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Vorlesung 9

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Wie waren durch unseren Zeitsprung in Ägypten gelandet. Bis zu unserer Zeit sind es jetzt zirka 5000 Jahre. Während es in der Zeit davor noch Gemeineigentum gab, man gemeinsam auf den Feldern arbeitete und allen alles gemeinsam gehörte – vom Werkzeug bis zur Hütte –, gibt es nun Reiche mit großem und Arme mit kleinem Landbesitz. Der Reiche bestellt sein Feld nicht mehr selbst, er hat Sklaven. Zur Zeit der Bestellung und der Ernte arbeiten auch die freien Bauern für ihn. Ja, selbst nach seinem Tode müssen sie ihm Gaben in seine Grabkammer bringen. An den Wänden sieht man lange Reihen von Bauern und Bäuerinnen; sie führen Lämmer zum Opferplatz; auf den Köpfen tragen sie Körbe mit Früchten, Krüge mit Wein für die Totenmessen und Opferdarbringungen.

Noch ist die Welt eng, in der die Ägypter leben. Doch mit jedem Jahrhundert verlassen sie das Haus öfter und öfter. Es führt sie der Schlachtengott Wepwat, der Wegbereiter. Die Ägypter brauchen Sklaven, die gewinnt man nur durch Krieg. Da kann ein Kriegsgott nützlich sein, denken sich die Erfinder von Wepwat. Außerdem braucht man Balken aus Zedernholz für die Bauten, Kupfer für die Hämmer, Gold und Elfenbein für Schlösser, Tempel und Mausoleen. Immer häufiger begegnen die Ägypter fremden Völkern. Sie beginnen zu begreifen, dass auch der Fremde ein Mensch ist, aber noch ist es lange nicht so weit, dass sie zugeben, er sei ein ebensolcher Mensch wie sie selber.

Der Fremde, sagen die Ägypter, ist ein verächtlicher, trauriger Mensch. Der Sonnengott Ra hasst ihn. Nicht für die Fremden scheint die Sonne, sondern für die Ägypter. Es ist keine Sünde, einen Fremden zu erschlagen, um sich seines Besitzes zu bemächtigen. Was sich nicht durchs Schwert erringen lässt, tauscht man bei den Nachbarn gegen Brot, Waffen oder Schmuck ein.

An der Südgrenze Ägyptens – auf der Elefanteninsel – treffen die Ägypter ihre Nachbarn, die Nubier, die schwarzen Elefantenjäger. Die Ägypter breiten auf der Erde ihre Waren aus: Kupfermesser, Glasperlen, Armspangen, und die Nubier bringen Elefantenzähne und Goldsand. Man feilscht um den Preis. Und das Dorf, in dem sich dies abspielt, nennt man „Syene“ – „Preis“.

Die Nachbarn, die im Norden leben, bringen selber ihre Waren nach Ägypten. Immer häufiger landen die Schiffe der Phönizier an der Küste. Die Seefahrer ziehen ihre Schiffe auf den Strand und laden Balken und Kupfererz aus.

Handel treibend, erkundet man die Welt. Inseln, Berge, Täler erhalten Namen. An diesen Namen erkennt man sogleich, welche Reichtümer das Land birgt. Das Zederntal in Phönizien ist reich an Zedern. Von der Kupferinsel – Zypern – holt man Kupfer. Auf der Halbinsel Sinai, was Malachit bedeutet, gewinnt man den grünen Kupferspat Malachit. In den fernen Silberbergen, die heute Tauern heißen, findet man Silber.

Einstmals meinte der Mensch, es gäbe nichts, was kleiner wäre als ein Sandkorn, nichts Größeres als die Berge. Bis zum heutigen Tag sagt man „berghoch“ oder „klein wie ein Sandkörnchen“. Doch der Mensch hat die Grenzen seiner Welt geweitet. Er stieg auf die Berge und überzeugte sich staunend, dass sie nicht bis an den Himmel reichen. Er schliff Steine und beobachtete aufmerksam die winzigen Rillen und Unebenheiten, über die der Schleifstein glitt.

