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A melancholic state of mind

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A MELANCHOLIC STATE OF MIND

Es ist wohl ein einzigartiges Vorkommnis in der Weltgeschichte, dass Philosophen und Verfassungsrechtler dem „Staat“ traditionell so viel Autorität zukommen lassen wie in Deutschland. So viel Macht in der Hand des Staates, das kann nicht gut gehen. Auf Macht folgt Ohnmacht. In der Abenddämmerung des deutschen Idealismus und der Romantik beginnt der Aufstieg der typisch deutschen Melancholie. Sie wird in einer Gesellschaft besonders da auffällig und präsent, wo ein Volk oder eine Volksgruppe wieder und wieder scheitern, ihre Interessen durchzusetzen, wo sie sich als Untertanen einer Obrigkeit ausgesetzt fühlen, wo sie ihre Utopie verlieren. Das führt zu einem verminderten Bewusstsein der Eigenständigkeit, zu Minderwertigkeitskomplexen und Resignation. Bei einer übermächtigen Hand des Staates wie in Deutschland entsteht die Gefahr der Schicksalsergebenheit. Der wachsende Einfluss der Niedergeschlagenheit in Deutschland wird besonders bei Arthur Schopenhauer deutlich. In gewisser Weise ist der Hegel-Hasser Schopenhauer Nachfolger der idealistischen Schule, aber vor allem der Auslöser einer Bewegung unter Philosophen, die mit dem Scheitern von 1848 einhergeht und versucht, sich aus der Verstrickung dieser Übermacht durch das eigene Denken, die Persönlichkeit und das Leben zu befreien: Die Romantiker.

Wenn man jemanden benennen will, der die für uns vollkommen geläufige andauernde Kritik am Staat – und das ist der Staat Hegels – erfunden hat, dann ist das Arthur Schopenhauer. Weil man sich in Deutschland mit dem Staat identifizieren muss, wenn man sich mit seiner nationalen Kultur identifizieren will, hasst Schopenhauer konsequent jede Form von Nationalstolz: „Der Intelligente erkennt immer die Mängel seiner Nation. Der Dumme ist einfach nur stolz darauf“. Er fasste den klugen Entschluss, sich nicht an der herrschenden Staatskonzeption abzuarbeiten, sondern zu zeigen, worauf es im Leben ankommt. Seine prominentesten Schüler waren Richard Wagner und Friedrich Nietzsche. Nietzsche hat diesen melancholischen Rückzug klar formuliert: „(...) indem man zum Natürlichen zurückzufliehen glaubte, erwählte man nur das Sichgehenlassen, die Bequemlichkeit und das möglichst kleine Maß von Selbstüberwindung. (...) Sind sie (die Deutschen, d.A.) doch das berühmte Volk der Innerlichkeit“ (Nietzsche, Unzeitgemäße Betrachtungen (275)). Diese „Innerlichkeit“, die wir schon bei Luther finden, ist ein Zeichen der Resignation und der Kompensation der Erfolglosigkeit, die man mit dem berühmten deutschen Wort „Gemütlichkeit“ kenntlich machen kann.

Melancholie speziell deutschen Zuschnitts – Verzweiflung an der Obrigkeit – hat Tradition. Zahlreiche literarischen Schriften sind Zeugen dieser Grundstimmung: Allen voran Johann Wolfgang von Goethes „Werther“, der eine Selbstmordwelle auslöste. Oder Karl Philipp Moritz’ „Anton Reiser“, der ihr in Gestalt der „Mönchskrankheit“ begegnet, jene Lethargie, die „seine Kraft gegen sich selbst kehrt, weil sie nicht nach außen wirken kann, und den Wankenden und Unentschlossenen in jedem Moment seines Lebens mit sich selbst unzufrieden macht.“ (Moritz 1971:21) Der Universalgelehrte Wilhelm von Humboldt analysiert diese Zeit der „Werther“-Krankheit als eine Zeit, „wo man häufiger als sonst Passivität und Schlaffheit mit Bildung und Geistesfähigkeit vereint antrifft. (...) Dies ist eine kränkelnde Gemütsstimmung, die auch unserem Zeitalter, mehr als dem vorherigen, sogar unserer Nation, mehr als den Auswärtigen, eigen ist.“ (zit. in Lepenies 1998:197) Er weiß im Prinzip aber auch die Lösung: „(...) wir bedenken nicht, dass ein Leben, das keine große That, kein wichtiges Werk, nicht einmal das Andenken an eine nützliche Geschäftigkeit unter einer größeren Anzahl unserer Mitbürger hinterlässt, ein verlorenes und verschwendetes Leben ist.“ (ebd.)

