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Mit einer Tasse Kaffee in der Hand zum Frühstück gehe ich zur Wohnung von Kalli. Die Türe ist nur angelehnt und ich öffne sie einen kleinen Spalt. Drinnen, im Flur, stehen Fredo und Fritz. Julius und Ruprecht sind bereits an den Regalen im Wohnzimmer beschäftigt. Während ich noch in der Türe stehe, kommt Willi hinter mir die Treppe herunter.

„Kommt herein“, ruft Julius fast beiläufig uns Neuankömmlingen zu und wendet sich sofort wieder seiner Arbeit zu. Wir drei stehen ein wenig unentschlossen herum und wissen nicht, was wir hier nun eigentlich sollen.

Julius schaut uns freundlich an: „Ihr wolltet Euch umschauen. Bitte, tut Euch keinen Zwang an.“ Geschäftig macht er weiter. „Ich denke, dass ich das meiste wohl abholen lassen werde. Aber die paar Bilder, Fotos und die persönlichen Unterlagen möchte ich auf jeden Fall behalten.“

Ich gehe nun auch in das Wohnzimmer, in dem ich zuvor bisher nur einmal gewesen bin und das ist schon länger her. Es ist ein kleines Zimmer, mit einem hölzernen Couchtisch, einem etwas zu wuchtigen Sessel mit dazugehörigem Sofa und einem ledernen Fernsehsessel. Ein hellbraunes Ungetüm mit deutlichen Abnutzungserscheinungen. Den Rest des Raumes füllt eine Regalwand mit vielen Fächern, in denen der alte Mann seine Bücher aufbewahrte. Ich gehe näher und schaue mir die Literatur etwas näher an. Da sehe ich Dostojewski, Remarque, Mann, Stifter, Strindberg und Zola. Ich bin fasziniert.

„Julius!“ ich drehe mich um und bin etwas aufgeregt. „Julius, hier stehen wirklich schöne Bücher.“

„Du kannst sie alle haben.“ Julius kramt direkt unter mir in den Schubladen der Regalwand und holt verschiedene Aktenordner hervor. Ich nehme einen in Leder gebundenen Roman von Oscar Wilde in die Hand, `Das Bildnis des Dorian Gray´.

„Du musst diese Bücher unbedingt selbst behalten. Und vor allem lesen!“ flehe ich Julius fast an.

„Nehme Du sie gern an Dich. Ich habe keinen Platz.“ Julius scheint wirklich kein Interesse daran zu haben.

Ich zögere. Bücher muss man doch behalten, man entsorgt sie nicht, ebenso wenig, wie man sie verbrennt oder einfach achtlos in den Mülleimer wirft. Bei einem meiner letzten Einsätze in der Papierfabrik schuftete ich gerade auf dem Rohstoffhof und kehrte die Reste von beschädigten Altpapierballen zusammen, als ein Kleinlaster vorfuhr. Er kippte eine ganze Ladung Bücher direkt vor meine Füße. Auf der Plane des Lasters stand `Wohnungsauflösungen´ und sie schütteten die Bücher eines wohl gerade Verstorbenen, vielleicht war er Professor, Schriftsteller oder Lehrers, einfach so in den Dreck. Nach dem Wiegeprotokoll erhielten Sie ein paar Euros und das war`s.

An jenem Tag verbrachte ich meine Mittagspause damit, in dem Bücherhaufen herumzustöbern und zu retten, was noch rettbar war. Viele der Werke waren bereits stark durchnässt und unbrauchbar. Aber ich fand Tolstoi, Dickens, Poe und Stoker. Der Hofmeister der Fabrik zeigte mir den Vogel, genehmigte mir aber, drei große Kartons mit Büchern an die Seite zu bringen, die ich am Abend dann wie einen Schatz mit nach Hause nahm. Ich blätterte bis tief in die Nacht in meinen literarischen Juwelen, las in deren Einbänden Widmungen zum Geburtstag, 1948, zur Konfirmation, zum bestandenen Abitur, studierte die mit Bleistift notierten Anmerkungen, Hinweise und interpretierte die unkommentierten Unterstreichungen von Textstellen oder die Ausrufungs- und Fragezeichen am Blattrand, die jemand dort einmal hinterlassen hat.

