Читать книгу Mörderklima - Stefan Schweizer - Страница 10
4.21. September 2020, Potsdam, Berliner Vorstadt
ОглавлениеObwohl sie am Telefon versichert hatte, in zwei Stunden da zu sein, musste Georg eine Stunde länger warten.
Irgendwie hatte er Frieda anders in Erinnerung gehabt. Natürlicher, bodenständiger und warmherziger. Ihr Gesicht war spitz und ein wenig verhärmt. Vor etlichen Jahren hatte sie doch besser ausgesehen, oder? War das nur die Erinnerung, die ihm einen Streich spielte? Klar, sie wurden alle älter. Ihre Garderobe war wie früher stilvoll, exquisit und dennoch gewagt für eine Frau in ihrem Alter und mit ihrem Beruf. Weder nuttig noch schlampig, dennoch mutig. Es lag auf der Hand, dass sie etwas kompensierte, das nichts mit ihrem Äußeren zu tun hatte.
„Schön hast du es hier“, behauptete sie mit einer nasalen, einen affektiven Klang kultivierenden Stimme.
Georg war sich nicht sicher, ob Frieda ihre Aussage aufrichtig meinte. Natürlich machte sein „Salon“ Eindruck. Er war riesig – verglichen mit den meisten Wohnzimmern, die es heute gab. Aber das war in der Gegend, in der er wohnte, schließlich nicht anders zu erwarten. Die Berliner Vorstadt in Potsdam wies eine Villen-Dichte auf, von der andere Städte nur träumen konnten. Und die feudalen Anwesen hier hatten nichts mit modischem, neureichem Schnickschnack zu tun, sondern stammten aus einer Zeit, in der Stil und Kultiviertheit noch an der Tagesordnung waren. Dennoch hatte ihm manch einer seiner Gäste mehr oder weniger offen kommuniziert, dass sie die Villa ziemlich „retro“ fanden. Point taken, aber er war vertraglich dazu verpflichtet, nichts in der Villa oder auf dem Grundstück zu verändern.
Das Feuer loderte behaglich im Kamin und das alte Holz an den Wänden strahlte eine urige Behaglichkeit und Wärme aus. Aber der Kronleuchter und die alten Polstermöbel wirkten très Old School, um nicht zu sagen, out of date.
„Wie bist du denn zu diesem Schuppen gekommen?“, fragte Frieda mit spitzer Zunge und schnitt eine vielsagende Grimasse. „Das ist ja unglaublich hier. Schön und alt und gediegen.“
Im zweiten Satz legte sie Erstaunen und Bewunderung an den Tag, doch den ersten hatte er nicht vergessen. Obacht. Vorsicht war die Mutter der Porzellankiste und Georg hatte keine Lust, jemandem auf den Leim zu gehen. Aber das war genau die Frieda, die er in Erinnerung hatte. Frieda war offen, direkt und neugierig, aber nie einfach. Georg würde nicht so weit gehen, Frieda als menschlich schwierig zu bezeichnen. Dennoch musste man bei ihr auf der Hut sein, um sich nicht unangenehmen und zahlreichen Fragen ausgesetzt zu sehen. Natürlich verstand er ihre Zwischentöne. Aber um es auf den Punkt zu bringen, hätte sie ruhig direkt fragen können: Wie um alles in der Welt konnte er sich eine solch luxuriöse Villa in einer der begehrtesten und exklusivsten Lagen von Potsdam leisten?
„Das ist eine längere Geschichte. Aber du bist ja ein klein wenig mit der Geschichte meiner Familie vertraut … Aber deswegen bist du ja nicht hergekommen. Es war dein ausdrücklicher Wunsch, heute noch diese dringende Angelegenheit zu besprechen, die dir auf dem Herzen liegt“, sagte Georg warmherzig und zeigte ein freundliches Lächeln.
