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1. Kölner Archiv. Samstag, 6.12.2003, 15:00 Uhr

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Sogar beim Training mit den Navy Seals, etwa nach sechsunddreißig Stunden ohne Schlaf, äußerlich übersät mit Prellungen und Schürfwunden, inwendig verknotet von Muskelkrämpfen, hatte Thomas Zett auf seinem Feldbett immer noch eine Seite John Ruskin gelesen, »Die Steine von Venedig«, ehe er vor der Müdigkeit kapitulierte. Insofern war es unfair, was hier abging.

Doch nicht der Mangel an Fairness erschreckte ihn zutiefst, sondern die Art und Weise, wie diese Frau im businessmäßigen Hosenanzug, die Hose weit geschnitten über ihren dünnen Beinen, sich zusehends im Gestrüpp ihrer Loyalitäten verhedderte. Wie sie mit der Pistole herumfuchtelte, die Legende zerfetzte, seinen fiktiven Lebenslauf, den doch Karl Bucholtz höchstpersönlich abgesegnet hatte.

„Von wegen Kunsthistoriker“, legte sie nach, „du Ursulalegenden-Hochstapler, du überreifer Doktor Sixpack!“

Ihre Stimme überschlug sich in schriller Körperfeindlichkeit, die schlecht zu ihrem eigenen austrainierten Körper passte. Fast selber eine Kampfmaschine, dachte Zett, der Körper einer Läuferin. Das schmale Gesicht melancholisch mit Ringen unter den Augen, wie von einer zu strammen Schwimmbrille.

„Deinen Bonus kannst du jetzt abschreiben. Sei froh, wenn du hier lebend rauskommst!“

„Achten Sie nicht auf das Geschwätz“, nuschelte der Mann im Rollstuhl. „Und Sie halten die Schnauze, Peeters!“

„Sonst was, Herr Lank?“ Sie trat zu Lank, hielt die Waffe allerdings zunächst auf Zett gerichtet, trat zwischen die Vorderreifen des Rollstuhls, und weil klar war, dass Lank den Kopf nicht in den Nacken legen konnte, beugte Peeters sich vornüber und stützte ihre freie Faust auf den Oberschenkel. So gebückt und auf Augenhöhe herrschte sie Lank erneut an: „Sonst was…!“

Zett konnte ihre feuchte Aussprache gut sehen. Lank musste sie wohl spüren.

Das Büro im Erdgeschoss war gediegen eingerichtet, sozusagen Bonner Republik, wobei die irritierende Parksituation in der Auffahrt der großbürgerlichen Fassade jede Menge Risse zufügte. Die gepanzerten Bentleys und Mercedes’ vor den Fenstern mochten ja noch angehen, aber dazwischen parkten auch Hummer mit verchromten Kuhfängern, die neuste Zivilversion des militärischen Humvee der US-Armee. Zett hatte nicht viel Ahnung von Autos, aber dass es – trotz der aktuellen Werbebilder aus dem Irakkrieg – fast unmöglich war, solche Schlachtschiffe nach Deutschland zu importieren, das wusste er genau.

Rings um die neun Fahrzeuge patrouillierten Dreiergrüppchen finster blickender Chauffeure. Männer aus aller Herren Länder. Breitschultrig. Steifbeinig. Bürstenhaarschnitt. Drei Gruppen zu drei Mann, strikt auf Distanz bedacht.

Was Zett anfangs für eine traditionsbesoffene Briefkastenfirma in Sachen internationaler Diplomatie gehalten hatte, entpuppte sich mehr und mehr als paramilitärischer Thinktank, in dem es beißend nach Gefahr stank. Sogar eine Frau Peeters im Büro kickboxte gut genug, um einem Profi wie Zett die Waffe aus der Faust zu treten. Nun pochte und schwoll die eh schon übel verletzte Hand, während Zett versuchte, sich nichts anmerken zu lassen.

Vor einer Stunde, als sie ihn begrüßte, hatte Peeters sich noch durchaus zivilisiert betragen. Ruppig aber zivilisiert. Umso bestürzender wirkte jetzt das Gefuchtel, das sie mit der Waffe, die einmal Zett gehört hatte, im Gesicht des wehrlosen Rollstuhlfahrers aufführte. Sie stippte Richard Lank den Lauf der Makarow gegen die Nase und bohrte das Metall abwechselnd in seine Mundwinkel.

