Читать книгу Momentaufnahme - Sören Prescher - Страница 11

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»Wie war’s gestern?« Ihre Mom lehnte sich auf dem Stuhl zurück betrachtete sie neugierig.

»Ganz nett.«

»Ganz nett? Das ist alles? Wo ist der detaillierte Bericht in allen Einzelheiten? Wo sind die Dinge, über die ich mir Sorgen machen muss? Für diese Antwort hätte ich nicht warten müssen, bis dein Vater aufs Klo verschwunden ist.«

Jenny grinste unweigerlich. »Mom, es gibt wirklich nicht viel zu erzählen. Dass ich gestern am Strand war, weißt du bereits. Die Leute sind okay. Wir haben viel geredet und noch mehr gelacht. Am Abend waren wir in diesem Club. Aber so toll war es da nicht.«

Ihre Mutter wirkte noch immer nicht zufrieden. Einen Moment sah es danach aus, als würde sie über den Abend im Shadows nachhaken. Dann jedoch entschied sie sich offenbar anders. »Gehst du heute wieder zum Strand?«

»Ja, hatte ich vor.«

»Dann erübrigt sich wohl die Frage, ob du deinen Dad und mich begleiten willst. In der Nähe gibt es ein Fischereimuseum, das wir uns anschauen möchten.«

»Das klingt so spannend, dass mir vor Aufregung die Füße einschlafen.«

»Was erwartest du? Wir wollen hier Urlaub machen und nicht jeden Tag Stress haben.«

»Du hast ja Recht. Trotzdem ist das nichts für mich.«

»Nur wegen des Strands, oder auch wegen eines Jungen, der sich dort aufhält?«

»Mom!« Eine Sekunde lang war sie völlig von den Socken. Obwohl ihre Mutter von jeher ziemlich offen und direkt war, gelang es ihr erstaunlicherweise immer noch, sie mit ihren Fragen zu schockieren.

»Nein, es gibt da niemand Speziellen.«

»Noch nicht.« Das verschmitzte Lächeln ihrer Mutter gefiel ihr nicht. Hatte Mom sie und Cody gestern eventuell irgendwo gesehen? Vielleicht war es aber auch nur ein Schuss ins Blaue.

»Aus dir soll mal einer schlau werden.«

»Hey, ist das nicht eigentlich mein Text?«

Lachend ging Jenny zur Zimmertür. »Was habt ihr gestern noch Schönes gemacht?«

»Wir haben uns an den Touristenführer gehalten und uns ein Naturschutzgebiet ungefähr zwanzig Meilen von hier entfernt angeschaut. War wirklich interessant. Und viel Gelegenheit zum Spazieren bekommst du dort auch.«

»Schön, dass ihr euch hier mehr Zeit füreinander nehmt. In Boston war viel zu viel Stress dafür. Ich denke, den Urlaub habt ihr euch echt verdient.«

Diesmal war es Mom, die erstaunt aufblickte. »Woher diese plötzliche Einsicht?«

Statt einer Antwort zuckte Jenny mit den Schultern und verließ das Zimmer. Sie war froh, dass sich ihre Eltern wieder gut verstanden. Sämtliche früheren Streitigkeiten schienen komplett vergessen zu sein. Als hätte es sie niemals gegeben. Was für eine schöne Vorstellung.

Jenny wünschte, sie könnte die Vergangenheit ebenso ruhen lassen. Kurzzeitig gelang es ihr zwar, sie auszublenden, trotzdem mogelten sich die Gedanken an Boston und vor allem an Erin ständig in ihr Bewusstsein. Aber im Augenblick waren weder die richtige Zeit noch der richtige Ort für eine weitere Depri-Phase. Nicht, wenn sie gleich fortgehen wollte.

Sie warf einen Blick auf die Uhr. Nur noch wenige Minuten, dann würde Sheryl sie abholen kommen. Sie würde wieder eine Menge Spaß haben und müsste ganz bestimmt nicht an ihre Schwester denken. Ganz bestimmt nicht.

Auch diesmal bummelten sie an den Schaufenstern im Stadtzentrum vorüber. Viel Neues entdeckte Jenny allerdings nicht.

Sheryl beobachtete sie einige Zeit. Langweilst du dich schon?«, fragte sie dann.

»Bisher nicht. Ich hoffe auch, dass das noch ein Weilchen so bleibt.«

»Dass du dir da mal keine zu großen Hoffnungen machst. Über kurz oder lang hängt dir das alles zum Hals heraus.«

Jetzt ging das schon wieder los. Jenny stöhnte innerlich. Sie verspürte wenig Lust, von Sheryl ein weiteres Mal vorgebetet zu bekommen, wie öde doch alles in Milton war. Ging ihr das ständige Gejammer nicht selbst auf die Nerven?