Die antike Standuhr aus Nussbaum mit den goldenen Zeigern schlug Mitternacht und damit gehörte das Heute der Vergangenheit an. Es lag ihm fern unhöflich zu sein oder gar enerviert zu klingen, aber es war spät und auf seinem Schreibtisch wartete jede Menge Arbeit und an seine erste morgige Vorlesung wollte er gar nicht denken. 9.15 Uhr! Eine derart frühe Vorlesungszeit sollte Juristen oder Ökonomen vorbehalten bleiben. Bei den Medizinern fingen die Veranstaltungen zum Teil bereits um 8.00 Uhr an. Einfach unmenschlich. Um diese Uhrzeit kostete es ihn viel Energie zur Hochform aufzulaufen, während ein zwei Stunden später alles wie von selber lief. Irgendwie hatte er den Eindruck, dass der Dekan es auf ihn abgesehen hatte, zumal der Vorlesungssaal etwas abseits von den üblichen Veranstaltungsorten lag und er von seinem Büro dorthin recht lange benötigte. Das war die Retourkutsche dafür, dass er ihn vor Jahren bei einer Fakultätsratssitzung einen zwanghaften Erbsenzähler genannt hatte – obgleich er betont hatte, dass das in Parenthese zu setzen sei. Pah! Empiriker! Wie sehr er diese wissenschaftliche Spezies verabscheute. Abgrundtief und von ganzem Herzen.
„Hast du inzwischen einen Ruf erhalten?“, ließ Frieda nicht locker. „Oder einen populärwissenschaftlichen Bestseller geschrieben? Die Villa gehört doch nicht etwa einer Burschenschaft, deren Ehrenvorsitzender du geworden bist“, lachte Frieda, die genau um die Abwegigkeit ihrer Ausführungen wusste, denn Georg war es – von wenigen Ausnahmen abgesehen – immer nur um Wahrheit und Wissenschaft und nie um Vereinsmeierei oder Politik gegangen. „Ja, ich weiß, deine Familie ist nach wie vor sehr vermögend“, rief sie sich dann selber zur Räson und fuhr umso kopfloser fort, „wobei du persönlich ja nie an einem goldenen Schnitt interessiert warst.“
Georg bemühte sich, nicht zu schlucken und seine Gesichtszüge entspannt aussehen zu lassen. Auf der anderen Seite musste man nicht Miss Marple sein, um zu schlussfolgern, dass er sich dieses Anwesen nicht von einem Gehalt als Wissenschaftler leisten konnte.
„Deine Vita hat sich sicherlich zum allerbesten entwickelt“, drehte er den Spieß um. „Erzähle, wie es dir ergangen ist. Es sind schließlich einige Jährchen seit unserem letzten Kontakt vergangen.“
Frieda hüstelte. Ein wenig schoss ihr die Röte ins Gesicht. Dann herrschte Sauerstoffmangel, was sie elegant kaschierte, indem sie die Hand vor das Gesicht hielt. Sie hüstelte erneut.
„Ähm, da gibt es nicht viel zu erzählen …, ich bin Senior-Researcherin an der Universität Stuttgart“, gestand sie schließlich.
Georg runzelte die Stirn.
„Verbeamtet?“
„Nicht einmal eine unbefristete Stelle“, gestand Frieda kleinlaut. „Aber momentan sieht es ganz gut aus. Mein Chef hat sich für mich eingesetzt und wenn nichts dazwischen kommt, könnte die Tinte demnächst getrocknet sein.“
Mit einer vielsagenden, eleganten Handbewegung wischte Georg das Thema vom Tisch.
„Geld und Sicherheit sind nicht alles. In unserem Beruf geht es um andere Werte.“
Nämlich um Wahrheit, Fortschritt, Ruhm und Ehre. Reputation und wissenschaftliche Titel. Ein weiterer Schlag ins Kontor. Beschämt senkte Frieda den Kopf. Okay, er würde jetzt wieder nett und taktvoll sein. Und nicht darauf rumhacken, dass sie mit Mitte vierzig nicht habilitiert war.
„Gute Forschung braucht Zeit“, gab er sich versöhnlich und konnte sich ein spöttisches Lächeln nicht verkneifen. „Ich habe in zehn Monaten promoviert und vierundzwanzig Monate für die Habilitation gebraucht, aber je nach Forschungsgebiet, Forschungsfrage und Forschungsdesign kann das …“
Frieda behagte die Richtung des Gesprächs nicht. Deshalb versuchte sie die emotionale Schiene, um in sicherere Gefilde zu gelangen.
„Weißt du noch, wie wir damals …“
Dann folgte eine unzusammenhängende Aneinanderreihung belangloser Fakten, die keinen vernünftigen Menschen interessierten. Frieda war offensichtlich trotz vorgerückter Stunde nicht bereit, auf ihr Anliegen zu sprechen zu kommen.
