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6. Maria und die Kühe

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Die Sprache der Tiere ist besonders, so viel hat Maria früh gelernt. Bereits in jungen Jahren liebt sie sie. Hat eine Freude mit ihnen, und wie! Das Vieh auf die Weide treiben, das sagt der Riesin zu. Denn die Kühe sind ihr ähnlich: sind dankbar, groß und träge und wollen nichts als ein wenig Gras fressen. Dicht bewimpert und gut sind ihre Augen, blicken um sich, friedlich. Nichts geschieht, außer dass vielleicht einmal eine mit ihrem Schwanz in die Luft peitscht, gegen eine Fliege ausschlägt, die sich in der Hitze auf den trägen, fetten Leib gelegt hat.

Als Maria eines Tages zur Quelle am Felsen streift, um Wasser zu holen, erscheint wieder eine kleine Katze am Wegesrand. Ihre Augen sind gerötet, ein wenig müde sieht sie aus. Maria lächelt sie an. Mit einer vorsichtigen Bewegung hebt die Riesin das winzige Tier in die Höhe und trägt sie mit sich. Dabei stößt sie murrende Laute aus, die die Katze schließlich erwidert, nachdem sie ein wenig kläglich gemaunzt hat.

Die Riesin Maria kann brummen, kann Wesen in den Schlaf brummen, wenn sie will. Als die Katze einschläft, platziert Maria sie unter einem Baum auf der Heide und geht zu den Kühen zurück.

„Na, meine schönen Mädchen?“ Maria streicht über deren Flanken, klopft die gemütliche Haut der Tiere. Sie ist jetzt elf und verrichtet daher noch mehr Arbeit.

Die Tage sind dicht getaktet. Maria streift in den Hof, um Brennholz zu holen. Dann melkt sie die Kühe, fasst die Milch in einen Topf und karrt Brennholz und Milch zu ihrem Lager. Die Katze liegt inzwischen eingerollt in sich selbst da.

„Gleich kommt Rettung!“, ruft Maria ihr zu und beginnt ein Lied zu singen.

Dann hebt sie die Katze an ihren Bauch, beginnt zu summen. So hat es auch die Mutter mit ihr gemacht, als sie noch klein war. Zärtlich flößt Maria der Katze die Milch ein. Ein Maunzen dringt aus dem Tier.

„So eine Freude machst“, sagt die Riesin leise. Glücklich, dass die Katze trinkt.

Dann aber heißt es, wieder zur Hauptaufgabe zurückzukehren: Die Kühe warten! Und Maria macht ihre Aufgabe gewissenhaft. Sie kennt jedes Kalb, jede Kuh, sie kennt alle Flecken, alle Farbstrukturen auf den großen, kompakten Leibern. Bereits als sie klein war, haben die Kälber an ihren Fingern genuckelt wie an Fläschchen, sie eingesogen, als wären es Zitzen. Kitzelig war das, samtig und besonders hat es sich angefühlt, und die Riesin hat es geliebt. Sie sieht den Kühen in die großen, traurigen Augen, und denkt, wie schön sie diese Tiere doch findet.

In dem Moment kommt Josef des Weges. Er zieht einen Wagen mit sich.

„Auf, Moidl!“, ruft er.

„Ja, Vater?“ Maria wendet ihm gutmütig ihr Gesicht entgegen.

„Zeit ist’s Holz zu ziehen. Der Hermanndl hat eine Ladung bestellt.“

Die Riesin nickt. Der Hermanndl ist ein Müller, der nicht weit des Faßnauer-Hauses wohnt. Immer wieder spielt ihr Vater gern mit ihm Karten, man trinkt oder geht auf die Jagd. Ob der Hermanndl ein Freund ist, hat sie sich oft gefragt. Aber Freundschaft, das ist kein Wort, das ihr Vater benützen würde. Große Männer tun das nicht, weiß Maria inzwischen. Auch wenn sie in Wahrheit friedlich sind und eine leberfleckige Haut haben.

Josef nähert sich seiner Tochter, die gerade wie ein Baum in der Landschaft steht. Hier darf sie es, die Moidl. Denn sie vertraut ihm. Vertraut den Gräsern, Kühen und Bäumen, bewegt sich in ihnen wie in ihrem Element. Hier macht ihre Größe keine Angst, denn ihre Augen sind gütig und ihre Hände zart, sie wissen, wie man nimmt und gibt und wie man streichelt.

