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7. Kölner Archiv. Samstag, 29.11.2003

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Geschäftig mit Papieren raschelnd kam Peeters durch die Sicherheitsschleuse. „Ihr Fax an Doktor Zett ist raus, Successor ... soll das Original in den Reißwolf?“

Bucholtz legte den Zeigefinger an die Lippen und musterte zwei Reihen gepolsterter Lehnstühle in dem ansonsten leeren Raum, der in spätestens drei Stunden fertig eingerichtet sein musste für die Konferenz. Um fünf in der Früh hatte Assad ihn rausgeklingelt. Ultimativ hatte der zweite Mann des Halbmondrats nach einem runden Tisch verlangt. Am langen Tisch gebe es immer zwei Enden, und selbst wenn, gemäß Bucholtz’ Vorschlag, die Sitzordnung der Delegationen täglich ausgelost werde, so sei es doch mit der Würde des Halbmondrates unvereinbar, auch nur eine Minute am unteren Tischende zu sitzen. Dabei hatte Assad durchblicken lassen, der Indienrat sei ganz derselben Auffassung und habe bisher nur aus falsch verstandener Höflichkeit geschwiegen.

„Das Fax, Successor?“, hakte Antje Peeters nach, ein bisschen forsch, und erwischte ihren Chef damit prompt auf dem falschen Fuß.

„Frau Peeters, den Reißwolf bedient für gewöhnlich mein Sekretär Rouvier, aber vergessen Sie nicht, eine Kopie meiner Privatkorrespondenz an Princeps Czartoryski zu schicken, da wir schon mal dabei sind. Wenn Sie dann anschließend vielleicht ihre Aufgaben als mein Majordomus und somit auch Majordomus dieser Konferenz wahrnehmen könnten! Frau Byron und die Herren erwarten einen Tisch für ihre Unterlagen – ich übrigens auch.“

„Ich schicke nicht Kopien an den Princeps … und die Elemente sind noch unterwegs“, maulte Peeters, „samstags um halb neun laufen Einrichtungshäuser nicht gerade auf Hochtouren.“

„Was denn für Elemente?“

„Achtel, wie Tortenstücke, die wir zum runden Tisch zusammenschieben, oder erklären Sie mir, wie ein runder Tisch in dieser Größe durch die Sicherheitsschleuse passen soll! Knapp wird das sowieso. Die fünfzehn Herrschaften müssen zusammenrücken.“

„Mit mir sechzehn“, sagte Bucholtz. „Hat Monica angerufen?“

„Frau Ricasoli hat sich nicht gemeldet. Ist übrigens nicht Ihr Sekretär für die Entgegennahme von Telefonaten zuständig?“, fragte sie spitz.

„Ans Telefon geht, wer am nächsten drinsitzt“, knurrte Bucholtz. „Mich würde schon beruhigen, wenn Sie Monica verlässlich zu mir durchstellten, doch das ist offenbar zu viel verlangt.“

„Ich wollte Sie nicht stören. Sie waren in einer Besprechung.“

„Ich würde es nicht Besprechung nennen, wenn ich ein Wort mit Richard wechsle.“

„Aber mit mir – das ist eine Besprechung, ja?“

„Klar“, sagte Bucholtz. „Was für Holz?“

„Wie bitte?“

„Aus welchem Holz sind die Tischplatten? Buche wäre ein diplomatisches Fiasko ... da fällt garantiert irgendwem mein Name ein und er unterstellt mir alberne Machtspielchen: Schaut her, ihr sitzt am Tisch von Karl Bucholtz, dem großen Vermittler.“

„Kunststoffüberzogenes Leichtmetall in Kiefernoptik“, sagte Peeters mit bemühtem Ernst. „Gediegeneres war nicht aufzutreiben. Dusch hat aber noch das Prunktischtuch des alten Kölner Archivs, dezent vergilbtes Leinen mit seidengestickten Wappen am Saum.“

„Das wird gehen“, sagte Bucholtz. „Und jetzt holen Sie uns bitte zwei schöne doppelte Espressi und wir schließen Frieden!“

„Ich mach keine Kopien von Ihren Faxen!“

„Weiß ich doch“, sagte Bucholtz, wobei er dachte: Hoffe ich zumindest gegen jeden Instinkt.

