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Karten auf den Tisch – es wird konkret

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Frederik und ich

Eine Geschichte vom Reisen


Ostküste


„Und im Sommer fahren wir nach Australien. Und Dubai. Und Sydney. In Dubai machen wir dann Pause, spazieren ein wenig umher, machen „Kaffee und Kuchen“ und gehen dort auch pullern. Und im Flugzeug können wir etwas essen und Kino gucken. Was sprechen die eigentlich in Australien, Papa, auch Hebräisch?“ So oder so ähnlich sprudelte es aus Frederik heraus, wenn er auf die große Reise im Sommer angesprochen wurde. Und dann folgte die ganze Tierwelt, wobei es ihm besonders die Wasserbewohner angetan hatten: Haie, Krokodile und natürlich auch sein ganz persönlicher Favorit: der Sägefisch. Keine Ahnung warum, aber der Sägefisch stand ganz oben auf seiner Liste: „Wie dick sind die Scheiben im Aquarium?“ „Dick, wieso?“ „Weil der Sägefisch sie sonst durchsägt und dann der Sägefisch herauskommt. Wie isst ein Sägefisch eigentlich?…“ Am Anfang stand die Frage: Wie schaffe ich es, bei drei Kindern, einer berufstätigen Frau und meinem Job endlich wieder eine längere Fernreise hinzubekommen? Meine ersten Ideen oder eher Phantastereien kreisten bereits um ein halbes Jahr – mindestens – Auszeit nur für mich alleine in Australien, ein bisschen Asien und vielleicht noch Nordamerika. Das scheiterte allerdings am verständlichen Veto meiner Frau. Ich weiß nicht mehr ihre exakte Wortwahl, aber es muss irgendetwas mit „Bist du total durchgedreht? Wie kannst du allen Ernstes überhaupt ansatzweise in Erwägung ziehen, mich mit drei Kindern so lange alleinzulassen?“ gewesen sein. Ich befürchte, nicht einmal ernstgenommen hat sie mich – und das vielleicht auch noch aus gutem Grund. Es musste etwas Konkreteres, Kompromissfähigeres, Realistisches für die gesamte Familie her. Neue Überlegungen schlossen nun die Familie mit ein und berücksichtigten immer noch Australien, jetzt mit einem größeren Fokus auf die indonesische Insel Sulawesi. Aber irgendwie war ich mit meinen Plänen für Frederik noch nicht zufrieden. Meine beiden Töchter waren schon älter und selbständig genug, um sie eine Zeit lang mit meiner Frau in Potsdam zu lassen. Wie sollte das aber mit Frederik aussehen? Der war erst vier Jahre alt und offensichtlich ja fest mit in meinem Team. Aber „wie“ und „wohin“ sollte es gehen? Ein nicht unwesentlicher Aspekt dabei war natürlich die personelle Zusammensetzung der Truppe. Dreh- und Angelpunkt gerade im ersten Teil der Reise war vor allem meine Frau Antje. Antje stammte aus den Tiefen der Uckermark, kennengelernt hatten wir uns während unserer Zeit als Austauschstudenten in Schweden. Wir befanden uns auf der Schwelle unseres dritten Beziehungsjahrzehnts, kannten uns also schon seit einiger Zeit. Wobei bedacht werden muss, dass „kennen“ in meiner ostwestfälischen Heimat als Synonym für „Ich würde dich glatt auch ein zweites Mal heiraten wollen“ durchgehen würde. Mit an Bord waren zudem unsere beiden Töchter Josefine und Valerie. Josefine war mit ihren 11 Jahren voll und ganz mit ihrem Leben als Kanutin beschäftigt. Ihr fiel vieles wie von selbst zu und sie vermittelte den Eindruck, mit sich selbst im Reinen zu sein. Die 8-jährige Valerie könnte man eher als ruhigeren, sensibleren Typ beschreiben, die zwar auch offen-neugierige Züge offenbarte, aber doch eher still in sich hinein lächelte als lautstarke aufzutrumpfen. Außerdem waren die beiden Mädels immer für eine Überraschung gut. Wie anders war es zu interpretieren, wenn die Antwort der Mädels auf die offene Frage: „Wohin würdest du reisen, wenn du die freie Wahl hättest?