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Das Meeting, das den Höhepunkt der jährlichen Gebetswoche bildete – Rektor Quarles, vier Geistliche und ein reicher Kurator, ein Perlmutterknopf-Fabrikant, sollten sprechen, Judson Roberts war Star – wurde nicht in der Y.M.C.A. abgehalten, sondern im größten Raum der Stadt, in der Baptistenkirche, und Hunderte von Leuten aus der Stadt kamen außer den Studenten hin.

Die Kirche war ein braunes Sandstein-Stildurcheinander mit maurischen Spitzbögen und einem ungeheuren sternförmigen Fenster, in dem das gemalte Glas noch fehlte.

Elmer hoffte spät genug zu kommen, um unbemerkt hineinschleichen zu können, doch als seine Mutter und er bei dem romanischen Portal anlangten, standen noch Studenten draußen und plauderten. Er war sicher, daß sie flüsterten: »Da ist er – Höllenhund Gantry. Sagt mal, ist's wirklich wahr, daß er zerknirscht ist? Ich dachte immer, er hat mehr über die Kirche gelästert als sonst wer im College.«

So sanftmütig Elmer auch bei Jims Belehrungen, bei Eddies Drohungen und bei den Klagen seiner Mutter gewesen war, im allgemeinen wußte er wenig von Demut, und jetzt warf er seinen Kritikern trotzige Blicke zu. »Ich werd' ihnen schon zeigen! Wenn die glauben, daß ich mich hineinstehlen werd' –«

Er schritt hinunter fast bis zu der vordersten Bankreihe, zur Freude seiner Mutter, die gefürchtet hatte, er würde sich wie gewöhnlich im Hintergrund verbergen, in der Nähe des Ausgangs, für den Fall, daß der Prediger persönlich werden sollte.

Viel von der Dekoration in der Kirche hatte ein eifriger Alumne gestiftet, der in Alaska während des Goldtaumels mit Logierhäusern sein Glück gemacht hatte. Da gab es ägyptische Säulen mit vergoldeten Kapitälen, an der Decke waren goldene Sterne und Wolken, die mehr nach Wolle aussahen, als wollig waren, die Mauern waren munter in drei Farben ausgemalt – grün, wasserblau und khaki. Es war eine widerhallende, gähnende Kirche, jetzt war sie gesteckt voll, sogar in den Gängen stand man. Professoren mit gedrehten Schnurrbärten und Bibeln voller Eselsohren, Studenten in Sweatern und Flanellhemden, ernste junge Studentinnen in hausgemachtem Musselin mit bescheidenen Bändchen, übermäßig lächelnde alte Jungfern aus der Stadt, ehrwürdige Heilige aus dem Hinterland mit Bärten, die zum Teil verbargen, daß sie Kragen ohne Krawatten trugen, alte Frauen mit gebeugten Schultern, aufgeregte junge Ehepaare mit Scharen von Babies, die herumkrochen, rutschten, schrien und in verwirrter Verwunderung Baccalaureos anstarrten.

Fünf Minuten später hätte Elmer vorn keinen Sitzplatz mehr bekommen. Jetzt gab es kein Entrinnen für ihn. Er war zwischen seiner Mutter und einem schnaufenden dicken Mann eingekeilt, und im Gang neben seiner Bank standen pietistische Schneider und fromme Schullehrer.

Die Gemeinde stimmte »Wenn wir drüben aufgerufen werden« an, und Elmer gab seine wahnsinnigen und unausführbaren Fluchtpläne auf. Seine Mutter drängte sich glücklich an ihn, ihre Hand streichelte stolz seinen Ärmel; der kriegerische Marschrhythmus der Hymne rüttelte ihn auf:

