Читать книгу Der Kontrakt des Söldners - Stefan Frank - Страница 4

2. Köln und Venedig. 17. bis 18.11.2003

Оглавление

Mit Autobomben bei den Istanbuler Synagogen Newe Schalom und Beit Israel hatte der antisemitische Terror, in der Türkei völlig neu, auf einen Schlag vierundzwanzig Tote und zweihundertfünfzig Verletzte gekostet. Während die Fernsehbilder von der Straße zum Galataturm liefen, die Zett selbst oft genug mit bandagiertem Gesicht hinauf gestapft war zur postoperativen Nachsorge, hatte er den Gestank von Betaisodona nicht aus der Nase gekriegt.

Nur allmählich fand er zur gewohnten Form zurück, dank abgeschaltetem Fernseher und leeren Mailboxen – und auch nur so lange, bis er im Flur den Umschlag entdeckte, der unter der Tür seiner Altbauwohnung durchgeschoben war. Unfrankiert. Ohne Adresse oder Absender. Fünf Fünfhunderteuroscheine für Spesen und ein Brief, der begann:

„Verehrter Doktor Zett! Wir sind weder Hisbollah noch Al Quaida, was Sie unschwer daran erkennen, dass Sie bei bester Gesundheit Staub wischen, während zwei Fenster zum Lüften offen stehen und uns perfektes Schussfeld bieten ...“

Dann ging der anonyme Absender bestürzend genau auf Zetts windige Doktorarbeit über den Ursulalegendenzyklus im Wallraf-Richartz-Museum ein, blieb ansonsten aber ziemlich vage und schloss:

„Falls unser Angebot Sie kalt lässt, was immerhin sein könnte, denn weltweit führt kein Broker Ihren neuen Namen in seiner Kartei, machen Sie sich mit den Spesen einen schönen Abend. Bei Interesse jedoch suchen Sie uns bitte morgen in Venedig auf.“

Angebot? Welches Angebot?

An die so genannte Promotion mochte Zett gar nicht mehr denken. Er hatte, während er auf diverse Ziele schoss, eine Menge kunsthistorisches Zeugs geschrieben, hauptsächlich als Co-Autor von Willem Cloerkes. Und dass das Thema seiner Turbo-Dissertation, dieses überlebenswichtigen Mosaiksteinchens der neuen Identität, damals mehrfach willkürlich geändert worden war ... Schwamm drüber! Wer wusste schon, was in Professor Sturgesons korruptem Gehirn vorging? Nun schien es aber plötzlich so, als wäre damals eine dritte Partei beteiligt gewesen. Oder zumindest informiert. An sich schon beunruhigend genug. Partei? Vielleicht Allahs Partei? Hisbollah ...?

Schon die Erwähnung der Hisbollah machte Zett paranoid, zumal ihm tags darauf vor dem Reiterdenkmal Colleonis einfiel, dass hier ein betrogener Söldner in Bronze gegossen stand. Als man Zett aus dem Frühstücksraum zum Telefon in der Lobby gerufen hatte, um diesen Bronzereiter als Treffpunkt zu bestimmen, hatte er die Fakten nicht präsent gehabt, doch jetzt war ihm qualvoll bewusst, dass Colleoni, um der Gier der Serenissima ein Schnippchen zu schlagen, die Republik zur Alleinerbin bestimmt hatte, mit der einzigen testamentarischen Auflage, ihm vor San Marco ein Denkmal zu setzen. Leichtsinnigerweise schrieb er nicht ausdrücklich: vor der „Kirche“ San Marco. Die Republik wartete also den natürlichen Tod ihres Condottiere ab, kassierte die Barschaft, beackerte geerbte Ländereien und errichtete sein Standbild vor San Marco, allerdings nicht vor der Kirche, sondern vor der Scuola Grande di San Marco – dem zugegebenermaßen prächtigsten Gildenhaus der Stadt.

