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6. Venedig. Samstag, 22.11.2003 bis Samstag, 29.11.2003

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„Du kannst mit Fug und Recht“, hatte Cloerkes einmal doziert, ohne damit jedoch Venedig zu meinen, „die Stadt als den Fleck Erde betrachten, wo du samstags einkaufen gehst, dein Auto wäschst und abends mit den Kumpels ein Bierchen trinkst. Oder du liest die Stadt als Landkarte. Oder Geschichtsbuch.“

Tatsächlich wurde für Zett das Geschichtsbuch Venedig zum Notbehelf, weil immer wieder touristische Attraktionen herhalten mussten, um von den Ungereimtheiten seiner erfundenen Biografie abzulenken. Zett hatte das noch nie geübt. Seine letzte Beziehung datierte in die Epoche des für tot erklärten Thomas Zottnow, der seine Söldnerexistenz durchaus offen gelebt hatte. Jetzt merkte er, während Susanne sich öffnete, wie dürftig Herrn Doktor Zetts Lebenslauf war. Der reichte bestenfalls für ein Kneipengespräch, und es machte ihm Tag für Tag weniger Spaß, herumzustottern, um diese wunderbare Frau zu belügen. Cloerkes, weit entfernt davon zu helfen, hockte im Schmollwinkel.

Susanne Dohm war Einkaufsleiterin einer kleinen aber feinen Eventagentur und machte theoretisch Urlaub, den sie aber täglich ein paar Stunden unterbrach, um für ihre Firma Muranoglas zu kaufen und auf Burano nach exquisiter Spitze zu suchen, die es in winzigen Stückzahlen immer noch gab, abseits vom asiatischen Plunder. Das war doch mal was. War ein Leben.

Und Zett? Was sollte er erzählen, wenn schon die linke Buchhandlung seiner verstorbenen Eltern, ein bodenseeweit verrufenes Wagnis, ihn identifizierbar gemacht hätte? Schön, den humanistischen Bildungsterror, die erzwungenen Klavierstunden, das abgefragte Lesepensum – mach aber keine Eselsohren, hörst du! – die ausgeprägte Diskussionskultur bis zum Erbrechen – all das, was ihm damals zunehmend unerträglich vorgekommen war, konnte er ortsunabhängig erzählen. Auch Salem! Das kannten die Wenigsten, also berichtete er, das Geld seiner Eltern habe ihm dieses Internat ermöglicht, obwohl es eigentlich das Geld des Schweizer Großvaters gewesen war, der in diesem speziellen Fall die Querelen mit dem ostpreußischen Flüchtlingsschwiegersohn einmal hintangestellt hatte. Abitur nach zwei Schulverweisen, für die Zett sich heute noch nicht schämte. Einmal hatte er in der Theater-AG Shakespeares »Taming of the Screw« ums Verrecken nicht pädagogisch wertvoll interpretiert, beim zweiten Mal hatte ein Oberstudienrat sich eine Maulschelle gefangen. Aber dies zum Beispiel, das Konstanzer Gymnasium, musste schon wieder verschwiegen werden, denn sie hätte zwangsläufig nach gemeinsamen Bekannten geforscht. Also erfand Zett sein Abitur neu – im Internat Schloss Salem, was ihn wenig später maßlos ärgerte, als ihm aufging: Susanne war dreizehn Jahre jünger als er – das hätte alles zufriedenstellend erklärt ... obwohl … genau genommen doch nicht, denn zwar kamen und gingen die Schüler, aber die Lehrer? Hattet ihr auch schon den ekligen Lohmann in Mathe? Nein, da war Salem doch die bessere Wahl. Dann Bundeswehr, vier Jahre Zeitsoldat, aber damit geriet er schon in den Grenzbereich des Verwertbaren. Die Einzelkämpferausbildung und das Training bei den Special Forces im Colorado Plateau waren heikel, passten schlecht zum Kunsthistoriker.

Folglich konnte er mit einer Vergangenheit bis zum Alter von zweiundzwanzig Jahren aufwarten – dahinter gähnte das riesige Loch, das auch die Gegenwart verschlang. Einundvierzig Jahre alt, Kunsthistoriker, aber kein Lehrstuhl, keine Publikation, keine Betreuung einer noch so provinziellen Ausstellung, nicht mal irgendein Artikel in einer mickrigen Fachzeitschrift – ihm blieb nichts weiter übrig, als sich auf Papas Geld zu berufen. So schuf er das nächste Problem – dass sie immer neugieriger wurde, womit Papa denn so viel Geld verdiente in Überlingen. Außerdem musste er seinen Personalausweis gut verstecken, denn dort kam der Geburtsort Überlingen gar nicht vor. Dort stammte Herr Doktor Thomas Zett aus Köln.

Sanne war demgegenüber erfrischend normal – und auch beschämend mitteilsam: Abitur, Studium Betriebswirtschaft und Design, kinderlos geschieden, die Agentur war ihre dritte Firma, das Schicksal ihrer Generation, der endlose Reigen unterbezahlter Praktika, war ihr erspart geblieben. Sie hatte drei, vier richtige Entscheidungen getroffen und leitete seit einem Jahr den Einkauf dieser Agentur für die exklusiven Events sehr reicher Leute.

