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Im Vogtland

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Etwa Mitte des 17. Jahrhunderts beginnt die Geschichte des vogtländischen Geigenbaus. Protestantische Auswanderer aus Böhmen brachten den wichtigen, neuen Wirtschaftszweig nach Markneukirchen und Klingenthal. Am 6. März 1677 bestätigte Herzog Moritz von Sachsen die Gründung der ersten Geigenbauer-Innung von Markneukirchen, zu der sich zwölf ins Vogtland eingewanderte böhmische Exulanten zusammengeschlossen hatten. Um die Qualität und Integrität der neuen Geigenproduktion zu gewährleisten, stellte die Innung strenge Regeln auf: Bewerber mussten aufwendige Meisterstücke präsentieren, hohe Aufnahmebeiträge entrichten und einen Fürsprecher gewinnen, der ihre Bewerbung unterstützte.

Was zeichnet die vogtländische Violine aus? Kurz gesagt: Eine Typisierung ist nicht möglich. Eine einhellige Antwort zu geben ist schwierig, wenn nicht geradezu unmöglich, ein Schema zu nennen ausgeschlossen. Von Anfang an bauten die Geigenbauer des Vogtlandes nicht über einer Form, sondern schachtelten frei auf.

Auf dieser Erkenntnis fußend stellte Christine Kröhner in ihrer Diplomarbeit 1981 “Vogtländische Geigen von den Anfängen bis etwa 1850. Untersuchungen zu ihrer Originalgestalt” am Korpus der meisten Vogtländer zumindest eine Seitengleiche fest. Allerdings: „Eine etwas oder stärker ausgezogene flache Oberbügelform ist schon nicht mehr als allgemeingültig zu betrachten. Die Vielfalt der vogtländischen Modelle ist auffällig. Zu den rein äußerlich erkennbaren Merkmalen der einzelnen Regelteile kommen die nicht ohne weiteres sichtbaren im Inneren der Violine. Bautechnische Kennzeichen, wie eingeschobene Oberzargen im Oberklotz oder Halsbefestigungen und -lagerungen haben ebenso wenig ihren Gemeinplatz. Die Eigentümlichkeiten in der Gestaltung - beispielsweise der Schnecke - sind bei den verschiedenen familiären Schulen unterschiedlich. Hinsichtlich der Wölbung gibt es flache und höhere Typen, etwa nach Jacob Stainer gehend. Vollkommen rundumlaufende Hohlkehlen zeichnen diese Modelle aus. Selbst die im oberen Drittel als Mulde gestalteten Seitenpartien des Wirbelkastens bleiben auf einzelne Familienschulen beschränkt.

Oftmals besteht eine deutliche Demarkationslinie zwischen den glatten unteren zwei Dritteln der äußeren Seitenwand und der soeben genannten Mulde. Die Schneckenformen sind mannigfaltig und selbst bei ein und demselben Geigenmacher verschieden ausgefallen.

Eine oft erwähnte, sog. gedrückte oder gequetschte Form der Schnecke, also keine gleichmäßige Rundung, kann nicht als gemein vogtländisch angesprochen werden. Gerade die Schnecken sind individuell geformt. Auch Größe und Position sind unterschiedlich. Breite Ohren – schmale Ohren, ausgeprägter Mittelgrad: Alles kommt vor. Schwach gekehlt - tiefer ausgestochen: Das sind ebenfalls individuelle Merkmale und keinesfalls fürs Vogtland generell gültige Normen. Was man vogtländischen Schnecken nachsagt, sind nach vorn unten nicht tief genug gekehlte, zeitig aufhörende Rinnen über dem eigentlichen Wirbelkasten. Aber dieses Merkmal besitzen andere Geigenbauschulen ebenso. Einfaches vogtländisches Ahornholz, kein Riegelahorn, und einheimische oder aus dem Böhmerwald stammende, engjährige Fichtendecken sind die meist verwendeten Materialien. Es gibt jedoch auch unregelmäßig eng geflammten Ahorn aus obervogtländischen Höhenlagen bis etwa 940 m NN (Kielberg 942 m, Aschberg 936 m). Hälse und Griffbretter aus wilden Obstbaumgehölzen, die Griffbretter furniert und/oder dunkel gebeizt, kommen vor. Als Standardausführungen können sie nicht gewertet werden. Dasselbe gilt von Drahtaufhängungen der Seitenhalter und deren Formen, wie das an alten Instrumenten gelegentlich zu beobachten ist.

