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I. Einführung
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Bei der praktischen Umsetzung von Umstrukturierungen spielt die Beteiligung des Betriebsrats aus arbeitsrechtlicher Sicht regelmäßig eine zentrale Rolle. Das gilt sowohl mit Blick auf die strategische Ausgestaltung der geplanten Maßnahmen als auch mit Blick auf die zeitlichen Verzögerungen, die durch eine Beteiligung des Betriebsrates eintreten können. Allerdings stellt nicht jede Umstrukturierung im Konzern oder Unternehmen eine Betriebsänderung i.S.d. § 111 BetrVG dar, die Beteiligungsrechte der Betriebsverfassungsorgane auslöst (vgl. dazu Rn. 108). Damit lässt sich ein reiner Wechsel des Rechtsinhabers (Share Deal, Verschmelzung), aber auch ein reiner Betriebsübergang (etwa aufgrund eines Asset Deals oder infolge des Übergangs des nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Personals) entgegen der in der Praxis nicht selten bestehenden Befürchtung der Unternehmen oft ganz ohne oder zumindest ohne langwierige Verhandlungen über Interessenausgleichsvereinbarungen und Sozialpläne durchführen.
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Ob dies so ist und sich die neuen Strukturen damit schnell und mit kleinem Aufwand umsetzen lassen, gilt es rechtzeitig, d.h. in der Analyse- und Planungsphase herauszufinden, um etwaige Alternativen auch unter diesem arbeitsrechtlichen Aspekt sinnvoll miteinander vergleichen zu können. Zudem gilt es in der Praxis, durch eine rechtzeitige Analyse und Vorbereitung die richtigen „Stellhebel“ für eine schnelle und effektive Umsetzung der unternehmerischen Ziele zu identifizieren und die hier bestehenden Gestaltungsmöglichkeiten zu nutzen. Auch etwaige im Unternehmen bzw. Konzern des neuen Arbeitgebers erforderliche Integrationsmaßnahmen müssen rechtzeitig identifiziert werden, um die Integration arbeitsrechtlich so reibungslos wie möglich zu gestalten. Das gilt sowohl bei einem Unternehmenskauf in Form eines Asset Deals als auch bei Anteilkäufen (sog. Share Deals). Hier kommt der rechtzeitigen Vorbereitung etwaiger Integrationsmaßnahmen für die Zeit nach dem Erwerb des Unternehmens in der Praxis (sog. „Post Merger Integration“) des zu erwerbenden Unternehmens (Zielunternehmen) zunehmend eine wichtige praktische Bedeutung zu. Der Prozess der wird im Idealfall bereits im Rahmen des Erwerbsprozesses und der hierbei durchgeführten Due Diligence kritisch reflektiert und berücksichtigt, ob die im Zielunternehmen bestehenden tariflichen und betriebsverfassungsrechtlichen Strukturen und Vereinbarungen (u.a. in Bezug auf betriebliche Altersversorgung) die erhoffte zeitnahe und kostengünstige Integration in den Konzern des Erwerbers ermöglichen.
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Handelt es sich bei den geplanten Umstrukturierungsmaßnahmen um eine Betriebsänderung i.S.d. §§ 111 ff. BetrVG und besteht ein Betriebsrat, bestehen gegenüber den Organen der Betriebsverfassung (insbesondere Betriebsrat und Wirtschaftsausschuss) regelmäßig Unterrichtungspflichten, die „rechtzeitig“ zu wahren sind (vgl. § 106 BetrVG), d.h. vor Umsetzung der angedachten Maßnahmen (vgl. Rn. 110). Bei der Planung des Entscheidungs- und Kommunikationsprozesses ist daher regelmäßig Sorge dafür zu tragen, dass die zuständigen Arbeitnehmervertretungen vor einer abschließenden Entscheidung und Umsetzung einzubinden sind (vgl. Rn. 110).
