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EINS

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Also, zu meiner Zeit hätte es das nicht gegeben.« Filou saß steif vor Abscheu vor dem altersschwachen Eisenzaun um den grauen Obelisken und zuckte nervös mit der Schwanzspitze. »Unmöglich. Un-denk-bar.«

»Jaja«, seufzte Fidel. Filous Freund, der Mops, lag lang ausgestreckt neben ihm. Es war ihr Lieblingsplatz, das Gärtchen um das Kriegerdenkmal auf der Place de la Patrie im Herzen von Beaulieu, dem ganz gewiss schönsten Dorf Südfrankreichs. Hier trafen sie sich regelmäßig, wenn Fidels Herrchen im Café saß, die Zeitung las und die Dienste seines treuen Hundes nicht benötigte. Das Sonnenlicht sickerte durch die Zweige eines Rosmarinstrauchs, eine weiche Brise fächelte den Duft von Milchkaffee und warmen Croissants herüber, und die Bienen waren so mit dem blühenden Rosmarin beschäftigt, dass sie nicht weiter störten. »Ach ja.«

»Ich hätte nicht überlebt. Keine Woche. Keinen Tag. Wenn ich nicht hart gegen mich selbst gewesen wäre.«

»Ja. Oh ja.« Fidel gähnte so tief, dass sich sein rosiges Bauchfell spannte.

»Ich habe von morgens bis abends geschuftet. Und wurde es mir gedankt? Nein.« Filou legte die Schnurrbarthaare an und ließ die Ohren hängen. Soweit Katzenohren das konnten.

»Ach ja. Ja.« Der Mops rekelte sich auf der warmen Erde. »Vielmehr: nein. Und du hast natürlich recht.« Man musste Leute bestärken, die sich ausjammern wollten. Das hatte mehr als einen Vorteil, der größte war, dass bei positivem Feedback das Thema schneller durch war. Filou allerdings hörte sich an, als ob er sich gerade erst warmlief.

»Wurde mir etwa das Futter auf silbernen Tellerchen serviert? Hab ich vielleicht die Hälfte stehen gelassen? Wurde ich gestreichelt und gelobt und gehätschelt, ohne dass es dafür auch nur den geringsten Anlass gab? Non, non et non!«

»Jaja.« Mops Fidel öffnete das linke Auge und schloss es hastig wieder, als er das grimmige Gesicht des Freundes sah. »Neinnein, wollte ich sagen.«

»Eins mit der Tatze habe ich bekommen, wenn ich nicht spurte.« Filous Schwanzspitze zuckte schneller. »Eins hinter die Ohren, wenn ich Widerworte gab.«

Fidel öffnete das Maul mit den spitzen weißen Zähnchen und gähnte wieder. »’tschuldigung«, murmelte er. »Ich habe schlecht geschlafen.«

Filou ließ sich nicht unterbrechen. »Und heute? Der junge Herr liegt stundenlang im Sessel und widmet sich der Pflege seines kostbaren Fells. Frisst nur vom Feinsten und bloß nicht zu viel, es gibt ja reichlich und das dreimal am Tag. Bewegung? Nur das Allernötigste.«

»Ja, so sind sie«, murmelte Fidel und leckte zwei blaue Rosmarinblüten von seinem makellos weißen Hinterbein. »Verwöhntes Pack. Nichts mehr gewohnt.«

»Springt höchstens, wenn Frauchen die Plüschmaus wirft. Würde vor einer echten Maus wahrscheinlich schreiend davonlaufen.«

»Hmhm.« Der Mops ließ von seinem Hinterbein ab und hob den Kopf. »Na ja. Du warst doch auch kein großer Mauser, wenn ich mich recht erinnere, oder?«

»Aber ich habe gekämpft! Gekämpft! Ums pure Überleben!«, fauchte Filou und legte die Ohren an. In einem Moment der Schwäche hatte er Fidel erzählt, dass er keiner lebenden Kreatur etwas zuleide tun konnte. Weder einer vor Angst gelähmten Maus noch einer flügellahmen Meise.

»Klar, alter Junge. Sicher hast du das. Beruhige dich.«

»Während Sohnemann glaubt, das Leben wäre ein Bett im Rosengarten.«

»Nun lass ihn doch. Er ist noch klein. Er wird schon.« Fidel blickte seinen alten Kumpel aus feuchten braunen Augen an. Bei Menschen half der treue Blick, aber so ein Kater ließ sich von beseelten Hundeaugen nicht erweichen.

