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Kälte

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Schaut man auf den Wohlfühlfaktor, so muss die kleine Gemeinde Tenterfield einen Spitzenplatz einnehmen – zumindest aus Sicht der Kängurus. Auf dem lokalen Sportplatz ließen sie Fünfe gerade sein, genossen die hier wärmende Wintersonne auf ihrem gebeutelten Pelz oder lümmelten sich lässig am Torpfosten der lokalen Sportanlage. Einige verwegene ließen sich sogar zu ein paar Sprüngen für die knipsbereiten Touristen hinreißen. Das war also Tenterfield, ein Ort, den man ansonsten getrost vernachlässigen konnte und der daher nur zu einem Minutenaufenthalt auf der Fahrt zu zwei weiteren Nationalparks im hügeligen Hinterland herabgestuft wurde. Auf der Verbindungsstraße zwischen diesen beiden Parks, dem Bald Rock N.P. und dem Boonoo Boonoo N.P., machten wir dann zum ersten Mal Bekanntschaft mit den legendären Staubpisten des Landes. Es machte schon Spaß, eine schöne Staubfahne hinter dem Wagen herzuziehen oder für einige wenige Sekunden im Blindflug durch die Wolke des Gegenverkehrs hindurchzutauchen. Glücklicherweise mussten wir nicht den Staub eines möglichen Vordermannes schlucken und die Piste hielt auch nicht übermäßig viele Überraschungen in Form von Schlaglöchern für uns bereit. Boonoo Boonoo erschien uns dann als das Paradies an sich, wäre da nicht…; aber der Reihe nach. Die Wiesen rechts und links des Weges waren voll mit unseren hüpfenden Beutelträgern, das war natürlich genau nach dem Geschmack der Kinder. Und den Campingplatz im Wald hatten wir dann schön für uns allein. Auf einer ersten Entdeckungstour zum Fluss sichteten wir auch gleich reihenweise weitere Kängurus und für Bruchteile einer Sekunde konnten wir das herrliche Blau eines Eisvogels vorbeizischen sehen. Zeit wurde keine mehr verschwendet und die Kinder schleunigst zum Feuerholzsammeln zwischen den Kängurus abkommandiert. Im Nachhinein ist man ja immer schlauer, aber vielleicht war es dann doch nicht so clever, auf dicke Hose zu machen und sämtliche Kinder lautstark zum feierlichen Feueranzünden zusammenzutrommeln. Beim dritten Streichholz und vorletzten Taschentuch bin ich dann doch etwas nervös geworden, doch dann ist noch einmal alles gut gegangen, wenige Augenblicke später loderte das Feuer und ich konnte endlich wieder eine große Klappe haben – das Feuerholz war aber auch wirklich ganz schön kalt und klamm! Bei einem Wein genossen wir das kleine Lagerfeuer und die heißen Grillwürstchen, die uns umgebende einsame Stille und den einzigartigen Blick auf den phantastischen Sternenhimmel der südlichen Hemisphäre. Irgendwann zu vorgerückter Stunde, die Kälte kroch bereits durch unser sommerliches Schuhwerk, drängte sich der Ausspruch auf: „Hey, Zeit, sich aufs Ohr zu legen – wie spät ist es eigentlich?“. Und als die Antwort aus den gefühlten 21.30 Uhr tatsächliche 19.00 Uhr werden ließ, wurde ich wieder auf den frostigen Boden der Tatsachen zurückgeholt. Schnell wurde noch ein Scheit Holz auf das Feuer geschmissen, die Gläser aufgefüllt und so der aufziehenden Kälte einmal mehr ein paar Minuten erfolgreich abgetrotzt. Soweit zu den positiven Seiten des Abends. Was folgte, damit war so für uns in Australien nicht unbedingt zu rechnen: Ich kann mich auch nicht daran erinnern, jemals in einem Urlaub so gefroren zu haben, Skiferien eingeschlossen. Wenn man sich des Nachts trotz einer zum Bersten gefüllten Blase nicht mehr aus den wohligen Federn traut aus Angst, es nicht mehr rechtzeitig in den Camper zurück zu schaffen und einem Kälteschock zu erliegen; oder wenn man es nicht mehr wagt, sich im kuscheligen Bett umzudrehen, weil man ja eine kalte Stelle auf der so mühevoll angewärmten Matratze erwischen könnte; oder wenn man fürchten muss, mit seinen blanken Füßen auf dem Boden festzufrieren – ja, dann ist es wirklich furchtbar kalt! Klar, Australien gilt nicht gerade als Synonym für eiskalte Nächte, man stopft für einen Urlaub doch eher leichte Sommerkleidung in seinen Rucksack und