Immer tiefer drang er in die Welt der winzigsten Dinge ein, die man mit dem Auge schon nicht mehr wahrnehmen kann. Mit dem Tastsinn des Blinden suchte er in der Undurchdringlichkeit des Mikrokosmos den Weg zum Metall. Im „Kupferhaus“, in der Schmiede, rief der zauberkundige Mann, der Schmied, das Feuer zu Hilfe. Das Feuer zerbrach die Ketten, an die im dunklen Schoß des Erzes die Kupferatome geschmiedet waren. Und das Kupfer verließ seinen Kerker – leuchtend, klingend, glänzend. Wie einen Schrein öffnete der Mensch das Erz, um im Mikrokosmos des Stoffes den Schlüssel zum Tor des Makrokosmos zu finden.

Die phönizischen Schiffbauer behauten mit ihren scharfen Äxten das harte Holz aus den Stämmen am Fuße des rauhen Libanon. Sie richteten einen riesigen Balken her, begradigten ihn nach der Schnur und befestigten Bretter daran, wie Rippen an der Wirbelsäule. Darüber legten sie das Deck, um die Spanten zu befestigen. Das Heck schnitzten sie wie einen Fischschwanz und den Bug wie einen Vogelkopf. Fertig ist das unwahrscheinliche Wunderding, das sie in unbekannte Länder bringen soll. Möge es im Wasser nicht untergehen, wie ein Fisch. Möge es schnell durch die Wellen ziehen, wie die Vögel in den Lüften.

Doch was ist das für ein hölzernes Menschlein, das die Phönizier sorgsam ans Heck setzen? Das ist der Zwerg Puam, der kleine Hammergott. Wie sollte man den nicht mitnehmen auf große Fahrt? Er hatte doch geholfen, das Erz in den dunklen Erzgruben Meluchiens auf der Malachithalbinsel zu gewinnen. Er hatte die Axt in der Schmiede gehämmert. Er hatte seine Kräfte nicht geschont, als die Zimmerleute das Schiff bauten. So möge denn dieser Zwergengott aus dem Mikrokosmos sein Kind – das Schiff – in den Weiten des Makrokosmos schützen. Erfundener Talisman oder zurechtgebogener Gott – Hauptsache der Mensch hat einen Beschützer.

Die Jahrhunderte vergehen. Nun sind es schon nicht mehr fünf, sondern nur noch vier Jahrtausende bis zu unserer Zeit. Die Schiffe der Phönizier durchpflügen das Mittelmeer. Sie fahren immer weiter und weiter, setzen an den Küsten und auf den Inseln Siedler aus, gründen Handelsniederlassungen und Kolonien. Sie erreichen das Tor zum Ozean und sehen vor sich die Felsen von Gibraltar. Sie nennen diese Felsen die Säulen des Melkart.

Melkart ist ihr Gott. Sie glauben, dass er die Mauern ihrer Heimatstadt Tyrus gebaut habe. Sie glauben, er habe die Säulen am Ausgang des Meeres in den Ozean errichtet, damit niemand sich weiterwage. Als sage Melkart dem Seefahrer: „Halt! Keinen Schritt weiter. Zu weit schon hast du dich von den heimatlichen Mauern entfernt. So halte wenigstens hier an, am Rande der Welt!“ – Und viele Jahrhunderte lang wagten die Seefahrer nicht, dies Verbot zu übertreten. Furchtbar war die uferlose Weite des Ozeans, die sich hinter dem Tor von Gibraltar öffnete. Doch zogen die Reichtümer unentdeckter Länder die mutigen Kaufleute an. Eine Galeere nach der anderen wagte sich in den Ozean hinaus.