»Klein? Als ich in seinem Alter war, lag ich auf der Straße, hilflos und mutterlos.«

Fidel ließ den Kopf auf die Vorderpfoten sinken und schloss die Augen. »Freu dich doch, dass es Felix besser geht als dir«, murmelte er. »Dass er eine Mutter hat. Und sogar einen Vater.«

»Ich kenne alle Höhen und Tiefen des Lebens! Und hat mir das vielleicht geschadet? Na? Sieh mich an!«, zischte Filou.

Fidel öffnete erst das linke, dann das rechte Auge und musterte seinen prächtigen roten Freund. »Nein, es hat dir nicht geschadet. Du siehst großartig aus«, murmelte er schließlich. »Aber …«

»Was aber?«

»Deine schlechte Laune bekommt dir nicht.«

»Schlechte Laune? Ich?«, knurrte Filou mit gesträubtem Nackenfell.

»Ja, du. Du kennst seit Tagen kein anderes Thema. Dein Sohn, die Jugend von heute, früher ging es hart, aber gerecht zu, was mich nicht umbringt, macht mich stark. Undsoweiterundsofort.«

»Ist doch wahr! Der Kleine hat keine Ahnung vom Leben!«

»›Die Jugend von heute liebt den Luxus, sie hat schlechte Manieren und verachtet die Autorität.‹«

»Na bitte, du sagst es also auch.«

Fidel seufzte. »Der Spruch stammt vom griechischen Philosophen Sokrates. Um 470 bis 399 vor Christus. Es hat sich offenbar in den letzten paar tausend Jahren nicht viel verändert.«

Aber Filou hörte nicht zu. Sein Schweif peitschte den Rosmarinbusch, der ihn mit kleinen blauen Blüten berieselte. »Was ist, wenn ihm was passiert? Wenn er allein ist? Niemand ihm hilft? Wenn …« Er ließ einen leisen Klagelaut hören.

Der Mops hielt inne. Hatte er Filous Wehklagen womöglich falsch verstanden? Machte er sich ernstlich Sorgen um seinen kleinen Racker? Oder ging es in Wirklichkeit um etwas ganz anderes? Er holte Luft.

»Bist du sicher, dass du dich über Felix ärgerst?«

»Über was oder wen denn sonst?«

»Nun – versteh mich bitte nicht falsch, aber: Vielleicht ist Felix gar nicht dein Thema, Alter.«

»Quatsch«, murmelte Filou, der seinen Kopf zur Seite drehte. Typische Konfliktvermeidungsstrategie. Jedenfalls bei Katzen.

»Du bist das Thema, mein Freund«, sagte Fidel leise. »Du bist das Problem.«

»Blödsinn.«

»Und weißt du, warum?«

»Du wirst es mir sagen, Klugscheißer«, knurrte Filou.

»Gern. Dir fehlt eine Aufgabe.«

»Wie bitte? Und das, wo ich den ganzen Tag über…«

»Stattdessen machst du dir Sorgen. Und das passt nicht zu dir.«

Fidel widmete sich betont seinem anderen Hinterbein. Da waren zwei Ameisen, die sich durch sein glänzendes weißes Fell kämpften, und die gehörten nicht dahin. Als er wieder aufblickte, war Filou fort. Er sah ihn gerade noch um die Ecke huschen. Jetzt ist er beleidigt, dachte der Mops, aber er hatte nicht vor, dem Freund zu folgen. Das war viel zu anstrengend. Und im Übrigen – was würde Herrchen sagen, wenn er aus dem Café käme, ohne dass sein Hund auf ihn wartete? Ein Hund wusste, was sich gehört.

Bei Katzen war das anders. Sie bildeten sich etwas ein auf ihre Unabhängigkeit und ihren eigenen Willen und darauf, dass sie nichts und niemandem Untertan waren. Sie nannten es Freiheit. Ein großes Wort. Aber glücklich – glücklich machte sie offenbar nicht, die Freiheit.

Fidel suchte nach der Leine, die er Herrchen stets hinterhertrug, zum Zeichen ihrer Verbindung. Er für sein Teil wollte nicht frei sein. Er wollte das süße Band der Abhängigkeit spüren. Er nahm sie zwischen die Zähne, erhob sich und trug sie würdevoll hinüber zum Café, wo Herrchen über der Zeitung brütete.

»Na, Fettsack?« Herrchen beugte sich hinunter und tätschelte ihm den Kopf. Und dann nahm er die Leine und ließ sie in den Ring an Fidels Halsband einschnappen. »Ich weiß doch, was du brauchst.«

Filou - Ein Kater rettet die Liebe

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