Читать книгу Postkoloniale Theologien - Stefan Silber - Страница 17

2.3 „Schwarz bin ich und schön.“ (Hld 1,5Hld 1,5 ). Rassistische Traditionen

Оглавление

Bei dem Bibelvers, der in der Überschrift zitiert wird, steckt der Teufel im Detail: Maricel Mena LópezMena López, Maricel, Claudia Pilar de la Callede la Calle, Claudia Pilar und Loida Sardiñas IglesiasSardiñas Iglesias, Loida weisen auf die Problematik hin, die mit der Übersetzung eines kleinen Wörtchens verbunden ist1: Was genau bedeutet „und“? In der Vergangenheit wurde dieses Wort häufig adversativ übersetzt. Auch die Einheitsübersetzung 2016 schreibt hier „Schwarz bin ich, doch schön“, versteht also beide Adjektive im Gegensatz zueinander, während die Lutherübersetzung 2017 an derselben Stelle formuliert: „Ich bin schwarz und gar lieblich“. Im Hebräischen Text steht ein waf, heißt es also „und“.

Die drei Autorinnen verweisen auf den Kommentar der Jerusalemer Bibel (brasilianische Ausgabe von 1998), für den „eine sonnenverbrannte Frau, die Weinberge hütet, nichts anderes als eine Sklavin sein kann, anders als Frauen mit heller Haut“2, und sie zitieren aus dem Kommentar:

„Die alten arabischen Dichter setzen die helle Haut der Mädchen von guter Abstammung (hier die Töchter Jerusalems) den Sklaven und Sklavinnen entgegen, die Arbeit im Freien verrichteten.“3

Hier wird das brasilianisch-koloniale Verhältnis von weißen SklavenbesitzerInnen und schwarzen SklavInnen in die Zeit des Hoheliedes zurückprojiziert. Im Bibeltext ist nicht davon die Rede, dass die Töchter Jerusalems und die Sprecherin zu verschiedenen sozialen Klassen gehören oder dass erstere eine hellere Hautfarbe haben. Diese Rassistische Interpretation des Hoheliedesrassistische Interpretation des Anfangs des Hoheliedes hat allerdings schon eine lange Tradition. Die drei Theologinnen zitieren daher auch den Kirchenvater OrigenesOrigenes, der diese Stelle aufgreift:

„Schwarz durch die Schmach der Rasse, aber schön durch Buße und Glauben; Schwarz durch Sünde, aber schön durch Buße und die Früchte der Buße (…) Sie, die schwarz ist, ist weder von Natur aus noch vom Schöpfer so geschaffen, sondern hat diese Situation versehentlich erlitten.“4

OrigenesOrigenes vergleicht die schöne schwarze Frau mit der Seele, die durch die Sünde schwarz geworden sei, aber durch das Zurückweisen der Schwärze zum Licht aufsteigen könne. ‚Schwarz‘ gilt ihm also als negativ und von Gott entfernt, ‚weiß‘ als erlöst und von der Sünde befreit. Dass es tatsächlich Menschen gibt, deren dunklere Hautfarbe „vom Schöpfer so geschaffen“ ist, scheint ihm nicht in den Sinn gekommen zu sein.

In dieser Metaphorik steckt ein tiefer Rassismus, der sich in der Hartnäckigkeit der adversativen Übersetzung des Verses zeigt und damit Schwarze Mädchen und Frauen einer positiven Identifikationsmöglichkeit mit sich selbst, ihrer Hautfarbe, „ihrer Erotik, Sinnlichkeit und Schönheit“5 beraubt. Die Übersetzung und Wirkungsgeschichte von Hld 1,5Hld 1,5 ist nur ein Beispiel für den Rassismus, der christliche Theologien prägt, seit sie in Europa Fuß gefasst und sich europäisch entwickelt haben.

In den postkolonialen Studien wird der europäische Rassismus als eine der prägendsten Grundstrukturen des Kolonialismus und der postkolonialen Verhältnisse angesehen. Für Aníbal QuijanoQuijano, Aníbal stellt die heutige globalisierte Welt „die Vervollkommnung eines Prozesses dar, der mit der Gründung Amerikas und des kolonial/modernen und eurozentrischen Kapitalismus begann“6, wobei er hier mit „Amerika“ die Erfindung einer für die EuropäerInnen neuen Welt westlich Europas bezeichnet. Der Rassismus ist in diesem Prozess „eine der fundamentalen Achsen“7, die auf einer Teilung der Menschheit gemäß der „phänotypischen Differenzen zwischen Siegern und Besiegten“8 beruhe. Gemäß QuijanoQuijano, Aníbal ist der Rassismus

„die soziale Klassifikation der Weltbevölkerung gemäß der Idee der ‚Rasse‘, eine mentale Konstruktion, die die Grunderfahrung der kolonialen Herrschaft zum Ausdruck bringt, und die seither die wichtigsten Dimensionen der weltweiten Macht durchdringt.“9

Diese soziale Klassifikation setzt sich bis in die Gegenwart fort, da auch im globalisierten Kapitalismus „eine Systematische rassistische Arbeitsteilungsystematische rassistische Arbeitsteilung“ herrsche, in der „jede Weise der Arbeitskontrolle mit einer bestimmten ‚Rasse‘ verbunden“ ist10.

