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Er schritt unter den Kayooskatal-Kommunikanten neben seiner Mutter einher. Sie war eine kleinstädtische Geschäftsfrau, nicht übermäßig runzlig oder schäbig; sie trug sogar einen guten, kleinen, schwarzen Hut und ein neues braunes Seidenkleid mit einer Goldkette; doch neben seiner Größe und ehrbaren Pracht wirkte sie unansehnlich.

Er trug für die Zeremonie einen neuen zweireihigen Anzug aus schwarzem Tuch und neue schwarze Schuhe. Dasselbe hatte Eddie Fislinger an, dazu eine Trauerkrawatte und einen großen schwarzen Filzhut, wie ihn die Texas-Kongreßmitglieder tragen. Doch Elmer war unternehmender. Hätte er nicht eingesehen, daß er Würde zeigen mußte, so würde er sich den Prunk erlaubt haben, für den er Talent hatte. Er hatte ein Kompromiß geschlossen, indem er sich auf der Heimfahrt in Chicago einen schönen hellgrauen Filzhut kaufte, und ein rotgerändertes graues Seidentaschentuch riskiert, das seinem nüchternen Brustkasten einen gefälligen Anflug von Farbenfreudigkeit verlieh.

Aber er hatte, für diesen Tag, auf den großen Opalring mit den fast goldenen Schlangen verzichtet, den er einmal, unter dem Einfluß des Alkohols seinem Gelüst erliegend, in der Stadt Monarch erworben hatte.

Er marschierte wie eine Armee mit Fahnen, er redete wie eine Posaune, er gestikulierte weit ausholend mit seiner großen, gebleichten, dicken Hand; und seine Mutter, die in ihn eingehängt war, blickte in Ekstase zu ihm auf. Er führte sie in der Menge, leutselig wie ein Anwärter auf den Posten des Nachlaßrichters und hüllte sie in die Fransen seines Ruhms.

Zur Ordinierung waren vielleicht zweihundert baptistische Laien und Laiinnen und mindestens zweihundert kleine Kinder von den benachbarten Kirchengemeinden hergekommen, in Bockwagen, in Demokratenwagen und Einspännern. (Es war 1905; es gab noch keinen Ford näher als im Fort Scott.) Es waren anständige, freundliche, ehrbare Leute; Farmer, Grobschmiede und Schuster; Männer mit gegerbten, faltigen Gesichtern, die bügelfaltige »Sonntagsanzüge« anhatten; die Frauen, tiefbusig oder von der Arbeit eingeschrumpft, waren in sauberem Gingan. Nur ein Dorfbankier war da, sehr gesprächig und demokratisch, in einem neuen Drillichanzug. Sie bewegten sich im Kreis wie Vieh, der Staub reichte bis zu den Schnürsenkeln, und Staub hüllte sie ein, in der stillen Hitze, unter den staubigen Zweigen der Pappeln, von denen Schnitzelchen herabschwebten, auf dem groben Zeug ihrer Kleider haften blieben und dort glitzerten.

Sechs Prediger waren zusammengekommen, um dem Pfarrer von Paris bei seiner Zeremonie zu assistieren, und einer von ihnen war kein Geringerer, als der Rev. Dr. Ingle, der den ganzen Weg von St. Joe hergekommen war, wo er eine Sonntagsschule mit sechshundert Kindern haben sollte. Als junger Mann – sehr mager und beredt in einem Gehrock – hatte Dr. Ingle sechs Monate lang in Paris gepredigt, und Mrs. Gantry entsann sich seiner als ihres Lieblingsgeistlichen. Er war so freundlich zu ihr gewesen, als sie krank war; er war zu ihr gekommen, um »Ben Hur« vorzulesen und einem kleinen, untersetzten Elmer, der sich gern hinter Möbelstücken versteckte und mit Gemüseresten nach Besuchern warf, Geschichten zu erzählen,

»So, so, Bruder, das ist also das kleine Jungchen, das ich als Gelbschnabel kannte! Nun, Sie waren immer ein gutes kleines Bürschchen, und jetzt, höre ich, sollen Sie ein frommer junger Mann sein – und ausersehen, große Werke für den Herrn zu tun«, begrüßte Dr. Ingle Elmer.

»Danke schön, Doktor. Beten Sie für mich. Es ist eine Ehre für uns, daß Sie aus Ihrer großen Kirche hergekommen sind«, sagte Elmer.

»War gar keine Mühe für mich. Das liegt auf meinem Weg nach Colorado – ich hab' eine Hütte dort oben in den Bergen gemietet – prachtvolle Aussicht – Sonnenuntergänge – vom Herrn selbst gemalt. Meine Gemeinde ist so gut gewesen, mir zwei Monate Urlaub zu geben. Ich wollte, Sie könnten auf eine Zeitlang dort hinkommen, Bruder Elmer.«

»Ich wollte, ich könnte, Doktor, aber ich muß in aller Demut versuchen, die Feuer hier in der Gegend im Brennen zu erhalten.«