Diese Bücher wurden offensichtlich lebendig gehalten, sie dienten ihrem Besitzer als Quelle von Wissen und Erbauung. Die Autoren hatten ihren Leser gepackt, verwundert, überzeugt oder zum Nachdenken gebracht. Diese Bücher wurden immer wieder herausgeholt, gelesen, bearbeitet und mit Zugewinn zurückgestellt. Bis zum nächsten Mal. Bis zum nächsten Akt. Bis zur nächsten Erkenntnis. Diese Bücher haben ihren Besitzer sein Leben lang begleitet. Dienten ihm zur Entspannung, bei Krankheit zur Zerstreuung, in der Trauer zur Erlösung.

Ich starte einen letzten Versuch: „Julius, Du bist dabei ein intellektuelles Schwerverbrechen zu begehen. Möchtest Du ins Gefängnis der Dummen und Ahnungslosen kommen?“ Ich lächle zwar, mein vorwurfsvoller Ton allerdings ist nicht nur vorgetäuscht. „Dann musst Du Deinen Knastkumpanen zur Strafe Mangas vorlesen – und natürlich erklären.“

Julius murmelt etwas und blättert weiter in den gefundenen Ordnern herum. Fredo kommt aus der Küche und vermeldet fast militärisch, dass dort weder Wertsachen noch irgendetwas Besonderes zu finden gewesen sei. Nur ein paar Töpfe, Tassen, Teller und Besteck. Auch die Lebensmittelvorräte scheinen mehr als überschaubar. Nach kurzer Zeit stellen wir alle fest, dass der Besitz von Kalli auf einen Kleintransporter passen würde und wir damit zum Recyclinghof fahren sollten.

„Komm“, fordert Fredo mich auf, „wir schauen uns mal in der Druckerei um. Vielleicht finden wir da etwas. Und wenn nicht, dann können wir die Maschine immer noch einschmelzen und Hantelgewichte aus ihr gießen.“

Fritz und Ruprecht wollen jedoch noch etwas in der Wohnung weitermachen. Also gehen Fredo und ich hinunter und betreten wenige Augenblicke später bereits schon die Druckwerkstatt.

Mein Blick schweift etwas unmutig umher. So recht kann ich mir nicht vorstellen, dass es hier verborgene Schätze zu entdecken gibt. „Hier ist doch nichts zu finden.“ sage ich und habe meine Mühe, mich auf eine wie mir scheint doch vollkommen hoffnungslose Suche nach irgendetwas zu machen. Fredo aber ignoriert meine Skepsis. Er zieht bereits Schubladen auf und kramt in diesen herum. Sodann geht er an verschiedene Regale, zieht alles hervor, was dort deponiert ist und schaut hinter jeden Gegenstand. Ein mir unbekanntes Jagdfieber scheint ihn gepackt zu haben. Keine Ritze lässt er aus, akribisch sucht er alles ab.

Er bemerkt meine Unentschlossenheit. „Gehe Du und schau mal, was dahinten rumsteht.“ Fredo kommandiert kompromisslos und deutet auf den hinteren Bereich der Druckerei, die von einer dünnen Lattenwand halb abgetrennt wird. Ich tue, wie mir aufgetragen und gehe nach hinten. Es ist dunkel und ich sehe zuerst fast gar nichts.

„Du brauchst Licht!“ Fredo reicht mir eine Taschenlampe, die er selbst gerade entdeckt hat. Das fahle Schimmern der alten Lampe mit ihren schon schwachen Batterien wirft einen trüben Kegel in das Hintere des Raumes. Ich entdecke mehrere leere Kartons, einige alte Farbdosen und verschiedene, fein geordnete Stapel mit unbedrucktem Papier.