„Und ich habe ganz bestimmt Frau Ricasolis Anruf nicht mit Absicht abgewürgt.“

„Klar.“

Einen Moment zögerte sie, offen Interesse an Bucholtz’ Privatleben zu bekunden, aber dann fragte sie mit dem Unterton der Besorgnis: „Chef?“

„Hm?“

„Sie haben doch seitdem noch mal mit ihr telefoniert?“

„Ich will meinen Espresso!“, schnappte er.

Das Kölner Archiv war wirklich nicht optimal auf die Konferenz vorbereitet, doch ganze fünf ehrwürdige Provinzialarchive wurden zurzeit umgebaut, und das Große Archiv in Venedig kam schon gar nicht infrage als Tagungsort. Die Gründer hatten Geiseln stellen müssen, mehr Geiseln als jemals zuvor. Für das zweifelhafte Privileg, die verfahrenen Gespräche nach dem Einmarsch der Amerikaner in den Irak zu moderieren, weilte im Gegenzug der Chef des Rates, Princeps Czartoryski, als Gast bei den Indern. Strategiepräfekt Samjatin und Personalpräfekt Rodil wurden in Alexandria vom Halbmondrat bewirtet, während Finanzpräfekt Polignac und Archivpräfekt Manini am Sitz des Neuweltrates zankten, ob ihr Spiel nun Boule hieß oder Boccia.

Da wurde es zur Prestigefrage, dass nicht zugleich die Führungsspitzen konkurrierender Räte sich einnisteten in der Zentrale der Gründer. So war die Wahl auf den Tagungsort Köln gefallen, das in der Auswahl am repräsentativsten, sichersten und bequemsten erschien – jedenfalls vor den Querelen um die Sitzordnung. Bucholtz sollte moderieren. Er war derjenige, der nach allgemeiner Übereinkunft das Wort erteilte und entzog. Um mit gutem Beispiel voranzugehen, hatte er angeboten, die Konferenz von einem Schemel ohne Lehne zu moderieren, als demütiger Knecht des Kompromisses. Doch nun schoss der Halbmondrat quer und wählte zum Sprachrohr ausgerechnet Assad, den Führer der Islamistenfraktion. Blieb abzuwarten, ob Ahmed Arnavut, der Sicherheitschef des Halbmondes, Assad auch diesmal wieder zur Räson brachte. Vielversprechend war das alles nicht, aber es gab nur diesen einen Termin. Scheiterte der, dann träfe das Spitzenpersonal der Verhandlungspartner erst gut ein Jahr später erneut aufeinander, bei der Jahrfünftkonferenz aller Räte, wobei dann noch vier weitere Parteien mit am Tisch säßen, jede mit ihren eigenen Interessen und Empfindlichkeiten.

Peeters brachte die Espressi und meldete, dass sechzehn Schwarze Hände unter der Leitung des Kölner Legaten Franz Dusch Tischelemente abluden und Folierungen aufschnitten. In Gedanken musterte Bucholtz seine Truppen: Er hatte neunzig Schwarze Hände in Köln zusammengezogen, drei Schichten zu je dreißig Mann. Abzüglich sechzehn machte das im Augenblick vierzehn Mann in Haus und Park. Das schien vertretbar.

„Er muss den Möbelpackern Trinkgeld geben und ihnen klarmachen ...“

„Dusch erzählt ihnen, hier feiere der Vorstand der Cäcilia Wolkenburg“, sagte Peeters und schlürfte den Rest ihres Espresso, nachdem sie die Tasse geschwenkt hatte, um ja keinen Krümel Zucker am Boden zu lassen.