Wenn die Trompete des Herrn wird erschall'n, und Ewigkeit bricht an,

Wenn der ew'ge Morgen dämmert, hell und schön …

Sie standen auf, um zu singen »Werden wir vereint am Strom?« Elmer begann undeutlich seine Gemeinschaft mit diesen demütigen, emporstrebenden Menschen zu fühlen – mit seinem eigenen Prärievolk: dieser hagere Zimmermann, ein guter Kerl, voll freundlichen Entgegenkommens; diese Bauernfrau, so tapfer, mit Runzeln von der schweren Arbeit; dieser Klassenkamerad, ein bewundernswerter Basketballspieler, der jetzt verklärt sang, den Kopf zurückgeworfen, die Augen geschlossen, mit klingender Stimme. Elmers eigene Leute. Konnte er sie verraten, konnte er dem Zug ihres vereinigten Glaubens und Sehnens widerstehen?

Ja, wir werden sein vereint am Strom,

Am schönen, am schönen Strom,

Vereint mit den Heiligen am Strom,

Der vorüberfließt an Gottes Thron.

Konnte er es ertragen, fern von ihnen zu sein, in der eisigen Leere von Jim Lefferts' Vernünfteln, an diesem Tag, da sie sich erfreuen sollten in dem warmen Morgensonnenschein beim Fluß, der zum unvergänglichen Thron rollte?

Und seine Stimme – die Worte der ersten Hymne hatte er bloß gemurmelt – dröhnte voll Freude:

Bald hat unsre Pilgerschaft ein End';

Bald werden unsre Herzen selig beben,

Wenn wir in ew'gem Frieden schweben.

Seine Mutter strich über seinen Ärmel. Es fiel ihm ein, daß sie seit jeher behauptete, er wäre der beste Sänger, den sie je gehört hätte; daß Jim Lefferts zugegeben hatte: »Allerdings, das kannst du, diesen Hymnenschleim klingen lassen, als ob's was heißen würde.« Er bemerkte, daß die Leute in der Nähe sich erfreut umsahen, als sie seine große Glocke über dem mißtönigen Plärren dominieren hörten.

Die Einleitungen bereiteten lediglich die Zuhörer für Judson Roberts vor. Old Jud war in Form. Er lachte, er schrie, er kniete und weinte echte Tränen, er liebte jedermann, er raste hinunter ins Auditorium und klopfte auf Schultern, und augenblicklich hatten alle das Gefühl, daß er ihnen näherstände als ihre nächsten Freunde.

»Er freuet sich daran, wie ein starker Mann an einem Wettlauf«, war sein Text.

Roberts war wirklich ein tüchtiger Athlet und verstand sich wirklich auf lebendige Gleichnisse. Er schilderte das Chikago-Michigan-Spiel; Elmer ging in ihm auf, erlebte mit ihm die Augenblicke des Ringens um den Ball, des langen Rennens mit dem Ball, während die Zuschauer aufspringen.

Robert's Stimme wurde sanft. Er predigte. Er spreche nicht, sagte er, zu schwachen Menschen, die in das Reich Gottes hineingehätschelt werden müßten, sondern zu starken Männern, zu wackeren Männern, zu waffenfrohen Männern. Es gebe eine andere Art des Wettlaufs, die begeisternder sei als jedes Spiel, und diese führe nicht bloß zu einem Markzeichen auf einem großen Anschlagbrett, sondern zur Erschaffung einer neuen Welt – sie führe nicht zu Zeitungsberichten, sondern zur ewigen Glorie. Gefährlich – starke Männer erfordernd! Begeisternd – voller Wonneschauer! Die Mannschaft, die von Christus geführt werde! Keinen ängstlichen Jesus predige er, sondern den Abenteurer, der sich voll Freude mit gemeinen Männern zusammengetan hätte, mit derben Fischern, mit Hauptleuten und Gouverneuren, der es gewagt hätte, den Soldaten im Garten die Stirn zu bieten, der den Myrmidonen Roms und dem Tode selbst getrotzt hätte! Kommet! Wer war tapfer? Wer hatte Mut? Wer sehnte sich nach reichem Leben? Lasset sie kommen!