Fredo schaut mir über die Schulter und zeigt in eine der Ecken. „Was ist das da? … Dahinten!“ Seine Seemannsaugen haben sofort etwas erspäht, das ich erst jetzt sehe, nachdem ich mit zugekniffenen Augen konzentriert in die gezeigte Richtung geschaut habe. Wir gehen näher. Unter einer verstaubten Plane, die ich vorsichtig lüfte, entdecken wir eine Palette mit einem großen Papierstapel.

„Papier!“ sage ich lustlos und nochmals mehr ernüchtert. Ich lasse die Plane wieder fallen. „Sehr erstaunlich, das hier zu finden, oder? Das Bernsteinzimmer wird dann ja wohl in einer der anderen Ecken sein.“

„Lass doch mal sehen.“ Fredo lässt sich nicht beirren, schiebt mich beiseite und krabbelt über die Kartons zu dem Stapel und schaut unter die Plane. „Das scheint aber irgendwie schon bearbeitet zu sein.“ meldet er sich von weiter hinten.

Meine Spannung sinkt auf den Nullpunkt. „Altpapier! … Fredo, wir sind reich! Das tauscht uns meine Papierfabrik gegen einen Kantinengutschein.“

Fredo hat sich von dem Stapel einen einzelnen Bogen geschnappt und kommt damit ans Licht. Er hält ihn gegen das Fenster ins Licht und reibt mit den Fingern über dessen Oberfläche. Sorgsam betastet er das Papier zwischen seinem Daumen und Zeigefinger. Dann wird er ganz blass: „Ich glaube, mein Schwein pfeift …“ Und nach wenigen Sekunden wird er laut: „Das gibt`s ja nicht! Ich werd´ verrückt …“

Er kann seinen Blick gar nicht ablassen. Dann hält er auch mir das Papier hin und nickt, ich solle es mal selbst probieren. Ich fühle ebenfalls und schaue mir den Bogen genauer an. Erkennen kann ich nichts und ich zucke immer noch extrem gelangweilt mit den Schultern.

Fredos Stimme zittert: „Geht denn bei Dir kein Licht an?“ Er hält mir den Bogen unmittelbar vors Gesicht. Ich schüttele aber den Kopf, habe keinen blassen Schimmer.

Mein Gegenüber wird drastischer: „Glotz doch nicht so blöd, Mensch! Mach einfach mal die Augen zu.“

Ich tue, wie mir geheißen. Fredo steckt mir das Papier zwischen meine Finger und befiehlt: „Jetzt fühle das Papier! Los! Noch mal … Nun mach schon!“

Während ich meine Augen geschlossen halte, reibe ich immer wieder an der Ober- und Unterseite. Und ja, tatsächlich, irgendwie kommt mir das Gefühl bekannt vor. Nur, ich kann es nicht zuordnen. So versuche ich es noch einige Male.

Mir fehlen aber die Worte, ich kann es nicht beschreiben und so fällt mir nichts Besseres ein als: „Irgendwie vertraut … ja … nur …“ Ich verstumme und versuche mich nur noch auf das Papier zu konzentrieren. „Mensch, an was erinnert mich das denn bloß …?“

„Du bist schon so verarmt, dass Du total entwöhnt bist.“ Fredo ist vollkommen aus dem Häuschen. „So fühlt sich Geld an. Geld, verdammt! Du bist doch wirklich eine arme Kirchenmaus!“

Ich halte meine Augen weiter geschlossen und wiederhole noch einige Male die gleiche Prozedur. Tatsächlich, Fredo hat Recht, jetzt – wo er es doch gesagt hat – fühle ich es auch. Es ist tatsächlich ganz so wie Geld.

Fredo reißt mir den Bogen fast aus der Hand und hält ihn wieder ins Licht. „Blitz und Donner! Das fühlt sich nicht nur so an, das sieht auch so aus!“ schreit er in den Raum. Er zeigt auf verschiedene Stellen im Bogen und zwinkert mir zu. Ich sehe allmählich, was er meint. Da sind dünne, silberne Streifen angeordnet und als ich ganz nah komme, entdecke ich Wasserzeichen. Ordentlich angereiht, über das ganze Papier verteilt.

„Fredo, ist das etwa ….? Das ist doch nicht wirklich …?“ ich wage es nicht zu sagen.