Gleichzeitig erscheint in der Melancholie der menschliche Zug. Vorbei ist die Idealisierung „des Menschen“ als ein höhergeleitetes Wesen, das Idealbild, das niemand ausfüllen kann. Nietzsche fleht, nicht der Melancholie oder der Angst zu verfallen, sondern sich der Leichtigkeit, Möglichkeit und Heiterkeit des Lebens bewusst zu werden – durch das „möglichst kleine Maß an Selbstüberwindung ... warum an dieser Scholle, diesem Gewerbe hängen, warum hinhorchen nach dem, was der Nachbar sagt? Es ist so kleinstädtisch, sich zu Ansichten zu verpflichten, welche ein paar hundert Meilen schon nicht mehr verpflichten. (...) Niemand kann Dir die Brücke bauen, auf der gerade Du über den Fluss des Lebens schreiten musst, niemand außer Dir allein. (...) Es gibt in der Welt in der Welt nur einen einzigen Weg, auf welchem niemand gehen kann, außer Dir. Wohin er führt? Frage nicht, gehe ihn.“ (Unzeitgemäße Betrachtungen III: 340) Das ist Kants „Zweck an sich“ und Nietzsches Neugier. Sein berühmter „Wille zur Macht“ bedeutete übrigens Macht über sich selbst, die Fähigkeit, über sich hinauszuwachsen, genau im Sinne dieses Zitats. Was seine Schwester ihrem rechtskonservativen Mann zuliebe aus Nietzsches Texten gemacht hat, als dieser längst im Irrenhaus saß, ist eine andere Geschichte. Aber nur dieser Verdrehung der Inhalte Nietzsches ist die aberwitzige Groteske der Geschichte zu verdanken, dass Elisabeth Foerster-Nietzsche gemeinsam mit Adolf Hitler einen Kranz auf Nietzsches Grab niederlegt.

Angesichts der zeitgenössischen gesellschaftlichen Entwicklungen wird Melancholie, die Verzweiflung an der eigenen Unfähigkeit, sich selbst zu entwickeln und sich gegen die Institutionalisierung der Freiheit durch den Staat durchzusetzen, in Deutschland geradezu zur Zuflucht, zur Sucht. Die deutsche Volksseele – eine feine Art der Verzweiflung. Erst im Zeitalter der Industriellen Revolution, der Geburtsstunde des Fortschritts, sah das Bürgertum zum ersten Mal die Chance, sich durch Arbeit mit dem Adel auf eine Stufe zu setzen und die staatliche Macht mit ökonomischer Macht zu überwinden und gleichzeitig „von der ehemals gesuchten Melancholie loszukommen“ (Lepenies 1969: 204). Tatsächlich verabschiedet man sich im deutschen Kulturkreis von den Werteparadigmen, die sie selbst geschaffen hat – Aufklärung, Idealismus, Romantizismus – und wendet sich den Idealen des kartesianischen, mechanistischen Weltbildes mit ihrer klassischen Trennung von Körper und Geist und der Naturwissenschaft zu, deren Erkenntnisse sich immer besser industriell verwerten lassen.

Die Menschen und ihre Befindlichkeit bleiben allerdings im Zuge der Industrialisierung auf der Strecke. Sie, die gerade noch durch ihre Philosophen ihre Selbstbestimmung vor Augen hatten, geraten in die nun realen Maschinenhallen der Fabriken. Sie empfinden und akzeptieren ihr Dasein als sinnlos und treten die Flucht in die Natur, in die Einsamkeit oder in den Tod an. Wie bei Kierkegaard zu lesen ist, der alle Menschen für langweilig hält, schließlich bei Sigmund Freud, später dem brillanten und tragischen Essayisten Walter Benjamin und den Schriftstellern Gottfried Benn, Rainer Maria Rilke, Georg Trakl, Thomas Mann, Robert Musil, den Kulturkritikern Heidegger und Adorno.

William James, von 1867 bis 1868 Medizinstudent in Berlin, war von der deutschen Grundstimmung so erfasst, dass er daraufhin seinen Pragmatismus „erfand“, um sich von der in Deutschland erfahrenen Melancholie zu befreien: „Oh God! An end to idle, idiotic sinking into Vorstellungen disproportionate to the object“ (zit. in Melancholie 182). Melancholie – nicht zuletzt ein Erbe der protestantischen Lehre Luthers, seit der man sich mit sich selbst auseinandersetzen muss – ist für William James „der Niedergang der Lebensneugierde“. Sie entsteht aus Enttäuschung über die vorgefundene Wirklichkeit und die Unfähigkeit, jene Brücke zwischen Wirklichkeit und Ideal zu gehen, die Nietzsche nahegelegt hat. Es ist übrigens die persönliche Kommunikation und die reale Beziehung mit anderen Menschen und der Wille zu tatkräftiger Arbeit, die ihn rettet: „For the remainder of the year, I will abstain from the mere speculation and contemplative Grübelei in which my nature takes most delight, and voluntarily cultivate the feeling of moral freedom, as well by acting. (...) Not in maxims, not in Anschauungen, but in accumulated acts of thought lies salvation“ (Letters, Vol. 1, 147f., zit. Melancholie 184).

Die Diskrepanz zwischen der Freiheit zur Selbstverwirklichung aus der Aufklärung und der ständigen Behinderung durch den „Staat“ als ordnende Form zieht sich, wie wir gesehen haben, wie ein roter Faden durch die deutsche Kulturgeschichte. Geblieben ist die traditionelle latente Gewohnheit, viele Dinge als schicksalsergeben hinzunehmen, die eigentlich in unsere private Lebensplanung fallen könnte. Nicht nur die Rente, auch die Karriere. „Sie alle würden die Frage: ‚wozu lebst du?’ schnell und mit Stolz beantworten – um ein guter Bürger, oder Gelehrter, oder Staatsmann zu werden – und doch sind sie etwas, was nie etwas Anderes werden kann, warum sind sie dies gerade?“. Nietzsche meint damit seine Zeitgenossen, die Angestellten seiner Zeit. Hat sich daran etwas geändert?

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