Natürlich wusste Georg allzu gut, wie sie damals beinahe zusammengekommen wären, hätte er nicht seine große Liebe Anna kennengelernt. Wer konnte schon sagen, wie sich alles entwickelt hätte. Aber wie lange war das jetzt her? Beinahe nicht mehr wahr. Und dennoch zerriss ihm der Gedanke an die damalige Zeit beinahe die Brust, denn seine über Alles geliebte Anna versetzte ihm bei jedem Gedanken an sie einen tiefen Stich in die Brust. Jetzt war es an ihm, Selbstsicherheit zurückzugewinnen.
„Du hast von einem Wissenschaftsskandal gesprochen“, rief er sich zur Vernunft, um nicht in Depression und Trübsal zu verfallen, wobei er ein Lächeln aufsetzte, das vielleicht als arrogant hätte ausgelegt werden können, hätte nicht ein grundaufrichtiger Zug seine Gesichtszüge dominiert. „Vielleicht möchtest du mich aufklären“, fügte er im leicht ironischen Tonfall hinzu. „Ich bin gespannt wie ein Flitzebogen. Aus leidvoller Erfahrung bin ich weit davon entfernt, die Wissenschaft als hehres Elysium zu betrachten, kann mir im Moment aber beim besten Willen nicht vorstellen, auf was du anspielst.“
Er unterdrückte ein Gähnen. Frieda räusperte sich und Georg hatte den Eindruck, dass sie ein wenig erblasste, was aber bei den schummrigen Lichtverhältnissen nicht genau zu erkennen war.
„Ja.“
Sie holte tief Luft und wich seinem Blick aus. Dann gab sie sich einen Ruck.
„Es geht um …“
Sie ließ die Bombe so nonchalant hochgehen, als würde sie Tante Ingeborg erzählen, welchen Kuchen sie vorgestern in der Mensa zum Nachtisch gegessen hatte: manipulierte Daten, Hochpolitisches und dreistellige Millionenbeträge. Mit einem Schlag war Georg elektrisiert.
„Das hört sich in der Tat nicht uninteressant an“, flüsterte er und verwendete seine typische Art des angelsächsischen Understatements. „Vielleicht besitzt du die Güte, mehr Licht ins Dunkel zu bringen. Deine Beschreibungen entsprechen zwar meiner Vorliebe für das Abstrakte, dennoch sollte ich präzise Anhaltspunkte erhalten.“
Manchmal glaubte er, dass ein Poet an ihm verloren gegangen war. Auf der anderen Seite war ja durchaus bekannt, dass Poesie und Wissenschaft gleichermaßen die metaphorische Sprache zum Kern ihrer Kommunikationen erkoren hatten. Er erinnerte sich mit diebischer Freude daran, wie er das Metaphern-Forschungsprojekt eines Kollegen der Neueren Deutschen Literatur als Gutachter der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) – nun sagen wir mal – kritisch durchleuchtet hatte. Er stellte sich vor, dass das Gesicht des Kollegen bei der Gutachtenlektüre die Farbe von Roter Bete angenommen hatte, denn er hatte so manche – durchaus berechtigte! – Spitze in das Gutachten gepackt. Natürlich war das Projekt bewilligt worden, aber in der Wissenschaftslandschaft verletzte ein wohl gesetztes Wort manchmal mehr als tausend Beleidigungen.
Frieda sank in dem repräsentativen, bequemen Ledersessel, der mit rotem, weichem Leder bezogen war, in sich zusammen und gab einen lauten Seufzer von sich.
„Jetzt würde ich gerne den italienischen Rotwein probieren.“
Georg brachte ihr das Gewünschte und fragte frei heraus, wen ihr Verdacht betraf, damit er das Terrain abstecken und sie zum Kern der Sache kommen konnte.
Sommer? Es hätte Georg nicht mehr überrascht, wenn Frieda ihm mitgeteilt hätte, der Papst sei Ehrenvorsitzender der Evangelischen Kirchensynode geworden oder Josef Stalin habe posthum den Friedensnobelpreis erhalten.
„Ich konnte es auch nicht glauben“, stimmte sie ihm zu.