Sie müßten ihre Sünden bekennen, sie müßten bereuen, sie müßten wissen, wie schwach sie ohne die Wiedergeburt in Christo seien. Aber sie dürften nicht in Schwäche, die sich den Himmel erschleichen wolle, bekennen, sondern im Training für den Kampf unter den sturmzerfetzten Bannern des allmächtigen Kapitäns. Wer wollte kommen? Wer wollte kommen? Wer war für Erschauung und für das Große Abenteuer?

Er war unter ihnen, Judson Roberts, mit ausgebreiteten Armen, mit einer Stimme wie eine Drommete. Junge Männer schluchzten und knieten, eine Frau kreischte; die Leute stießen die Stehenden in den Gängen mit den Ellbogen zur Seite und drängten sich nach vorne durch, um in gelähmter Seligkeit niederzuknien; und plötzlich fielen sie über einen kopflosen Elmer Gantry her, der sich in Selbstvergessenheit hatte locken lassen, in Sehnsucht, eins zu sein mit Judson Roberts.

Seine Mutter preßte seine Hand, bat: »Oh, willst du nicht kommen? Willst du nicht deine alte Mutter glücklich machen? Lern' doch die Freuden der Hingabe an Jesus kennen!« Sie weinte, ihre alten Augen zogen sich zusammen, und in ihrem Weinen waren alle Erinnerungen an dämmerige Wintermorgen, da sie ihn im Bett gelassen und ihm den Porridge über den eiskalten Flur gebracht hatte; an Winterabende, da er erwacht war und sie immer noch mit der Nadel in der Hand gesehen hatte; und an jene peinvolle, ängstigende Stunde, im Abgrund seiner ersten Erinnerungen, da er sie zusammengebrochen neben einem Sarg gesehen hatte, der etwas Kaltes, Unheimliches barg, etwas Rätselhaftes, das aussah wie sein Vater.

Der Basketballspieler klopfte ihm auf den anderen Arm, bat: »Guter alter Höllenhund, du hast dir nie Glücklichsein gegönnt! Du bist einsam gewesen! Sei glücklich mit uns! Du weißt, daß ich kein Schlappschwanz bin. Möchtest du nicht die Freuden des Heils mit uns kennenlernen?«

Ein fadendünner alter Mann, höchst würdig, ein Mann mit verschwiegenen Augen, die von Kämpfen und Bergtälern wußten, streckte seine Hände gegen Elmer, ihn mit einer Demut beschwörend, die ihn ganz aus der Fassung brachte: »Oh, kommen Sie, kommen Sie zu uns – stehen Sie nicht so da und lassen Sie Jesus bitten und bitten – lassen Sie Christus, der für uns am Kreuz gestorben ist, nicht vor der Tür stehen und bitten!«

Und, irgendwie, durch die Menge flitzend, war Judson Roberts bei Elmer, ihn vor der ganzen Menge auszeichnend, um seine Freundschaft flehend – Judson Roberts, der Prächtige, beschwörend:

»Wollen Sie mir weh tun, Elmer? Wollen Sie mich elend und geschlagen abziehen lassen, alter Freund? Wollen Sie mich verraten wie Judas, nachdem ich Ihnen meinen Jesus als die köstlichste Gabe geboten habe, die ich Ihnen bringen kann? Wollen Sie mir einen Schlag ins Gesicht geben, mir Schimpf antun und mich verletzen? Kommen Sie! Denken Sie an die Freude, die es sein wird, alle die garstigen kleinen Sünden los zu sein, deren Sie sich immer so geschämt haben! Wollen Sie nicht kommen und mit mir niederknien, wollen Sie nicht?«

Seine Mutter kreischte: »Willst du nicht, Elmer? Mit ihm und mit mir? Willst du uns nicht glücklich machen? Willst du nicht so groß sein, daß du die Angst verlierst? Schau, wie wir alle uns nach dir sehnen, für dich beten!«