Der rituelle Espresso war ein Moment des Friedens im ewigen Gezänk des Successors mit seiner Assistentin, die sich so dumm gar nicht anstellte, wie Bucholtz oft lästerte, wohl wissend, dass dies kein feiner Zug von ihm war. Doch erstens hatte der Princeps ihm Peeters gegen seinen Willen aufgedrängt – Bucholtz hatte damals Valentin Boduvak schon ernannt und musste ihn vor den Kopf stoßen, um auf Czartoryskis Geheiß für die ehemalige New Yorker Legatin einen Posten in der Zentrale zu schaffen. Zweitens jedoch – und unter diesem Fluch hätte auch Boduvak gelitten – sah Bucholtz bei jeder Handreichung durch Peeters hindurch auf seinen angeschossenen Freund Richard Lank, der ihm vor seinem Wachkoma in derselben Funktion gedient hatte. Heute saß Lank im Rollstuhl. Er konnte wieder klar denken und sprechen, aber dem Job des Majordomus war er nicht mehr gewachsen.

„Geben Sie her, ich bring die Tassen hoch“, sagte Bucholtz, als das erste Achtel Tisch in der Sicherheitsschleuse prompt den Alarm auslöste.

Auf dem Flur zur Kaffeeküche traf er den Legaten mit seiner Tochter. Sabine Dusch schnitt Bucholtz schon seit Tagen, weil sie und ihre Mutter für die Dauer der Konferenz in ein Hotel umziehen sollten.

„Immer noch zum Praktikum nach Vancouver?“, fragte Bucholtz.

„Wer will das wissen?“

„Ein durch und durch korrupter Mensch.“ Er hielt ihr den von Peeters bestückten Umschlag hin und verschwand im Bad, bevor Vater Dusch Protest einlegte.

Er brauchte die heißkalten Bäder. Peeters mochte kickboxen oder joggen, bis ihr die Zunge zwischen den Turnschuhen schleifte. Franz Dusch pflegte die Nerven mit Qui-Gong. Bucholtz jedoch schwor auf die volle Wanne, bis Oberkante Unterlippe kochendheiß, danach eiskalt, bis er krebsrot vor sich hin schnatterte, dann wieder heiß. Das half. Nicht gegen die Furcht – gegen Furcht half nur bewusstes Atmen, aber doch gegen mindere Übel wie Schlafentzug. Heute tauschte er viermal Wasser aus, bevor er, immer noch in der Wanne, die Memos der Fachressorts überflog, wobei ihm der Dampf die akkurat gehefteten Papiere ruinierte. Danach kam das Rasieren ohne Spiegel, vorsichtig längs der Narben.

Beim Binden der Krawatte sah er durch ein rundes Fensterchen, wie Dusch Frau und Tochter zum Parktor chauffierte und allein den platanengesäumten Weg zurück trottete, mit gesenktem Kopf. Kaum war Dusch im toten Winkel verschwunden, geriet die Wachmannschaft am Tor in Wallung, und Bucholtz eilte hinunter zur Auffahrt.

Mit Bremsspuren im Kies kamen die drei Mercedes des Halbmondrats zum Stehen, und Idrisi polterte los: „Successor, man behindert unsere Männer bei der Pflichtausübung!“

„Ihr Begleitschutz hat hier keine Pflichten“, sagte Bucholtz. „Sie halten zwei unserer Präfekten als Geiseln, das muss als Sicherheit genügen. Übrigens haben wir, Ihrem Wunsch folgend, den runden Tisch beschafft.“

„Was für einen Tisch?“ Idrisi machte gar kein Hehl aus seiner Verblüffung. Offenbar hatte Assad ihn nicht informiert, sondern ins offene Messer stolpern lassen. Bucholtz zwinkerte Idrisi zu. Die beiden hatten schon manchen Deal geschaukelt.