Aber anscheinend gab es eindeutige Hinweise. Georg glaubte nicht, was er da hörte und entgegnete ein: „Ausgeschlossen!“
Bernhard Sommer war einer der ehrenwertesten Menschen, die Georg kannte. Und ein ausgezeichneter Wissenschaftler, der über jeden Verdacht erhaben war. Und es spielte keine Rolle, welcher wissenschaftlichen Fraktion jemand angehörte. Sommer besaß einen tadellosen Ruf. Wissenschaft, Politik und Presse hofierten den Soziologen seit Jahren. In Maßen. Es hatte nie einen extremen Hype um Sommer gegeben. Aber er hatte immer im Fokus des öffentlichen Interesses gestanden. Sommer hatte in jungen Jahren den Ehrendoktor erhalten. Weit vor seinem sechzigsten Geburtstag war ihm das Bundesverdienstkreuz erster Klasse verliehen worden, von einer Bildungsministerin, die später ohne akademischen Abschluss dastand, da ihr die Promotion aberkannt wurde und ihr Studiengang den Studienabschluss automatisch mit einer Promotion verband. Und nun das.
„Ich glaube, dass Sommer Daten manipuliert, damit die Auswirkungen des Klimawandels drastischer aussehen, als sie tatsächlich sind und dass er …“
„Mit Glauben kommen wir nicht weiter“, unterbrach er sie brüsk – für seine Verhältnisse sehr unhöflich. Nach einer kleinen Pause setzte er hinzu: „Und ich glaube, du phantasierst dir etwas zusammen.“
Den ironischen Seitenhieb konnte er sich nicht verkneifen. Frieda setzte sofort ein bockiges Gesicht auf. Da erinnerte er sich, dass sie zur Mehrheit der Menschen gehörte, die keinen noch so geringen Spaß auf ihre Kosten zuließ. Sie war das, was gemeinhin als feiner Kerl firmierte, aber vollkommen humorlos. Eine Eigenschaft, die er ihrer protestantisch-pietistischen Erziehung zuschrieb.
„Das ist nicht lustig, Georg. Ich kann beweisen, dass Sommer Dreck am Stecken hat! Wenn ich alles auf den Tisch packe, bleibt kein Stein mehr auf dem anderen.“
Ihre Stimme überschlug sich hysterisch. Die Augen waren zwei kleine Schlitze, aus denen wütende Blitze hervorschossen. Er beschloss, sie nicht weiter zu reizen, wollte sich aber nicht weitere Absurditäten anhören, die ihm gegen den Strich gingen. Deshalb räkelte er sich in seiner gelben Chaiselongue, zog ostentativ die goldene Taschenuhr aus seiner modischen Stoffhose, ließ den Deckel aufklappen und runzelte nachdenklich die Stirn.
„Es ist reichlich spät, meine Liebe. Du kannst gerne im Gästezimmer übernachten. Morgen Nachmittag können wir uns dann in aller Ruhe unterhalten und deine Vermutungen von allen Seiten betrachten. Ich bin mir sicher, dass wir dann ein Stück weiter kommen …“
Einen Moment lang hielt er das wertvolle Erbstück seines Großvaters in der rechten Hand. Hitler hatte sie seinem Großvater persönlich geschenkt. Das Hakenkreuz auf der Rückseite hatte er nach sorgfältiger Abwägung entfernen lassen. Dann steckte er die Uhr galant in die Hosentasche zurück.
Frieda war aufgestanden und ging zu Georg herüber. Ihre Finger bohrten sich schmerzhaft in seine Schulter.
„Außerdem veruntreut Sommer Gelder des Forschungsverbunds ClimateSave!“
Georg war fassungslos. Ihm fehlten die Worte. Die Finger, die sich in seine Schultern gruben, verursachten Schmerzen. Er war überrascht, wie kräftig Frieda war. Auf einmal war Frieda verstummt. Ihre Textsicherheit war verschwunden und ihr Griff lockerte sich allmählich und beinahe zärtlich strich sie Georg über den Oberarm.
„Du glaubst mir nicht“, stellte sie konsterniert fest.
Ihr Blick zeigte Resignation und sie tat Georg beinahe leid. Er wünschte sich, subtiler vorgegangen zu sein.
„Das habe ich so nicht gesagt“, versuchte er zu besänftigen. „Ich denke, wir sollten jetzt schlafen gehen, um morgen noch einmal in aller Ruhe die Dinge bei rechtem Lichte zu betrachten.“
Er kam sich vor wie eine Schallplatte mit Sprung. Energisch schüttelte sie den Kopf.
„Ich fass‘ es nicht, Georg. Wir kennen uns schon so lange. Und jetzt glaubst du mir kein Wort und denkst, dass ich durchgeknallt sei.“
Ihre blauen Augen funkelten vor Energie und Leben. Sie strahlten Überzeugung und Aufrichtigkeit aus.