»Ja!« rings um ihn, von Fremden; und: »Helfen Sie mir, Ihnen zu folgen, Bruder – ich werde gehen, wenn Sie gehen!« Ineinander verwobene Stimmen, dick, taubenweiß und erschreckend trauerschwarz und wie Blitze, umkreisten ihn und banden ihn – seiner Mutter Zureden, Judson Roberts Fordern –

Einen Augenblick sah er Jim Lefferts und hörte ihn sagen: »Na ja, freilich, natürlich glauben sie dran. Sie hypnotisieren sich selber. Aber laß du dich nicht von ihnen hypnotisieren!«

Er sah Jims Augen, die für ihn allein einen Schleier vor ihr hartes Strahlen legten, einsam wurden und um Kameradschaft baten. Er kämpfte; mit all der aufgeregten Verwirrtheit eines kleinen Jungen, den seine Eltern bearbeiten, erschrecken und überwältigen, verlangte er danach, ehrlich zu sein, Jim treu zu bleiben – sich selber und seinen guten ehrlichen Sünden treu zu bleiben, was für Strafen sie immer auch nach sich ziehen mochten. Dann wurden die Bilder von Stimmen verjagt, die sich über ihm schlossen wie die Brandung über einem erschöpften Schwimmer. Willenlos, voll Verwunderung über den Anblick, den er selbst als gefesselter Riese bot, wurde er vorwärts gedrängt, vorwärts gezwungen, an einem Arm seine Mutter, an dem andern Judson, eine begeisterte Menge hinterdrein.

Entsetzt. Elend … Ungetreu gegen Jim.

Doch als er zur Reihe kam, die vor dem ersten Kirchenstuhl kniete, hatte er einen Gedanken, der alles gutmachte. Ja! Er konnte beides haben! Er konnte Judson und seine Mutter behalten und doch sich Jims Achtung bewahren. Er brauchte nur Jim gleichfalls zu Jesus zu bringen, dann würden sie alle in Seligkeit beieinander sein!

Durch diese Entdeckung von allem Elend befreit, kniete er nieder, und plötzlich wurde seine Stimme laut im Bekenntnis, während die Schreie der Zuhörer, die Ausrufe Judsons und seiner Mutter ihn zu warmer Selbstanerkennung erhoben und es herrlich richtig erscheinen ließen, der mystischen Inbrunst nachzugeben.

Er hatte nur wenig zu tun mit dem, was er sagte. Das Wollen war nicht sein, sondern der Menge; die Phrasen waren nicht seine, sondern die der rührseligen Prediger und hysterischen Betenden, die er seit seiner frühesten Kindheit gehört hatte.

»O Gott, oh, ich habe gesündigt! Meine Sünden lasten schwer auf mir. Ich bin unwürdig deines Erbarmens! O Jesus, bitt für mich! Oh, laß dein Blut, das für mich vergossen worden ist, zu meinem Heile werden! O Gott, ich bereue aufrichtig meine schweren Sünden und sehne mich nach dem ewigen Frieden an deinem Busen!«

»Oh, lobe Gott,« aus der Menge, und »lobe seinen heiligen Namen! Danke Gott, danke Gott! Oh, hallelujah, Bruder, danke dem guten, liebevollen Gott!«

Er war überzeugt, daß er nie wieder Lust haben würde, zu saufen, lockeren Dirnen zu folgen, zu lästern; er hatte die Seligkeit der Errettung erfahren – ja, und die Seligkeit, das Zentrum des Interesses in der Menge zu sein.

Einige um ihn schlugen sich an die Stirn. Andere kreischten: »Herr, erbarme dich unser«, und eine Frau – er entsann sich ihrer als einer absonderlichen, verdrückten Hospitantin mit irren Augen, von der man nicht wußte, ob sie überhaupt Freunde hatte – lag ausgestreckt da, der Menschen vergessend, zuckend, mit verkrampften Gliedern, gerungenen Händen, rhythmisch keuchend. Doch Elmer war es, der Größte der Bekehrten, groß wie Judson Roberts, den alle Studenten und die meisten aus der Stadt für wichtig hielten, der sich selbst für wichtig hielt.

