmen, waren die Weihnachtsferien gekommen.

Als Eddie gegangen war, lachte Elmer noch weit herzlicher als Jim und dessen Vater. Allerdings hatte er nicht ganz verstanden, worum sich alles drehte. Aber, freilich; Eddie hatte es ganz richtig gesagt; Kinderverdammnis war keine baptistische Lehre; sie gehörte zu irgendwelchen von den Presbyterianern, und jeder Mensch wußte, daß die Presbyterianer eine Menge komischer Glaubenslehren hatten. Aber der Doktor hatte entschieden das seinige getan, um Eddie zu zermalmen, und Elmer fühlte sich sicherer als in den letzten Tagen.

Er fühlte sich weiter sicher bis zu den Weihnachtsferien. Dann –

Irgend jemand, höchstwahrscheinlich Eddie, hatte Elmers Mutter von seiner neuen und vielversprechenden christlichen Verfassung erzählt. Er selbst hatte mit äußerster Vorsicht derartige kompromittierende Gerüchte aus den Briefen, die er allwöchentlich heimschrieb, ferngehalten. Die ganzen Ferien hindurch spürte er, daß seine Mutter sich enger an ihn drängte als sonst, daß sie darauf wartete, nach seiner Seele zu greifen, sobald er eine Schwäche zeigte. Ihr Pastor zu Hause, der Reverend Mr. Aker – in Paris als Reverend Aker bekannt – schüttelte ihm in der Kirche die Hand mit einer Zuvorkommenheit, die ebenso anklagend war wie das Wohlwollen seiner Lehrer in Terwillinger. Jims Schutz fehlte ihm, er wußte, daß jeden Moment Eddie aus seiner Nachbarstadt auftauchen und von Mrs. Gantry als Verbündeter begrüßt werden könnte – es waren Ferien, in denen es nur sehr wenig Frieden für Elmer gab. Um seinen Mut nicht sinken zu lassen, widmete er besonders ernste Aufmerksamkeit dem Kegelbillard und der Tochter eines Farmers in der Nähe. Aber er fürchtete stets, daß dies die letzten traurigen Aschentage seines ungezwungenen Lebens wären.

Es schien ein bedrohliches Zeichen zu sein, daß Eddie auf der Rückfahrt ins College im selben Zug war. Eddie hatte noch einen zweiten Vertreter der Frömmigkeit bei sich und sagte Elmer nichts von den Wonnen der Hölle, aber er und sein Gefährte kicherten heimlich mit einer Vertraulichkeit, die mehr als betrüblich war.

Jim Lefferts fand in Elmers Gesicht nicht die selbstbewußte Biederkeit und Festigkeit, die er erwartet hatte.

Sinclair Lewis: Die großen Romane

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