Das sähe Hisbollah ähnlich, dachte Zett, ihn mit perfidem Humor in die Falle zu locken! Da würden sie sich auf Taqīya berufen, die koranische Erlaubnis, im Kampf gegen Ungläubige zu lügen.

Es war eine rauchige Frauenstimme gewesen, morgens am Telefon im Hotel. Sie wussten also, dass er kein Handy benutzte, nicht geortet und nicht permanent abgehört werden wollte. Die Stimme aus dem vorsintflutlichen Bakelit-Hörer hatte ihm aufgetragen, er möge ein Tagesbillett für die Vaporetti kaufen und zum Colleonidenkmal kommen. Dort klebe am Gerüst der Restauratoren ein roter Zettel, Kanalseite, unterste Querstange.

Ein arabischer Straßenmusikant spielte eine Art Dudelsack. Kopfschüttelnd eilte eine Gruppe Venezianerinnen an ihm vorbei, die solche Töne in den Tagen Istanbuler Terrors wohl unangebracht fanden. Nur die jüngste der Frauen blieb stehen und hörte zu. Zett bückte sich routiniert, wie um die Schnürsenkel fester zu binden. Zwanzig Schritte weiter, hinter der Kirchenwand von Zanipolo, befanden sich das Epitaph und die abgezogene Haut Marc’Antonio Bragadins, den die Türken bei Famagusta so grausam getäuscht hatten. Dieses ausgeklügelte Arrangement betrogener Kämpfer war doch kein Zufall, verdammt!

Er las: „Fahren Sie zum Supermercato am Zattere und kaufen Sie dort die oberste Tube Zahnpasta Hyperdental. Hinter der Kasse öffnen Sie die Schachtel und lesen den Beipackzettel. Vernichten Sie jetzt diese Nachricht!“

Mit trübem Blick auf Colleoni, den posthum übervorteilten Bronzereiter, zerknüllte Zett das Papier und schnippte es in den Rio dei Mendicanti. Er war nicht mehr jung und brauchte das Geld – Hisbollah hin, Paranoia her.

Machte ihm jemand Zeitvorgaben? Nein! Also fuhr Zett den denkbar umständlichsten Weg, um herauszufinden, wer ihm durch mehr als zwei Wasserbusse folgte. Und bald hatte er den osteuropäischen Lockenkopf entdeckt. Ihre Hand trommelte mit langen, unlackierten Fingernägeln auf dem Holz der Gepäckablage. Peinlich achtete sie darauf, dass ihr Haar nicht die fettige Scheibe der Bootsbrücke berührte. Ganze fünf Mal musste sie mit ihm umsteigen, bevor Zett ihr den Gefallen tat, den Supermarkt anzusteuern.

Dort folgte er eine Weile der Putzmaschine, trödelte durch die frisch gewienerten Gänge und zog sogar die vorgeschriebenen Plastikhandschuhe über, um die Qualität unverpackter Birnen zu prüfen. Schließlich verlor sein eleganter Schatten die Nerven und rauschte an ihm vorbei zur Kasse, wohl um ihn draußen vor dem Eingang abzupassen. Was sie aufs Band legte, war ausgerechnet eine Zahnbürste – vielleicht ein Gag zu viel für Hisbollah. Vielleicht gehörte sie ja zu den neuen Auftraggebern. Jedenfalls merkte Zett, wie sich ein Teil seiner Verkrampfung löste, während er las: „Nehmen Sie beim Anleger Accademia die nächste Verbindung zur Fondamenta Nuove. Von dort fahren Sie nach Torcello und kommen zum Bootsanleger hinter Santa Maria Assunta. Behalten Sie die Zahnpastatube in der Hand. Wenn Sie auf dem Weg telefonieren oder ein Wort mit jemand wechseln, dann laufen Sie ins Leere. Verschlucken Sie jetzt das Papier!“

