Читать книгу Filou - Ein Kater rettet die Liebe - Sophie Winter - Страница 7
DREI
ОглавлениеFilou musste über all den wichtigen Gedanken eingenickt sein, denn plötzlich schreckte er hoch. Ein gewaltiger Schrei drang durch die abendliche Geräuschkulisse, der sich aufblähte und ausdehnte und bis nach oben auf den Roche du Diable schraubte. Sein Körper reagierte instinktiv, sofort war er auf den Beinen, sein Fell sträubte sich, sein Rücken krümmte sich zu einem Buckel, und ein drohendes Knurren drang aus seiner Kehle. Der Schrei verebbte langsam, bis er in ein tiefes Gurgeln überging. Aber er konnte jederzeit wieder aufbranden.
Oh, wie er diesen Laut kannte! Man hatte ihn lange nicht mehr gehört in Beaulieu. Er kündete von einem Kampf auf Leben und Tod.
Filou kroch bis hart an den Rand der Felsnase und schaute hinunter. Vorne rechts die Kirche. Dann die Grande Rue. Und dahinter lag die Place de la Patrie mit ihrem Kriegerdenkmal und dem Café de la Paix.
Da, genau da standen sie, die drei Schwarzen. Saßen mitten auf dem Platz, mit peitschenden Schweifen. Und vor ihnen, mit dem Rücken zum Café, hockte geduckt eine graue Gestalt. Wieder ertönte ein Schrei, nicht ganz so mächtig wie der erste. Und dann stolzierte Maurice vor, direkt auf die graue Gestalt zu, die regungslos hocken blieb. Bis sie wie ein Blitz aufzuckte.
Was war das? Die fürchterliche Gestalt war größer als Diabolo. Größer sogar als Lucrezia, die ein echtes Ungetüm war. Noch nie hatte Filou einen derart großen Artgenossen gesehen. Aber es war tatsächlich eine Katze. Ein riesiger grauer Kater. Und wie sich dieser Koloss bewegte! Schneller als der Schall.
Maurice zeigte Wirkung. Kreischte auf. Wich zurück. Das war ein Fehler. Der Graue setzte nach. Hob die Tatze, schlug zu. Tänzelte zurück. Sprang unfassbar hoch, als Maurice versuchte, in die Offensive zu gehen. Und landete direkt auf dem Rücken des Schwarzen.
Garibaldi und Diabolo waren erst vorgerückt, um ihrem Bruder Flankenschutz zu geben, und zogen sich jetzt wieder zurück, geduckt rückwärtsschleichend. Derweil hatte der Graue Maurice am Ohr gepackt. Jetzt schrie nur noch einer. Der Schwarze.
Filou war auf seiner Felsnase so weit vorgerutscht, dass er fast hinuntergefallen wäre. Würde Maurice sich befreien können? Ja. Mit einem entsetzlichen Schrei riss er sich los. Jetzt würde er zum Gegenangriff übergehen. Man sah, wie der Graue sich sammelte, duckte, lauerte. Komm nur, Bürschchen!, sagte seine Körpersprache.
Maurice spannte sich an. Verharrte sprungbereit. Wiegte den dicken Kopf hin und her wie eine angriffslustige Schlange. Doch was passierte? Der Graue setzte sich in aller Ruhe hin und begann, sich die Flanke zu putzen. Filou auf seinem Beobachterposten stöhnte leise. Was für eine Arroganz! Pass auf, wollte er rufen. Du täuschst dich! Das ist nicht das Ende! Da sind auch noch die anderen zwei!
Doch Diabolo schob bereits langsam ab. Und Garibaldi drehte Pirouetten: mal rechts herum, mal links herum. Maurice spürte offenbar, dass seine beiden Brüder ihn im Stich ließen. Er zögerte. Filou glaubte zu sehen, dass der Graue ihm das linke Ohr abgerissen hatte. Wahrscheinlich blutete der Schwarze. Und wenn jetzt ein weiteres Mal das Kampfgeschrei losginge, würden sich unter Garantie ein paar Fenster öffnen. Menschen, die man in ihrer Nachtruhe störte, waren dafür bekannt, dass sie Wasserkübel über kämpfenden Katern ausleerten.