Die Geigenmacher stellten sich ihre Beize und Lacke selbst her. Die gelbe Gründung mit Safran ist als typisch vogtländisch zu betrachten. Der Lack hat gelbe, goldgelbe oder in allen Nuancen vorkommende braune bis schwarzbraune Farbe und ist oftmals gar nicht so steif und spröde, wie er immer hingestellt wird. Schwarzbrauner Lack mit Drachenblutharzbeigaben feuert in der Abendsonne dunkelrot. Direkte hellrote Farbe kennt der Vogtländer nicht. Klangvorstellungen entsprachen dem jeweiligen Zeitgeschmack. Steilgewölbte Violinen mit schmaler Brust geben im allgemeinen näselnde Töne, oft als Flötentöne bezeichnet. Breitere Modelle in flacher Bauweise klingen weich und zärtlich.

So unterschiedlich in der Form, so wechselvoll war auch die Geschichte des vogtländischen Geigenbaues. Nie war er frei von Problemen und Verwerfungen. Während der mittlerweile bald 400 Jahre, in denen im Vogtland Musikinstrumente gebaut wurden, genoss Markneukirchen nicht immer einen makellosen Ruf. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts sah sich Carl Wilhelm Heber veranlasst, in seinen Geigen einen zusätzlichen Zettel anzubringen:

Viel falsches nachgemacht

Sich da und dort schleicht ein,

Drum sieh mein Petschaft an

Willst nicht betrogen seyn.“

Mag auch der Vorwurf nicht berechtigt sein, im Vogtland seien mehr Geigen gefälscht und mit Faksimilezetteln versehen worden als überall sonst in den Geigenbauzentren, der Konkurrenzdruck war im südlichen Sachsen immer besonders hoch, das Arbeiten am Existenzminimum besonders häufig.

Zwischen Markneukirchen und Klingenthal entspann sich ein Jahrhunderte andauernder Geigenbauerkrieg. So durfte kein Geigenbauer im jeweils anderen Ort seine Instrumente anbieten oder gar verkaufen. Die Zahl der Geigenbauer entwickelte sich inflationär. Von 1750 bis 1850 verzehnfachte sich die Anzahl. Erst das Umschwenken auch auf andere Musikinstrumente brachte eine gewisse Entlastung an der Arbeitsfront. Die Geigenproduktion entwickelte sich dennoch ungebremst weiter.

Tafellieder

zum 200jährigen Bestehen der Geigenmacher-Innung

zu Markneukirchen

am 6. November 1877

1.

Nun wollen wir im dritten Lied

So mancherlei besprechen

Derweil die Andern mit Manier

Sich amüsir’n und zechen.

Und kommt auch buntes Zeug hinein,

Beim Plaudern muß es also sein;

Wir haben ja so Vielerlei

So manches zu besprechen.

2.

Wo kam die erste Geige her?“

Ja Kind, wer mag es wissen!

Die Bücher lehren’t nimmermehr,

Wirst Dich bescheiden müssen.

Ich denk, es hat in stiller Nacht

Ein Engel sie herab gebracht;

Der Himmel sandt sie zum Geschenk

Und ließ uns schönstens grüßen.

3.

Doch diese war nicht „imitirt“,

s war keine falsche, schlechte;

s ward Niemand damit angeführt,

s war eine gute, echte.

Bei uns ists freilich öfter Brauch,

Es gilt von Markneukirchen auch,

Im „Imitir’n“ und Irreführ’n

Gibt’s da gar schlaue Hechte.

4.

Gar Mancher geht da auf den Leim

Und kauft sich solche Geigen.

Sie klingen süß wie Honigseim,

Er lobt den Ton, den weichen.

Denn in dem Herzen denkt er,

Sie kämen von Amati her.

Ach wenn er, o Neukirchner, wüßt‘

Von seinen listgen Streichen!

5.

Doch wird auch eine große Zahl

Bei uns ohn‘ Müh gefunden,

Die ganz unschuldig allzumal,

Man muß das wohl bekunden.

