Читать книгу GEIGENBAU IM SPIEGEL DER ZEITEN - Stefan Sethe - Страница 6
Entwicklung der Musikinstrumente
ОглавлениеEs war ein weiter Weg, den die Musiker und die Instrumentenbauer zurück legen mussten bis zur Eloge eines Kurt Masur. Nicht alle Geigenbauer waren so geachtet wie Antonius Stradivarius in Cremona. Im Gegenteil: Das fahrende Volk der Musiker – und damit auch deren Ausrüster – fand sich im Verlaufe der menschlichen Kulturgeschichte nicht selten am unteren Ende der sozialen Anerkennungsleiter.
Wir können davon ausgehen, dass ursprünglich die Instrumente, wie Trommeln, Rasseln und Flöten, noch von den Musikanten selbst gefertigt wurden. Wenngleich es die ersten urkundlich belegten Instrumentenbauer erst im 13. Jahrhundert gab, dürfte sich das Berufsbild des Musikers von jenem des Instrumentenbauers schon vor 6000 Jahren getrennt haben. Es ist anzunehmen, dass handwerkliche Geschicklichkeit und musikalische Begabung nicht mehr Hand in Hand gingen, und es zu einer entsprechenden Arbeits- und Aufgabenteilung kam, als im Orient die ersten, kompliziert zu bauenden, mehrsaitigen Chordophone und Leiern entstanden, die wenig später zu Harfen mit Resonanzkörpern weiter entwickelt wurden. Künftig war das Ansehen der Instrumentenbauer gekoppelt mit und abhängig von der Fähigkeit der Komponisten und vom Geschick der Musiker, durch das Ausüben ihrer Kunst Freude und Bewunderung zu wecken.
Das Bild der Musik, der Musiker und der Instrumentenhersteller war im Laufe der Zeiten immer wieder Schwankungen unterworfen. Zwar war der emotionale Zugang der Musik zum Ohr der Menschen immer gleich wichtig, aber die Akzeptanz des Berufsbildes hat sich permanent mit den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen gewandelt.
Die Grundlagen der heutigen europäischen Musikkultur entwickelten sich im Spätmittelalter. Ein gravierender Wandlungsprozess setzte ein mit der technischen Entwicklung des Notendrucks und nutzte die sich entfaltenden Notationsmöglichkeiten. Damit verbesserten sich die Produktionshandhabe und die Verbreitungswege von Musik bedeutend und erlaubten eine praktische Kontrolle. Die aufkommende kontrapunktische Verregelung der Musik, die Qualifizierung von Zusammenklängen in einem System aus Konsonanzen und Dissonanzen und die Stimmführung in der sich entwickelnden Polyphonie ließen sich durch eine einheitliche grafische Ordnung wesentlich leichter bestimmen und prüfen. Die allgemeinen Folgen der Differenzierung waren die Rollenverteilung in die Bereiche Komposition, Interpretation und Distribution.
Im Mittelalter waren die Minnesänger meist auch die Interpreten ihrer eigenen Werke. Nun entwickelten sich sehr differenzierte Berufsbilder. In dem Maße, wie die Nachfrage nach Musik in den Kirchen und an den Fürstenhöfen wuchs, nahm auch die Bedeutung der Komponisten zu, die immer komplexere und differenziertere Werke schufen, welche technisch versierte Musiker erforderten und damit auch immer ausgereiftere und spezialisierte Instrumente. Dies galt auch und speziell für die Streichinstrumente. Insbesondere Corelli und Torelli forcierten die Entwicklung der Geige zum Soloinstrument, was wiederum die Geigenbauer zu neuen Anstrengungen veranlasste.
Zwar blieben die Komponisten, Interpreten und damit im weiteren Sinn auch die Instrumentenbauer noch längere Zeit vom Mäzenatentum der Fürsten und Kirchen abhängig, aber zunehmend stiegen die jeweils besonders erfolgreichen Künstler ihres Faches sozial vom Dienstleister zum Prestigeträger auf.
Bis ins 18. Jahrhundert waren Volks- und Unterhaltungsmusiker sozial schlecht gestellte städtische Spielleute oder Spezialisten innerhalb der Dorfgesellschaft, welche u.a. auf Dorf- und Stadtfesten die nicht immer sehr geachteten Volksbelustigungen umrahmten. Es gab hier noch keine Arbeitsteiligkeit, nur mündliche Überlieferungen der Musik und eine wenig differenzierte Funktion des Musikmachens. Volksmusiker waren in den Alltag und die Abläufe des Kirchenjahrs eingebunden, übernahmen aber auch die Rolle des Informationsübermittlers, etwa durch den Moritaten- und Bänkelsang. Mit der Industrialisierung kam auch in der Unterhaltungsmusik die Nachfrage nach „professioneller“ Musik.
Die Erfindung des Notendrucks hatte dazu geführt, dass nunmehr auch das Bürgertum sich von der bisherigen Musikantenschar emanzipierte. Die spezifisch bürgerliche Salonmusik entwickelte sich im 19. Jahrhundert. Sie bestand größtenteils aus leichten Arrangements von Kunstmusik für die wohlhabenden Haushalte. Vor allem für das Klavier und kleine Hausmusikensembles wurden leicht spielbare und effektvolle Stücke komponiert. Sie dienten als Spielmaterial für den Musikunterricht. Carl Czernys „Schule der Geläufigkeit“ und andere Übungsmusik bildeten die Ausrüstung für den bürgerlichen Musiklehrer, der als neuer Berufszweig etablierte.
Das Virtuosentum im Konzertsaal belebte den Musikmarkt und schuf die ersten international bekannten Stars wie Niccolò Paganini und Franz Liszt Franz. Ein David Garrett, der zum Entsetzen aller Musikliebhaber meint, den Hummelflug von Rimski-Korsakow in einer Minute und fünf Sekunden spielen zu müssen, was 13 Noten pro Sekunde entspricht, und zeitweilig einen Platz im Guinness-Buch der Rekorde sichert, braucht für seine zirzensischen Verrenkungen eine exzellente Violine und einen ebensolchen Bogen. Aber auch eine Anne-Sophie Mutter, die als Teenager schon künstlerisch ausgereifter war als es ein Garrett wohl je sein wird oder ein Paganini je war, braucht für ihre sensiblen Interpretationen ein qualitativ ausgereiftes Instrument. Beide spielen heute Geigen von Antonio Stradivari, jene legendären Streichinstrumente des Cremoneser Geigenbauers vom Anfang des 18ten Jahrhunderts, die heute für Millionenbeträge die Besitzer wechseln.
Deutlich wird bei etlichen, ein wenig an Da Vinci bzw. Dürer erinnernden mit geometrischen Kreisen angereicherten Geigenbau-Skizzen auch eine gewisse Mathematisierung der Geigenbaukunst. Zunehmend wurden physikalische Gesetzmäßigkeiten berücksichtigt, wenngleich der Status der klanglichen Experimentalphysik erst in der Neuzeit überschritten wurde.
Demgegenüber wurde die Musik erst mit Aufkommen der gefühlsbetonten Romantik zu den Künsten gerechnet. Bei den antiken Pythagoreern galt sie noch als mathematische Wissenschaft, die in Bezug gesetzt wurde zur Ordnung des Kosmos.