denkt an warme Tage. Und der Camper wurde auf dem „unpowered campsite“ auch nicht weiter mit Strom versorgt. Und so kam, was kommen musste: Eine unvergessene, eiskalte Nacht. Allein beim Schreiben dieser Zeilen fröstelt es einen schon wieder. Die Mädels waren da schon ein bisschen cleverer: Die hatten sich den heißen Kartoffel-Kochtopf gesichert und damit ihr Bett angewärmt. Verdammt, darauf hätte ich auch selber kommen können. Der Morgen begrüßte uns dann mit kondensierendem Atem, der Gasherd wurde zur Standheizung umfunktioniert. Nichts, womit man in Camperkreisen angeben könnte, aber egal, der Zweck heiligt ja bekanntlich die Mittel. Im Nachhinein wusste ein Eisverkäufer – wer sollte es besser wissen – zu berichten, dass es die kälteste Nacht seit 15 Jahren gewesen sei. Wir glaubten es unwidersprochen. Es ist schon erstaunlich, aber genau diese Erlebnisse sind es ja auch, über die man später spricht, die einen Urlaub interessant machen, die haften bleiben und einen netten Urlaub zu einem wunderbaren Urlaub machen – aber eben erst im Nachhinein! Mit Geschichten über heiße Outbacktage oder den x-ten Sonnenuntergang am y-ten Traumstrand lockt man irgendwann keinen Hund mehr hinter dem Ofen hervor, das wäre zu langweilig, und nur um Hitze zu erleben oder sich an einem schönen Strand zu aalen, muss man auch nicht mehr bis Australien. Erheblich zu diesem positiven Höhenflug beigetragen hat natürlich auch der folgende Morgen, ein mindestens ebenso unvergessliches, zum Glück wunderbares Erlebnis: Die Kombination aus wärmenden Gedanken und heißem Kaffee, wolkenlosem Sonnenaufgang und leichtem Tau auf Gräsern und Blättern, waberndem Nebel über dem kleinen Flüsschen und einer erwachenden Tierwelt mit Kängurus und Eisvogel war dann schließlich unschlagbar. Wenn ich irgendwann einmal für eine Kaffeewerbung verantwortlich wäre, dieser Ort zu dieser Zeit mit einer Tasse Kaffee in der Hand und einem zufrieden lächelnden Stefan würde bestimmt nicht der schlechteste Einfall sein. Neben der Natur trieb auch die Kultur weiterhin beeindruckende Blüten. Sprachlich bewegte ich mich offensichtlich noch immer auf recht dünnem Eis. Hin und wieder kam man ja auch mit den lokalen Bevölkerungsteilen ins Quatschen und bei einer dieser Gelegenheiten stellte ich eine Frage, bei der ich mir ganz sicher sein konnte, dass es darauf nur eine einzige bestimmte Antwort geben könnte. Aber egal was mir mein Gegenüber bei dem kleinen Smalltalk-Versuch erwiderte, vielleicht war es ja auch die erwartete Antwort, verstanden habe ich jedenfalls nur Bahnhof und erst nach mehrmaliger Nachfrage und scharfem Nachdenken meinerseits erschloss sich mir der Inhalt und ich konnte zumindest weiter kommunizieren – wenn auch recht gefrustet. So oder so ähnlich muss man sich fühlen, wenn ein hochmotivierter Engländer mit ordentlichen Deutschkenntnissen ohne Vorwarnung in Niederbayern aufschlägt und Konversation betreiben möchte – o´zapft is! An anderer Stelle wurde ich unvermittelt mit einem Helden meiner Kindertage konfrontiert: Umpah Pah, der große Indianerhäuptling aus dem Zack-Comic-Magazin. Und das kam so: Auf dem Weg zur Morgenhygiene schlenderten einam auf dem Campingplatz die stets Gutgelaunten mit einem breiten Grinsen über den Weg und schleuderten dann lässig ein „Umpah Pah“ herüber. So hörte es sich zumindest an. Es könnte aber auch ein „hello mate“, „how is going“, „morning“ oder gar ein schnödes „good day“ gewesen sein, so ganz sicher konnte man sich da nie sein. Angehört hat es sich auf jeden Fall wie „Umpah Pah“ und am besten reagierte man darauf, indem man mit einem ebenso fröhlichen wie breiten Grinsen ein leicht genuscheltes „hello“ zurückmurmelte. Die Situation war gerettet und der noch junge Tag konnte beginnen. Ein solcher Tag war dann beispielsweise eine prächtige Gelegenheit, um dem ganzen Sack voll australischer Merkwürdigkeiten auf den Grund zu gehen oder sie wenigstens erst einmal überhaupt zu registrieren. Die Corioliskraft ist dem einen oder anderen ja vielleicht noch aus seinem