Seine Mutter rief: »Oh, das ist die glücklichste Stunde meines Lebens, Liebling! Das macht alles gut!«

Daß er imstande war, ihr solches Entzücken zu bereiten!

Judson packte Elmers Hand, er schrie: »Ich hätt' Sie gern in der Mannschaft in Chikago gehabt, aber ich freu' mich viel mehr, Sie bei mir in Christi Mannschaft zu haben! Wenn Sie wüßten, wie stolz ich bin!«

Auf diese Weise für immer mit Judson verbunden zu sein!

Elmers Verwirrung ging allmählich in eine robuste Selbstzufriedenheit über.

Dann umringten ihn die anderen, schüttelten ihm die Hand, gratulierten ihm: der Fußballzenter, der Lateinprofessor, der Kaufmann aus der Stadt. Rektor Quarles, dessen Fliege vibrierte, dessen rasierte Oberlippe von einer Seite zur andern zuckte, drängte: »Kommen Sie, Bruder Elmer, treten Sie auf die Tribüne und sagen Sie uns ein paar Worte, Sie müssen – wir alle brauchen es wir sind begeistert von Ihrem herrlichen Beispiel!«

Elmer wußte nicht recht, wie er durch die Bekehrten und über die Stufen zur Tribüne hinaufkam. Später nahm er an, daß Judson Roberts tüchtige trainierte Rempelarbeit geleistet hatte.

Er sah hinunter, ein wenig von seiner Furcht kam wieder. Doch man schluchzte vor Zärtlichkeit für ihn. Der Elmer Gantry, der jahrelang vorgegeben hatte, daß es ihm eine Wonne wäre, das ganze College zu Feinden zu haben, hatte sich in diesen selben Jahren nach Popularität gesehnt. Er hatte sie jetzt – Popularität, fast Liebe, fast Verehrung, und hingerissen fühlte er sich in seiner Rolle als Führender.

Er wurde zu noch flammenderem Bekenntnis erregt.

»Oh, zum ersten Male lerne ich den Frieden Gottes kennen! Nichts, was ich bisher getan habe, ist recht gewesen, weil es nicht zum Weg und zu der Wahrheit führte! Ich dachte, ich wäre ein gutes Mitglied der Kirchengemeinde, aber die ganze Zeit hatte ich nicht das wahre Licht gesehen. Ich habe nie den Willen gehabt, niederzuknien und zu bekennen, daß ich ein elender Sünder bin. Doch jetzt knie ich, und, oh, welche Seligkeit in der Erniedrigung!«

Um ganz genau zu sein: er kniete gar nicht; er stand aufrecht da, sehr groß und breit, mit ausladenden Handbewegungen; und wiewohl, was er empfand, die Seligkeit der Erniedrigung sein mochte, hörte es sich ebenso an, wie wenn er verkündete daß er imstande wäre, jedermann in jeder beliebigen Kneipe zu vertrimmen. Doch er wurde mit emporlodernden Hallelujahs begrüßt und schrie weiter, bis er rasend und ganz schweißnaß war:

»Kommet! Kommet jetzt zu ihm! Oh, es ist merkwürdig, daß ich, der ich ein so großer Sünder gewesen bin, es wagen sollte, euch in Seinem Namen einzuladen, aber Er ist allmächtig und wird den Sieg davontragen, und Er läßt uns Seine gute Botschaft durch den Mund von Kindern und Säuglingen und den Allerunwürdigsten zukommen, und, siehe, die Starken werden verdammt werden, und die Schwachen vor sein Antlitz erhoben!«

Alles das, die lichtvollen Phrasen waren den Zuhörern ebenso vertraut wie »guten Morgen« oder »wie geht's«, doch er mußte neue Gewalt hineingelegt haben, denn statt über die Frische seines Eifers zu lächeln, blickten sie ihn ernsthaft an, und plötzlich schaute man ein Wunder.