Gleich dutzendweis verkauft man sie,

Was nun die erste beste, die

Wird für das werthe Publikum

Aufs Dutzend drauf gebunden.

6.

O Mittenwald, o Mittenwald,

Du lagst uns einst im Kragen.

Aus Wahrheitsliebe müssens’s halt

Wir immer wieder sagen.

Doch jetzo hat das aufgehört,

Der Spieß ist heute umgekehrt,

Seit anno 73 hast

Neukirchen du im Magen.

7.

Die Geige ist ein schönes Ding,

Doch ist sie schwer zu bauen.

Die Kunst ist wahrlich nicht gering,

Nur selber muß man’s schauen.

Gar mancher denkt: ‚s nicht so schwer,

Schnell nehm ich meinen Leimtopf her!“

Ja, leime nur und geige dann! –

Das quiekt, es möchte uns grauen!

8.

Sehr trocken sei das Fichtenholz,

Das merkt, ihr jungen Leute!

Gut‘ Resonanz sei Euer Stolz,

Sie ist Violas Freude.

Die Fichte und der Ahornbaum

Umschweben Euch in Eurem Traum!

Dankt Gott, daß er die Bäume schuf

Und Eurer Kunst sie weihte.

9.

Macht’s wie die Alten in der That,

Wollt ihr etwas erreichen.

Das kleinste Dingel, akkurat

Gebaut muß es sich zeigen.

Vergesset auch das „Streifchen“ nicht,

Am Bodenrand wird’s angericht’t

Macht ihr nur einen Farbenstrich,

So baut ihr „Schachtelgeigen“.

10.

Noch Eins: daß auch bei Leibe nicht

Die „Stimme“ innen fehle!

s ist jeden Geigenmachers Pflicht,

Violchen braucht ‘ne „Seele“.

Schön rund und nett, wie’s Jeder kann,

Bringt innen dieses Seel’chen an,

Doch so, daß man so balde nicht

Aus Schabernack es stehle.

11.

Ein Theil des Geigenbaues nur

Liegt in der Frauen Händen.

Die wunderschöne Politur,

Meist sie der Geige spenden.

Wo blieb die Kunst in dieser Welt,

s wär wahrlich schlecht mit ihr bestellt,

Wenn von der Erde auf einmal

Die Frauen ganz verschwänden!

12.

Gar stattlich ist die Meisterschar

In hies’ger Zunft geworden;

Weit über hundert, das ist wahr,

Sind an verschiednen Orten.

Gar weise führt das Regiment,

Der sich der Lade Meister nennt,

Und eine kleine wackre Schar

Ist Beirath ihm geworden.

13.

Gar graue Häupter sind dabei,

Altmeister hoch in Ehren;

Zu ihrem Wohle frisch und frei

Woll‘n wir ein Gläschen leeren.

Dem Ganzen wollen wir es weihn,

Das ganze Handwerk soll es sein.

Ein donnernd Hoch sei ihm gebracht:

Du Handwerk, hoch in Ehren!

Das Original befindet sich im Musikinstrumentenmuseum-Markneukirchen

Melodie: O Tannenbaum, O Tannenbaum

Es hatte inzwischen auch eine Professionalisierung des Vertriebes stattgefunden. Anders als Schuster oder Bäcker, die ihre Erzeugnisse am Ort verkaufen können, finden Geigenbauer nur selten Abnehmer direkt am Ort der Herstellung. 1713 wurde erstmals ein professioneller Händler in die Innung aufgenommen. Zuvor hatten die Meister weite Reisen auf sich genommen, um persönlich Märkte und potentielle Kunden zu besuchen. Dies übernahm nun Johann Elias Pfretzschner zum Teil über sehr weite Entfernungen. Der Erfolg seiner Marketing-Aktivitäten führte allerdings dazu, dass größere Stückzahlen zu Dumpingpreisen geordert wurden, die industrielle Produktionsformen erforderten. Es begann 1719 mit einem spezialisierten Wirbeldrechsler. Bald kamen Werkstätten von Halsschnitzern, Decken- und Schachtelmachern hinzu. In den immer weniger werdenden Meisterbetrieben wurden die Einzelteile nur noch zusammengefügt. Für eine qualitativ überzeugende Geige rechnet man damals wie heute üblicherweise eine Produktionszeit von mindestens einem Monat .