Bei jedem Ruderschlag klirrten die Ketten der an die Bänke geschmiedeten Galeerensklaven, tropfte der Schweiß von den gebrandmarkten Stirnen und geschorenen Schädeln. Den Sklaven wurden die Köpfe geschoren, damit die Haare nicht das Brandmal verdeckten. Mit jedem Ruderschlag wuchs die Weite der Welt. Längs der Küsten Frankreichs, Spaniens, wo damals noch Wilde lebten, gelangten die Phönizier zur Zinninsel – Britannien – und zur Bernsteinküste der Ostsee.

Die Menschen reisen über die Erde. Und die Erde ist unterdessen auch auf ihrer Reise – um die Sonne, jene unschlagbare Naturgöttin.

Die Jahrhunderte verstreichen. Nun sind es nicht mehr vier Jahrtausende, sondern rund achtundzwanzig Jahrhunderte bis zu unserer Zeit. In dem kleinen Palästina baut der König Salomo Schiffe und bittet seinen Freund und Nachbarn, den phönizischen König Hiram, ihm Schiffsleute zu senden, die das Meer kennen. Auf diesen Schiffen fahren die Juden und Phönizier über das Rote Meer ins ferne Land Persis, nach Indien und bringen für Schloss und Tempel Gold und Silber mit, Elfenbein, Affen, Pfauen.

Immer weiter rücken die Seefahrer die Wände der Welt auseinander. Doch die Steuerleute halten sich noch an die Ufer und fürchten sich, aufs offene Meer hinauszufahren. Auf hoher See verliert der Mensch leicht seinen Weg. Das Wasser hält keine Spuren wie das Land. Das Ruder zerschneidet die Wasseroberfläche, doch sie schließt sich gleich wieder, als wäre nichts geschehen. An Land, auf den Wegen der Karawanen, sprachen selbst die Steine und halfen den Weg aufzufinden. Man betete zum schwarzen Stein am Weg wie zu einer Gottheit. Die Erde selber zeigte dem Menschen den Weg mit tausend Zeichen, und der Mensch schritt über die Erde, unentwegt die Umrisse ihrer Berge und Täler in sich aufnehmend.

Im Meer aber sind alle Wellen gleich und veränderlich. Wie soll man da nicht den Weg verlieren, wenn unten nur das blaue Meer, oben nur der blaue Himmel ist? Nach unten blicken ist zwecklos. Und der Seefahrer errät, dass er nicht nach unten, sondern nach oben blicken muss. Er schaut nach oben, und dort, bei den Sternen, sucht er die Zeichen und Kerben, die ihm den Weg weisen sollen. Mittags führt ihn die Sonne nach Süden. Nachts weist ihm der Kleine Bär den Weg nach Norden. Nicht umsonst nannten die Phönizier den Kleinen Bären den „Wagen“. Das ist das Gestirn der Fahrenden und Reisenden.

So bemächtigte sich der Mensch seines Planeten, indem er die Sonne und die Sterne beobachtete. Er suchte die Schlüssel zur Welt – und fand sie im Makrokosmos der Gestirne.

Einstmals trennte das Meer die Völker. Nun aber vereint es sie. Zugleich mit Schalen, Gewürzen, Geweben, Sklaven wandern fremde Sitten, Religionen und Gebräuche und fremde Meisterschaften übers Meer. Aus Ägypten nach Phönizien, aus Phönizien nach Griechenland wandert die Schrift, sie verändert sich unterwegs, aus Bildern werden Buchstaben. Auf jedem phönizischen Schiff befindet sich ein Schriftkundiger, der die Listen führt und die Abrechnungen macht. Er wird in der Heimat dem Herrn des Schiffes und der Waren genaue Rechenschaft ablegen müssen.

Die phönizischen Galeeren tragen nicht nur die starken palästinensischen Weine und die Purpurgewänder Sidons aus Asien nach Europa, sondern auch die Buchstaben des ersten Alphabets der Welt. In den europäischen Sprachen sind folgende phönizische Worte, leicht abgewandelt, erhalten geblieben: Galeere, Wein, Chiton, Alphabet.

