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Zuviel Stolz

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Der Mann mit den Narben setzte sich an einen der hinteren Tische in der Nähe des Kamins; von dort aus konnte er den ganzen Raum im Auge behalten. Nachdenklich, fast staunend, ließ er den Blick durch den Raum schweifen.

„Was darf´s sein?“ fragte ihn Jerusha. Der Mann blickte zu ihr hoch, ohne sofort zu antworten, und das Licht der Flammen fing sich in seinen goldbraunen Augen. Freundliche Augen waren es, sie wirkten nicht so hart und abschätzend wie die der Kerle am Tisch daneben. Und immerhin war der Ausschnitt von Jerushas Mieder nicht das erste, was der Neuankömmling musterte – eine nette Abwechslung an diesem Abend.

„Etwas zu Essen, bitte. Was ihr gerade im Haus habt. Und ein Gewürzbier“, sagte er.

„Ach, das ist lustig, ich mag Gewürzbier auch“, entfuhr es Jerusha, und sofort war es ihr peinlich. Was interessierten diesen Mann die Vorlieben seiner Bedienung? Doch er nickte nur, und ein kleines Lächeln schlich sich auf sein Gesicht. Dieses Lächeln gefiel Jerusha, es machte sie zu Komplizen.

„Kommt sofort“, sagte Jerusha und bewegte sich auf einem Zickzackkurs in Richtung Küche, um die Tische und die nach ihr grabschenden Hände herum. Ihr war schwindelig vor Hunger. Wie spät war es eigentlich? Wann schloss dieses verfluchte Gasthaus endlich? Und wann waren die Bediensteten endlich dran mit ihrer Mahlzeit? Im Kessel war nicht mehr viel drin, verdammt, womöglich bekam sie gar nichts mehr davon ab! Dann sah´s nach trockenem Brot aus.

Vorsichtig trug sie einen Teller mit dem Lammeintopf und das Gewürzbier zu dem hinteren Tisch, doch als sie beides vor den Mann stellen wollte, wurde ihr wieder schwindelig, und sie setzte den Teller härter ab, als sie beabsichtigt hatte. Prompt schwappte er über. Jetzt wären eigentlich wortreiche Entschuldigungen fällig gewesen, sie hätte in die Küche rennen müssen, um einen Lappen zu holen. Doch einen Moment lang konnte Jerusha einfach nur auf diese braune Lache starren, ihr Kopf war vollkommen leer und ihr Körper wollte einfach nicht mehr gehorchen.

„Was ist los?“ Die ruhige Stimme des Fremden.

„Ich –“, Jerusha stockte.

„Krank? Nein, Ihr habt Hunger, stimmt´s? Kommt, setzt Euch. Der Eintopf reicht für zwei.“

Jerusha fühlte sich so schwach, dass sie einfach gehorchte und sich auf den Stuhl neben dem Fremden sinken ließ. Er schob ihr den Teller zu, ohne auf die verschüttete Suppe zu achten, und drückte ihr den Löffel in die Hand. War das ein Traum? Egal. Jerusha begann zu essen, und das Lamm schmeckte himmlisch, zart und würzig.

„He, was soll das denn?“ Die entgeisterte Stimme des Wirts. Wahrscheinlich konnte er nicht fassen, dass seine Magd einem Gast die Suppe wegaß. Jerusha konnte ihn gut verstehen. Sie selbst konnte es auch noch nicht recht glauben.

„Diese Dame leistet mir ein wenig Gesellschaft“, sagte der Fremde. „Ihr habt doch sicher nichts dagegen?“

Der Wirt stutzte, und plötzlich hellte sich sein Gesicht auf. „Natürlich nicht“, sagte er mit einer schnellen Verbeugung, und nun war er es, der hin- und hereilte, um die anderen Gäste zu bedienen.

Jerusha verging der Appetit. Lief das so? Hatte sie gerade irgendetwas zugestimmt? Erwartete der Kerl, dass sie nachher mit ihm aufs Zimmer kam? Schließlich hatte auch er gesehen, wie sie gekleidet war.

Sie wandte sich dem Mann zu, suchte nach Worten. „Nur damit es klar ist... ich bin keine, äh –“

„Keine Sorge“, sagte der Mann ruhig. „Alles ohne Bedingungen. Einfach nur ein Geschenk. Ich weiß, wie das ist, wenn man Hunger hat.“

Verlegen merkte Jerusha, dass sie mehr als die Hälfte des Tellers geleert hatte. Sie legte den Löffel hin und schob den Eintopf zurück. „Danke. Das hat mich gerettet.“

Wieder dieses kleine Lächeln. „Sonnig. Dann kann es mich wohl auch noch retten.“

Ohne Umstände nahm er den Löffel zurück, und innerhalb kürzester Zeit war der Rest der Suppe verschwunden.

„Keine Sorge, ich verlange jetzt nicht auch noch, dass Ihr mit mir das Gewürzbier teilt.“ Jetzt, mit etwas im Magen, war Jerusha wieder nach Scherzen zumute. Eigentlich hätte sie aufstehen müssen, doch es war schöner, neben diesem eigenartigen Mann sitzen zu bleiben. Er strahlte Gelassenheit aus, und Kraft. Aus irgendeinem Grund vermutete sie, dass er ein Earel war – Oberhaupt eines Clans – doch er trug keine Insignien, die das bestätigten.

