Читать книгу Nachtlilien - Siri Lindberg - Страница 30
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ОглавлениеDas Abendessen bestand aus Sauerlauchsuppe und Quellwasser. Kiéran war zufrieden damit. Er genoss die Wärme des unsichtbaren Feuers auf seinem Gesicht und wunderte sich darüber, wie ausgeglichen er sich fühlte, ausgerechnet im Wald von Sharedor. Konnte es daran liegen, dass er wieder unterwegs war? Er mochte das Reisen, es war ein wichtiger Teil seines Lebens. Oder lag es an ihr, an Jerusha? Ja, auch das. Sogar zu einem sehr großen Teil.
Xatos´ Rache, du wirst dich in Schwierigkeiten bringen, wenn du sie noch näher an dich heranlässt, dachte er. Bisher hatte er nur schlechte Erfahrungen mit käuflichen Mädchen gemacht. Es gab einige von ihnen, auch sehr hübsche, die sich gezielt an die Terak Denar heranmachten – weil der legendäre Ruf der Kämpfer sie anzog, aber auch, weil Fürst AoWesta seine Elitetruppe gut entlohnte. Kiéran hatte diesen Mädchen verboten, sich den Leuten seiner Escadron vor einem Gefecht zu nähern. Was seine Leute nach den Kämpfen taten – nun, das war ihre eigene Sache.
Er selbst hatte ein einziges Mal der Versuchung nachgegeben, den Namen des Mädchens hatte er längst vergessen. Natürlich bekam Santiago Wind davon und prompt hatte es Streit gegeben. „Warum bei allen Göttern hast du das gemacht? Das ist doch abstoßend – ich hätte nicht gedacht, dass auch du so mit Frauen umgehst wie die anderen!“ Santiago selbst war schwer verliebt in ein Mädchen aus seinem Heimatdorf und schrieb ihm lange poetische Briefe; er ließ sich nicht davon beirren, dass sich die anderen Terak Denar über ihn lustig machten.
„Zumindest habe ich dafür gebüßt“, hatte Kiéran nur gesagt. Die schöne Fremde hatte einen juwelenbesetzten Dolch mitgehen lassen, den ihm Fürst Eli Naír geschenkt hatte.
Doch Jerusha war ganz anders; sie hatte nichts von diesen Mädchen an sich. Und es schien sie kaum zu interessieren, dass er ein Terak Denar war. Er wurde immer neugieriger auf sie.
Gemeinsam saßen sie vor dem Feuer, keine Armlänge voneinander entfernt. Wieder einmal teilen wir etwas, dachte Kiéran und fühlte sich seltsam berührt davon.
„Du kommst aus Kalamanca, nicht wahr?“ sagte er. „Vermisst du deine Familie?“
Sie erzählte von ihrer Schwester Liri, ihrer Mutter, den Menschen aus dem Ort, in dem sie lebte. Nur ob es dort einen Mann gab, der ihr etwas bedeutete, sagte sie nicht.
„Kalamanca ist das einzige Fürstentum Ouendas, in dem ich noch nicht gelebt habe“, erzählte Kiéran schließlich, und wunderte sich darüber, wieso ihre Aura so strahlend hell aufleuchtete.