Nun gilt es, die Kuh einzuspannen. Resi, eine braun gescheckte mit einem weißen Fleck auf der Stirn – grad da, wo die magischen Einhörner, von der Rosa immer erzählt, ihr Horn tragen, ist dran.

Dann geht’s los über holprige Wege. Stets schreitet Maria schweigend neben dem Vater einher. Der ist kein Mann der großen Worte – und wozu auch? Die Natur summt ohnehin, hier ist alles bei sich, hier spricht alles für sich, es gilt nur, zu lauschen, gilt, seine Kraft aufzusparen für den Feldweg: einen Schritt nach dem anderen, und die Schritte müssen fest und bedacht gesetzt werden. Einatmen, ausatmen. In der Anstrengung kommt Maria zu sich und denkt an die heilige Gottesmutter und dass Opfer einen Menschen schön machen. Darum, sagen alle, hat ja auch der liebe Jesus sich geopfert, oder?

Hin und wieder ächzt der Wagen, die Räder rattern über den Kies. Steiler und steiler wird der Weg. Da merkt die Riesin, wie Resi müde wird. Sie hört das beleibte Tier hinter sich atmen, erst zaghaft, dann intensiver. Schließlich kommt sogar ein Schnauben aus der Kuh. Gleichzeitig sieht Maria ein Kreuz aus Stein: „Ludwig Messerschmied 1811“ steht daruntergeschrieben, und mit einem Mal wird der Riesin bang. Abgestürzt muss da einer sein! Mit leicht zittrigem Blick sieht Maria den Hang hinab und dann zu Josef hin, auf dessen geröteter Stirn sich ein Schweißfilm gebildet hat. Der Weg fällt schräg ab, Maria hechelt, kommt vor Angst außer Atem, und als spüre die Kuh ihre Unsicherheit, verweigert sie sich schließlich. Bleibt stehen. Scharrt aus, schlägt mit den Hufen gegen den Feldweg.

Josef dreht sich um, wird wütend. In seinem Hemd haben sich Schweißränder gebildet.

„Komm“, wispert die Riesin, aber die Kuh schnaubt wieder. Schüttelt den Kopf.

Josefs Hand, breit und kerbig, holt aus, will nach dem Leib des Tieres schlagen.

„Nicht!“, ruft die Riesin und fängt seine Hand gerade noch mit der ihren ab.

Josef stutzt. Wie stark seine Tochter ist! Gerade erst elf, weist sie schon mehr Kraft auf als er selbst! Er betrachtet die Tochter, wie sie da mit langgezogenem Gesicht, großen Kulleraugen und starkem Blick vor ihm steht, und muss mit einem Mal an seinen eigenen Vater denken. Auch der war ein Hüne gewesen. Ein großer, roter Riesiger. Ähnlich still und gutmütig wie seine Tochter, die sich da mit einem Mal so heldenhaft vor ihm aufbäumt.

„Geh, Vater, tu die Resi da weg, das ziehe ich hinauf“, hört er Maria nun sagen. Josef kann es kaum glauben. Aber dann nickt er, nickt und sieht, wie seine Tochter mit wackeren Schritten das Tier abschnallt und den Wagen über den knirschenden Kies zieht. Es knarrt und knattert.

Das Holz biegt sich, die Räder wollen sich nur langsam drehen. Da begreift Josef, dass das Kind die Kuh liebt. Und die Kuh sie: Mit treuherzigem Blick schreitet Resi hinter seiner Tochter drein, die sich nicht aufregt, die nur atmet, ein und aus. Regelmäßig und bedacht. Josef folgt der Tochter und der Kuh, und er kommt sich mit einem Mal sehr klein vor.

Als sie die nächste weite Ebene erreicht haben, seufzt Maria kurz auf. „Ich muss mich hinsetzen!“

Josef nickt, wischt sich den Schweiß aus dem schütteren Haar und betrachtet die Tochter. Maria schimpft nicht, stöhnt nicht, sie setzt sich bloß bedächtig unter einen Baum und streichelt die Flanken der Kuh, die ihr die Nase gegen die Wange stupst, beinahe zärtlich. Josef kann es nicht fassen. Und dann kommen Worte aus ihm, dem schweigsamen Vater. Worte, die Maria nicht mehr vergessen wird: „Gut hast das g’macht, mein Mädchen!“

Mariedl

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