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Das Ende

Die Jünger sprachen zu Jesus: »Sage uns, wie unser Ende sein wird.«

Jesus sprach: »Habt ihr denn schon den Anfang entdeckt, dass ihr nach dem Ende fragt? Denn dort, wo der Anfang ist, dort wird auch das Ende sein.«

Aus dem apokryphen Thomas-Evangelium

Jedes Teilsystem, ob es ein Lebewesen, ein Universum, ein Gedanke, eine Ideologie, eine Religion, ein Wirtschaftssystem oder eine physikalische Theorie ist, fußt immer auf einer ersten Unterscheidung (Axiom). Diese erste Unterscheidung ist die Basis, auf der das System aufbaut. Von diesem Fundament aus trifft es weitere Unterscheidungen. Jedes System steht dabei aber immer in Wechselwirkung mit allen anderen Systemen. Es wird vom Milieu gebildet und fungiert gleichzeitig als Störquelle für dieses Milieu. Das ist der Ursprung des Ungleichgewichts, auf das jedes System durch ein Anwachsen des Komplexitätsgrades reagiert und an dem es letztendlich zugrunde geht. Weil ein Teilsystem auch immer nur einen Teil des Ganzen sehen kann, wird es im dynamischen Wechselspiel bald mit der Ausnahme konfrontiert, die der Basis (den ersten Unterscheidungen) widerspricht. Je komplexer ein System ist, desto starrer ist die Basis auf der es aufbaut, sodass die Ausnahme es letztendlich zu Fall bringt. Denn das System kann darauf nicht mehr in einem Anpassungsprozess reagieren, ohne sich selbst in Frage zu stellen. Jedes System hat also immer den Drang, Vollständigkeit zu erlangen, indem es auf alle Eventualitäten des Milieus reagiert. Dieser Drang, ganz zu werden, erzeugt erst die Dynamik des Seins. Er schafft eine dynamische Vernetzung, die immer auf falschen, weil unvollständigen, Prämissen aufbauen muss. Und so geht jedes System an seiner eigenen Komplexität bzw. der axiomatischen Basis zugrunde. Auf der Ebene Gottes ist das erste Axiom die Unterscheidung selbst, die Systeme gebiert. Das Axiom also lautet, dass es Systeme gibt. Die Ausnahme davon ist, dass es keine Systeme gibt und alles ohne Beobachter in Summe göttliche Einheit bzw. Leere ist. Die Schuld nach Erfahrung spaltet erst die Einheit. Und eine gespaltene Einheit hat, in Interaktion mit seinem Milieu, die Schuld, alles zu assimilieren, alles zu sehen, d.h. vollständig zu werden und geht an dieser Schuld, die sie erst als eigenständiges System definiert, auch wieder zugrunde, ohne die Vollständigkeit bzw. Leere je zu erreichen. Auf Gottes Ebene ist es Gottes Schuld zur Selbsterkenntnis, die zur Spaltung seiner selbst führt. Mit der Spaltung Gottes geht die Schöpfung einher, durch die sich Gott selbst erfährt und die durch die Schuld Gottes, Vollständigkeit zu erlangen, um überhaupt zu bestehen, vorangetrieben wird. Ist Gott dagegen vollständig, so ist »er« ungeschiedene Leere mit einem Mangel an Erfahrung. Das Sein will also Vollständigkeit erlangen und wird dabei zu Leere, und die Leere will Fülle erfahren und wird dabei zu Sein.

Das ist die Bilanz der göttlichen Einheit. Die Schuld (Oszillation) ist die Asymmetrie im dualistischen Spiel. Wenn die Unterschiede sich aufheben, dann löst sich ein System im Milieu auf, aus dem es kam und hinterlässt dabei immer sein Wirken. Jeder Auflösung steht damit ein Schöpfungsakt entgegen und jeder Verbindung eine Trennung. Kredit und Guthaben saldieren sich zu Null, zurück bleiben Waren und Dienstleistungen. Materie und Antimaterie saldieren sich zu Null, und zurück bleibt Energie. Jäger und Beute saldieren sich zu Null, und zurück bleibt ihr Wirken im Milieu. Das Sein saldiert sich zu Leere, und zurück bleibt die göttliche Einheit. Überall aber gibt es eine Asymmetrie, ein Ungleichgewicht, das erst die Dynamik einleitet. Im Kapitalismus ist das der Schuldendruck, auf den wir später zurückkommen. Bei Materie und Antimaterie muss es ein noch nicht gefundenes Ungleichgewicht geben, das erst dieses Universum hervorbrachte. In der Natur gibt es einen Wettlauf zwischen Jäger und Beute und damit ständigen Mangel, der erst die Evolution vorantreibt, und in der göttlichen Einheit ist die Schuld selbst das Ungleichgewicht, die eine Seite einer Unterscheidung durch Beobachtung bevorzugt. Jedes System, das aufgrund dieses Ungleichgewichts in seinem Milieu evolviert, erzeugt immer und ausnahmslos im Wechselspiel mit dem Milieu jene Ausnahmen von den eigenen Prämissen (auf denen es aufbaut), die zur Zerstörung des komplexen Systems beitragen.

Das Kapitel »Das Ende« steht deshalb im Zeichen der Zersetzung und Aufhebung aller Unterschiede und Dualismen. Dort wird dann sichtbar, dass jedem Zerstörungsakt simultan ein Schöpfungsakt gegenübersteht und dass es nie nichts gibt, sondern nur das Sein, das die Leere/Ganzheit erreichen will, sich aber dabei nur weiter aufspaltet und sie damit nie erreichen kann, weil es in ungeschiedener Summe nie etwas anderes war als Leere/Ganzheit.

Ein Buch für Keinen

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