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d) Betriebseinschränkung durch bloßen Personalabbau

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Eine Betriebsänderung i.S.d. § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG kann auch in einem bloßen Personalabbau liegen. Dies zeigt die Regelung in § 112a Abs. 1 Satz 1 BetrVG. Voraussetzung für die Annahme einer Einschränkung des ganzen Betriebs oder von wesentlichen Betriebsteilen i.S.d. § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG ist, dass der Personalabbau eine relevante Zahl von Arbeitnehmern erfasst. Maßgebend sind dafür die Schwellenwerte des § 17 Abs. 1 KSchG; in größeren Betrieben mit mehr als 600 Arbeitnehmern müssen allerdings mindestens 5 % der Belegschaft betroffen sein.[99] In Kleinbetrieben mit bis zu 20 Arbeitnehmern müssen für eine Betriebsänderung i.S.d. § 111 BetrVG durch alleinigen Personalabbau nach der Rechtsprechung des BAG mindestens sechs Arbeitnehmer betroffen sein.[100]

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Damit sind bei der Beantwortung der Frage, ob ein bloßer Personalabbau zugleich eine Betriebseinschränkung darstellt, als Orientierungsgrößen folgende Schwellenwerte zu berücksichtigen:

Betriebsgröße Umfang des Personalabbaus
21 bis 59 Arbeitnehmer mindestens 6 Arbeitnehmer
60 bis 499 Arbeitnehmer 10 % der Belegschaft oder mehr als 25 Arbeitnehmer
500 bis 599 Arbeitnehmer mindestens 30 Arbeitnehmer
mehr als 600 Arbeitnehmer mindestens 5 % er Belegschaft

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Werden die vorstehenden genannten Zahlengrenzen erreicht, oder nur geringfügig unterschritten,[101] kann auch der bloße Personalabbau als Einschränkung des ganzen Betriebes oder von wesentlichen Betriebsteilen einzustufen sein. Die in § 112a Abs. 1 Satz 1 BetrVG genannten höheren Zahlengrenzen sind für das Vorliegen einer Betriebsänderung nicht relevant. Die Regelung des § 112a BetrVG ist nur maßgeblich für die Frage, ob beim bloßen Personalabbau ein Sozialplan über die Einigungsstelle erzwungen werden kann.[102]

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Dies gilt auch dann, wenn für den Abschluss des Interessenausgleichs gem. § 50 Abs. 1 BetrVG der Gesamtbetriebsrat zuständig ist.[103]Ob Änderungskündigungen bei der Ermittlung des Umfangs des Personalabbaus zu mitzuzählen sind, ist umstritten.[104] Zum Teil wird danach differenziert, ob die Änderungskündigung zumindest unter Vorbehalt angenommen wurde (dann zählt der betreffende Arbeitnehmer nicht mit) oder das Änderungsangebot abgelehnt wird, so dass die Änderungskündigung zur Beendigungskündigung wird (dann ist die Änderungskündigung mitzuzählen).[105] Die höhere Planungssicherheit spricht indes dafür, jede Änderungskündigung zu berücksichtigen. Für die Praxis wird man zudem nicht unberücksichtigt lassen können, dass das BAG den Streit im Rahmen des § 17 Abs. 1 KSchG am 20.2.2014 entschieden hat und Änderungskündigungen danach unabhängig davon zu den anzeigepflichtigen „Entlassungen“ gehören, ob sie unter Vorbehalt angenommen werden.[106] Durch die Annahmeerklärung fällt – so das BAG – weder die Anzeigepflicht rückwirkend weg, noch wird eine erfolgte Anzeige gegenstandslos. Geht man davon aus, dass Kündigungen den Zeitpunkt der Umsetzung einer Betriebsänderung markieren und – schon zur Vermeidung von Nachteilsausgleichsansprüchen – vorher zu klären ist, ob eine Betriebsänderung vorliegt, wird man entsprechendes in der Praxis auch für die Bestimmung der Schwellenwerte im Rahmen des § 111 BetrVG anzunehmen haben.