„Jetzt schnauf ich erst mal durch“, erzählte sie. „Weihnachten, Silvester und Karneval sind locationmäßig und mit Künstlern versorgt. Beim Catering soll mein Assistent sich ruhig die Hörner abstoßen, sonst lernt der nie, dass man Köchen ein Budget gibt – und dann die lange Leine.“

Was sie hier im Urlaub erledigte, diente der Vorbereitung eines venezianisch gestylten Konzertabends im nächsten Sommer, dessen Gastgeber sie dann doch noch zum Geheimnis ausrief. Ihre präzisen Kenntnisse, welcher Squero noch die ganz seltenen Gondeln mit verhängten Kabinen baute, die so ungemein diskret auf dem Wasser schaukelten und an das lasterhafte achtzehnte Jahrhundert denken ließen, hingen offenbar genau damit zusammen. Das Konzert, soviel verriet sie immerhin, würde in einem Loireschloss gegeben und zu Demonstrationszwecken gönnte sie Zett eine Nachtrundfahrt in dem Prototyp Gondel, den sie in Auftrag gegeben hatte. Sie wurden von einem trittsicheren Gondoliere gerudert, der mit den unvorhersehbaren Schwankungen des Boots problemlos fertig wurde und laute Erklärungen abgab oder an Kanalecken Warnrufe ausstieß, wann immer Nebengeräusche übertönt werden mussten.

Dann probierten sie einen Brunnen aus dem Trecento, der sich als erotisch durchaus tauglich erwies, vorausgesetzt, man war gelenkig und in aller Herrgottsfrühe sehr leise unter den vielen Fenstern. Aber man holte sich doch einen ziemlich kalten Hintern im November, und so beendeten sie ihre Eskapaden auf dem Zimmer.

Japsend, während ihre Schenkel seinen Kopf umklammerten, interpretierte Sanne für Zett den tonlosen Bildschirm. Vom Waffenstillstand zwischen Indien und Pakistan sei die Rede, der die Kaschmirregion einschließe. Präsident Bush erscheine zum Plastiktruthahnessen in Bagdad und Hillary Clinton zeige ebendort ihr stählernes Lächeln.

Einmal wurde sie misstrauisch, weil Zett den Designerpapst nicht kannte, den einfach jeder Kunsthistoriker kennen musste. Das war zum Glück vor Santa Maria Zobenigo, der Fassade mit den fünf Reliefs, unter anderem von Zara, dem jugoslawischen Zadar, aus dessen Bürgerkriegsjahren Zett viel hätte berichten können. So wie die Dinge aber lagen, beschränkte er sich darauf, zu erzählen, wie Zaras Bürger mit dem Untergang der Republik Venedig ganz und gar nicht einverstanden waren. Dramatisch zugespitzt gab er zum Besten, wie sie San Marcos Banner unter dem Altar bargen, während Napoleon Venedig vergewaltigte. Das toppte den nicht gewussten Designerpapst.

Irgendwie half Zett sich Tag für Tag über die Runden. Halb hoffte er, ein Befehl von Bucholtz würde ihn endlich aus seinem prekären Dasein als Lügensoldat erlösen – halb fürchtete er sich vor dem Abschied am Aeroporto Marco Polo. Womit er jedoch am wenigsten gerechnet hätte, das war ihr Urlaub, ihr spontan zupackendes: „Sag mal, gibt es bei dir in Köln vielleicht ein zweites Kopfkissen? Paar Tage Zeit hätt’ ich noch.“

Das Fax für ihn, dessen Empfang sie frühmorgens an seiner Zimmertür quittiert hatte, hatte Susanne offenbar gelesen:

„Lieber Herr Dr. Zett, vielen Dank nochmals für unser Gespräch auf Torcello! Ich hoffe, Sie kommen voran, denn ich schulde meinem Freund Richard Lank die schlussendliche Abklärung der Ursulazyklen. Für Carpaccios Version in der Accademia hatten Sie inzwischen reichlich Zeit. Ich ermuntere Sie daher, auch die Kölner Zyklen einzubeziehen. Da der Bilderzyklus in Sankt Ursula und die Goldene Kammer derzeit wegen Restaurierungsarbeiten nach dem Wasserschaden schwer zugänglich sind, empfehle ich Ihnen, schnellstmöglich – wiederhole: schnellstmöglich!!! – den Kleinen Ursulazyklus im Kölner Wallraf-Richartz-Museum in Ihre Überlegungen einzubeziehen, nicht nur, um das zweifellos vorhandene Qualitätsgefälle zu verifizieren, sondern auch, weil Ihre Arbeit dort ganz neue Impulse erhalten dürfte. Einstweilen beste Grüße, Bucholtz.“

Während sie packten, bemerkte Zett, dass der Anflug von Zweifel, dieser leichte Hauch von einem Anflug, den er oft in ihrem schönen Gesicht bemerkt hatte, wie weggewischt war.

Der Kontrakt des Söldners

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