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I.

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Fundamentalismus ist eines jener Worte, die zur rechten Zeit sich einstellen, wo Begriffe fehlen. Schon in den siebziger Jahren diente es nicht nur zur Kennzeichnung radikaler Strömungen im Islam, sondern auch zur Unterscheidung des intransigenten Flügels der Grünen von den Pragmatikern. Inzwischen hat sich sein Bedeutungsgehalt so sehr erweitert, daß er die unterschiedlichsten Positionen abdeckt. Mit ihm belegt man die Gegner der Abtreibung ebenso wie deren feministische Befürworterinnen, die Kritiker der Marktwirtschaft ebenso wie die Wachstumsideologen und Verfechter der Superindustrialisierung, den romantischen und völkischen Antimodernismus ebenso wie den ‚Fundamentalismus der Moderne‘1. Inhalte, so scheint es, sind sekundär; Fundamentalismus ist nur noch ein anderes Wort für Haltungen, die man früher mit Ausdrücken wie radikal, extrem oder absolut bezeichnete. Und dies gilt nicht nur für die Alltagssprache, sondern auch für den elaborierten Code der Wissenschaft. In der Soziologie Talcott Parsons’ beispielsweise steht Fundamentalismus für Wertabsolutismus, eine Art Unfähigkeit, die für den Umgang mit modernen, hochkomplexen und pluralistischen Wertordnungen erforderliche Flexibilität aufzubringen. Fundamentalismus, so Parsons, sei ein „Prototyp deflationären Druckes auf das Commitment-System“, ein Versuch, „das Angebot weiten Freiheitsraumes auf Dinge zu beschränken, die – nach strengest möglicher Anforderung –‚solide‘ sind, wie das Gold in monetären Systemen oder die Sicherheitskraft überlegener Gewalt in politischen Systemen“2.

Gegenüber diesem Sprachgebrauch ist zunächst an die Einsicht eines anderen Soziologen zu erinnern, daß die Tendenz zur Verabsolutierung von Werten zur ‚religiösen Form‘ als solcher gehört. In seinen verschiedenen Beiträgen zur Soziologie der Religion unterscheidet Georg Simmel zwischen der Religion als ausdifferenziertem sozialen Gebilde mit je eigenen Inhalten und Institutionen und der Religiosität als kategorialer Bewußtseinsform, die prinzipiell jeden Inhalt aufzunehmen vermag. Religiosität – „ein an sich gegenstandsloser Zustand oder Rhythmus der Innerlichkeit“ (Simmel, GSG 10, 69) – bestimme sich durch die Tendenz, Gefühle und Impulse, die schon das soziale Leben entwickelt, zur Einheit zusammenzuschließen und ins Absolute zu steigern (ebd., 54); nicht notwendig und ausschließlich ins Transzendente hinein, aber doch so weit, daß eine gewisse Hierarchie der Werte und damit eine Ordnung entsteht. „Wo die Ideale und Forderungen der Religion nicht nur mit Trieben niederer Art, sondern auch mit Normen und Werten geistigen und sittlichen Wesens in Widerspruch geraten, da ist der Ausweg aus solchen Verschiebungen und Verwirrungen oft nur so gefunden worden, daß jene ersteren Ansprüche ihre relative Rolle immer weiter und bis zu einer absoluten steigerten; erst indem die Religion den entscheidenden Grundton für das Leben gab, gewannen dessen einzelne Elemente wieder das rechte Verhältnis zueinander oder zum Ganzen“ (ebd., 41).

Nimmt man Simmels Einsicht ernst, daß es in der Eigenart des religiösen Lebens liegt, „sich in der Form des Absoluten zu objektivieren“ (ebd., 112), dann verbietet es sich, das Wesensmerkmal des Fundamentalismus im Wertabsolutismus zu sehen. Gewiß ist es richtig, daß der Begriff nur dann präzise Konturen behält, wenn man ihn für religiöse oder wenigstens religionsartige Phänomene reserviert, für das Bestreben, das Religiöse in der Gesellschaft zu verteidigen und zu restaurieren (Marty/Scott Appleby 1996, 24). Soll jedoch nicht jede Religion schon als solche fundamentalistisch sein, ist es unumgänglich, eine spezifische Differenz auszumachen, die die fundamentalistische Art der Religiosität von der nichtfundamentalistischen unterscheidet.

Der überzeugendste Vorschlag hierzu kommt von der an Max Weber orientierten Religionssoziologie. Nach Martin Riesebrodt handelt es sich beim Fundamentalismus um ein vor allem in Heilsund Erlösungsreligionen vorkommendes Phänomen, das immer dann entsteht, wenn die überlieferte, religiös verbürgte Ordnung bedroht wird: wobei diese Bedrohung nicht unbedingt in der Form provokativer Abwertungen traditioneller Werte auftreten muß, vielmehr schon dadurch gegeben ist, daß durch die Prozesse der Rationalisierung und funktionalen Differenzierung das religiöse Weltbild in Frage gestellt, die religiös verankerte Moral relativiert und die Religion insgesamt aus der Öffentlichkeit verdrängt und privatisiert wird. In einer solchen Lage ist es wahrscheinlich, daß es zu einer „Reinterpretation der religiösen Tradition“ kommt, die diese einseitig auf eine „weltablehnende Haltung“ festlegt (Riesebrodt 1990, 2, 11, 20 f., 27).

Man mag dieser Sichtweise entgegenhalten, daß Weltablehnung, auch und gerade bei Max Weber, ein typisches Merkmal aller Erlösungsreligionen sei, so daß Fundamentalismus wiederum nur ein anderes Wort für eine religiöse Grundeinstellung wäre. Und bis zu einem gewissen Grad ist dies auch zutreffend: das frühe Christentum und der frühe Buddhismus sind in der Tat Religionen, die sich in ihrer negativen Haltung zur Welt schwerlich überbieten lassen. Dennoch hat es Max Weber aus guten Gründen vermieden, in der Weltablehnung das Wesensmerkmal der Erlösungsreligionen zu sehen. Er hat statt dessen wesentlich vager von ‚Spannung gegen die Welt‘ gesprochen und darauf bestanden, daß diese Spannung ein ganzes Spektrum von möglichen Weltverhältnissen zuläßt, je nachdem, wie groß der Anteil des Ritualismus, der intellektuellen Systematisierung und der gesinnungsethischen Verinnerlichung ist, wie stark die charismatischen Einschläge oder die Ansätze zu einer ‚organischen‘ Ethik sind (Weber 1976, 348 f., 709, 360; ders. 1972, 551). Wenn aber Erlösungsreligionen nicht eindeutig und pauschal als weltablehnend charakterisiert werden können, vielmehr stets durch eine komplexe Gemengelage weltverneinender und weltbejahender Tendenzen gekennzeichnet sind (Kippenberg 1991, 440 ff.), dann ist es durchaus ein Gewinn an definitorischer Präzision, die Verengung auf Weltablehnung mit einem speziellen Terminus zu belegen – eben dem des Fundamentalismus. Womit zugleich angedeutet ist, daß Fundamentalismus nicht bloß ein Phänomen der jüngsten Gegenwart ist, sondern eine religionsgeschichtliche Erscheinung, mit der immer dann zu rechnen ist, wenn die ‚Depotenzierung der Religion‘ (Tyrell 1993) durch kognitive Rationalisierung und strukturelle Pluralisierung eine bestimmte Schwelle überschreitet.

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