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5. Venedig. Freitag, 21.11.2003, nachts

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Fluchtartig hatte er das Restaurant verlassen. Nun lehnte er schwer atmend an der Vaporettoreling und widerstand dem Drang, in volle Deckung zu hechten, vielleicht sogar ins glatte, totkalte Wasser der Lagune. Jeden Morgen machte er fünfzig Liegestütz, Situps und Kniebeugen. Er kletterte, lief jede Woche seine Kilometer, doch jetzt war ihm die Brust so eng wie dem nächstbesten Infarktopfer. Er hatte viel zu kurz geschlafen, geplagt von Alpträumen über einen schöngeistigen Söldner, der seinen Lebensunterhalt mit Tod verdiente. Mutterseelenallein war der Typ. Konnte er auch nur mit einem der fünfzigtausend Contractors im Irak ein vernünftiges Gespräch führen, das über nackte Einsatzbesprechung hinausging? Auch nur mit einem Einzigen, egal ob sie nun für Halliburton, Blackwater oder für die Agency kämpften? Russen waren in aller Regel okay, außer den Folterknechten, die bei den Omon-Einheiten abgemustert hatten. Von Serben hatte Zett die Schnauze voll, ebenso wie von den Garden des Dschihad. Die Weißen aus Süd- und Südwestafrika waren meist üble Rassisten. Mit asiatischen Söldnern kam man nicht in Kontakt, die verkehrten nur mit Landsleuten. Lateinamerikaner hatten meist die Schule von Ausbildern durchlaufen, die ihrerseits noch in den Folterdiktaturen des Kalten Kriegs gelernt hatten. Am besten kam Zett mit den ganz harten Knochen klar, so hart, dass in den Schädeln wenig Platz für Hirn blieb! Schlimm waren die Familienväter – denen stand er völlig ratlos gegenüber.

Die Fremdenlegion wäre eine Zuflucht gewesen, früher einmal. Da hatte sie manchen Sonderling integriert. Heute jedoch leistete die Legion sich diesen exzellenten Geheimdienst, der Zetts Legende binnen Minuten zerpflückt hätte. Außerdem war er zu alt. Die Ersparnisse seines Lebens waren dahin – für eine durchsichtige Tarnung, die ihn nicht mehr lange vor Hisbollah schützen würde. Wahrscheinlich sollte er auf Dauer unterkriechen bei Bucholtz und diesem bewaffneten Thinktank, dessen Website mit zweitausend Jahren Tradition prahlte. Wenn er dann jedoch überlegte, dass ein bisschen nur, ein Quäntchen mehr Anpassung im Elternhaus, in der Schule oder später bei der Bundeswehr genügt hätten, dem Leben eine völlig andere Richtung zu geben, dann entwickelte das schwarze Wasser mächtigen Sog. Zett beugte sich vor, tief über die Reling, und wäre gekippt, hätte nicht Cloerkes aus der spiegelglatten Fläche abgewinkt ...

„Zählst wieder Fantasieratten?“ Mit drei Worten brach Miss Stimme den Bann.

Trotzdem musste Zett, bevor er sich sehr langsam umdrehte, erst noch den Impuls niederkämpfen, die plötzliche Bedrohung im Rücken durch einen Handkantenschlag auf den Kehlkopf der Frau zum Verstummen zu bringen. Das war der schlimmste Teil der Anfälle. Nach Vietnam hatte ein Veteran in heilloser Panik seinen kleinen Sohn erwürgt, als der ihm das Frühstück ans Bett brachte. Der Vater, vom Geschirrklappern aus dem Schlaf gerissen, sah plötzlich ein Gesicht über sich und nahm es wahr als Teil der allumfassenden Bedrohung, vor der es kein Entrinnen gab – außer eben im Kampf des Berserkers.

„Schau mal“, plauderte sie, „da schippern sie ein Stück Salutebrücke ins Depot.“

Auf dem Weg zum Restaurant waren Zett Kinder mit Haifisch- und Pferdeluftballons begegnet. Tatsächlich – Salute war vorbei, die Pontonbrücke demontiert, ohne dass er seinen Vorsatz ausgeführt hatte, wenigstens dieses Jahr einmal den Canal Grande rituell zu überqueren! Der Bugscheinwerfer des Vaporetto schwenkte wild auf und ab, weil sich plötzlich meterhoher Dunst über dem Wasser türmte.

„Ich geh mal wieder rein“, sagte sie, „da du ja offenbar nur mit Ratten sprichst – oder halt, nein, entschuldige! Nicht mit, sondern über Ratten! Schönen Abend noch. Und wenn du morgen beim Frühstücksbüfett wieder in mein Müsli hustest ...“

Zetts Mordimpuls verkroch sich. Linkisch tastete er sich zurück in die Realität:

„Wart mal. Versteh ich ... du wohnst in meinem Hotel?“

„Wusste ich gar nicht, dass es dir gehört!“

„Entschuldigung – kommst du von Bucholtz?“

„Von wem?“

„Du hast keine Nachricht für mich?“

„Oh weh!“, sagte sie. „Ich hau besser ab, sonst hörst du gleich noch Stimmen!“

Die Situation war dermaßen verfahren, dass Zett kapitulierte. War das alles nur ein aberwitziger Zufall, von Zahnpasta und Zahnbürste über die Buranofähre bis jetzt? Siedend heiß wurde ihm bewusst, welchen Affentanz er auf der Fähre getanzt hatte und dann, noch furchtbarer, noch peinlicher – ob sie wohl eben gemerkt hatte, wie wenig fehlte, und Zett wäre einfach vornüber gekippt...?