Physikunterricht ein Begriff – jaja, lang, lang ist es her – hier konnte man das Ganze einem Praxistest unterziehen und dann bestaunen, wie das Wasser sich wirklich in der anderen Richtung drehend durch den Abfluss verabschiedete. Oder das Kreuz des Südens. Viel hatte ich schon darüber gehört, hier konnte ich es endlich einmal vom nächtlichen Sternenhimmel leuchten sehen. Und die in Deutschland niemals hinterfragte Kinderweisheit „…im Osten geht die Sonne auf, im Süden hält sie ihren Lauf…“ ist so für Australien eben nicht gültig. Man tausche also Süden gegen Norden und schon steht man zumindest orientierungstechnisch wieder ganz gut da. Weiter ging es dann nach unserem kleinen Abstecher in die Nationalparks des Hinterlands zurück Richtung Küste. Generell habe ich es gerne, wenn ich frühzeitig weiß, wo ich denn die kommende Nacht verbringen werde, sprich, ich möchte möglichst schnell eine Unterkunft zum Schlafen klarmachen, dann gestaltet sich für mich der Tag auch wesentlich lockerer. An diesem Tag lief es nur suboptimal, auf der langen Fahrt durch das Nichts trafen wir auf keine wirklich netten Campingplätze oder andere Parkmöglichkeiten. Dann, langsam beschlich mich schon eine gewisse Nervosität, erreichten wir am Spätnachmittag und auf den letzten Drücker den Campingplatz am Lake Moogerah. Und wie es glücklicherweise so häufig ist, war es auch nicht nur eine Notlösung, sondern der nahezu perfekte Ort: Einzelne Reiher – oder waren es Ibisse? – saßen friedlich auf den Rücken der Rinder und entsprachen so geradezu paradiesischen Vorstellungen von fabelhafter Harmonie; die sich langsam am Horizont verabschiedende Sonne spiegelte sich im ruhigen Seewasser und Pelikane flogen lautlos durch den Sonnenuntergang; der relativ leere Campingplatz verschaffte uns reichlich Platz und von überall hörten wir Vogelgezwitscher. Bei den neugierigen Papageien erübrigte sich die Frage, ob sie einfach nur zahm, an Touristen gewöhnt oder hungrig und gierig waren. Letztendlich war es ein riesiger Spaß, die frechen Tiere auf Händen, Armen, Schultern und Köpfen zu spüren und zu füttern. Und quasi nebenbei fielen so noch unglaubliche Fotomotive an. Wir haben dann auch kurz überlegt, dort länger zu verweilen, schließlich siegten aber der enge Zeitplan und die Neugier auf Neues. Dieses „Neue“ erwies sich dann als, ich nenne es mal die „große Lemington-Ernüchterung“. Bei der Vorbereitung auf die Reise wurde mir durch einen Geo-Beitrag über den Lemington Nationalpark der Mund geradezu wässrig gemacht. Was musste es in diesem offensichtlich einzigartigen Nationalpark nicht alles zu sehen und zu bestaunen geben, ein dortiger Besuch landete folgerichtig ganz oben auf unserer to-do-Liste. In erlebnistechnischer Hinsicht erwies sich dann die Realität als voller Griff ins Klo. Josefine und Valerie waren nach den etlichen Nationalparks eh schon auf Krawall gebürstet und einer Meuterei ganz nahe: „Da ist sowieso nur wieder alles grün und nichts zu sehen. Warum müssen wir den ganzen Tag da herumlatschen, können wir nicht wenigstens fahren? Wir wollen ins Warme, an den Strand, baden, und in einer größeren Stadt mal shoppen“, lautete ihre ebenso deutliche wie vereinfachte Botschaft an die begleitende Elternschaft. Und in Frederik fanden sie schnell einen bereitwilligen Verbündeten. Was soll man sagen, sie hatten Recht. Es ist eben nicht alles Gold, was auf Hochglanzpapier in Edelmagazinen abgedruckt wird. Lemington war sicherlich beeindruckend grün – mehr aber auch nicht. Die erhoffte Tiervielfalt fand sich höchstens auf den aufgestellten Infotafeln, hin und wieder konnte man auch irgendwelche Geräusche von irgendeinem Vogelvieh vernehmen, vor die Linse hüpfte uns allerdings nichts. Vielleicht hatten wir auch nur einen schlechten Tag erwischt. Um es aber mal noch nett zu formulieren: Wenn ich bei meinem nächsten Australienbesuch um den Lemington N.P. einen großen Bogen machte, würde ich dem bestimmt keine Träne hinterherweinen.


Frederik und ich

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