“, die Städte Paris, London und Pisa auf ihrem Wunschzettel ganz oben zu finden waren. Pisa? Wieso denn nun ausgerechnet Pisa!? Nicht zu vergessen Frederik. Zu Frederik muss man wissen, dass er mit einem Gendefekt das Licht der Welt erblickte. Diese „Spontanmutation“, wie man uns mitteilte, äußert sich in einer schweren Hauterkrankung, einer Verhornungsstörung. Kurz: Frederik erregt allein durch sein Äußeres automatisch Aufmerksamkeit. Die Krankheit an sich gibt es so eigentlich gar nicht, zumindest findet man nichts darüber. „Olmstedt-Syndrom“ nennt man es, heilbar ist es nicht. Eine genaue Beschreibung fällt mir schwer: Frederiks Haut schuppt ständig und viel, große Hautpartien sind rötlich gefärbt. Vielleicht ähnelt es ein wenig einer großflächigen Neurodermitis, allerdings ohne diesen furchtbaren Juckreiz. Leider sind eher die Reaktionen seiner Umwelt auf sein Erscheinungsbild das eigentliche Problem. Viele, hauptsächlich Erwachsene, meinen, immer alles kommentieren zu müssen – ohne Rücksicht auf irgendwelche Befindlichkeiten. Natürlich kreiste bei uns auch die Idee im Hinterkopf, dass sich eine mehrmonatige Reise mehr oder weniger in ständiger Nähe salzhaltiger Luft, Sonnenschein und Urlaubsstimmung positiv auf Frederiks Haut auswirken würde. Zuvor war ich schon einmal mit ihm ans Tote Meer gereist, leider ohne nachhaltige Verbesserung. Vielleicht sollte es ja diesmal klappen. Und dennoch: Frederik war ein lustiger, schlagfertiger, fröhlicher, vor Wortwitz strotzender vierjähriger Frechmops, der nie um eine Antwort verlegen war und noch wenig von seiner Erkrankung zu ahnen schien. Was war also mit diesem Sprücheklopfer möglich, was nicht. Was musste berücksichtigt werden, was nicht? Neue, ausgefeiltere und überzeugendere Pläne wurden konzipiert und überarbeitet, alle möglichen Eventualitäten durchgespielt. Das Ergebnis konnte sich mehr als sehen lassen: Zunächst einmal sollte es mit der ganzen Familie für knapp sieben Wochen an die australische Ostküste gehen. Australien schien eine gute Wahl zu sein. Vor genau 25 Jahren war ich schon einmal dort gewesen – wie es sich gehörte, nutzte ich damals die Zeit zwischen Abi, Bundeswehr und Studium sinnvoll mit Reisen. Das Klima schien kalkulierbar, verlässlich und medizinisch vertretbar. Zudem befanden wir uns in einer von westlichen Standards geprägten Welt. Hier würden wir uns also auf absolut sicherem Terrain bewegen, die Ostküste erschien als perfekter Einstieg für eine längere Reise. Vieles sprach also für Australien, warum folglich nicht gleich dort bleiben! Sulawesi musste sich erst einmal ganz hinten anstellen. Wenn die drei Mädels also den Heimflug antreten würden, sollte es für Frederik und mich von nun an als mobile Zweier-WG für gut vier Wochen an die Westküste Australiens gehen. Ein guter Plan! Anschließend wurden sämtliche Ausflüge oder Routen in das feucht-warme Schwüle versprechende Südostasien ganz aus dem Programm gestrichen und durch kühle Brisen und ein verträglich-angenehmes Meeresklima ersetzt. Genau das, nicht mehr oder weniger, erhoffte ich mir nämlich von der neu ins Programm aufgenommen Passage durch die Südsee. Vor allem selbstverständlich wegen der gesunden, salzhaltigen, verträglichen Luft – aber auch um ganz nebenbei noch meinen heimlich und lang geträumten Traum vom Südpazifik auszuträumen. Ein nahezu genialer Schachzug. Abgerundet werden sollte das alles durch einen weiteren Geistesblitz: Ich erinnerte mich plötzlich an gute Freunde, die mittlerweile in San Francisco lebten, also in einer der schönsten Städte in einer der schönsten Regionen. Der Besuch in San Francisco schien folglich als die ideale Kombination, alte Freundschaften aufzufrischen und die Reise um zwei Wochen in perfekten klimatischen Bedingungen und bei extrem hohem Wohlfühlfaktor zu strecken. Verwunderlich, warum war ich darauf nicht schon viel früher gekommen? Das lag doch förmlich auf der Hand. Das schien also in vielfacher Hinsicht ein spannender Urlaub werden zu können.


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