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7) Die Druckerei Ehrhardt

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Dresden, 16. März 1989

Die letzten Referate bestätigten die Voraussage der Kritiker in der NRV, dass dieser Besuch keine Erkenntnis bringen würde. Die Offiziellen der DDR-Justiz waren fest in der Hand der Partei und kritische Fragen hätte man viel eher auf der Straße als mit den für diesen Besuch ausgewählten Juristen erörtern können.

Jochen Klinger war dennoch zufrieden mit dem Ergebnis der Reise. Er hatte Katharina König gefunden und sein Wissen über den verehrten Maler erweitert. Vor der Rückfahrt heute Abend würde er die Druckerei besuchen. Die Kollegen waren schon auf der Rückreise.

Am Bahnhof existierte wie früher eine Gepäckaufbewahrung mit richtigen Menschen hinter dem Tresen. Die Lithografie lag gut eingehüllt zwischen seiner Wäsche und den Tagungsunterlagen im Koffer. Klinger nahm die Straßenbahn bis zum Zwinger.

Die Druckerei Ehrhardt befand sich in dem großen Bau an den Terrassen. Das Innere sah aus, als wäre hier die Zeit vor 100 Jahren stehengeblieben. Aus den trüben Fenstern konnte man auf das gegenüberliegende Elbeufer sehen. Roland Ehrhardt, ein drahtiger Mitsechziger, begutachtete Jochen über den Rand seiner Lesebrille hinweg.

„Sie sind also der Stuttgarter Dix-Liebhaber, von dem mir der alte Schulze berichtet hat?“

„Ja, er war so freundlich, mich bei Ihnen anzumelden. Vielen Dank, dass Sie mir Ihre Zeit widmen! Es ist für mich etwas Besonderes, Ihre Werkstatt besuchen zu dürfen, in der Sie so viele Werke des großen Dix verwirklicht haben.“

Ehrhardt lächelte geschmeichelt. „Na, endlich würdigt jemand, dass der Drucker der wahre Künstler ist. Ohne uns hätte der Zeichner keine einzige Lithografie hingekriegt.“

„Das glaube ich gerne.“ Klinger sah sich um. Im hinteren Teil der Werkstatt unterhielt sich ein Mann im grauen Arbeitskittel mit einer kräftigen, schwarzhaarigen Frau um die Fünfzig. Vage erinnerte sie ihn an etwas.

Roland Ehrhardt folgte seinem Blick. „Das ist Falk Heinrichs, der bei uns seit 1960 arbeitet. Er wird Ihnen ein wenig erzählen. Ich habe leider keine Zeit mehr für Sie.“

Die Frau wandte sich von ihrem Gesprächspartner ab. Sie verließ die Werkstatt mit einem verschnürten flachen Paket durch eine Türe in der Seitenwand.

Heinrichs war ein kleiner Mann, allenfalls 1,70 m groß, schätzte Klinger. Seine dunklen Haare hatte er strähnig nach hinten gekämmt. Mit der hohen Stirn und den Geheimratsecken sah er Otto Dix ähnlich, wie er sich in einem Selbstbildnis mit Palette 1942 gemalt hatte. Heinrichs begrüßte Klinger mit einem Stirnrunzeln. „Guten Tag, Sie haben bei Schulze eine Lithografie von Dix gekauft?“

„Stimmt, die ist doch sicher auch hier hergestellt worden.“

„Na, lassen Sie mal sehen.“

„Tut mir leid, die habe ich in meinem Koffer am Bahnhof. Ich wollte hier in der Druckerei erfahren, wie Dix so ein Werk hergestellt hat. Da hört man von verschiedenen Methoden. Könnten Sie mir das vielleicht erklären? Der Dix hat ja Hunderte von Arbeiten bei Ihnen geschaffen.“

„Hm, das stimmt allerdings.“ Heinrichs ging voran in einen vollgestopften Büroraum hinter der großen Werkstatt. Sorgfältig schloss er die Tür. „Was für eine Lithografie haben Sie denn erstanden?“

„Eine Art Portrait der Tochter.“

„So, so, ja, ich glaube, die wurde in den Sechzigerjahren hier angefertigt. In der Zeit hat Dix sich hauptsächlich mit Lithografien beschäftigt.“

„Ah ja, das ist doch ein Flachdruckverfahren. Und wie hat er bei dieser Technik den Entwurf auf die Steinplatte gebracht?“

„Gar nicht! Wissen Sie, der Druck war unsere Sache. Der Dix kam bei uns immer mit seinen Zeichnungen an, die wir in die Steinplatte geritzt haben. Dabei hat er uns dauernd über die Schulter geschaut. Erst danach hat er tagelang an der Platte rumgemacht, bevor wir drucken durften. Der war oberpenibel, wenn Sie verstehen, was ich meine.“ Heinrichs sprach schneller als zu Beginn.

„Es heißt, er sei ganz besonders pingelig gewesen mit seiner Kunst.“

„Das ist wohl wahr!“ Heinrichs ließ sich hinter dem vollgestellten Werkstatttisch nieder. Er wies auf einen Stuhl, der an der Wand stand.

Klinger setzte sich. „Was passiert eigentlich mit den Druckplatten, wenn die gewünschte Auflage erreicht ist?“

„Die werden vernichtet, das heißt, die Oberfläche wird abgeschliffen. Wieso fragen Sie?“

„Man hört gelegentlich, dass es Abzüge ohne Nummerierung gibt und ich frage mich …“

„Das wäre kriminell“, unterbrach ihn der Drucker, „zumindest dem Künstler gegenüber. Es kann sein, dass es so etwas irgendwo gibt, aber wir haben immer großen Wert auf korrektes Verhalten gelegt. Das war schon beim alten Ehrhardt so. Es kann natürlich vorkommen, dass ein Probeabzug versehentlich liegen bleibt und jemand ihn mitnimmt.“

„Verstehe. Also, Sie haben gesagt, der Dix hat die Zeichnung gar nicht selber auf den Stein übertragen?“

Heinrichs nickte heftig. „So ist es.“

„Das ist wirklich interessant. Die Stuttgarter Sammlung besteht hauptsächlich aus Gemälden. Das grafische Werk ist mir bisher nicht so vertraut.“

„Da haben Sie ja auch eine großartige Sammlung, wie man hört.“

„Wenn Sie einmal nach Stuttgart kommen, melden Sie sich doch bei mir. Es würde mich freuen.“ Klinger drückte dem Drucker seine Visitenkarte in die Hand. Er hatte sich extra vor der Reise welche drucken lassen.

„Danke, wer weiß, ob das je passiert.“

„Haben Sie jedenfalls vielen Dank für Ihre Geduld, aber jetzt will ich Sie nicht länger aufhalten. Außerdem fährt mein Zug bald.“

„Auf Wiedersehen, Herr …“, Heinrichs betrachtete die Karte, „Klinger.“

Während der Fahrt kam Jochen Klinger der Gedanke, dass Otto Dix wegen seiner zeitlich begrenzten Aufenthalte die Vernichtung der Platten wohl kaum immer überwachen konnte. Bei den Grenzkontrollen war er mit diesem Thema so beschäftigt, dass er gar nicht dazu kam, wegen einer eventuellen Entdeckung des Bildes in seinem Koffer nervös zu sein.

Martha vor dem Spiegel

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