Читать книгу Die Pastorin und der Punk - Stefan Hoffmann - Страница 12

Unternehmen Fortuna

Оглавление

20.03.2004 Samstag

10.32 Uhr

Achmed vom Internet-Café reicht mir einen Kaffee, aber keinen türkischen, sondern einen tückischen. Gutes Aufputschmittel, sag ich nur. Ersetzt den Herzschrittmacher. Dafür bräuchte man eigentlich ein Rezept vom Onkel Doktor. Ich schicke den Text per Mail der Pastorin zu. Von draußen erkennt man an den vielen Rechtschreibefehler der Werbezettel, die an den Scheiben kleben, dass es sich hier bei dem Inhaber um einen Türken handeln muss.

12.43 Uhr

Bin im Supermarkt. Auf das Problem mit der fehlenden Münze für den Einkaufswagen, wo dann eine Laufrolle kaputt sein wird, möchte ich hier nicht eingehen. Mein Abenteuer ist beendet, nachdem ich lebend mit einer Einkaufstüte das Geschäft verlassen habe. Heute ist die Tüte voll mit Dosenbier. Die ist ziemlich schwer. Ostern steht ja bald vor der Tür, da muss man sich schon mit Proviant eindecken.

13.05 Uhr

Habe noch nichts im Magen, der anfängt zu knurren. Ich flitz schnell noch rüber zum Bäcker, leckere frische Brötchen kaufen. Kundin und Personal treiben amüsiert Konversation, indem sie scheinbar Urlaubsanekdoten zum Besten geben. Sie registrieren mich nicht. Ich höre erst einmal zu. Die Geschichten sind ziemlich schlecht. Bei den Worten der übergewichtigen Bäckereiverkäuferin komme ich ins Schmunzeln. Hier sitzt zwar nicht die Pointe, doch der sächsische Dialekt hört sich dafür um so lustiger an. Meine gespielte Gelassenheit lässt nach. Ich räuspere mich, um Aufmerksamkeit zu erlangen und fange leicht an zu scharren. Zu allem Pech stellt sich eine übernervöse Kundin zu mir, die zudem übel riecht. Das erinnert alles andere als an einen herrlichen Frühlingsduft. Dann gesellen sich noch weitere Kunden zu uns. Ich mache einen plakativen Schritt auf die Theke zu. Schluss jetzt mit dem Gequatsche. Was dann auch passiert. Man hat uns wartende Kunden ernst genommen. Im gleichen Augenblick reißt meine Tüte ein und die Büchsen purzeln auf den Boden.

13.24 Uhr

Keinen Bock eine neue Tüte zu kaufen, balanciere ich die Bierbüchsen teilweise recht ungeschickt mittels Armen und Händen zu mir auf die Bude. Dort kommen die Dosen in den Kühlschrank. Plastiktüten gehören in den Gelben Sack. Ich stecke mir die kaputte Tüte in die Jackentasche, um sie vor dem Haus in den dafür vorgesehenen Behälter zu werfen. Beim Verlassen des Hauses, mit einem Wurstbrötchen im Mund, sehe ich auf der anderen Seite der Straße die Pastorin. Was macht die denn hier? Die wohnt doch in Köln. Das habe ich im Internet doch schon raus gefunden. Soll ich sie eben ansprechen? Was soll ich ihr sagen? Wie steht sie als Kölnerin eigentlich zu Düsseldorf? Mag sie nur Kölsch oder trinkt sie auch Alt? Hat sie überhaupt schon meine Mail gelesen? Ich glaube weniger. Kann eigentlich nicht sein, die Mail habe ich erst vor knapp drei Stunden abgeschickt. Aber wer weiß? Das Ansprechen lasse ich erst mal bleiben. Ich gehe zu meinem Vehikel und mache mich auf den Weg. Meisen wartet. An einer roten Ampel fällt mir wieder ein, die eingerissene Tüte ist ja noch in der Jacke. Ich hole sie hervor und lege sie ins Handschuhfach.

13.33 Uhr

Ich sitz im Auto und warte auf Meisen, der kommt auch, aber fit scheint er nicht zu sein.

„Hi Meisen, siehst aber nicht gerade gesund aus?“

„Stimmt. Bin gestern Abend noch schwer versackt.“

„Am Telefon hast du dich ja noch nüchtern angehört.“

„Am Telefon ...“

„Und ... wo bist du gewesen?“

„Wie gesagt, meine Freundin und ich saßen vor dem Fernseher und dabei habe ich gemütlich Rotwein genossen. Dann bekam ich noch den Drang raus zu gehen und bin dann im Römer hängen geblieben!“

Bei Lust auf Bier und Krawall empfehle ich immer folgende Therapie, man geht in den Römer. Römer steht für Römertopf. Das heißt, man sucht den anarchistischen Brennpunkt auf, eine alternative Kneipe, wo hauptsächlich klangliche Ekstasen aus den frühen 70er Jahren den Raum beschallen. Zudem ist dieser Ort bei jedem Furz in der Stadt bekannt dafür, dass man sich hier dem Drogenumsatz frönt. Anscheinend nur nicht bei der Polizei.

