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7. Im Volksblatt

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So verstreichen die Tage, und mit knapp zwölf Jahren misst Maria bereits nahezu zwei Meter. Die größte Frauensperson des Bezirks ist sie jetzt, und das geht freilich an keinem im Dorf vorüber.

„Die Moidl ist im Tiroler Volksblatt!“ So erscheint Rosa eines Tages im Frühling, ein großes Blatt Papier in der Hand, und strahlt über das ganze Gesicht.

Theresia, die gerade dabei ist, die Milch fürs Frühstück zu wärmen, blickt nur kurz auf. „Na, das war klar, nach all den Fremden, die immer schauen kommen und dich Mutterl nennen“, meint sie lapidar zu Maria, die innerlich ganz klein wird.

„Ist die Moidl jetzt ein Held?“, will Hansl wissen, während er mit großen Augen das Faltblatt betrachtet. Lesen kann er zwar noch nicht, aber dass es was Besonderes ist, wenn über einen geschrieben wird, das ist auch ihm nicht entgangen.

Der Riesin Maria ist es peinlich. Sie betrachtet die Milchhaut, die in ihrer Schale schwimmt, und ihr Blick klappt mehr und mehr nach innen. Nur schnell trinken und das Frühstück hinunterwürgen!, sagt sie sich.

Maria ist traurig. Aber nicht nur wegen des Volksblatts. Ein wenig mag sie den Pepi, der vor ihr auf der Schulbank sitzt. Sie denkt an ihn. Der Pepi hat große braune Augen und eine helle Haut. Samtig ist er und ein wenig kompakt. Und vor allem ganz und gar nicht groß. Wie ein Monster wirkt sie neben ihm, das weiß sie. Und dass sie eingesperrt ist; gefangen in einem viel zu großen Körper, der die anderen Kinder um mehrere Köpfe überragt. Sie schämt sich dafür, und sie mag die Schule nicht. Auch wenn sie ihre eigene Bank hat und man sie in Ruhe lässt.

Unglücklich ist Maria. Wenn sie in der Schule ist, blickt sie aus dem Fenster, summt unmerklich das Klingen des Windes mit. Und sie wartet. Darauf, wieder nach Hause zu dürfen. Dann hilft die Arbeit, das Umherhieven der Kübel, das Füttern der Kitzlein, das Scheren der Schafe.

Wenn aber die Nacht herankriecht, wird es ihr oft wieder unendlich bang. Sie merkt, wie sie immer größer wird. Ihr ganzer Körper beginnt gleichzeitig, fühliger und fühliger zu werden. Die Augen sind Fühler. Sie wollen den Pepi betrachten, aber der ist zu schön und Maria ein hässliches, in sich gekrümmtes Ding. Sie darf das nicht. Sie verbietet es sich, ihn anzusehen. Nur aus dem Fenster sehen ist gut. Wenn der Baum hinterm Haus blüht, erinnert er anpink gefärbte Wolken. Wer leben will, muss gewisse Gedanken ausblenden, das lernt die Riesin jetzt. Sie muss vergessen. Muss den Pepi vergessen. Sie kann es sich nicht erlauben, zu viel an ihn zu denken. Stattdessen sucht sie Trost bei der Gottesmutter. Maria faltet die Hände, sie betet: „Liebe Mutter, mach mich fromm, dass ich in den Himmel komm’!“

Der Puls hinter der Stirn ist wie ein Hammer, durchzuckt sie, scheint sie zu zersprengen, während sie sich in sich selbst hineinbiegen muss, innerlich. Sich ganz klein macht. Trotzdem ist ihr bang. In allem spürt sie ihre eigene Falschheit, spürt, dass sie einfach nicht richtig ist, nicht so wie die anderen.

Auf den Heimwegen von der Schule, weiß Maria, glänzen aber noch immer die Umrisse der Quelle, die hinter ihrem Haus liegt im frühen Licht. Wie damals, als sie klein war. Allein darin liegt der Friede. Sonst nichts.

Mariedl

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