Читать книгу Die Pastorin und der Punk - Stefan Hoffmann - Страница 11
Meisen
Оглавление„Ja, ich bin ’s! Fährst du jetzt morgen zur Fortuna?“
Mein Freund Meisen fragt mich das ziemlich nüchtern – das soll für die späte Uhrzeit schon was heißen. Fortuna bedeutet Fußball. Genau genommen bezieht sich das auf Fortuna Düsseldorf. Der Verein, der Mitte der 90er Jahre alle zwei Monate die These widerlegt hat, dass neue Trainer besser kehren würden. Als man dann begann, auch Präsidenten, Vorstandsmitglieder und komplette Mannschaftsteile auszutauschen, mit der späteren Erkenntnis, durch diese vorher wohl reiflich überlegten Entscheidungen sich plötzlich in der 4. Liga wieder zu finden, wo sich teilweise schon türkische Thekenmannschaften tummeln. Wie gesagt, Fortuna Düsseldorf ist bekannt dafür, dass sie den Trainer öfters feuerten, als Meisen sich bei Auswärtsspielen nüchtern befand. Diese Entlassungen passierten meistens dann, wenn kurz zuvor noch der Präsident bekannt gab, dass der Trainer die volle Rückendeckung des Präsidiums habe. Erinnern tue ich mich gerne mit einem Schmunzeln an die philosophischen Weisheiten des damaligen bosnischen Trainerfuches Aleksandar Ristic, der zur Erkenntnis kam: Wenn du keine Tore schießen, du können nicht gewinnen!
„Klar!“, sage ich, „hole dich, sagen wir mal um halb zwei, ab. Und denk an nächste Woche. Buchmesse – Leipzig! Aber mit dem Zug. Fahrkarten besorg ich Montag.“
„In Ordung! Was kostet das eigentlich an Eintritt?“
„Weiß nicht. Ich als Aussteller habe bereits ein Ticket. Aber lass mich das mal machen. Ich versuch mal einen Trick. Sonst nichts Neues?“
„Nö, nicht dass ich wüsste. Mach gerade eine ultimative Obstdiät. Und bei dir?“
Meisen sollte lieber mal mit dem Altbiertrinken etwas vorsichtiger sein.
„Alles wunderbar. Ich hab jetzt erste Kritiken bekommen. Unter anderem von so einem Typ vom Rundfunk, Abteilung Hörspiel, Dramaturgie und so“, erzähle ich.
Ich als kleiner Dilettant, habe frecherweise meine geschriebene Geschichte dem Rundfunk angeboten, als Hörspielvorschlag. No risk, no fun!
„Und? Was sagt der über deine Geschichte?“, fragt Meisen.
„Warte, der Zettel liegt unter dem Fußballmagazin. Aaah, pass auf, ich les mal vor. Also: Sehr geehrter Herr Hoffmann. Bla, bla, bla – jetzt kommt ’s. Ich kann mit ihren Texten rein gar nichts anfangen, finde sie auch in keiner Weise komisch. Ich fürchte, mit dieser Ansammlung von Peinlichkeiten wird kein halbwegs etablierter Verlag etwas anfangen können.“
„Ja immerhin. Der outet sich ja voll als Spaßbremse.“
„Ja, pass auf, der Hammer. Ich lass das Buch jetzt auch im Internet bei eBay versteigern und da bin ich mit einer per Mail in Kontakt gekommen, die das Buch ersteigert hat. Der Name ist schon gut, Susanna Sommer.“
„Hört sich frisch an. Und wo kommt die her?“ Meisen ist neugierig.
„Äh, in der Nähe von Frankfurt muss die wohnen.“
„Also eine hessische Henne?“
„Wahrscheinlich. Man weiß es nicht so genau. Dazu fällt mir ein. Als Kind mussten wir im Musikunterricht der Reihe nach jeder etwas vorsingen. Jede Woche kam ein anderer dran. Da ich überhaupt nicht singen kann, bin ich hingegangen und habe auf der Kindertröte meiner kleinen Schwester das Lied Oh Susanna einstudiert, was ich dann auch vorgetragen habe. So habe ich mich wieder erfolgreich vor dem Singen gedrückt und bekam sogar noch eine akzeptable Note. Du kennst doch das Lied: I come from Alabama with my banjo on my knee ...“
„Sicher. Und was schreibt die Maus denn so.“
„Warte, muss schnell den Zettel suchen. Hab mir die Kritik mal ausgedruckt.“
Ich wühle rum, finde und lese vor.
„Die schreibt Folgendes: Hallo Steffi, habe dein Werk mit ständigem Grinsen im Gesicht gelesen. Du hast meinen verkorksten Tag gerettet, denn an diesem Tag hätte ich nicht mehr gelacht. Es tat mir nur furchtbar leid, als ich wieder umblätterte und das Büchlein – heul – doch schon fertig war. Ich hätte gerne weitergelesen. Beste Stelle, ich lach mich weg, waren deine 35 Zentimeter ab der linken Pobacke gemessen. Gröhl ... Ansonsten hoffe ich, dass du dich von ein Paar schlechten Kritiken nicht unterkriegen lässt. Schreib unbedingt weiter. Liebe Grüße, Susanna.“
„Wie 35 Zentimeter? Den Gag kenn ich ja gar nicht.“
„Ja, weißt du. Ich hab mich mal darüber lustig gemacht, dass Männer zuweilen mit ihrer Penislänge angeben. An einer Stelle der Geschichte meine ich dann nur so: Männer sprechen immer von ihren dreißig Zentimetern. Lächerlich. Ich habe bei mir mal nachgemessen. Stolze 35 Zentimeter kann ich vorweisen, zumindest wenn man den Nullpunkt vom Lineal an der linken Pobacke ansetzt.“
Meisen lacht diabolisch.