„Es ist, es ist! Darauf kannst Du wetten.“ Fredo rückt noch näher an das Fenster zum Hof. „Das hier, mein Bester, ist ganz offensichtlich Banknotenpapier. Verstehst Du jetzt? Das Papier, aus dem Geldscheine gemacht werden. Es ist lediglich noch nicht bedruckt!“

Die Bedeutung will mir immer noch nicht ganz in den Kopf. Wir holen ein zweites Blatt vom Stapel. Es ist mit dem ersten vollkommen identisch.

Fredo ist in hellster Freude: „Was man damit alles machen kann …“

„Wie? … Was denn machen?“ ich bin immer noch vollkommen arglos.

Fredo hat einen roten Kopf. „Hallo Jupiter, hier Erde. Wie lang ist eigentlich Deine Leitung? Was kann man wohl aus Banknotenpapier machen … häh?“

„Geld!“ antworte ich wie ein Erstklässler.

„Jetzt bist Du bei mir.“ Fredo scheint erleichtert. „Und mit viel Papier kann man viel Geld herstellen. Das hier könnten Millionen werden. Unfassbar!“

„Gut, dass Du im Konjunktiv sprichst, denn ich denke, dass so etwas eine Menge Ärger einbringen kann.“ Meine Befürchtung möchte ich nicht weiter konkretisieren. Ich kenne Fredo und seine Späßchen. Mir drängt sich zudem eine ganz andere Frage auf: „Aber davon einmal abgesehen, wie kommt das hierher? Was hat denn Kalli damit am Hut gehabt?“ Ich überlege kurz selbst. „Wenn das wirklich echt ist, dann ist hier doch was faul.“

„Es ist totsicher echt.“ Fredos Grinsen wird nicht geringer. „Und Ruprecht würde jetzt sagen: höchst strafwürdig. Fauler geht also nicht. Das `Woher´ und `Wieso´ müssen wir noch herausfinden.“

Das `strafwürdig´ hat mich wachgerüttelt. „Wir sollten am besten gleich die Polizei verständigen …“

„Bist Du besoffen? Ganz sicher nicht!“ Fredo legt den Bogen auf den Tisch. „Was glaubst Du, was die hier veranstalten? Da sitzen wir erst einmal in U-Haft und die Kumpel dort knobeln, wer von uns mit wem zum Duschen geht.“

„Aber wir sind völlig unschuldig!“ verteidige ich mich sofort.

Fredo denkt weiter: „Und bettelarm! Zudem jetzt auch noch hoch verschuldet. Seit gestern Abend weißt Du das. Und es gibt keinen unter uns, der nicht sofort verdächtigt würde, sich seine Portokasse damit etwas auffrischen zu wollen.“

„Wir müssen sofort mit Ruprecht reden.“ werfe ich aufgeregt ein.

„Ja, auch mit Ruprecht. Wir müssen jetzt aber alle in den Kriegsrat einladen. Das hat nämlich Dimension, das Ganze!“ Fredo wartet erst gar nicht mehr auf meine Antwort sondern ist schon dabei, die Druckerei zu verlassen. Er hat den Papierbogen eingerollt und sich unter den Arm geklemmt.

Ich stehe noch wie ein Trottel da und kann mich kaum rühren. Fredo schaut zurück zu mir: „Und? Worauf wartest Du jetzt noch? Komm endlich!“

Ehe ich mich versehe, stolpere ich hinter ihm her. Auf halben Weg nach oben stoppt Fredo plötzlich, drückt mir die Papierrolle in die Hand und zeigt mit dem Kopf, ich solle schon vorgehen, die anderen zusammentrommeln. Er wendet sich um und geht noch einmal zurück zur Druckerei.

Aufgeregt habe ich alle zusammengeholt. Willi, Fritz und Ruprecht sitzen um den Tisch in meinem Wohnzimmer und wir glotzen auf unseren Fund. Fredo ist auch schon wieder da. Marta ist gottlob nicht bei uns. Ich denke, dass wäre zu viel auf einmal für sie. Julius ist auch noch in der Firma. Ich habe unsere Entdeckung kurz rekapituliert. Vorsichtig fühlen alle an dem Papier, streichen darüber und nacheinander wird der Bogen umhergereicht und gegen das Licht betrachtet.