Völker gingen unter, Throne stürzten, in den Flammen der Feuersbrände zerfielen die Papyrusrollen zu Asche. Die Buchstaben aber verschwanden nicht. Sie gingen durchs Feuer, ohne zu verbrennen. Selbst die Zeit schien keine Macht über sie zu haben. Der Mensch hatte keinen größeren Reichtum als diese wenigen Buchstaben. Durch eine leichte, aber feste Brücke verbanden sie Völker und Jahrhunderte. Wären sie nicht gewesen, wessen Gedächtnis hätte das fassen können, was der menschliche Geist im Laufe der Jahrhunderte geschaffen hatte? Für den, der sie beherrscht, hat das Gedächtnis keine Grenzen. Mit ihrer Hilfe lassen wir längst versunkene Welten auferstehen, sehen wir, was nicht mehr ist, hören wir die Worte längst verstummter Münder. Umso bedauerlicher ist es, wenn heute viele derjenigen, die sich kraft ihrer religiösen Überzeugungen für die Geschichte der Religionsentstehung interessieren sollten, keinerlei Bezug zur Evolutionsgeschichte finden wollen.

Von Volk zu Volk, von Generation zu Generation wandern die Buchstaben, sie vereinigen die Lebenden und die Toten, die Nahen und die Fernen zu einer einzigen, (hoffentlich) ewig lebenden Menschheit.

Doch kehren wir zurück zu den phönizischen Seefahrern. An einer fremden Küste gelandet, senden die Seefahrer zuerst Kundschafter aus. Man muss feststellen, was für Menschen hier leben: „Wilde, die keine Gesittung kennen, oder solche, die die Götter ehren.“ Oft kommt es vor, dass die Eingeborenen die Gäste mit einem Hagel von Speeren und Pfeilen empfangen. Das ist den Ankömmlingen eine Lehre. Das nächste Mal sind sie vorsichtiger. Sie breiten ihre Waren am Strand aus und machen ein Feuer an. Sie selber aber stoßen ab und fahren zurück aufs Meer.

Auf den Rauch hin nähern sich die Eingeborenen vorsichtig dem Ufer, nehmen die mitgebrachten Gaben und lassen selber Gaben für die Gäste zurück.

So begegnen Menschen einander, wie Unsichtbare, und sehen sich nicht von Angesicht. Mag sein, dass den Eingeborenen die Seefahrer wie unbekannte Götter vorkommen, denen sie Gaben opfern sollten.

Doch wenn die Kaufleute an Küsten anlegen, wo man sich schon kennt, spielt sich alles ganz anders ab. Sie ziehen die Galeere auf den Strand und legen an Deck ihre Waren aus, wie auf einem Ladentisch. Die Frauen umdrängen das Heck; oft kommt auch die Tochter des Landesfürsten mit ihren Gespielinnen.

Der Handel geht friedlich vor sich. Es kann aber auch geschehen, dass im letzten Augenblick, wenn die Ware ausverkauft ist, die Schiffe schon aufs Wasser gelassen werden, die tückischen Kaufleute sich in Räuber verwandeln und die Käuferinnen in … Ware. Man packt die Frauen und trägt sie aufs Schiff. Auf ihre Hilfeschreie läuft das Volk zusammen, doch es ist schon zu spät. Der günstige Wind bläht das weiße Segel, die Mannschaft wirft sich in die Ruder.

Das Schiff entfernt sich, es wird kleiner und kleiner.

Die Mütter weinen und zerreißen ihre Kleider. Die alten Frauen trösten sie: „Es ist wohl der Wille der Götter, wenn selbst die stolze Tochter des Fürsten die Bitternis der Gefangenschaft auskosten muss.“

Tag 1 - Als Gott entstand

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