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Am nächsten Vormittag besichtigte sie das Rathaus. Sie hatte es nur als etwas düster Unansehnliches im Gedächtnis. Sie fand, einen halben Block von der Hauptstraße entfernt, einen leberfarbenen Hühnerstall. Die Front war eine langweilige Mauer mit Schindeln und schmutzigen Fenstern. Das Gebäude hatte ungehemmte Aussicht auf eine unbebaute Parzelle und auf Nat Hicks Schneiderwerkstatt. Es war größer als die Zimmermannswerkstatt daneben, aber nicht so gut gebaut.

Kein Mensch war in der Nähe. Sie ging in den Korridor. Dieser hatte auf der einen Seite das Stadtgericht, das wie eine Landschule aussah, auf der anderen den Raum der freiwilligen Feuerwehrgesellschaft mit einem Fordschen Spritzenauto und den Prunkhelmen für die Paraden; am Ende ein schmutziges Zweizellengefängnis, das jetzt leer war, aber nach Ammoniak und altem Schweiß roch. Das ganze zweite Stockwerk war von einem großen unvollendeten Raum eingenommen, in dem Stapel von Klappstühlen, eine kalkverschmierte Mörteltrage und das Gestell für die Dekoration am 4. Juli herumlagen, alles unter zerfallenden Gipswappenschildern und verschossenem roten, weißen und blauen Fahnentuch. Am Ende des Raums befand sich das Rudiment einer Bühne. Der Saal war groß genug für die Gesellschaftstänze, die Frau Nat Hicks befürwortete. Aber Carola war auf etwas Größeres als Bälle aus.

Am Nachmittag suchte sie die städtische Bibliothek auf.

Die Bibliothek war an drei Nachmittagen und vier Abenden in der Woche geöffnet. Sie war in einem alten Wohnhaus untergebracht, das seinen Zweck erfüllte, aber reizlos war. Carola ertappte sich dabei, daß sie sich schönere Leseräume, Stühle für Kinder, eine Kunstsammlung und eine Bibliothekarin ausmalte, die jung genug war, um Experimente zu machen.

Sie schüttelte den Kopf, als wollte sie Wassertropfen abschütteln, und eilte in die Bibliothek. Fräulein Villets starrte sie an, und Carola schnurrte: »Es hat mir so leid getan, daß ich Sie gestern im Thanatopsis nicht gesehen habe. Vida sagte, Sie würden vielleicht kommen.«

»Oh. Sie waren im Thanatopsis. Hat es Ihnen gefallen?«

»Ja, sehr. So gute Vorträge über Dichter.« Carola log energisch. »Aber ich meine, man hätte Sie einen der Vorträge über Lyrik halten lassen sollen!«

»Also – Natürlich gehör' ich nicht zu den Leuten, die so viel Zeit zu haben scheinen und in den Klub laufen, und wenn sie sich lieber literarische Vorträge von anderen Damen halten lassen wollen, die übrigens keine literarische Vorbildung haben – warum sollte ich schließlich darüber klagen? Ich bin nichts weiter als eine städtische Angestellte!«

»Das ist nicht richtig! Sie sind die einzige Person, die – die – ach, Sie tun doch so viel. Sagen Sie, gibt es, äh – Wer leitet eigentlich den Klub?«

Fräulein Villets stempelte mit Schwung ein Datum auf die erste Seite einer Kinderzeitschrift für einen kleinen flachsblonden Jungen, warf ihm einen grimmigen Blick zu, als wollte sie ihm eine Warnung ins Hirn stempeln, und seufzte:

»Ich würde mich nie in den Vordergrund schieben oder irgend jemand kritisieren, und Vida gehört zu meinen besten Freundinnen, und sie ist eine so ausgezeichnete Lehrerin, und es gibt in der ganzen Stadt keinen Menschen, der fortgeschrittener wäre und sich für alle Bewegungen mehr interessierte; aber ich muß sagen, ganz egal, wer die Präsidentin ist, und aus wem die Ausschüsse bestehen, Vida Sherwin scheint immer dahinter zu stecken, und obwohl sie mir immer etwas von meiner, wie sie so gerne sagt, ›prächtigen Arbeit in der Bibliothek‹ erzählt, merk' ich nicht, daß ich grade oft zu Vorträgen aufgefordert werde, obwohl mir Frau Lyman Cass einmal ganz unaufgefordert gesagt hat, daß sie meinen Vortrag »Die Kathedralen Englands« für den interessantesten Vortrag hält, den wir gehabt haben, damals in dem Jahr, wie wir französische und englische Reisen und Architektur durchgenommen haben. Aber – Und natürlich sind Frau Mott und Frau Warren sehr wichtig im Klub, wie ja von den Frauen des Schulinspektors und des Kongregationalisten-Pastors zu erwarten ist, und sie sind beide auch wirklich sehr gebildet, aber – Nein, nein, ich bin wirklich ganz unwichtig. Ich bin sicher, was ich sage, zählt nicht ein bißchen mit!«

»Sie sind viel zu bescheiden, und das werde ich auch Vida sagen, und, äh, könnten Sie mir ein ganz klein wenig von Ihrer Zeit schenken und mir zeigen, wo die Zeitschriften sind?«

Sie hatte gesiegt. Sie wurde mit großem Brimborium in ein Zimmer, das wie eine großmütterliche Bodenkammer aussah, geführt, wo sie Zeitschriften über Innendekoration und Städtebau und sechs Jahrgänge der »National Geographic« fand. Fräulein Villets ließ sie angenehmerweise allein. Trällernd, mit entzückten Fingern umblätternd, saß Carola mit gekreuzten Beinen auf dem Boden, von Zeitschriftenhaufen umgeben.

Sie fand Bilder von neuenglischen Straßen: die würdevolle Pracht von Falmouth, die Reize Concords, Stockbridges, Farmingtons und der Hillhouse Avenue. Die Märchenbuchvorstadt von Forest Hills auf Long Island. Villen in Devonshire, Herrenhäuser in Essex, eine Yorkshirer Straße und Port Sunlight. Das Araberdorf Djeddah – ein kunstvoll verziertes Schmuckkästchen. Eine Stadt in Kalifornien, die sich aus einer Hauptstraße mit Ziegelmauern und schäbigen Bretterbuden in einen schönen Ort mit Laubengängen und Gärten verwandelt hatte.

Sie zauberte rasch aus einer drahtumzäunten Kartoffelanpflanzung einen Rosengarten zwischen schönen Mauern. Sie eilte davon, um Frau Leonard Warren, der Präsidentin des Thanatopsis, von diesem Wunder, das sie zustande gebracht hatte, zu berichten.

Sinclair Lewis: Die großen Romane

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