„Jetzt beruhige dich …“
Angewidert schüttelte sie den Kopf.
„Ich soll mich beruhigen? Du warst meine einzige Hoffnung. Ich habe dir vertraut. Und jetzt das.“
Die letzten Worte klangen wie ein bitterer Vorwurf. Dann herrschte gespanntes Schweigen.
„Wahrscheinlich steckst du mit Sommer unter einer Decke. Das würde ich dir nach dem heutigen Abend zutrauen. Damit du einen ordentlichen Ruf kriegst, tust du alles.“
Ein offener Schlag ins Gesicht. Georg wurde zornig, was selten vorkam. Aber das hier war ein Vorwurf, der ihn traf, da er an das Innerste seines Wesens rührte. Er atmete tief durch, um sich seine immense Erregung nicht anmerken zu lassen. Dann räusperte er sich und versuchte, seine Stimme so kontrolliert wie möglich klingen zu lassen.
„Was du da sagst, ist schlichtweg unerhört. Das ist völlig inakzeptabel! Auch wenn es von dir kommt.“
Er holte tief Luft, um fortzufahren
„Ich würde mir eher meine rechte Hand abhacken, als meine wissenschaftlichen und menschlichen Überzeugungen zu verraten. Und unter der Decke stecke ich erst recht mit niemandem. Ich erwarte eine Entschuldigung von dir!“
Es herrschte Schweigen. Denn Frieda war nicht bereit, einen Deut nachzugeben.
Die Zeit verflog, wie immer, wenn er einem spannenden Rätsel auf der Spur war. Ein Uhr! Unheilvoll klang der Glockenschlag von der vergoldeten Standuhr herüber.
Frieda sah immer noch wie ein bockiges Kind aus. Ihre Unterlippe hatte sie trotzig vorgeschoben. Die Mimik war wie versteinert. Die blauen Augen funkelten gefährlich.
Georg wünschte sich Frieden und Ruhe. Aber zugleich war er angeturnt – das alles war zu rätselhaft und mysteriös.
„Du glaubst, ich lüge?“
Friedas Stimme klang scharf und verbittert. Seine Unschuldsbekundung hatte die Situation keineswegs verbessert.
Georg hörte ihrer Tirade nur mit einem Ohr zu. Er ließ die Litanei geduldig über sich ergehen. Was anderes hätte bei diesem Wortsturm keinen Sinn gemacht.
Schließlich wandte er ein: Beweise.
„Die werde ich dir liefern“, schrie Frieda, stampfte mit dem Fuß auf, drehte sich um, verließ das Zimmer und schloss die Türe mit einem lauten Knall.
Georg blieb wie angewurzelt in dem gemütlichen Ledersessel sitzen, in den er sich zwischenzeitlich gesetzt hatte. Wie hypnotisiert betrachtete er die linke abgewetzte Stelle auf der Höhe des Ellbogens. Die Sessel waren in die Jahre gekommen. Und obwohl sie bequem waren und einen edlen Charme ausstrahlten, gehörten sie erneuert. Eindeutig. Aber auch in dieser Sache waren ihm die Hände durch den eigenartigen Mietvertrag mit seinem Großonkel gebunden. Er war in dieser Villa ein Gefangener unabänderlicher Bedingungen, die Segen und Fluch zugleich waren.
Von draußen hörte er Frieda hysterisch fluchen und schreien. Sie schwor ihm, dass er den Tag bereuen würde, an dem er ihr nicht geglaubt hatte. Georg seufzte. Ihr Temperament hatte ihn schon immer zugleich fasziniert und abgestoßen.
Schnellen Schrittes eilte er ihr nach, um … Ja, um was eigentlich zu tun? Aber es war zu spät. Die massive Naturholztüre stand offen. Draußen regnete es in Strömen und der Sturm hatte zugenommen. Georg blickte in die Finsternis aus Garten, Bäumen und Sträuchern. Nur hier und da waren in der Auffahrt einige Laternen an, deren Licht aber für das Grundstück nicht annähernd ausreichend waren. Obwohl Georg das Anwesen von Kindesbeinen an kannte, fühlte er sich manchmal einsam und verlassen. In Nächten wie diesen wirkte es beinahe unheimlich auf ihn. Und das bedeutete schon etwas bei einer Person wie ihm, die sich viel auf ihren kühlen Verstand und ihre durch und durch rationale Lebensweise zu Gute hielt.