Fredo hat verschiedene Geldscheine auf den Tisch gelegt und auch ich packe dazu, was ich habe. Wir haben einige Zehner, Zwanziger und drei Fünfziger. Ruprecht nimmt die Scheine und hält jede einzelne Sorte zusammen mit dem Bogen gegen das Licht. Nach einigen Versuchen kommt er zu dem Schluss: es sind offensichtlich Fünfzig-Euro-Scheine, die mit diesem Papier hergestellt werden sollten.

„Fünfzig-Euro-Scheine!“ rufen alle aus einem Munde. Und wir schauen wieder auf das Papier.

Ruprecht hat sich meine Lupe vom Regal geholt und äugt wie ein Insektenforscher auf das Papier und auf die drei Fünfziger auf dem Tisch. Er schaut lange und intensiv. Beugt sich immer wieder ganz nah herunter und schmatzt dabei, als esse er gerade ein Konfekt. Dann nimmt er die Lupe herunter und lässt sich in den Sessel zurückfallen.

„Kinder“, beginnt er gewohnt gesalbt, „das hier vor uns ist mit größter Wahrscheinlichkeit Papier für die Herstellung von Fünfzig-Euro-Scheinen. Und ich meine damit: echtes Papier!“ Er schaut in die Runde, prüfend, was er für Wirkung erzeugt hat.

„Und, “ fährt er fort, „das Papier hat sowohl den silbernen Sicherheitsstreifen sowie das Wasserzeichen. Jeder Fälscher würde uns jetzt die Füße küssen, so echt ist es! Wenn ich richtig gezählt habe, ist auf jedem Bogen Platz für fünfzig Banknoten.“

Willi ist knallrot und hat offensichtlich mit seinem Blutdruck zu kämpfen: „Wie um Alles auf der Welt, kommt so etwas in Kallis Druckerei?“

„Das gilt es heraus zu bekommen. Ansonsten wird das wohl sein Geheimnis bleiben.“ Fredo hält einen Zettel in die Luft. „Ich habe vorhin noch einmal nachgeschaut. Den Paletten Zettel habe ich gefunden. Auf diesem steht aber leider nichts wirklich Verwertbares. Nur, dass die Palette von der italienischen Notenbank geliefert wurde und die Lieferung genau 45.605 Bogen umfasst. Für mich ein Beleg dafür, dass außer Zweifel steht: es handelt sich um echtes Banknotenpapier. Nach dem Datum wurde die Palette im April 2001 geliefert. Wenn ich mich recht entsinne, muss das kurz vor der Herausgabe des Euros als neue Währung gewesen sein.“

„Der alte Schurke wollte Falschgeld drucken …“ Fritz macht ein süffisantes Gesicht und hält den Zeigefinger, wie ein drohender Lehrer. „Glaubt mir, der hatte es drauf. Der hätte mit diesem echten Papier die besten Blüten hergestellt, die die Welt jemals gesehen hat. Und dann noch zu einer Zeit, als niemand so richtig wusste, wie die neuen Scheinchen eigentlich aussehen und wie man die echten von den falschen unterscheidet. Das war ganz schön frech!“

„Ja, aber er hat es ganz offensichtlich nicht getan.“ kontere ich spontan.

„Er wäre sonst auch entweder im Knast gelandet oder hätte uns schöne Ansichtskarten aus Honolulu geschickt.“ Unterstützt mich Ruprecht. „Geldfälscher im großen Stil wohnen wohl kaum in einem alten, heruntergekommenen Mietshaus. Sie haben auch keine hohen Schulden und arbeiten, bis sie tot umfallen.“

Wir lassen diese Erkenntnis kurz auf uns wirken. Dazu gab es kaum etwas zu erwidern. Nach einigen Sekunden der Stille meldet sich Ruprecht aber wieder zu Wort: „Wir sollten es verbrennen! Das ist der sicherste Weg und keiner wird blöde Fragen stellen. Selbst wenn einem von uns die Zeit zu bunt wird und er meint, er müsse sich mit dem Staatsanwalt näher unterhalten, wären die Beweise schon einmal vernichtet.“

Im Raume macht sich allgemeines Gemurmel breit. Ruprecht hat sicher Recht. Er weiß als Jurist am besten, was in einer solchen Sache zu tun ist. Und wer von uns möchte schon gerne gesiebte Luft mit Schatten atmen.