Zehn Minuten nach seiner eigenen Erweckung machte Elmer seine erste Bekehrung.

Ein pickliger junger Mensch, schon lange als Spielhöllen-Schlepper bekannt, sprang auf, sein unsauberes Gesicht arbeitete, er kreischte: »O Gott, vergib mir!« drängte sich rasend durch die Menge, lief zum Armensünderbänkchen, lag dort, mit epileptisch schäumendem Mund.

Dann stiegen die Hallelujahs auf, bis Elmers schneller und schneller werdendes Predigen darin ertrank, dann stand Judson Roberts da, mit seinem Arm um Elmers Schulter, dann kniete Elmers Mutter mit einem paradiesischen Leuchten auf dem Gesicht nieder, und sie schlossen das Meeting, indem sie mit wahnsinnigem Dröhnen sangen:

Näher ziehe mich, o Herr,

An dein köstlich Wundenmal.

Elmer fühlte sich als Sieger über das Leben und König der Rechtfertigung.

Aber nur die Eifrigen, die Leute, die früh gekommen waren und die Vordersitze eingenommen hatten, hatte er in seiner freudigen Begeisterung gesehen. Die Studenten, die im Hintergrund der Kirche geblieben waren, standen jetzt vor dem Tor in murmelnden Gruppen herum, und als Elmer mit seiner Mutter an ihnen vorüberkam, glotzten sie, sie kicherten sogar, und plötzlich war ihm kalt …

Es war schwer, den ganzen Weg zum Logierhaus auf das Freudengewinsel seiner Mutter zu hören.

»Daß du mir nur ja nicht daran denkst, früh aufzustehen und mich zum Zug zu bringen«, beharrte sie. »Ich hab' nicht mehr zu tun, als meine kleine Tasche über die Straße zu tragen. Du wirst deinen Schlaf brauchen, nach der ganzen Aufregung, die du heute abend gehabt hast – ich war so stolz – ich hab' nie einen gekannt, der wirklich mit dem Herrn gerungen hat wie du. Ach, Elmy, wirst du fest bleiben? Du hast deine alte Mutter so glücklich gemacht! Mein ganzes Leben lang hab' ich mir Sorge gemacht, ich hab' gewartet, ich hab' gebetet, und jetzt werd' ich mir nie wieder Sorgen machen! Ach, du wirst fest bleiben?«

Er warf den letzten Rest seiner Gefühlsreserve in ein klingendes »Da kannst du dich drauf verlassen, Ma!« und gab ihr einen Gutenachtkuß.

Nichts mehr von Rührung war in ihm, das ihm auf seinem einsamen Weg hätte helfen können, in einer kalten, realistischen Nacht, durch eine Straße, die nicht von schimmernden Säulen, sondern von traurigen Hütten inmitten des eiskalten Schnees gesäumt war, unfreundlich unter den erbarmungslosen Sternen.

Sein Plan, Jim Lefferts zu retten, seine Vision von einem Jim mit ehrfürchtigen und gottseligen Augen wandelte sich in eine Vision von einem Jim mit Augen voller Wut, der eine Menge zu sagen hatte. Mit dem Verschwinden jener Vision verschwand seine eigene Glorie.

»War ich«, überlegte er, »ganz einfach ein aufgelegter verdammter Trottel?

»Jim hat mich gewarnt und mir gesagt, wenn sie mich erwischen, werd' ich den Kopf verlieren.

»Jetzt werd' ich wohl nicht einmal mehr rauchen können, ohne in die Hölle zu kommen.«

Aber er wollte rauchen. Gerade jetzt!

Er rauchte.

