Читать книгу Das Kontingent - Stefan G. Rohr - Страница 11

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Der Kämpfer links neben ihm war schnell gestorben. Ein glatter Kopfschuss. Das Projektil ist kurz unterhalb der Mütze nahezu mittig in die Stirne eingetreten und mit einem platzenden Geräusch am Hinterkopf wieder herausgeschnellt. Ein Stück Schädelknochen flog dabei mit und wird jetzt irgendwo, einige Meter hinter dem Toten, zwischen den Steinen liegen. Der Mann ist leicht zur Seite gesackt und sein Kopf liegt in einer Lache seines eigenen Blutes.

Der junge Mann neben dem Toten schaut unbeirrt weiter über den Lauf seines Gewehres. Er hat Glück, weil er eine neue Schnellfeuerwaffe bekommen hat. Die ist zuverlässig und schießt sehr genau. Rechts neben ihm hat sich eine junge Frau positioniert. Sie hat sich gerade auf den Rücken gedreht und ist außer Atem. In ihrem Militäranzug sieht sie sehr maskulin aus und man muss schon zweimal hinsehen, um festzustellen, dass sie ein noch recht junges Mädchen von vielleicht gerade einmal siebzehn Jahren ist. Sie hat ihr Kampfmesser genommen und ritzt damit einen Strich in den Kolben ihrer Kalaschnikow. Es ist die dreiundzwanzigste Kerbe.

Eine nahe Explosion einer Granate zwingt beide dazu, die Köpfe zwischen die Schultern zu nehmen. Der junge Mann nimmt nochmals eine bessere Deckung ein. Das war nah, denkt er. Und auch der Blick des Mädchens drückt aus, dass hätte jetzt auch schief gehen können. Gleich darauf haben beide ihre Gewehre wieder im Anschlag und feuern in die ihnen in circa achtzig Metern gegenüberliegende Häuserfront.

Während er eher mit Bedacht und mit der gebotenen Sorgfalt zielt und erst feuert, wenn er sich sicher ist, einen guten Schuss zu setzen, ist das Mädchen ungestüm und wild. Sie schießt kleine Salven, nicht wie er, der seine Automatik auf Einzelschüsse eingestellt hat. Sie ist der Meinung, dass sie so eine größere Chance hat, einen zu erwischen. Er spart lieber Munition und will sich des Schusses sicher sein, bevor er abdrückt. Am besten jede Kugel ein Treffer.

Trotzdem gefällt ihm ihre Art. Noch vor wenigen Wochen hat sie die Schafe und Ziegen ihrer kleinen Familie auf den Hügeln hinter der Stadt gehütet, zusammen mit ihrem Vater. Sie haben die Tiere gemolken oder Wolle gesponnen, Wasser geholt und der Mutter beim Kochen zugeschaut. Bis vor kurzer Zeit hat sie sogar regelmäßig die Schule im Dorf besucht. Und sie war eine gute Schülerin. Ihr Vater hatte Angst, als sie ihm sagte, sie würde in den Kampf gehen. Er hat sie aber nicht zurückgehalten. Kurz danach hat er es seiner Tochter gleichgemacht und manchmal, wenn Allah es will, treffen sie sich in irgendeinem Lager. Dann ist er besonders stolz auf sie.

Die Mädchen und Frauen, die mit ihnen gemeinsam kämpfen, haben unter den Männern größten Respekt. Nicht allein deshalb, weil sie gleichwertig neben ihnen ihr Leben für das Land, die Freiheit und Frieden einsetzen. Es ist auch die Tatsache, dass der Feind, getötet von einer Frau, besondere Schmach erfährt. Nach seinem Glauben kann dann nicht mehr in das gelobte Paradies eingekehrt werden. Man ist beschmutzt und unwert, weil man einer Frau zum Opfer gefallen ist.

Und es kämpfen deshalb viele Frauen an den Seiten der Männer. Frauen, die Muslima sind, Frauen die Alawiten, Schiiten oder Christen sind, Töchter, Mütter, Ingenieurinnen und Bauernmädchen. Sie kämpfen Schulter an Schulter mit ihren Kameraden, ungeachtet der Tatsache, dass sie im Falle ihrer Gefangennahme ein weit schrecklicherer Tod erwartet, als den Männern. Das Mädchen neben dem jungen Mann hat für einen solchen Fall Vorsorge betrieben. Sie hat einen kleinen, stets geladenen Revolver bei sich. Ein 36er Kaliber mit kurzem Lauf, leicht zu handhaben, schnell in den Mund zu halten.

Vor ihnen wird nicht mehr gefeuert. Auch Granaten sind nicht mehr zu hören. Entweder haben sich die Gegner an dieser Stelle gerade zurückgezogen, oder sie wurden getötet. Als nächstes ist jetzt die Aufgabe zu erledigen, aus der eigenen Deckung heraus die Distanz nach vorne zu überwinden und die Ruine zu besetzen. Sie sind hier jetzt insgesamt etwa fünfzehn Kämpfer. Die Zahl der Feinde gegenüber wird mindestens viermal so groß sein. Munition oder Handgranaten haben sie nur noch wenig. Es reicht sicher nicht, um sich in einem anstehenden Häuserkampf behaupten zu können. Doch zurück werden sie auch nicht gehen. Das heute und hier geflossene Blut der Brüder und Schwestern lässt das nicht zu.