„Da ist die Ca’Dario“, sagte er, als der Scheinwerfer kurz über den Schriftzug in der berühmte Fassade glitt. „Du weißt nicht zufällig, wie Fields zu Tode kam, nachdem sie ihn hier vorbei bugsiert hatten?“

„Wer ist Fields?“

John Fields, um 1600 herum Legat der Gründer in London, dessen Schicksal ausführlich auf Bucholtz’ Website erörtert wurde, war ihr offenbar nicht geläufig – oder sie tat wenigstens so. Allein diese Website! Gut – auch Sandline oder NBK hatten aufwendige Websites, aber so was...

„Sag mal, hast du vielleicht einen ganz Kleinen an der Klatsche?“, fragte sie.

Darauf er: „Können wir noch mal auf Null zurück?“

„Null“, sagte sie bereitwillig, auf einmal richtig lieb, und wusste jetzt auch, dass Dario ein venezianischer Gesandter am Hof jenes Sultans Mehmed II. gewesen war, der Konstantinopel erobert hatte. „Deshalb bringt der Palast allen Bewohnern immer nur Unglück“, schloss sie.

In ihrer Augenbraue hing ein Tropfen Dunst, der sich nicht lösen wollte, sodass Zett fragte: „Da hängt was ... darf ich?“ und sie nickte und er tupfte das Wasser aus ihrer Braue, ließ die Hand sinken, wobei sein Daumen über ihre Wange streifte und in ihrem Mundwinkel zur Ruhe kam.

„Von wegen, du Ratte – bei mir hängt was! – gar nichts hängt bei mir!“, flüsterte sie und küsste seinen Daumen. „Woher kommst überhaupt?“ Im Bodenseedialekt ihrer gemeinsamen Heimat.

„Überlingen“, sagte er.

„Konstanz“, nuschelte sie mit seinem Daumen in ihrem Mundwinkel. „Nächste Frage!“

„Mein Name ist Ratte – und wie heißt du?“

„Sag richtig!“, bat sie.

„Thomas“, sagte Zett, der, weil es gegen alle Regeln verstieß und jede Wahrscheinlichkeit Lügen strafte, seinen richtigen Vornamen in die neue Identität übernommen hatte. Und verplappert hatte er sich eh schon, denn Überlingen stand definitiv nicht im Personalausweis des Kölners Thomas Zett. Überlingen gehörte zu einem Menschen namens Thomas Zottnow, der amtlicherseits für tot erklärt worden war. Er musste besser aufpassen...

„Was?“

„Ich hatte gefragt, ob deine Freunde dich Tom nennen“, fragte sie kühl und schob seine Hand fort.

„Nein“, sagte er schlicht, „entschuldige, heute ist nicht mein Tag.“

„Das merkt man“, sagte sie.

„Wie nennen deine Freunde dich?“

„Willst du mein Freund sein?“

„An besseren Tagen bin ich ein ziemlich guter Freund.“

„Meine Schwester nennt mich Sanne“, sagte sie.

„Da muss ich passen. Als Schwester bin ich ein Totalausfall ... Susanne?“

Sie nickte. Der Vaporetto legte an, und schweigend gingen sie die hundert Meter zum Hotel, begrüßten den Nachtportier, auf dessen Lippen Zett immer noch ein abfälliges Lächeln zu sehen meinte – oder war es nur ungläubig und galt dem überraschenden Paar?

Vor seiner Zimmertür, die im Flur zuerst kam, boxte sie ihn leicht in die Rippen und ermunterte Zett: „Morgen, neun Uhr Frühstück, Müslihusten!“ Und weg war sie.

Zett schaltete gewohnheitsmäßig den Fernseher ein, Ton aus. Zuerst Bilder aus Istanbul. Dann stieg Bush aus dem Buckingham Palace in die Air Force One um, während Michael Jackson sich den für Neverland zuständigen Behörden stellte. Soweit CNN. Auf Rai Due, in einer Sendung namens »L’isola dei famosi« sang ein Mann auf Krücken und schrieb anschließend mit Kreide „Nackte“ auf die Tafel. Damit kriegte er Applaus und sang noch einmal. Zett ging duschen. Als er zurückkam, putzte sich ein anderer Mann im Flugzeug mit der Krawatte des Sitznachbarn die Zähne, woraufhin die Sendung »ER – Medici in prima linea« angekündigt wurde. Als dann Bilder vom Raketenangriff auf das irakische Ölministerium folgten, schaltete Zett ab. Zu wundern brauchen wir uns nicht, dachte er noch. Dann verstaute er seine Waffe, die Papiere und das meiste Geld im Schranktresor, wusch sich nochmal die Hände und verließ sein Zimmer, um an ihre Tür zu klopfen.

Der Kontrakt des Söldners

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