Mrs. Gantry keuchte. Daß ihr kleiner Junge sich mit Dr. Ingle unterhielt, als wären sie ganz gleich! Daß sie ihn wie einen Prediger reden hören konnte – als ob das ganz natürlich wäre! Und eines Tages – Elmer mit einer berühmten Kirche; mit einer Hütte in Colorado für den Sommer; verheiratet mit einer netten frommen kleinen Frau, mit einem halben Dutzend Kinder; und sie selbst eingeladen, den Sommer über mit ihnen zusammen zu sein; sie alle bei Familiengebeten kniend, von Elmer angeführt … obwohl Elmer es jetzt ablehnte, Familienandachten zu halten; er sagte, er hätte genug davon das ganze Jahr über im Seminar … zu bös, aber sie würde immer weiter schmeicheln … und wenn er nur endlich mit dem Rauchen aufhören würde, wie sie ihn bat und beschwor … na ja, wenn er gar keine Ungezogenheiten mehr hätte, wäre er vielleicht überhaupt nicht mehr ihr kleiner Junge … Wie hatte sie früher immer schimpfen müssen, um ihn dazu zu bringen, daß er sich die Hände wüsche und die netten Pulswärmer aus roter Wolle anlegte, die sie für ihn gestrickt hatte!

Nicht weniger befriedigend war für sie der Eindruck, den Elmer auf alle ihre Nachbarn machte. Charley Watley, der Anstreicher, Führer des Ezra P. Nickerson-»Postens«, der Bürgerkriegsveteranen von Paris, der immer an seinem weißen Schnurrbart gezogen und gegrunzt hatte, wenn sie ihm von Elmers verborgenen Heiligungskräften geredet hatte, nahm sie zur Seite und gestand ein: »Sie hatten recht, Schwester; er gibt einen schönen, aufrechten jungen Mann Gottes ab.«

Sie begegneten dem Stadtproblem, dem Apotheker Hank McVittie. Elmer und er waren Spielkameraden gewesen; gemeinsam hatten sie Mais gestohlen, schweren Apfelwein getrunken und Liebesgenüssen im Heu gefrönt. Hank war ein kleiner roter Mann mit mutwilligem und durchtriebenem Blick. Es war sicher, daß er heute nur gekommen war, um Elmer auszulachen.

Sie standen einander gegenüber, und Hank bemerkte: »Morgen, Mrs. Gantry. Na, Elmy, Prediger werden, was?«

»Jawohl, Hank.«

»Gern?« Hank grinste und kratzte sich mit seiner sommersprossigen Hand am Kinn; andere gottlose Pariser hörten zu.

Elmer rief: »Sehr gern, Hank. Mit vielen Freuden! Ich liebe die Wege des Herrn und will meinen Fuß nie auf andere setzen! Weil ich von der Frucht des Bösen gekostet habe, Hank – du weißt es. Und es ist nichts dran. Was für Spaß wir auch hatten, Hank, es war nichts im Vergleich zu dem Frieden und der Freude, die ich jetzt fühle. Du tust mir ein wenig leid, mein Junge.« Er strahlte Hank an und ließ seine Tatze schwer auf die Schulter des Apothekers fallen. »Warum versuchst du nicht, dich gut mit Gott zu stellen? Oder bist du vielleicht besser als er?«

»Ist mir noch nie eingefallen, so was zu behaupten!« fauchte Hank, und in dieser Ärgerlichkeit triumphierte Elmer, jubelte seine Mutter.

Es tat ihr leid, als sie sah, wie wenige Eddie Fislinger gratulierten, der sich mit ihnen im Kreise bewegte, aber mutterlos, unansehnlich, voll ängstlicher Verlegenheit vor der führenden Geistlichkeit.

Der alte Jewkins, ein demütiger, freundlicher alter Farmer, kam heran und murmelte: »Ich möchte Ihnen die Hand drücken, Bruder Elmer. Ich freu' mich sehr, daß ich sehen kann, daß Sie so gewählt haben und jetzt für das Werk des Herrn aufgehoben sind. Jemine! Wenn ich dran denk', daß ich mich noch an Sie erinnern kann, wie Sie so 'n Grashopser waren, der einem bis zum Knie gegangen ist! Sie studieren jetzt wohl 'ne ganze Menge von schrecklich gelehrten Büchern.«

»Man läßt uns tüchtig und angestrengt arbeiten, Bruder Jewkins. Man gibt uns ziemlich schwierige Sachen: Hermeneutik, Chrestomathie, Perikope, Exegese, Homiletik, Lithurgik, Isagogik, Griechisch, Hebräisch und Aramäisch, Hymnologie, Apologetik – ach, es reicht schon.«

»Wohl, wohl! Du meine Güte«, stöhnte der alte Jewkins verehrungsvoll, während Mrs. Gantry sich wunderte, daß Elmer noch gelehrter war, als sie gedacht hätte, und Elmer voll Stolz überlegte, daß er wirklich wußte, was alle diese Worte – bis auf einige – bedeuteten.

»Herr Jeses!« seufzte seine Mutter. »Du wirst ja so gebildet, daß ich, weiß Gott, mich bald nicht mehr trauen werd', mit dir zu reden!«

»O nein. Nie wird es eine Zeit geben, wo du und ich nicht die allerbesten Freunde sein werden, oder wo ich nicht die geistliche Hilfe deines Gebetes brauchen werde!« sagte Elmer in singendem Ton, mit kultiviertem, doch mannhaftem Lachen.

Sinclair Lewis: Die großen Romane

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