„Ein überaus ... kurzfristiges Ansinnen Ihrer Entourage, Sir“, sagte er und verneigte sich vor Assad. Freundlich schüttelte er dem türkischen Sicherheitschef die Hand, nickte den beiden anderen zu und geleitete die Delegation zur Sicherheitsschleuse vor dem Konferenzraum. „Sie kennen die Spielregeln – keine Mobiltelefone und kein Metall! Alles bitte in die Kassette, deren Chipkarte Sie an sich nehmen ...“

„... und Sie verschaffen sich per Nachschlüssel Zugang zu unseren privatesten Dingen!“, maulte Assad.

Bucholtz ließ sich diesmal provozieren. „Drinnen ist für alles gesorgt, vom Kugelschreiber bis zum Feuerzeug. Um den Verdacht zu zerstreuen, jemand könnte unbefugt Ihre abgelegten Piercings befummeln, mein Freund ...“

„Oh Allah!“, stöhnte Assad.

„Trägt der auch Piercings? Wie auch immer – alle Kassetten stehen hier auf dem Tisch. So könnte jede Partei ihre Kassette im Auge behalten – jedenfalls vom langen Tisch aus. Am runden Tisch hat natürlich eine Delegation das Pech, mit dem Rücken zur Tür zu sitzen, mein lieber Assad, aber um das zu korrigieren, ist es jetzt zu spät. Frau Peeters brauche ich nicht vorzustellen. Sie hatten in New York ein Kopfgeld auf sie ausgesetzt.“ Peeters, inzwischen umgezogen, trug ein Kostüm mit sehr knappem Rock, wovon ihr Bucholtz gerne abgeraten hätte, hätte sie denn gefragt. Andererseits hatte sie seit New York noch ihre private Rechnung mit dem politischen Islam offen. Also verabschiedete er sich. „Ich muss jetzt rauf – die nächste Delegation ...“

Am Kopf der Treppe trat ihm Dusch in den Weg: „Successor!“

„Sag mal, wie redest du mit mir? Ach übrigens erzähl mal, wieso du ausgerechnet das Tischtuch gerettet hast, als sie unser altes Archiv stürmten!“

„Ich glaube, das war damals in der Heißmangel. Aber spar dir die Ausflüchte. Die Praktikumstelle für Sabine – meinetwegen, aber meine Tochter kann nicht Geld von dir annehmen!“

„Sie ist eine brillante junge Frau. Trotzdem putzt sie Richard die Spucke vom Kinn, während wir hier zu Gast sind. Dafür kann sie von mir annehmen, was immer sie will, zumal sie in ein paar Wochen volljährig wird ...“

„Karl ...!“

„Franz, deine Tochter ist stinksauer. Sie fühlte sich schon als eine von uns, da trug sie noch Zöpfe mit Schleifchen. Jetzt aus der Schusslinie genommen zu werden, empfindet sie als Missachtung, als Respektlosigkeit. Sie kann ein bisschen Kompensation gut gebrauchen.“

„Aber meine Frau ...“, setzte Dusch an und wurde gleich unterbrochen.

„Deiner Frau, Herr Dusch, würde ich niemals einen Briefumschlag mit Taschengeld anbieten.“

„Mit dir ist ja nicht mehr zu reden!“, maulte Dusch.

„Du redest doch die ganze Zeit. Du überzeugst mich nur nicht.“

„Karl, wo ist Monica?“ Inzwischen hatten sie die Terrasse erreicht.

„Und siehe: das Imperium im Streitwagen“, wich Bucholtz aus, als der Neuweltrat tatsächlich in drei noch gar nicht für den Import freigegebenen Hummern über den Kies heran rauschte, als wären dies die Straßen Bagdads. „Das werden sie mir büßen“, flüsterte Bucholtz, während er zum mittleren Geländewagen schritt, die Tür des Fonds aufriss und überschwänglich „Rita!“ schrie. Die Dame in den besten Jahren schoss wie ein Kugelblitz an Bucholtz vorbei und fiel Franz Dusch um den Hals, mit dem sie Erinnerungen vom Kölner G8-Gipfel teilte. Danach erst begrüßte Rita Byron Bucholtz. Die übrigen Begrüßungen fielen recht kühl aus, jeweils ein Händedruck, Kopfnicken und der Vorname. Man kannte sich und hatte einander oft betrogen.