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Zu berücksichtigen sind auch Entlassungen von Arbeitnehmern, die nur deshalb gekündigt werden müssen, weil sie dem Übergang auf einen Betriebsteilerwerber (§ 613a BGB) widersprochen haben und eine Beschäftigungsmöglichkeit im Restbetrieb nicht besteht. Hiervon wird man angesichts der bisherigen Rechtsprechung des BAG zumindest dann ausgehen müssen, wenn ohnehin geplant ist, den Betrieb stillzulegen und spätestens nach dem Widerspruch die Schwellenwerte für eine Betriebsänderung überschritten werden.[107] Auch die Möglichkeit, dass Arbeitnehmer widersprechen und die Schwellenwerte der zu entlassenden Arbeitnehmer bei einer Zusammenrechnung mit diesen überschritten werden, muss man in solchen Fällen also im Blick behalten. Widerspricht eine größere Anzahl von Arbeitnehmern einem Betriebsübergang und müssen diese daraufhin beim Veräußerer betriebsbedingt entlassen werden, weil eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit nicht besteht, ohne dass die Stilllegung des Restbetriebs ohnehin geplant gewesen ist, kann hierin eine neue bzw. eigenständige Betriebsänderung i.S.d. § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG liegen.[108]

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Bei der Berechnung der von dem Personalabbau betroffenen Arbeitnehmer sind nicht nur Arbeitnehmer zu berücksichtigen, deren Arbeitsverhältnis aufgrund von betriebsbedingten Kündigungen des Arbeitgebers endet, sondern auch solche, die sich auf Veranlassung des Arbeitgebers zum Abschluss von Aufhebungsverträgen bzw. Eigenkündigungen entschließen.[109] Entscheidend ist hierbei, ob der Arbeitnehmer aufgrund des Verhaltens des Arbeitgebers davon ausgehen durfte, mit der eigenen Initiative nur der notwendig werdenden betriebsbedingten Kündigung des Arbeitgebers zuvor zu kommen.[110] Eine Eigenkündigung ist in der Regel dann durch eine geplante Betriebsänderung veranlasst, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer mitgeteilt hat, er habe für ihn nach Durchführung der Betriebsänderung keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr.[111]

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Nicht mitzuzählen sind Arbeitnehmer, die aus personen- oder verhaltensbedingten Gründen entlassen werden oder deren Arbeitsverhältnis infolge Fristablauf enden.[112]

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Eine Betriebseinschränkung liegt nicht vor, wenn der Arbeitgeber lediglich bekannt gibt, dass er in der nächsten Zeit das Personal durch natürliche Fluktuation, Verzicht auf Neueinstellungen und Unterlassen von Ausbildungsaktivitäten reduzieren möchte. Eine Betriebsänderung i.S.d. § 111 BetrVG verlangt die Planung konkreter Änderungen für bestehende Arbeitsverhältnisse. Daran fehlt es bei dieser Form von Personalplanung.[113] (Noch) keine Betriebsänderung beinhaltet auch die Unternehmerentscheidung, ein Nachfolgeprodukt im Ausland fertigen zu lassen.[114]

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Anknüpfungspunkt für die Beteiligungsrechte des Betriebsrats ist die Planung des Arbeitgebers. Bei einem stufenweisen Personalabbau ist daher entscheidend, ob er auf einer einheitlichen unternehmerischen Planung beruht (vgl. dazu bereits Rn. 28).[115] Führt der Arbeitgeber zunächst die beabsichtigten Entlassungen durch, die allein noch keine Betriebsänderung darstellen, und fasst er erst danach auf Grund neuer Umstände den Entschluss zu weiteren Entlassungen, sind die Entlassungswellen mitbestimmungsrechtlich nicht zusammenzurechnen.[116]

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In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass die Mitbestimmung grundsätzlich stattfinden soll, bevor die Betriebsänderung durchgeführt ist.[117] Allein der Umstand, dass es nachträglich zu weiteren Entlassungen kommt, führt daher nicht per se zu einer Zusammenrechnung.[118] Die bei einer neuen Planung bereits durchgeführten Maßnahmen sind für die Mitbestimmungsrechte nach § 111 BetrVG grundsätzlich ohne Belang.[119] Das gilt auch für die Sozialplanpflichtigkeit einer Maßnahme.[120]

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