Draußen vor dem Markt schaute Zett sich um und entdeckte sie ein ganzes Stück weiter Richtung Salute, vertieft in einen Plan der Wasserbusse. Um sie zu provozieren, schlug er die Gegenrichtung ein, aber sie dachte gar nicht daran, ihm zu folgen, sondern schlenderte weiter bis zur Brücke über den Rio San Trovaso. Zett kehrte um. Der Rio war mit Eisenschotten abgedichtet und auf hundert Meter leer gepumpt, weil Fundamente ausgebessert werden mussten. Man sah die Baumstämme, auf denen Venedigs Steine ruhten. Auch Miss Lockenkopf besichtigte den entblößten Schlamm der Jahrhunderte und den Salzfraß am Mauerwerk des Squero di San Trovaso. Zett schmunzelte. Er ging nun zügig in Führung, hörte sie hinter sich stöckeln und fuhr auf dem Absatz herum.

Ertappt!

Aus dem Schwung heraus machte sie noch zwei, drei Schritte, bevor sie wie angewurzelt stand und erneut den Linienplan entfaltete. Nun stützte Zett seine Ellbogen auf die Balustrade der nächsten Brücke. Jetzt hatte er Zeit, und zwar im Überfluss. Miss Locke hielt das allerdings nur fünf Minuten aus. Dann stöckelte sie resigniert an ihm vorbei, stadteinwärts Richtung Accademia.

Ihre Wangenknochen traten spitz aus dem Gesicht hervor, in sonderbarem Kontrast zum weichen Mund und dem runden Kinn. Zu gerne hätte Zett gewusst, ob ihr die rauchige Frauenstimme gehörte, die ihm frühmorgens erste telefonische Weisungen erteilt hatte, doch ansprechen durfte er sie ja nicht.

Einsteigen. Umsteigen, in eins der großen Boote. Gleichmäßig klatschte das Wasser am Rumpf. Der Rücken Venedigs, die abgelegene Uferpromenade Fondamenta Nuove, lag bald weit hinter ihnen und geradeaus die Friedhofsinsel San Michele – was durchaus wieder als Hisbollahhumor durchging. Da es auf der Fähre nirgends Gepäckablagen gab, auf denen sie mit nervösen Fingern trommeln konnte, hatten Zett und seine Miss es sich auf dem Panoramadeck bequem gemacht, immer fest die nächsten Pali im Blick. Später dann, über der offenen Lagune, klarte der Novembermorgen auf, und Zett ahnte am Horizont verschneite Dolomitengipfel. Trotzdem blieb die leidige Frage nach der Stimme. Nur – wie brachte man jemand zum Reden, ohne selbst den Mund aufzutun? Vielleicht hundert Milligramm Zahnpasta in die Locken? Zett wartete, bis jeder Anflug Paranoia abgeklungen war, dann setzte er sich – in einem Karree von dreißig freien Plätzen – auf den Platz neben sie. Sie lächelte ihn an. Er lächelte zurück, allerdings sollte das Lächeln ihr sagen: Hey Locke, hör doch bitte auf mit dem Quatsch, lass uns den Rest der Strecke wie Profis abreißen! Dabei packte er wohl ein bisschen viel wortlosen Inhalt in sein Lächeln, jedenfalls verunglückte es, und sie wandte sich ab. Starrte geradeaus über die Salzwiesen.

Vielleicht eine halbe Seemeile weiter wurde ihm unbehaglich. Er stand auf und setzte sich auf seinen ursprünglichen Platz zurück, riskierte einen Blick – sie sah ihm direkt in die Augen. Was für ein unhaltbarer Zustand! Wieder stand er auf und schlenderte zur Heckreling, um das Kielwasser zu vermessen. Sollte sie ihm doch in den Rücken schießen mit ihrer schallgedämpften Waffe und anschließend die Treppe runter stöckeln in die überfüllte, miefige Kabine, um dort vielleicht noch mit rauchiger Stimme zu flüstern: „Allahu akbar!“

Er wartete. So wie am Bug das Wasser gleichmäßig klatschte, rauschte und schäumte es hinten monoton, wobei leider der Wind schlecht stand, und Zett reichlich Dieselabgase schluckte. Offenbar war sie nicht die Vollstreckerin. Ein Lockvogel, der seine Entschlossenheit zu schweigen testen sollte und ihn deshalb anflirtete? Hatte sie ihn eigentlich angeflirtet? Hielt sie die Zahnbürste in der Hand, bevor oder nachdem er seine Tube Zahnpasta gekauft hatte?