Maurice schüttelte sich kurz, duckte sich dann und wandte dem Grauen die Flanke zu. Seitwärts, ganz langsam, wich er zurück. Der Graue würdigte ihn keines Blickes, sondern beendete seine Toilette und zog gleichmütig davon.
Filou spürte, wie seine Lebenslust zurückkehrte. Endlich wehrte sich jemand gegen die Friedhofsruhe. Dabei wollte, dabei musste er helfen. Morgen, gleich morgen würde er sich dem Kampf gegen das schwarze Triumvirat anschließen. Jetzt aber musste er erst einmal nach Hause, Josephine würde sich Sorgen machen. Und gewiss gab es bei Isabelle eine köstliche Mahlzeit. Plötzlich spürte er Hunger. Und die Sehnsucht nach dem unendlich weichen, duftenden Fell von Josephine. Und – nach Felix. Er würde sich von seinem Sohn nicht mehr provozieren lassen. Vielleicht konnten sie ein Spiel miteinander spielen? Und danach – Seite an Seite mit Josephine kuscheln. Das war der Traum vom Paradies.
Er begann zu laufen, bis er die erste der zwei Hecken erreicht hatte, die ihn von seinem Zuhause trennten. Die eine war aus Liguster, dessen scharfe Dornen einem unvorsichtigen Kater ganze Büschel aus dem Pelz reißen konnten, weshalb er darauf achtete, dass das Loch in der Hecke zwar gut getarnt, aber immer frei war. Hindurch. Geschafft. Und dann im Galopp über den vergilbten Rasen zur nächsten Hecke. Man hielt sich in diesem Garten besser nicht lange auf, vor allem sollte man sich die Idee aus dem Kopf schlagen, den riesigen Kasten mit dem köstlichen gelben Sand für jene Angelegenheit zu gebrauchen, für die er wie geschaffen war. Denn dann konnte es passieren, dass eine furchtbar schreiende Frau aus dem Haus gelaufen kam, um einen zu verjagen.
Unangenehm war auch, wenn die schreiende Frau die vielen kleinen Kinder freigelassen hatte, die sie bei schlechtem Wetter drinnen einsperrte. Kinder schrien ebenfalls, und vor allem wollten sie Wesen mit Schwanz unbedingt an demselben ziehen. Einmal, nur einmal war er so einer kleinen nackten Faust zu nahe gekommen. Ein fürchterliches Erlebnis.
Die rettende Hecke war erreicht. Steinlorbeer, kein Liguster. Wenn die Hecke blühte, dufteten Myriaden winziger porzellanweißer Blüten. Dann bevorzugte er die engste Stelle, um sich vom Duft umhüllen und von den Blüten und Blättern massieren zu lassen. Danach roch sein Pelz wie Marzipan. So nannte Marla das jedenfalls, und was mit »Mar« anfing, konnte nur gut enden.
Hindurch. Zu Hause. Durch die Terrassentür strömte Musik. Henri spielte Klavier, und Isabelle sang. Und auf der Terrasse saß Josephine, die schönste Katze der Welt. Als sie ihn sah, hob sie den Schweif und formte mit der Schwanzspitze eine zierliche Arabeske. Er lief auf sie zu. Alles war gut. Seine Wange berührte ihre Wange. Und dann zog sie ihm ihre köstlich raue Zunge über die Nase.
»Wo warst du bloß die ganze Zeit? Ich habe dich vermisst. Es ist langweilig ohne dich.«
Er biss sie in den Nacken und leckte ihr die rosafarbenen Ohren. »Ich habe Hunger«, schnurrte er.
»Dann komm!«