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Umstrukturierungen in Form von Betriebsänderungen führen zugleich zu der Verpflichtung, einen Interessenausgleich zumindest zu versuchen sowie einen Sozialplan abzuschließen (§ 112 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 4 BetrVG). Während der Interessenausgleich (anders als seine Bezeichnung nahe legt) das Ob, Wann und Wie der geplanten Maßnahmen zum Gegenstand hat, dient der Sozialplan dem Ausgleich und der Abmilderung der mit der Betriebsänderung einhergehenden Nachteile. Kommt über ihn keine Einigung mit dem Betriebsrat zustande, entscheidet die Einigungsstelle mit bindender Wirkung (§ 112 Abs. 4 BetrVG), soweit nicht ein Fall des § 112a BetrVG vorliegt (Privilegierung von reinen Personalabbaumaßnahmen unterhalb einer bestimmten Schwelle bzw. von Betriebsänderungen in neu gegründeten Unternehmen). Gemäß § 112 Abs. 5 BetrVG hat die Einigungsstelle dabei sowohl die sozialen Belange der Arbeitnehmer als auch die wirtschaftliche Vertretbarkeit der Entscheidung für das Unternehmen zu beachten, für beides enthalten die Regelungen in § 112 Abs. 5 Nrn. 1 bis 3 BetrVG Kriterien (vgl. dazu Rn 165 ff.).
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Die Rechtsprechung des BAG verlangt zur Ausschöpfung des Interessenausgleichsverfahrens die Anrufung der Einigungsstelle, um den Nachteilsausgleichsanspruch des § 113 BetrVG vermeiden zu können. Auch ein Abweichen vom Interessenausgleich kann zur Folge haben, dass der betroffene Arbeitnehmer einen individualrechtlichen Nachteilsausgleichsanspruch erhält, wenn für die Abweichung kein zwingender Grund vorliegt (§ 113 Abs. 1 BetrVG).
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Sofern die Schwellenwerte des § 17 KSchG überschritten werden, hat der Arbeitgeber vor dem Ausspruch von Kündigungen den Betriebsrat nach § 17 KSchG zu informieren und mit ihm über die Vermeidung von Entlassungen sowie die Milderung der mit ihnen verbundenen Nachteile zu beraten (Konsultationsverfahren, vgl. dazu Rn. 305). Nach Abschluss der Beratungen, zu der auch die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 KSchG gehört, ist die Massenentlassungsanzeige zu erstatten. Vor Erstattung der Massenentlassungsanzeige ausgesprochene Kündigungen sind unwirksam (vgl. dazu Rn. 323).
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Bei sämtlichen Umstrukturierungen im Konzern bzw. Unternehmen ist stets auch zu prüfen, welche Auswirkungen die Maßnahmen für die betriebsverfassungsrechtlichen Strukturen der betroffenen Unternehmen haben. So kann es als Folge der Umstrukturierungen zur Beendigung des Betriebsratsamtes kommen und es können Rest- oder Übergangsmandate ausgelöst werden, die zu einer vorübergehenden Zuständigkeit für andere Betriebe führen können. Hier eröffnen sich zugleich weitere Gestaltungsmöglichkeiten, denn durch arbeitsrechtliche Umstrukturierungen und die damit einhergehenden Strukturveränderungen im Konzern bzw. den betreffenden Unternehmen kann die Zuständigkeit von betriebsverfassungsrechtlichen Organen herbeigeführt, aber auch beendet werden. Entsprechendes gilt für die Bildung von Gesamt- oder Konzernbetriebsräten. Hinsichtlich des bestehenden Betriebsrates ist insoweit das Kriterium der Betriebsidentität maßgeblich. Bleibt diese erhalten, bleibt der bisherige Betriebsrat auch bei einem Betriebsinhaberwechsel im Amt. Entsprechendes gilt bei der Verlagerung von Betrieben; führt die Verlagerung letztlich auch aufgrund der weiten räumlichen Entfernung zu einer Stilllegung und zum Verlust der bisherigen Betriebsidentität, endet das Amt des Betriebsrates (vgl. dazu ausführlich Rn. 349 ff.).
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Besonderheiten gelten auch mit Blick auf durch bzw. aufgrund des § 3 BetrVG geschaffene abweichende Betriebsstrukturen wie einen gemeinsamen Betrieb sowie in Tendenzunternehmen i.S.d. § 118 BetrVG (vgl. dazu ausführlich Rn. 42).
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Gemäß § 130 BetrVG finden die Regelungen des BetrVG einschließlich der §§ 111 ff BetrVG keine Anwendung auf Verwaltungen und Betriebe des Bundes, der Länder und der sonstigen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts. Hier gelten die Sonderregelungen des Bundes- bzw. Landespersonalvertretungsrechts (s. hierzu Kap. 5 Rn. 40 ff.).