In diesem Moment vernehmen wir ein kurzes Klopfen und die Wohnungstür geht auf. Sodann steht unsere Marta im Raum. Es scheint, dass ihr weiblicher Spürsinn sie genau in diesem Moment zu uns geführt hat. Ihr Gesicht aber zeigt keine Spur von Verdacht oder Argwohn. Es ist vielmehr der mütterliche Instinkt, der sie geleitet hat. Ein wenig so, wie es uns in der Kindheit so oft geschehen verfolgte, dass just in dem Moment, wo wir die elterliche Aufsicht am wenigsten gebrauchen konnten, diese in Reinkultur und epischer Breite, wie aus dem Nichts kommend, plötzlich zugegen war.

Marta lächelt und trällert uns zu: „Hier seid Ihr also.“ Ihr ausgedrücktes Staunen aber ist irgendwie aufgesetzt. „Es war so ruhig und ich dachte, ich schau mal nach meinen Jungs.“ Ihr Lächeln ist noch breiter geworden.

Wir machen den Eindruck einer Horde Kinder, die gerade mit geklauten Kaugummis in der Tasche an der Ladenkasse vorbeimarschieren und gequält den Anschein absoluter Unschuld vortäuschen.

Willi ist knallrot und leuchtet: „Marta!“ ruft er. „Na so was …“

Marta runzelt jetzt die Stirn und schaut jetzt einen nach dem anderen mit dem Blick einer strengen Gouvernante an. Sie benötigt keine drei Sekunden, dann ist ihr klar: hier stimmt etwas nicht.

„Raus mit der Sprache!“ befiehlt sie sofort und so energisch, dass uns der Schrecken in unseren Gesichtern steht. „Was habt ihr jetzt schon wieder angestellt?“

Es ist ausweglos. Wer Marta kennt, der weiß, jetzt käme man nicht mehr vom Haken. Fredo schaut weg und mit dem Ellenbogen stuppst er Ruprecht an, er solle erzählen. Nach kurzem Räuspern und einem nochmals prüfenden Blick in Martas Gesicht erzählt er von der Entdeckung und unseren Erkenntnissen.

Marta ist ganz still und sitzt da, mit der Hand an der Stirn und ab und zu mit einem kurzen Nicken. Wir halten alle den Mund und wagen kaum zu atmen. Nach einer schier unendlichen Zeit nimmt sie die Hand von der Stirn und fragt:

„Wer von Euch hat noch Schnaps?“

Fredo und Willi melden sich vorsichtig. Wir wissen ja nicht, ob das nicht nur so ein Trick von ihr ist. Ähnlich, wie die Rekruten beim Barras gefragt werden, ob ein Musiker unter ihnen ist. Wer sich meldet, muss die Latrinen schrubben. Marta aber nickt und beide machen sich auf den Weg. Für mich aber bedeutet das nicht gleichermaßen etwas Gutes. Wenn Marta Schnaps verlangt, dann könnte auch die Apokalypse bevorstehen.

Ich beruhige mich etwas, als ich sie ganz vorsichtig und wie ein Mäuschen am Schnapsglas nippen sehe. Wir anderen haben den ersten fachgerecht gekippt und bereits den zweiten im Glas. Wir sitzen alle um Marta herum, wie die Indianer um die Medizinfrau. Egal was sie jetzt von sich geben wird, es wird von enormer Bedeutung sein. Das spüren wir.

Marta räuspert sich und beginnt: „Wir haben richtiges Papier.“ Sie schaut kurz auf und blickt in unsere wartenden Augen. „Ich meine damit: echtes Geldpapier.“

Wir nicken stumm.