Aus dem zurückliegenden Bereich rücken ein Dutzend Kämpfer nach. Der junge Mann ist erleichtert. So wird es einfacher und ist nicht mehr ganz aussichtslos. Einen Rückzug auf der Gegenseite können sie zwar nicht wirklich erwarten. Mit Glück formieren sie sich lediglich aufgrund der Verluste gerade neu. Dann wäre ein schnelles Vorrücken jetzt die richtige Taktik.

Es wird auch nicht gezögert. Ein kurzer Blick über das vor ihnen liegende Gelände, die Felsen, Deckungsmöglichkeiten und die Lage der toten Kämpfer, ihre Waffen und Munition. Dann springen sie auf und rennen, so gut es geht in gebückter Stellung, mit der Waffe in der Vorhalte auf die Ruinen vor ihnen zu. Kaum sind sie in Bewegung, wird in fast gleicher Sekunde das Feuer auf sie eröffnet. Es liegen scheinbar doch noch ein paar der feindlichen Kämpfer hinter irgendwelchen Steinen oder Mauern und die Geschosse zischen durch die Luft. Der junge Mann hört die Projektile an seinem Kopf vorbeisausen, hört das dumpfe Einschlagen in den Brustkorb seines Nebenmannes, hört, wie dieser im Lauf zusammenkracht und wie dessen Schädel auf dem Felsstück aufschlägt und aufplatzt.

Der junge Mann läuft weiter, unbeirrt, schießt auf die Stellen, wo er gerade noch Mündungsfeuer gesehen hat. Er merkt gar nicht, dass er schreit, mit weit aufgerissenem Mund wie ein Tier zu brüllen begonnen hat. Seine Augen sind blutrot und er hat nur eines im Sinn: so viele zu töten, wie Gott es ihm möglich macht.

Er erreicht die Ruinen vor ihm. Deckung gibt ihm ein Betonpfeiler und er sieht, wie wenige Meter weiter ein IS-Kämpfer liegt und seine Waffe nachlädt. Der junge Mann greift sein Kurzschwert, das er am Gürtel trägt, und während er sich mit kurzen und überaus schnellen Sprüngen zur Deckung des feindlichen Kämpfers bewegt, hat er es aus dem Gürtel gezogen und sticht es mit aller Wucht auf den immer noch nachladenden Mann ein.

Er trifft nicht etwa dessen Brust. Sein kurzes Schwert landet mit der Spitze voran direkt im Kehlkopf des Feindes, dessen Augen vor Schmerz und Todesangst hervorquellen, als seien sie Tennisbälle. Der junge Mann bewegt sein Schwert geschickt und ruckartig in verschiedene Richtungen. Als er es mit gleichem Schwung herauszieht, ist der Hals des bereits Toten fast ganz durchtrennt.

Er hört einige kurze, halblaute Rufe seiner Mitkämpfer, die signalisieren, dass der Ruinentrakt feindfrei sei. Das Gebäude ist stark beschädigt und die Mauern sind von Geschossen und Granatsplittern durchsiebt. Einige der Kämpfer beziehen gleich Posten. Ihr Anführer hat eine kurze Einteilung befohlen und die entscheidenden Positionen besetzt. Mit der restlichen Truppe macht er eine kurze Bestandsaufnahme. Dieser Angriff hat nur vier seiner Leute das Leben gekostet. Ein gutes Ergebnis.

An ihrer linken Flanke hatte ein Trupp mit zehn Kämpferinnen geholfen, diesen Komplex zu erobern. Diese Gruppe ist ein Teil einer Gemeinschaft von syrischen Frauen, die sich in den Kampf begeben haben. Er besteht ausschließlich aus Frauen, meist jüngeren. Sie haben wieder einmal mutig und mit besonderer Härte gekämpft und liegen jetzt im Nebengebäude.

Das Mädchen mit der Kalaschnikow kämpft lieber mit den Männern. Sie hat sich neben dem jungen Mann gesetzt. Ihr rinnt eine Blutspur von der rechten Stirnseite am Gesicht herunter. Die Wunde scheint aber schon getrocknet und damit wohl nicht so schlimm zu sein. Sie nimmt von ihrer Verletzung keinerlei Notiz und schnitzt in ihren Gewehrkolben bereits wieder eine Kerbe und gleich drauf eine weitere. Stumm sitzt sie da, schaut niemand an.

Der Kommandant der kleinen Truppe hat einen schmutzigen Zettel in der Hand und geht reihum. Alle sagen ihren Namen und er notiert sich diese. Als er bei dem jungen Mann ist, sagt auch dieser ihm leise seinen Namen: al-Basir, Abu. Als ihr Führer alle Namen hat, gibt er seine Lage, die Namen der Überlebenden und einige Informationen an seine Führung weiter.

Noch nicht einmal zwei Kilometer von dieser Ruine, in der Zone, die bisher noch kein Kampfgebiet ist, kommt ein alter Mann gerade wieder von seinen heutigen Besorgungen zurück. Er wurde von seiner Familie schon von Herzen erwartet. Der Vater von Sharif und Abu al-Basir hat heute nur ein wenig weißes Brot kaufen können, mehr nicht. Er wird es am darauffolgenden erneut versuchen, Besseres für seine Frau, die Tochter und seine Enkelin zu besorgen. Und die Seinen werden wieder auf ihn warten, hoffen, dass er auch diesmal unversehrt wiederkommt.

Das Kontingent

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