Es herrschte eine sonderbare Stimmung unter der Villa Dusch im römischen Getreidespeicher, verschüttet von den Sedimenten der Stadt. Die Speziallasur auf dem antiken Rautenmauerwerk optimierte das Tageslicht des winzigen verspiegelten Lichtschachts. Heftig debattierten Peeters, Idrisi und Arnavut. Sie standen an der Konstruktion aus Glas und Aluminium, die eine großzügig bemessene Ecke der Halle als Legatenbüro vom Konferenzraum abteilte, während die Ressorts Nachfolge, Strategie und Auswärtiges in der entlegensten Ecke tuschelten, jenseits des runden Tisches.

Kaum jedoch traf Amerika ein – ohne Meckern vor der Sicherheitsschleuse – schloss sich die Front der Muslime. Peeters blieb allein an der Glaswand. Nicht, dass die Mitarbeiter zu Idrisi gekommen wären, nein Idrisi musste sich schon zu seinen Leuten bequemen.

Frank Rawdon, beim Neuweltrat zuständig für Auswärtiges, intern Lobbyist des evangelikalen Bible Belt, wollte die Anwesenheit des offen schwul lebenden Sicherheitspräfekten Arnavut nicht hinnehmen. Arnavut quittierte das Geifern des christlichen Fundamentalisten achselzuckend – er war von Assad Schlimmeres gewohnt. Bucholtz jedoch erklärte, er werde unter keinen Umständen eine Konferenz eröffnen, deren Teilnehmer sich nicht zumindest begrüßten, und so kam endlich doch noch ein flüchtiger Händedruck zwischen Rawdon und Arnavut zustande. Danach eilte Bucholtz wieder hinauf, in der irrigen Annahme, oben warteten bereits erboste Inder, weshalb er gar nicht mehr mitbekam, wie Rawdon seine Hand mit einem feuchten Hygienetuch umständlich säuberte.

Es nieselte. Als Bucholtz in den Park hinaustrat, sickerten augenblicks fünf Schwarze Hände aus Gebüschen und den Türen der Nebengebäude, um den Raum zwischen Bucholtz und den fremden Chauffeuren zu decken – danach erst wurde der Regenschirm besorgt. Der Halbmond war überpünktlich gewesen, die Neuwelt pünktlich auf die Minute, die Inder jedoch waren nun fast eine halbe Stunde über der Zeit – obwohl doch alle drei Delegationen im selben Hotel logierten. Bucholtz rief sich zur Ordnung. Wenn was passiert wäre, hätte er davon erfahren. Also trödelten die Inder absichtlich, wollten damit den Grundkonsens zwischen Indien und Pakistan relativieren, der letzte Woche auf internationalem Parkett besiegelt worden war – oder sie fühlten sich so sehr als Gewinner, dass sie deshalb alle anderen warten ließen. Wenig später erwies sich ein simpler Auffahrunfall vor der Hotelgarage als Erklärung.

Radjiv Bhawabhuti, sein Stellvertreter Salman Tyagaraja und die Präfekten für Strategie, Sicherheit und Auswärtiges – Sandjai Bharati, Radjiv Shastri und Morarji Goswami hatten zumindest den Anstand, in mäßigem Tempo und gepanzerten Bentleys vorzufahren und Bucholtz würdevoll zu begrüßen, obwohl der nur Tyagaraja näher kannte, seinen Kollegen und Leidensgefährten im Amt des Nachfolgers, während alle anderen bloß flüchtige Gesichter von flüchtigen Konferenzen waren. So bedeutsam war die Rolle noch nicht, die der Indienrat auf der Weltbühne spielte. Er hatte nach der Unabhängigkeit auf Isolationismus gesetzt, vertrat jedoch inzwischen gut eine Milliarde Menschen, war effizient organisiert und musste natürlich gefragt werden, sobald es – wenn auch nur am Rande – um Kaschmir ging. Deshalb waren die Inder eingeladen.