„Sonst was, Herr Lank?“, flüsterte sie dramatisch.

Lank nutzte seinen Spielraum von ein oder zwei Zentimetern, um den Joystick zwischen die Lippen zu bekommen, mit dem er den Rollstuhl lenkte. Da Peeters den Druck ihrer Pistole eher noch verstärkte, schrammte die Mündung einen rosa Streifen über Lanks Wange, als das Gefährt plötzlich losruckelte.

Zett schaute zu und suhlte sich in seiner Schmach. Es gab keine Entschuldigung. Natürlich war er todmüde, angeschossen und zugedröhnt mit Dexamethason. Trotzdem war es unprofessionell gewesen, dieser Frau auch nur eine Sekunde lang mit gesenkter Pistole zu begegnen. Peinlich leicht hatte er es ihr gemacht, die Schuhspitze – diese schicke Metallapplikation ihres Pumps – an seine Rechte mit der Makarow zu bringen. Dabei hatte Bucholtz ihn gewarnt: „Sie ist ein raffiniertes Biest!“ Nun musste Zett den Bonus wohl tatsächlich abschreiben, obwohl ... Lank zumindest schien ihm nichts nachzutragen, sondern stoppte den Rollstuhl kameradschaftlich an seiner Seite, offenbar um ein zusätzliches Hindernis zwischen Peeters und die Tür zu stellen.

„Sie kommt hier nicht raus“, schniefte er. „Man kann die Fenster nicht öffnen. Schalldichte Scheiben, schussfest und vom Park her blind. Da nicht mal Peeters so verantwortungslos wäre, hier ein Handy zu benutzen, führt ihr Weg hinaus nur über unsere Leichen oder das Festnetz.“

Gut fünf mal fünf Meter Büro. Eine Wand mit den Fenstern zur Auffahrt. Gegenüber, hinter Zett und Lank die Schiebetür aus Bleiglas mit floralem Dekor, dessen Rot, Blau und Türkis bei Zett Erinnerungen an die kolumbianischen Aras wachrief. Da war die Hand noch heil und er konnte noch klettern.

An zwei Wänden halbhohe Regale mit Aktenordnern und einem grauen Koffer. In der Mitte der Schreibtisch, um dessen Kanten ein Band aus Perlmuttintarsien lief, abgestimmt auf das Dekor der Borde und Stuhllehnen. Alles sehr aufgeräumt. Zu aufgeräumt für echte Arbeit, offenbar, weil der Raum dem Hausherrn nur als offizielle Fassade diente – am Parktor hatte Zett ein Import-Export-Schild gesehen.

Dem kunsthistorischen Hochstapler Zett summte die Stimme seines toten Mentors Willem Cloerkes im Ohr: „Hübsche Jugendstilmöbel haben die hier! Schätz das ruhig mal, mein Junge, nur so zum Üben, der Schreibtisch tausend -, die Regale je vierhundert Dollar, sagen wir lieber dreihundertfünfzig, die Stühle achtzig pro Stück ...“ Schon trudelten Erinnerungen noch weiter zurück, zu kostspieligen Bildbänden in der elterlichen Buchhandlung, Jahrzehnte, bevor man anfing, so etwas im deutschsprachigen Raum Coffee Table Books zu nennen ... mach keine Eselsohren, hörst du!

Die übliche Büroelektronik und farblich dazu passend perlgraue Seidenpolster auf den Stühlen. Ein achteckiger Aschenbecher aus fast durchsichtigem Porzellan, in dem jemand einen halb gerauchten Zigarillo ausgedrückt hatte, einen unten zerfaserten Stumpen, der oben fast senkrecht stehen geblieben war. Komisch, dachte Zett, er hatte Bucholtz niemals rauchen sehen. Dann fiel ihm ein, dass Bucholtz hier gar nicht der Hausherr war, auch wenn er dieser internationalen Konferenz vorsaß, um die sich gerade alles drehte.