»Dann fahr doch weg. Irgendwohin in den Urlaub!«

»Klar, würde ich gern, nur leider fehlt mir das Geld.«

»Wem nicht? Ein paar Freundinnen von mir fahren nach Florida. Ich hätte sie gern begleitet, nur leider habe ich keine reichen Eltern, die mir jeden Wunsch von den Lippen ablesen.«

»Wer hat die schon?«

Für einen Augenblick inspizierten sie die Auslage eines Second-hand-Geschäfts. Ein purpurnes Oberteil stach Jenny zwar ins Auge, deswegen in den Laden gehen und es anprobieren wollte sie allerdings nicht. Sie war froh, als Sheryl sie auf andere Gedanken brachte.

»Wie hat es dir gestern Abend gefallen?«

»War ganz nett.« Als Mom sie vorhin ausgefragt hatte, hatte sie schon keine große Lust zum Erzählen verspürt. Daran hatte sich nicht geändert.

Bei der Vorstellung, gleich Cody zu begegnen, wurde Jenny mulmig zumute. Am besten wäre es wohl, ihn gar nicht zu treffen. Das würde einige peinliche Momente verhindern. Aber da er zur Gruppe gehörte, würde er sich ihretwegen bestimmt nicht davon fernhalten. Blieb nur die Hoffnung, dass er heute anderweitig beschäftigt war. Zum Beispiel mit der Blondine aus dem Shadows.

Beim Einbiegen in die Küstenstraße sah Jenny einen Jungen auf sich zukommen. Während ihn Sheryl kaum eines Blickes würdigte, dämmerte ihr, dass sie ihn von irgendwoher kannte. Aus dem Club? Nein, dafür schien er absolut nicht der Typ zu sein. Er hielt etwas in den Händen, das von weitem wie ein Buch aussah. Vermutlich befand er sich auf dem Weg zu der Bibliothek, die Sheryl gestern erwähnt hatte. Der Schmöker passte ebenso zu seinem Erscheinungsbild wie die legere Kleidung und die Strubbelfrisur. Als er gleich darauf ihren Blick erwiderte, glaubte sie ein Lächeln auszumachen. Es war schüchtern und gleichzeitig süß. Jenny lächelte zurück. Obwohl sie sich vollkommen sicher war, noch kein einziges Wort mit ihm gewechselt zu haben, verspürte sie etwas Vertrautes. Etwas, das sie lange nicht mehr gefühlt hatte.

»Wer ist das?«, fragte sie, ohne den Jungen aus den Augen zu lassen.

»Thomas Dalton.« Sheryl musterte ihre Freundin mit skeptischer Miene. »Den ignorierst du am besten. Dieser Typ ist dermaßen uncool. Ein Einzelgänger, wie er im Buche steht. Hat kaum Freunde und hält sich immer ziemlich zurück. Ein typischer Nerd.«

»Aber er sieht schnuckelig aus«, flüsterte Jenny. Mittlerweile war Thomas nah genug herangekommen, dass jedes laute Wort peinlich geworden wäre.

Zum Glück dämpfte auch Sheryl ihre Stimme: »Du hast einen ziemlich seltsamen Geschmack. Vielleicht erscheint er ja auf den ersten Blick ganz passabel, aber glaub mir, das ist er nicht. Der Kerl ist einfach nur öde. Da kannst du genauso gut einen Mehlsack anflirten.«

Sicher hätte sie weitere charmante Komplimente hinzugefügt, wäre Thomas nicht in diesem Moment an ihnen vorbeigelaufen. Er blickte zu Jenny und beachtete ihre Freundin kaum. Für einen Sekundenbruchteil sah er ihr tief in die Augen. Augenblicklich war sie verzaubert. Ein angenehm flaues Gefühl erfasste ihr Inneres und schien mit Daunenfedern über ihren Bauch zu streichen.

Sheryl wurde unwichtig. Genauso der Strand und alles andere. Sie spürte, wie der Blick des Jungen etwas ganz tief in ihr berührte. Jenny wusste nicht was es war, aber das traf auf die gesamte Situation zu. Sie hatte nicht die geringste Ahnung, was gerade geschah.

Dann war der Moment vorbei. Thomas ging an ihnen vorüber, ohne ein Wort zu verlieren. Auch Jenny lief stumm weiter und drehte sich nicht um.

Sofort bereute sie es. Hatte er ihr hinterher geschaut? Hätte er sie möglicherweise angesprochen, wenn Sheryl nicht dabei gewesen wäre? Oder hatte sich das, was sie kurzzeitig gespürt hatte, doch bloß in ihrer Phantasie abgespielt? Eine Art Wunschtraum nach einer vertrauten Seele? Jenny war verunsichert. Eines aber wusste sie genau: Sie musste den Jungen unbedingt wiedersehen. Egal wo und wie.

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