Wiederum gab es an der Sicherheitsschleuse kein Problem. Auch die Inder zeigten Verständnis, dass die Gründer im Konferenzraum Hauen und Stechen vermeiden wollten. Doch bei der Begrüßung zwischen nationalistischen Indern aller möglichen Religionen und dem muslimischen Halbmondrat waren dann etliche Hürden zu überwinden.

Zum Schluss ging es noch um die Sitzordnung. Halbmondrat und Neuweltrat hatten sich so um den runden Tisch platziert, dass auf jeder Seite drei Plätze frei blieben. Es kostete Bucholtz Mühe, die beiden Hauptkontrahenten noch einmal zu bewegen, sodass auch die Inder im Block zu sitzen kamen, während, ihnen gegenüber, Bucholtz zwischen den Chefs von Halbmond und Neuwelt präsidierte. Er schickte Peeters und Dusch vor die Tür. Peeters hatte ihm wirklich einen Schemel an den Platz gestellt, einen Stuhl ohne Rückenlehne oder Armstützen. Also stand er lieber gleich auf und eröffnete die Konferenz mit den Worten:

„In der Nähe von Bagdad wurden heute sieben spanische Geheimdienstler ermordet. Die türkischen Behörden versuchen, die Anschläge von Istanbul vor laufender Kamera zu rekonstruieren. Nachdem wir nun seit Montag die Vorbereitungsphase glücklich hinter uns haben, müssen wir endlich reden. Zunächst bitte ich um Ihre Aufmerksamkeit für das Grußwort des Princeps.“

Das würde heikel! Die erste Einstellung zeigte das Hauptquartier der Gründer. Adam Bonaventura Czartoryski im Saal der dreihundert Büsten, den die meisten Anwesenden kannten. Man hatte sich darauf geeinigt, nicht zu skypen – wer wollte schon voraussagen, was böse Menschen einer Geisel in den Tee taten, bevor man sie skypen ließ? Also wurde jetzt eine DVD abgespielt, die aufgezeichnet worden war, kurz bevor Czartoryski seine Geiselhaft antrat. Das bürgte für eine gewisse Authentizität:

„Liebe Rita, meine Freunde, gestattet mir ein paar Worte zur Begrüßung. Zunächst darf ich meinen Successor Karl Bucholtz nochmals als Moderator der Konferenz bestätigen. Er wird sich gemeinsam mit euch um das operative Tagesgeschäft kümmern. Das sicherheitspolitische Hauptthema jedoch behalte ich mir persönlich vor, obwohl ich körperlich abwesend bin. Ich spreche hier von der gefährlichen Entwicklung, dass nicht nur der uniformierte und bewaffnete Staatsbürger eine immer kleinere Rolle im modernen Krieg spielt – womit die demokratische Kontrolle des Krieges erodiert. Nein, vielmehr wird Krieg durch die fortschreitende Technisierung, etwa auf dem Gebiet computergesteuerter Lenkwaffen, geradezu entmenschlicht. Und dabei dürfen wir uns glücklich schätzen, wenn wir nicht noch in unserer Lebensspanne Zeugen der Vollendung militärischer Gentechnik werden, nicht im Sinne biologischer Waffen, sondern bei der Züchtung menschlicher Hybride als Superkämpfer.

Schon unsere Gegenwart gibt mehr als genug zu denken. Blackwater etwa, das vor 9/11 eine läppische Hunderttausend-Dollar-Firma war, überlegt heutzutage, viele hundert Millionen weiter, ihr Logo, die Bärenpranke im Fadenkreuz, durch ein Koalapfötchen zu ersetzen. Wessen bedarf es noch, um die Diskrepanz zwischen der Gefahr und ihrem medialen Spiegel als obszön zu entlarven?