„Lank, ich rufe jetzt den Chef an und bitte ihn, Karl Bucholtz abzulösen. Kommen Sie oder Ihr bestusster Söldner mir quer, dann schieße ich. Ist das verstanden?“

„Klar doch, Herzchen“, blaffte der Schmerzensmann im Rollstuhl. Der Gegensatz zwischen seiner Figur und dem Machospruch verblüffte alle drei – Lank selbst vielleicht am allermeisten. Er flüchtete aus der Peinlichkeit in heiseres Kichern, das zum Röcheln wurde, so brustzerreißend, dass Zett sich besorgt zu ihm hinab beugte, um in dieser Position, zwischen zwei Atemzügen, den gekeuchten Befehl aufzuschnappen: „Schieß!“, bevor das Röcheln doppelt so laut weiterging.

Dann musste das jetzt wohl so sein. Ein Showdown war ein Showdown. Zett stand ohnehin mit gebeugtem Oberkörper da – ein Anblick, der bei Peeters keine Reflexe mehr auslöste. Höchstens weitere fünfzig Zentimeter trennten seine Hand von der kleinen Smith & Wesson am Knöchel. Also ging er mit geheuchelter Fürsorglichkeit neben Lank in die Hocke, wobei der gestrige Streifschuss am Oberschenkel wieder aufplatzte. Dafür allerdings rutschte das Hosenbein ein Stück höher und gab den Klettverschluss über dem Strumpf frei. Er zog die Smith & Wesson und schoss das Telefon samt Ladestation vom Schreibtisch, bevor er sich aufrichtete, um den Anblick der entgeisterten Peeters zu genießen. Draußen hatte niemand was gehört. Ein hemdsärmeliger Mann mit Headset servierte den Fahrern Espresso.

„Das Telefon ist wohl im Arsch ... Herzchen!“, stichelte Lank. „Und Sie, mein lieber Doktor Zett, sorgen sich bitte nicht um Ihren Bonus!“ Das Röcheln war Lank mit Zetts Treffer vergangen. „Dieses Theater strengt mich doch ziemlich an ...“

„Herr Czartoryski verdoppelt Ihr Honorar, wenn Sie mich mit ihm sprechen lassen“, verkündete die Peeters.

„Wollen Sie trommeln?“, fragte Zett. „Rauchzeichen geben?“

Lank begann erneut zu röcheln, als Peeters’ freie Hand blind die Tastatur des Notebooks fand. Das Telefon war zwar geschrottet, aber der Kabelanschluss funktionierte wohl noch. Typisch, dass sie kein W-LAN benutzen, dachte Zett, gesundes Misstrauen gegenüber drahtlosen Netzen! Er schoss. Die Steckdose qualmte. Irgendwo im Haus schrillte ein Alarm, verstummte aber gleich wieder, da man die Konferenzteilnehmer offenbar nicht beunruhigen wollte.

Peeters richtete Zetts Makarow nun auf das große Fenster. „Lasst mich raus, oder ich schieße“, drohte sie.

„Tsss ...“, machte Lank. „So ein Eklat bei der Konferenz amüsiert weder Bucholtz noch Czartoryski. Außerdem schießen Sie auf Panzerglas. Wahrscheinlich hört man draußen gerade mal ein Knistern. Ich schlage vor, Sie lassen den Quatsch!“

„Sie schäbiger Verräter! Der Chef hat Ihnen nie etwas getan!“

„Ich ihm doch auch nicht“, erwiderte Lank. „Tatsache ist aber nun mal, dass Czartoryski ein großer Visionär ist und im Kampf ein mächtiger Anführer, jedoch als Moderator eine glatte Null. Er würde die Konferenz in fünf Minuten an die Wand fahren. Viel zu schnell gekränkt, viel zu großes Ego und dabei nicht halb so gerissen wie Bucholtz. Nur unter Karls Vorsitz haben wir eine Chance.“

„Aber wie soll denn ausgerechnet Bucholtz noch vermitteln?“, rief sie, nun fast mit Tränen in der Stimme. „Er ist doch inzwischen selber Partei – erpresste, von draußen manipulierte Partei!“

„Und wer bitte weiß in diesem Augenblick, dass er erpresst wird?“, fragte Lank. „Außer ihm selbst, Ihnen, mir und unserem Doktor Zett hier? Wer bitteschön weiß unten am Konferenztisch, dass man Karl erpresst?“

„Der Erpresser, falls er mit am Tisch sitzt“, sagte Zett.