In dieser Pinte sind die Leute teilweise so zugedröhnt, dass man ihnen Haribo-Konfekt als Designer-Droge andrehen kann. Das nenne ich dann immer den Haribo-Effekt. Der Wirt erlangte traurige Berühmtheit, weil unter seiner Hand schon einige Berggaststätten südlich der Alpen erfolgreich heruntergewirtschaftet wurden. Einst dienten die Räumlichkeiten der Kneipe als Tanzlokal, eine frühere Form einer Dötze. Heute ist eine Dötze ein meist recht großer Raum mit oft recht lauter rhythmischer Beschallung, nach der sich – gerne Samstagnacht – Menschen verschiedener Couleur mehr oder weniger geschickt zu bewegen versuchen. Von Kiffen halte ich übrigens überhaupt nichts. Kiffen erweitert lediglich das Bewusstsein bei Menschen mit verkleinertem Großhirn ...

„Und wann warst du wieder zu Hause?“

„Meine Freundin meinte so gegen vier ...“

Meisen und ich machen uns an einem stürmischen, teilweise regnerischen Samstag auf den Weg Richtung Krefeld, um dort mit Schimpfkampagnen die gegnerische Mannschaft in Psychoterror zu versetzen und sportlich in die Knie zu zwingen. Als Fortuna-Düsseldorf-Fan hat man ein fest umrissenes Weltbild. Gegnerische Fans aus dem Osten sind alle faul und arbeitslos. Und die 1.-FC-Köln-Fans sind von Geburt an allesamt homosexuell.

Das Problem unter den Fußballfans ist: Da sind so wenig Grundgesetzbefürworter darunter. Solche Leute schreiben auch auf Toilettenwände Auslendär raus. Das sind dann meistens die Leute, die auf der Schule eine ganz besondere Karriere gemacht haben. Während eines Fußballspieles offenbart sich der wahre Mann. Hasstiraden, Schmähungen und Mittelfinger sind an der Tagesordnung. Soll mal jemand erzählen, Männer könnten keine Gefühle zeigen ...

Wir tuckern gemütlich auf der A57 Richtung Norden und lassen uns bei 130 von niederländischen Lkws überholen. Wir selber überholen einen Harley-Fahrer, der wahrscheinlich auf dem Weg nach Holland ist, um im Coffie-Shop von Amerika zu träumen. Von Kiffen halte ich übrigens ..., aber das hatten wir schon. Eine Motorjacht kaufen und besoffen sein in Amsterdam, von diesem alten Menschheitstraum bin ich zeit meines Lebens gefangen. Meisen und ich haben mal Holländisch gelernt. Damals bei Sylvester Bauer, dem Niederländisch-Lehrer der VHS, mussten wir alle sagen, weshalb wir die Sprache erlernen möchten. Mein Freund meinte dann: Ik leer nederlands, omdat ik kann better flirten met de nederlandse meisjes in Spanje. Ich hatte eigentlich den gleichen Grund, gab aber an, das niederländische Fernsehen besser verstehen zu wollen. Apropos Spanien. Ich habe schon meinen Sommerurlaub gebucht und werde mich wieder in den Reisebus setzen und an die Costa Brava tuckern. Und dort angekommen werde ich im Poolbereich des Hotels mit dem Handtuch bewaffnet den krebsroten und alkoholisierten Engländer zum Duell um den letzten noch freien Liegestuhl herausfordern ...

Ich schieb die Toten-Hosen-Kassette rein, weil im Radio gerade ein politisches Thema diskutiert wird. Politik interessiert mich nur am Rande. Meisen interessiert das überhaupt nicht. Von Politik hat der so viel Ahnung wie ich von afghanischem Erbschaftsrecht. Worin Meisen allerdings ein Experte ist, ist das Auspacken diverser Hi-Fi-Geräte aus Originalverpackungen. Besonders derer, die vom Laster gefallen sind ...

„Mir ist schlecht“, japst Meisen.

Ich nehm ihn nicht ernst.

„Halt mal an. Ich glaub, ich muss kotzen.“

„Ich kann hier nicht so einfach anhalten. Warte noch! Gleich kommt eine Raststätte.“

Meisen kriegt schwere Probleme und fängt an zu suchen. Er öffnet das Handschuhfach und hält sich die Tüte vor den Mund. Dann legt er in bester Manier los. So kennt man ihn. Dass die Tüte eingerissen ist, merkt er im Eifer des Gefechtes nicht. Auch Kotze gehorcht dem Gesetz der Schwerkraft und geht den Weg des geringsten Widerstandes. Mithilfe von Papiertaschentüchern bekommen wir Autositz sowie Hose von Meisen wieder einigermaßen gesäubert. Auch der Schal weist einige Spuren auf. Aber das stört Meisen nicht ...

Fußballspiel wird gewonnen. Schiedsrichter ist deshalb weder schwul noch schuld. Schimpfkampagnen waren erfolgreich. Bin stolz – habe nur jetzt einen dicken Hals. Meisen wird der bekotzte Schal von einem hochalkoholisierten Fortunafan im Freudentaumel vom Hals gerissen und mitgenommen. „Scheiß auf den Schal. Hauptsache Fortuna schafft den Aufstieg in die dritte Liga.“

Meisen grinst zufrieden.

Die Pastorin und der Punk

Подняться наверх