Wie Papst Johannes Paul II. am neunten Juni dieses Jahres im kroatischen Zadar predigte, ist Frieden der Anfang von allem. Umso bedauerlicher ist, was die Rede Seiner Heiligkeit alles ungesagt ließ. Ausgerechnet in Kroatien, wo die aus Virginia stammende Military Professional Resources Incorporated das Militär für den Sezessionskrieg trainierte, lange bevor der erste Schuss fiel. Was war damals Henne, was Ei? Existierte zuerst ein Bedarf der Kroaten – oder das Angebot der Amerikaner? Fragen, die auch den Papst angehen, der einst den Kalten Krieg gewann.

Wobei ich mich mitnichten explizit gegen die Amerikaner wende, auch wenn ganz aktuell, am 13. Oktober 2003 in der chilenischen Tageszeitung »El Mercurio« folgende Anzeige erschien: „Internationales Unternehmen sucht ehemalige Militärbedienstete für Tätigkeit im Ausland. Vorzugsweise Offiziere, Offiziersanwärter und Angehörige von Sondereinheiten.“ Offenbar wird also der so genannte Freiheitskampf im Irak mithilfe von Pinochets einstigen Todesschwadronen geführt.

Ich will Ihnen ein idealtypisches Beispiel nennen, wie es anders sein sollte. Als König Johann Sobieski mit seinen Schwanenrittern das belagerte Wien vor dem Türkensturm bewahrte ...“

„Das führt doch zu nichts, alter Haudegen“, meinte Arnavut. Bucholtz drückte auf schnellen Vorlauf und dann erneut auf Wiedergabe.

„Wir alle wissen, dass am Beginn des freien Westens, am Beginn des demokratischen Amerika Söldner aus der alten Welt standen, Männer wie Steuben, wie Lafayette, auch Polen wie Kościuszko und Pulawski, beide enge Freunde meiner Familie. Und niemand ist tiefer bewegt als ich, wenn sich Amerika heute dafür bedankt, indem es Polen im Irak eine Besatzungszone anvertraut ...“

„Halleluja“, murmelte Rawdon vom Neuweltrat.

„Heute jedoch ist die Privatisierung des Krieges durch Demokratien, die es nicht mehr aushalten, wenn das Fernsehen heimkehrende Leichensäcke zeigt, das eigentliche Skandalon.“

„Jetzt kommt die Bergpredigt“, lästerte Tyagaraja.

„Modernes Söldnertum macht es für Demokratien einfach, Krieg zu führen. Es schafft aber auch eine neue Kaste von Kriegsunternehmern, die wie ein italienischer Colleoni oder Wallenstein und Konsorten im Dreißigjährigen Krieg am Konflikt verdienen und am Konfliktende gar kein Interesse mehr haben. So fallen wir mit der Waffentechnologie des einundzwanzigsten Jahrhunderts in die Kommandostrukturen des siebzehnten Jahrhunderts zurück – eine Entwicklung, die mir Grausen verursacht.

Technologisch geht die Entwicklung längst dahin, das innere Befinden Krieg führender Nationen noch weiter vom Geschehen im Feld abzukoppeln. Geforscht wird nicht nur an körperverstärkenden Kampfanzügen, die Achtzigkilometermärsche ermöglichen und durch Kevlar den Träger weitestgehend vor Verwundung schützen, das wäre ja noch durchaus legitim. Geforscht wird auch an einer Militärrobotik, die mit den bereits heute eingesetzten Drohnen erst ganz am Anfang steht. Bald führen wir Kriege Maschine gegen Mensch und ganz zuletzt Maschine gegen Maschine. Will sagen, wir entmenschlichen den Krieg, nachdem wir ihn jetzt schon entdemokratisiert haben ...“

„Und wenn das Abspielgerät einen Materialschaden hätte?“, fragte Hassan Idrisi.

„Nur noch eine Minute“, vertröstete ihn Bucholtz.

Der Kontrakt des Söldners

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