Peeters dankte ihm mit enthusiastischem Nicken.

„Allenfalls der“, brummte Lank widerwillig. „Aber weder der, noch die anderen, noch ihr zwei habt die geringste Ahnung, wozu Karl fähig ist, wenn man ihn in die Enge treibt.“ Lank zögerte, bevor er schloss: „Zielen Sie auf Frau Peeters’ Kopf, Doktor Zett, und sobald die Dame ihre Waffe wieder auf das Fenster richtet, drücken Sie ab.“

„Sonst können Sie Ihren Bonus vergessen, Doktor ehedem Sixpack“, ätzte die Peeters. Zett trat auf sie zu, mit kurzen, vorsichtigen Schritten. Nur keine Eile, keine Bedrängnis! „Angst, Sie schießen auf zwei Meter daneben?“, spottete sie.

Näher. Noch näher.

Er starrte in das neun Millimeter kleine Loch, das im Normalfall die Mündung seiner vertrauten SIG Sauer 229 gewesen wäre. Die ungewohnte Makarow hatte er nur genommen, um notfalls den perfekten Schalldämpfer des Fabrikats zu nutzen. Der steckte jetzt in der Innentasche seines Sakkos. Wenn sonst nichts mehr half, konnte er damit immer noch werfen oder zuschlagen. Bestimmt ein Ehrenplatz in der Hall of Fame seiner Einsätze: Sich erst von der Frau die Knarre aus der Hand treten lassen und die Gegnerin dann mit dem Schalldämpfer ausknocken!

„Sie schießen nicht auf mich“, sagte er. „Vielleicht aufs Fenster, aber nicht in meinen Kopf. Geben Sie mir jetzt die Waffe!“

„Passen Sie auf, die legt Sie wieder rein!“, schimpfte Lank, doch Peeters zuckte nur die Achseln.

„Das ist es nicht wert“, sagte sie.

„Meine Pistole“, beharrte Zett.

Peeters rührte sich nicht. Sie zielte immer noch auf ihn, so wie er auf sie. Behutsam hob Zett seine Linke und hatte fast die Waffe gegriffen, da öffnete sich Peeters’ Faust und die Neunmillimeter polterte zu Boden. Peeters nutzte die Schrecksekunde, den Zwiespalt ihres Gegners ... Waffe sichern oder Feind stellen? ... nutzte den winzigen Vorsprung, den sie sich verschafft hatte, um Lanks Rollstuhl am Rad zu packen und von der Schiebetür weg zu kippen, sodass Lank ausgerechnet mit seinem lahmen Kreuz übers Parkett schlitterte, schweigend, ohne Wehlaut, still auch noch, als Zett mit schmerzverzerrtem Gesicht über ihn hinweg sprang und Peeters zu Boden warf.

Auf dem blanken Fischgrätparkett drei lädierte Körper und der umgekippte, wild piepende, Hightech-Rollstuhl. Jetzt allerdings macht Zett Ernst. Ein Schlag an den Hals raubt Peeters den Atem. Noch während sie japst, trifft der Kolben seiner Waffe sie über der Nasenwurzel. Niemand ist so leicht zu kontrollieren wie ein Gegner, dessen Tränendrüsen gerade den Impuls für maximalen Ausstoß bekommen. Allerdings tut der Hieb auch Zett nicht gut. Anfangs wallt der Schmerz noch scheinheilig langsam aus der Hand über Arm und Schulter in den Brustkorb, beschleunigt dort aber und bohrt sich zuletzt hochtourig in den Solarplexus.

Nun übernimmt vollends der Berserker das Kommando, der Berserker in Zett, dem Scham, Furcht, rotglühender Schmerz und das nie mehr abwaschbare Gefühl von Cloerkes’ Gehirnklümpchen durch die Synapsen rasen. Dieser Berserker schließt die Faust um Peeters’ Kehlkopf und drückt ihr die Mündung seiner Smith & Wesson in den Augenwinkel, dort, wo es schön weich ist. Das tut der Hand nicht weh.

Der Kontrakt des Söldners

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