Cloerkes hatte ihm gepredigt, mein Junge, hatte er gepredigt, wir Männer bereiten die meisten unserer Niederlagen durch Selbsttäuschung vor. Der weise alte Großkotz … Gott, wie Zett ihn vermisste! Manchmal bedauerte er geradezu, nicht ein Fitzelchen Cloerkes konserviert zu haben. In den Jahren seitdem war er einer Frau begegnet, die trug die Kohlenstoffe ihres jung verunglückten Gatten, verdichtet zum winzigen blauen Kunstdiamanten, am Trauring. Lustige Spiele hatten sie gespielt mit dem Diamanten.

Mittlerweile war der Campanile von Santa Maria Assunta in Sicht. Zett stutzte, als die Fähre nicht direkt Kurs auf den Torcello-Anleger nahm, sondern nach Burano einschwenkte, aber gut, von dort ging ein Traghetto. Unten drängelten schon Lagunenbewohner mit Touristen um die Wette. Seine Miss machte keinerlei Anstalten, sich einzureihen. Auch Zett wartete – er wollte nicht im Dunst der überheizten Kabine anstehen. Allmählich wurde es dann aber doch Zeit, denn erfahrungsgemäß löste die Mannschaft unmittelbar nach dem Gedrängel das Hanftau vom Poller und stieß wieder ab, ohne Rücksicht auf Nachzügler.

Zett glich auf der Stahltreppe das Schwanken des Bootes aus, als er plötzlich ihr Parfüm roch, sehr nah, eine, höchstens zwei Stufen hinter ihm. Die Kleinfamilie vor ihm, Vater, Mutter, Sohn, letzterer fußballverrückt und überaus mitteilsam, hatte auf dem Festland einen Plasmafernseher gekauft, der sich im Karton ziemlich sperrig machte „Signore, do you speak English? ... for the European Championship, you know, next year.“

Und der Vater ergänzte: „And for 2006 as well!“ Wohl um einen Pflock einzuschlagen, damit nicht zur Weltmeisterschaft in drei Jahren das Gerät der nächsten Generation fällig würde.

Hinter Zett erklang ein warmes Lachen. Er selbst musste wie der letzte Stoffel das Maul halten und kratzte sich mit der Zahnpastatube die Wange. Blieb stehen. Wartete den Landgang der glücklichen Konsumfamilie ab. Mutter und Sohn stürmten voran, alberten rum, nur der Vater tappte vorsichtig Schritt für Schritt, weil der sperrige Karton ihm die Sicht nahm. Von der Reling winkte ungeduldig die blaue Uniformbluse. Zett nahm eine Stufe, die zweite ... man hatte ihm verboten „mit“ jemand zu sprechen. Die dritte Stufe ... nirgends war die Rede davon gewesen, ohne Ansprechpartner einfach rumzubrüllen. Die vierte Stufe, dann rief er theatralisch: „Merda, un ratto!“ und stolperte rückwärts hinauf, wobei er gegen Miss Locke stieß. Noch mehr Parfüm! Nichts, was er kannte. Ein kühler, auf Lavendel basierender Duft, wie ihn vielleicht eine Wüstenbewohnerin aussuchen würde.

„Ach, spinn doch nicht rum“, sagte die Stimme hinter ihm, die eindeutig nicht rauchig klang, sondern erstens schwäbisch und zweitens verärgert. Nachdem solchermaßen die Stimmenfrage geklärt war, nahm Zett verlegen die restlichen Stufen und eilte über das Hauptdeck an Land, von wo es weiterging zum Anleger Richtung Torcello. Dabei vermied er jeden Blick zurück.

Der Kontrakt des Söldners

Подняться наверх