„Das könnte von mir sein“, sagt er dann. „Schmeiß dich doch mal ran an das eBay-Mäuschen“, schlägt Meisen vor.
„Du, die wollte mich wirklich schon näher kennenlernen. Aber lass mal stecken, das Ganze. Die Geliebte des Künstlers ist die Nacht.“
Dass ich mich in die Pastorin verguckt habe, brauche ich Meisen nun ja bestimmt nicht zu beichten ...
„Was hast du eigentlich letztes Wochenende getrieben? Man hat dich nirgends gesichtet.“
„Äh, nicht viel ...“
Na ja, stimmt zwar nicht ganz. Wochenende war ich zu Hause, habe einen Bestseller von John Grisham in die Hand genommen, Fußball geguckt, Leverkusen gegen Bayern, jedoch nicht das letzte Tor und den weisen Kommentar von dem Manager Reiner Calmund, böse Zungen sprechen von Kalorien Calli, und der könnte bestimmt gut ’ne Obstdiät vertragen – mitbekommen. Sonntag morgens Fernsehen eingeschaltet. Formel Eins auf Premiere! Geguckt, wie Michael Schumacher, für mich eine Art rheinische Reinkarnation des Ilja Richters, dem Discjockey aus der Sendung Disco (lief zeitlich in der Übergangsphase von Vinyl zur CD), so um die Kurven jagt. Klatsche immer, wenn die tollen Autos im Graben landen und in Flammen aufgehen. Ehrlich gesagt bin ich war nicht unbedingt ein großer Freund von Schumi, aber zumindest fährt er wie ich ein italienisches Auto. Aber meins hat ein Dach und es passen dort noch vier weitere Personen rein. Oder ein Calli, wenn man den Vordersitz ausbaut und die Rückbank umklappt. Ach ja, Ilja Richter war freiwillig unkomisch, Schumi ist unfreiwillig komisch. Am besten finde ich immer seine Antworten auf die Frage, was beim Start zu erwarten ist. Natürlich möchte doch jede Sportskanone nach dem Start die Nase vorn haben, wer fährt schon gerne hinterher? Nebenbei bemerkt, ich bin in den sechs Jahren, in denen ich meinen Wagen besitze, noch nie in das Vergnügen gekommen, den Abschleppdienst zu verständigen. Das soll bei einem italienischen Auto schon viel heißen ...
„Was ich dir noch sagen wollte. Weißt du, wen ich in der Stadt getroffen habe?“, fragt Meisen und gibt selbst die Antwort.
„Elvira Frankenstein!“
„Nee, nä. Und, hat sie was gesagt?“, will ich gespannt wissen.
„Nö, ich hab sie auch nicht angesprochen. Aber sie sah ganz gut aus im Minirock mit Beinen ohne Ende.“
Meisen meint immer, auf die Verpackung kommt es an.
„Elvira sah immer schon spitze aus. Und ihre Oberweite war nie zu verachten.“
„Ich dachte, die wäre von hier weggezogen und die würden wir nie mehr sehen. Aber glaub mir, man trifft sich immer zweimal und die Welt ist klein. Wie alt ist Elvira eigentlich? Du müsstest das doch exakt wissen. Du warst ja mal hinter der her.“
„Fast genau zwei Jahre jünger als ich. Ebenfalls Wassermann beziehungsweise Wassermannfrau – was auch sonst?“
„Ich würde mich an deiner Stelle mal ein wenig an Elvira ran machen, aber musst du wissen. Bis morgen dann – halb zwei.“
„Alles klar, Meisen. Ciao ...“
Meisen meint immer, man sollte im Leben alles mitnehmen, was man so angeboten bekommt. Ich leg auf. So, jetzt eine Runde pennen. Dann morgen früh einkaufen gehen, ins spätgotische Internet-Café und dann ab nach Uerdingen, zum Fußballspiel Düsseldorf gegen Kleve, welches aufgrund des großen Zuschauerinteresses in der Krefelder Grotenburg stattfindet. Es geht um den Aufstieg und drei Punkte sind Pflicht für meinen Verein. Mal gucken, wie die Fortuna diesmal so auswärts drauf ist. In den 90er Jahren habe ich immer mutig beim Buchmacher auf einen Auswärtssieg meiner Fortuna gesetzt, was dem Buchmacher dazu verhalf, sich in der Schweiz ein Chalet zu kaufen ...
Dumpfe rhythmische Schläge dringen plötzlich an mein Ohr. Scheiße, ich glaub, der Typ der unter mir wohnt, macht mal wieder eine Fete.