Es tröstete ihn nur wenig, während er sich weiter ärgerte:

»Es war aber kein Schwindel dabei! Ich hab' wirklich alle diese verdammten blödsinnigen Sünden bereut. Und auch das Rauchen – ich werd' damit Schluß machen. Ich hab's gefühlt, das – den Frieden Gottes.

»Aber werd' ich auch dabei bleiben können? Herr Jesus! Ich kann's nicht! Nie einen Schluck trinken, oder sonst was –

»Ich möcht' wissen, ob der Heilige Geist wirklich da war und über mich gekommen ist? Mir war ganz anders! Wahrhaftig! Oder war das nur, weil Judson und Ma und alle diese Heiligen solchen Krach gemacht haben –

»Jud Roberts hat mich in die Sache hereingefoppt. Mit der ganzen großen Brudersache. Wahrscheinlich macht er die Tour überall wo er hinkommt. Jim wird behaupten, ich – ach, zum Teufel mit Jim auch! Ich hab' doch noch gewisse Rechte! Geht ihn gar nichts an, wenn ich meinen Glauben bekenn' und das einzig Richtige mach'! Und sie haben zu mir aufgesehen, wie ich sie eingeladen hab'! Blendend fein ist es gegangen! Und der Kaffer ist richtig raufgekommen und gerettet worden. Verflucht wenige haben so schnell nach ihrer eigenen Bekehrung eine Bekehrung hingelegt wie ich! Moody vielleicht, oder überhaupt keiner! Das ist bestimmt ein neuer Rekord! Jawohl, vielleicht haben sie recht. Vielleicht hat der Herr irgend 'ne großartige Verwendung für mich, obwohl ich nicht immer ganz so gewesen bin, wie ich hätte sein können … In manchen Dingen … Aber ich war nie gemein oder schlecht oder irgend so was wie … Ich hab' mich nur unterhalten.«

»Jim – was für ein Recht hat er denn, mir zu sagen, wohin ich gehen soll? Das Malheur mit ihm ist, daß er glaubt, er weiß alles. Ich glaub', die gescheiten alten Bonzen, die alle die Bücher über die Bibel geschrieben haben, ich glaub', die werden doch noch bißchen mehr wissen als 'n superkluger Kansas-Agnostiker!«

»Jawohl! Alle miteinander! Angeschaut haben sie mich, als ob ich 'n amerikanischer Champion-Prediger wär'!«

»Wär' gar nicht so schlecht, Prediger zu sein, wenn man 'ne große Kirche hat und – viel leichter als an Prozessen herumzupopeln und sie 'ner Jury übergeben zu müssen, und dann kann 'n anderer Anwalt geschickter sein als man selber.«

»Die Leute müssen fressen, was man ihnen von der Kanzel sagt, da gibt's keine Widerreden oder Kreuzverhöre!«

Ein zweites Mal lachte er, aber:

»Nicht hübsch, so zu reden. Auch wenn einer nicht selber tut, was recht ist, so ist das noch keine Entschuldigung dafür, Leute auszulachen, die 's tun, wie Prediger … Da liegt bei Jim der Fehler.«

»Ich bin nicht würdig, Prediger zu sein. Aber wenn Jim Lefferts auch nur eine einzige Sekunde meint, daß ich Angst davor hab', Prediger zu werden, weil er 'ne Menge Blödsinn daherredet – ich glaub', ich weiß am besten, wie mir war, wie ich aufgestanden bin und die ganzen Leute gerufen und sich gefreut haben – ich glaub', ich weiß am besten, ob ich 'ne Erweckung durchgemacht hab' oder nicht! Und ich brauch' auch gar keinen James Blaine Lefferts, der mir das sagt!«

So ging es eine ganze Stunde auf dem erschöpfenden Weg weiter; bald war ihm kälter vom Zweifeln als vom Präriewind, bald gewann er sich wieder ein wenig von der Verzückung seines geistlichen Abenteuers wieder, aber immer hatte er vor Augen, daß er einem unerbittlichen Jim Rede stehen müßte.

Sinclair Lewis: Die großen Romane

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