„Tatsächlich? Für mich ist das die allererste Reise. Wo warst du denn überall?“
Aha, Fernweh! „Geboren worden bin ich in Thoram; mein Vater war damals als offizieller Abgesandter Yantosis dort.“
„In Thoram?!“
Kiéran nickte und zog eine Grimasse. „Mitten im Feindesland. Auch damals war es schon ziemlich schlimm dort, und Fürst Ceruscan ließ meinen Vater bis zum letzten Moment die Verhandlungen vor Ort führen. Nach zwei Jahresläufen mussten meine Eltern schließlich mit mir fliehen, sonst wären wir wahrscheinlich im Kerker von Wardak Maharir gelandet, Cerdus Maharirs´ Vater.“
„Kannst du dich an die Flucht noch erinnern?“
„Ganz dunkel. Sie haben versucht, es mir als großes Abenteuer zu verkaufen. Aber schon damals wusste ich, dass irgendwas nicht stimmte. Um ein Haar hätte ich im entscheidenden Moment losgeplärrt.“
„Aber du hast es nicht gemacht.“
„Weil meine Mutter mir eine Zuckerstange in den Mund gesteckt hat.“
Jerusha musste lachen. „Immerhin, das mit dem Losplärren würde dir heute nicht mehr passieren.“
„Aber Zuckerstangen mag ich immer noch“, sagte Kiéran und grinste. „Als nächstes wurde mein Vater nach Elisondo geschickt, ins Land der Blauen Wolken. Weißt du, wo das ist?“
Zu seinem Erstaunen nickte Jerusha. „Ja, in der Dorfschule hatten wir einen guten Lehrer. Elisondo liegt weit im Süden, jenseits des Meeres. Stimmt es, dass dort die wilden Tiere so zahm sind, dass man sie streicheln kann? Dass es zwar Besitz gibt, aber jeder über alles verfügen darf?“
Kiéran nickte und erinnerte sich daran, wie unbeschwert er damals alles ausgeliehen hatte, was er gerade zum Spielen haben wollte. Vom Reitpony bis zum Kochtopf. Wie der Kodex des Gemeinsamen Nutzens wirklich funktionierte, hatte er erst nach und nach gelernt. „Das mit den Tieren stimmt. Weil das Leben jeden Wesens in Elisondo als heilig gilt, haben die Tiere keinen Grund, scheu zu sein. Aber das mit dem Besitz begann sich schon damals ällmählich zu ändern.“
„Wie schade. Und wo warst du dann?“
„In Larangva und dann kurz in Khelgardsland, bis mein Vater wieder an den Fürstenhof von Yantosi zurückgerufen wurde“, sagte Kiéran. Doch er achtete kaum darauf, was er sagte. Irgendetwas Seltsames geschah plötzlich, und all seine Sinne schrien Alarm. Um die Stelle herum, an der er das Feuer vermutete, tanzte ein silbriger Schatten. Er bildete Formen, die nicht zufällig aussahen, und manchmal wirkten sie sogar wie die Parodie einer menschlichen Gestalt. Was bei allen Göttern konnte das sein?
„Was ist?“ flüsterte Jerusha.
„Ich weiß es nicht genau. Siehst du irgendetwas Ungewöhnliches um das Feuer herum?“
„Nein, nichts. Und was siehst du?“ Ihre Aura flackerte und wurde schwächer, als sie es sagte. Er hatte keine Ahnung, was das zu bedeuten hatte.
„So eine Art Schatten. Nur hell.“ Kiéran warf einen schnellen Blick auf die Pferde, die in der Nähe grasten; sie waren ganz ruhig, hatten nicht einmal die Köpfe gehoben. Vorsichtig streckte Kiéran die Hand aus, versuchte an den Schatten heranzukommen. Doch er glitt weg, kam dann kurz wieder und war mit einem Sprung erneut verschwunden. Es wirkte fast, als versuche er Kiéran zu narren. Kiéran hatte ein schlechtes Gefühl bei der ganzen Sache. War dieser silbrige Schatten eine Methode, mit der die Magier sie ausspionierten? Wenn ja, dann hatten sie bald Ärger zu erwarten.
Er wollte gerade ankündigen, dass er die erste Wache übernehmen würde, als Jerusha ihm zuvorkam. „Wäre es in Ordnung, wenn ich als Erste Wache halte?“
Das kam ihm seltsam vor, denn ganz offensichtlich war sie müde. Eben hatte sie kaum ein Gähnen unterdrücken können. Oder lag das daran, dass er sie gelangweilt hatte? Eher nicht. Sie hatte andere Gründe. Und er hätte zu gerne gewusst, welche.
„Ja, gut“, sagte er. „Aber weck mich gleich, wenn etwas Ungewöhnliches geschieht. Und halt das Feuer niedrig. Besser, wir machen nicht zu viele Leute auf uns aufmerksam.“
Kiéran dachte gar nicht daran, zu schlafen.