Sie fährt fort: „Nach dem, was ihr festgestellt habt, sind es über 45.000 Bögen mit jeweils 50 möglichen Scheinen?“

Wir nicken erneut. Eine zart aufkommende Erleichterung macht sich bei uns breit. Wir sind aber noch vorsichtig.

Jetzt leuchten Martas Augen: „Das ist – nach Adam Riese – ein Sümmchen von über einhundertzehn Millionen Euro, wenn das zu Geldscheinen werden würde. Richtig?“

Diese Rechnung haben wir bislang noch nicht durchgeführt. Aber Marta wird schon Recht haben. Wir nicken. Und unsere Spannung erfüllt den Raum – wie elektrisiert harren wir Martas weiteren Ausführungen.

Sie lässt sich etwas Zeit: „Jungs, wir haben dazu auch noch eine echte, funktionstüchtige Druckmaschine.“ Marta freut sich ganz offensichtlich und sie blinzelt freundlich in die Runde.

Der dritte Schnaps wird ausgeschenkt, eine willkommene Pause, in der es nicht auffällt, dass wir nicht antworten. Mit gefüllten Gläsern sitzen wir nun wieder da, blicken aufmerksam in Martas strahlendes Gesicht und warten auf ihr Finale. Doch Marta denkt gar nicht daran, uns jetzt zu erlösen.

Es ist Fredo, der wagt, das Unaussprechliche zu formulieren: „Stellt Euch das mal vor!“ Er spitzt seine Lippen. „Wir sitzen auf einem Stapel echter Banknoten. Einem Schatz. Wir bräuchten nur zuzuschlagen. Es reich ein Kopierer. Oder noch besser: Wir setzen die Druckmaschine im Hof in Gang und in Kürze schwimmen wir nur so in Millionen.“

Ruprecht antwortet wie immer mit seiner unschlagbaren pragmatischen Art: „Im Geld schwimmen ist gut. Deinen Fahrtenschwimmer kannst Du dann gleich im Gefängnis-Pool machen. Dafür bekommen wir alle mindestens fünf Jahre ohne Bewährung. Das ist Dir, meine lieber Fredo, klar?“

Fredo scheint das nicht wirklich zu schockieren. Ihm gefällt der Gedanke einfach zu gut. Ja, je mehr er darüber nachdenkt, sogar vorzüglich.

So trötet er Ruprecht entgegen: „Falschgeld auf echtem Bankpapier, mit allem Drum und Dran, das ist doch ein Geschenk des Himmels.“ Und an uns alle gewendet fügt er hinzu: „Leute, überlegt doch mal!“

„Allein schon der Versuch, selbst wenn noch nicht ein einziger Schein in dem Umlauf gebracht wäre, reicht für eine Verurteilung. Bei Falschgeld grundsätzlich ohne Bewährung.“ Ruprecht könnte jetzt auch im Gerichtssaal stehen und wendet sich direkt an Marta, „Und es ist eine Todsünde, Marta. Hörst Du: eine T-o-d-s-ü-n-d-e! Du kommst für immer in die Hölle!“

Fredo schüttelt den Kopf. Er findet, wir sollten ein wenig über diese Möglichkeit nachdenken. Kalli hat das Papier schließlich auch nicht entsorgt, er wird vielleicht nur auf den richtigen Augenblick gewartet haben. Die Chance liegt doch einfach auf der Hand. Ein Wink des Schicksals, des Himmels – von ihm aus auch der Hölle. Egal!

Marta steht auf. Ihre Fröhlichkeit ist gewichen und sie ist wieder ganz Mutter: „Meine Liebsten. Ich denke, Fredo macht nur Spaß und will uns lediglich ein wenig auf die Probe stellen. Schluss jetzt mit diesen Hirngespinsten. Geht alle zu Bett und morgen ist ein neuer Tag.“

Sie steht auf, kippt ihren Schnaps mit einem Schluck weg, knallt das Glas auf den Tisch und geht festen Schrittes aus der Tür.

Das Kontingent

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