„Ihr habt doch sowieso nichts verlangt“, sagte der Fremde. „Ich glaube, Ihr leidet an der gleichen Krankheit wie ich – zuviel Stolz.“ Wieder richteten sich seine goldbraunen Augen auf sie, und ihr fiel auf, dass etwas an ihnen eigenartig war. Es war, als blickten seine Augen sie nicht nur an... sondern in sie hinein.

„Ja“, sagte Jerusha, und diesmal war sie es, die lächelte. „Ich glaube, das stimmt.“

Sie stand auf. Ihre Arbeit war noch nicht beendet. Doch es gab etwas, das sie zuvor unbedingt wissen wollte. „Wie heißt Ihr?“

„Kiéran, aus dem Clan SaJintar. Und Ihr?“

„Jerusha KiTenaro.“

Der Name seines Clans kam ihr vage bekannt vor. Aus Benaris und Kalamanca stammte er nicht. Womöglich aus Yantosi? Jerusha wusste nicht viel über dieses Fürstentum, nur, dass es dicht bewaldet und von Schluchten und Seen durchzogen war; angeblich bedeute Yantosi in einer alten Sprache einfach nur Tiefwald. Oder kam er aus dem Küstenreich Larangva? Wie ein Khelgarder sah Kiéran nicht aus, die Männer aus den Bergen waren gedrungener, nicht so groß und schmal wie er.

Wieso interessiert dich das eigentlich? forderte Jerusha sich heraus. Er ist ein Gast wie jeder andere. Morgen wird er abreisen, und du siehst ihn nie wieder. Doch als sie wieder an die Arbeit ging, wollte das Lächeln nicht mehr von ihrem Gesicht weichen. Es hatte gut getan, nicht wie eine Magd behandelt zu werden. Nicht mal geduzt hatte er sie.

Den Rest des Abends behielt Jerusha Kiéran unauffällig im Auge. Er saß noch eine Weile in der Gaststube, bestellte aber nichts mehr; dann sprach er kurz mit dem Wirt, schulterte sein Gepäck und ging langsam die Treppe hoch zu den Kammern, immer eine Hand am Holzgeländer. Also übernachtete er hier. Wer er wohl war? Ein Händler? Ein Bote? Ein Söldner?

Mit einem Seufzer der Erleichterung hörte Jerusha schließlich, dass der Wirt die letzte Runde ausrief. Kurz darauf war die Gaststube leer, und Jerusha schnappte sich einen Besen, um den Boden noch ein letztes Mal an diesem Abend zu fegen. Doch als sie aufblickte, sah sie, dass der Wirt vor ihr stand. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt, und sein Blick kündigte Unheil an. „So, Mädel, und jetzt erklärst du mir mal, was hier vorgeht. Wieso bist du nicht mit dem Kerl hochgegangen? Erst lässt du dich von ihm einladen, und dann lässt du ihn sitzen. Ganz arm war der sicher nicht, da ist uns ordentlich Geld durch die Lappen gegangen!“

Erst konnte Jerusha es nicht glauben, dann stieg heftiger Zorn in ihr auf. Sie schleuderte den Besen in eine Ecke. „Ich höre wohl nicht Recht! Wenn ich gewusst hätte, was für ein widerlicher Wurm Ihr seid, hätte ich einen weiten Bogen um dieses Rattenloch von einer Schänke gemacht!“

Immerhin, er blickte erschrocken drein. Jerusha stürmte nach oben, um sich die geliehene Kleidung vom Leib zu reißen und ihre eigenen Sachen anzuziehen. Atemlos vor Wut packte sie die Satteltaschen und rannte wieder herunter, um Amadera zu holen. Hoffentlich hatte die wenigstens ein bisschen Hafer bekommen, sonst hatte Jerusha den ganzen Tag lang buchstäblich umsonst geschuftet!

Amadera döste zufrieden in ihrer Box, ein Heuhalm hing ihr aus dem Maul und in einem Eimer war noch ein Rest Getreide. Die Stute spitzte erstaunt die Ohren als ihre Herrin in den Stall gestürmt kam, und fegte ein paar Mal irritiert mit dem Schweif. Jerusha hatte schon herausgefunden, dass ihr Pferd es hasste, wenn jemand fahrig oder nervös mit ihm umging. Also zwang sie sich zur Ruhe, und zum Dank ließ sich Amadera geduldig satteln und in den Hof führen.

Kurz darauf war Jerusha wieder unterwegs.

Um diese Uhrzeit war niemand mehr auf der Straße, den sie fragen konnte, welcher Weg nach Tholus der beste war. Immerhin, sie wusste, dass sie jetzt nach Westen abschwenken musste, um nicht bis an die Grenze zu Thoram gelangen. Auf ihrer Karte stand nur Wald von Sharedor.

„Das wird dir gefallen, mal wieder ein Wald“, sagte sie ins Nichts – sie hatte keine Ahnung, ob Grísho gerade in der Nähe war. Doch es kam keine Antwort.

Nachtlilien

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