(auch wenn das Innungsprivilegium der Geigenmacher zu Markneukirchen für die Meisterprüfung 1677 vorsah: "Kunststück binnen drey Wochen fertigen, als: 1. Eine Discant-Geige mit schönem Holze, den Halß rein eingelegt, das Griffbrett gewürffelt, den Boden und Decke auch mit dreyfachen Spähnen sauber eingelegt; 2. Eine Zitter von schönem Holz und rein auff dem Register; 3. Eine viola di Gambe mit Brücken und Sechs Seiten ohne tadel, und sollen alle drey Stücke in gelber Farbe seyn ohne Flecken. Der Anfang zu solcher Arbeit soll frühe Morgens umb Sechs Uhr gemacht werden“ 1723 wurde die Dreiwochen-Tortur noch um ein Instrument erweitert: “Violin, Laute, Viol di Gamba und Davids Harffe“.)

Pro Monat wurden jedoch in Markneukirchen mitunter mehr als 1.500 Instrumente hergestellt. Markneukirchen entwickelte sich zu einer Musterstadt marxistischer Theorie: Fabrikmäßige Entfremdung vom eigentlichen Handwerksprodukt, extreme Gewinne auf der einen Seite und soziale Not bei den abhängigen Heimarbeitern, Gesellen und ihren Familien.

1868 gründete Julius Berthold seine Firma zur Herstellung von Maschinen für den Musikinstrumentenbau. Zur mechanischen Herstellung von Böden und Decken erfand der Klingenthaler Ingenieur William Thau 1904 eine Kopierfräsmaschine. Zeitweilig wurden in Markneukirchen bis zu 80 % der Weltproduktion an Geigen hergestellt.

Wirtschaftliche Not, Konkurrenzdruck, Monopolverhältnisse und nicht zuletzt auch Qualitätsansprüche, die sich im Vogtland nur noch sehr bedingt verwirklichen ließen, von innovativen Experimentieren ganz zu schweigen, ließ viele junge Geigenbauer auswandern.

Mit einem solchen Wanderungsprozess beginnt auch die Geschichte der Geigenbau-Dynastie Brückner, über die in diesem Buch etwas ausführlicher berichtet werden soll.

Trotz aller Widrigkeiten gibt es für die Markneukirchener allerdings auch genug Gründe, auf die eigene Geigenbautradition stolz zu sein. Der vogtländische Geigenbau ist ganz gewiss nicht nur mit der großen Zahl billiger Instrumente gleichzusetzen, die im 18. und 19. Jahrhundert in alle Welt verkauft wurden. Markneukirchen war immer auch Ausbildungsstätte vieler internationaler Geigenbaumeister, die z. B. in den USA, Russland und verschiedenen europäischen Metropolen wirkten. Qualität und Innovationskraft zeichneten aber auch viele Geigenbauer aus, die in ihrer Heimat geblieben waren.

Zu den wichtigen Geigenbauer-Familien Markneukirchens gehört u.a. die Familie Heberlein, die sich international einen sehr guten Namen erworben hat. Ihr bekanntestes Mitglied ist Heinrich Theodor Heberlein jr. (1843-1910), der für die sehr gute Qualität seiner Instrumente bekannt war und vielfach ausgezeichnet wurde, u. a. als Ritter des Sächsischen Albrechtsordens. Aber auch schon Johann Gottlob Heberlein (1782-1856) war ein guter Geiger und experimentierfreudiger Geigenbauer, der 1813 gemeinsam mit einem Blasinstrumente-Macher eine Geige aus Messing herstellte – ein interessantes, „interdisziplinäres“ Detail der markneukirchener Instrumentenbau-Geschichte.

Mit der Verbindung zwischen der Geigenbauerfamilie Heberlein und der damaligen Gitarrenbauerfamilie Brückner beginnt vor fast 200 Jahren nach unserer historischen tour d'horizont, die mit der geographischen Verengung auf Markneukirchen endete, nun endgültig auch die Geschichte der weit verzweigten Geigenbaufamilie Brückner.

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