Auch Achille MbembeMbembe, Achille verbindet die Eroberung Amerikas, den Sklavenhandel, den europäischen Rassismus und die Entstehung der Moderne zu einer Einheit, die ihre Konsequenzen bis in die Gegenwart nach sich zieht:

„In mehrfacher Hinsicht ist unsere Welt, auch wenn sie das nicht zugeben möchte, bis heute eine ‚Welt der Rassen‘ geblieben. Der Rassensignifikant ist immer noch die unumgängliche, wenngleich gelegentlich bestrittene Sprache der Darstellung des Selbst und der Welt, des Verhältnisses zum Anderen, zum Gedächtnis und zur Macht. Die Kritik der Moderne wird unabgeschlossen bleiben, solange wir nicht verstanden haben, dass ihre Entstehung mit dem Erscheinen des Rassenprinzips und der langsamen Umwandlung dieses Prinzips in die privilegierte Matrix der Herrschaftstechniken zusammenfällt.“11

In der kolonialen Missionsgeschichte wurde diese rassistische Deutung der Welt aufgegriffen und durchzog die missionarische Praxis. Richard HölzlHölzl, Richard zeigt in einer missionsgeschichtlichen Untersuchung, wie deutsche AfrikamissionarInnen in verschiedenen Epochen des deutschen Kolonialismus zwar unterschiedlichen Gebrauch von rassistischen Vorurteilen machten, jedoch nie frei vom Rassismus waren12.

Ein wesentliches Element spielte dabei über die Jahrhunderte hinweg eine Rassistische Interpretation der Noah-Geschichterassistische Interpretation der Noah-Geschichte: Weil Noah nach Gen 9,20-27Gen 9,20-27 seinen Enkel Kanaan (und mit diesem seinen Sohn Ham) verflucht und in Gen 10,6Gen 10,6 Ham zum Stammvater einiger afrikanischer Völker erklärt wird, argumentierten viele Theologen seit dem 16. Jahrhundert, dass der Fluch Noahs die Menschen Afrikas insgesamt getroffen habe.13

HölzlHölzl, Richard zitiert einen Reisebericht des Spiritaner-Superiors Anton HornerHorner, Anton (1827–1880), der – aus heutiger Sicht – drastische Rassismen enthält:

„Unter den fünf Welttheilen ist ohne Widerrede Afrika der unglücklichste und verlassenste. […] Von Cham, Noe’s zweitem Sohne bevölkert, liegt jener Welttheil noch heute unter dem schweren Druck des Vaterfluches.“14 „Die schwarze Farbe der Nachkommen Chanaan’s bezeugt noch, daß ihre Rasse schon im Anfang vom Zorn des Himmels getroffen worden.“15

Durch die Mission und die erhoffte Taufe lassen sich nach Ansicht dieser Missionare die fatalen Folgen des biblischen Fluchs ‚erlösen‘, jedoch nicht die angenommene und behauptete Minderwertigkeit der Menschen Schwarzer Hautfarbe beseitigen.

Späteren AkteurInnen attestiert HölzlHölzl, Richard zwar eine vorurteilsfreiere Annäherung durch ethnografische Untersuchungen. Der Rassismus nahm aber dann andere Formen an, indem beispielsweise Einzelbeobachtungen unter bestimmten afrikanischen Völkern generalisiert, essentialisiert und „aus der sozialen Interaktion von Beobachter und Beobachtetem gelöst und als zeitlose Andersartigkeit konstruiert“16 wurden.

Auch scheinbar positive und wohlwollende Beschreibungen können dabei eine rassistische Schieflage beinhalten. HölzlHölzl, Richard zitiert den Reisebericht des Missionsbenediktiners Alfons AdamsAdams, Alfons von 1899:

„Wenn ich bei Gelegenheit die Wahehe mit ihrem kühnen Gesichtsausdruck und ihren kräftigen Gestalten in fröhlicher Unterhaltung beim Feuer am Boden hockend oder auf der Kuhhaut liegend einen Krug Bier nach dem andern vertilgen sah, mußte ich unwillkürlich an unsere Heldenvorfahren, die Germanen, denken, die den zivilisierten Römern schon allein durch ihren gewaltigen Durst imponierten.“17

Der Verweigerung der ZeitgenossenschaftVergleich mit den Germanen ist hier zwar schmeichelhaft gemeint, reproduziert jedoch nicht nur ein klassisches ↗ Othering, sondern verweigert durch die Parallelisierung mit ‚unseren Vorfahren‘ die Gleichwertigkeit durch Zeitgenossenschaft. Diese Praxis wird in der kritischen Ethnografie als „denial of coevalness“18, also Verweigerung der Zeitgenossenschaft, gekennzeichnet.

In einer späteren Epoche identifiziert HölzlHölzl, Richard bei den MissionarInnen einen selbstkritischeren und verdeckten „Rassismus hinter vorgehaltener Hand“19 nach einem Konzept von Homi BhabhaBhabha, Homi, in dem die Abwertung afrikanischer Menschen nicht mehr offen ausgesprochen oder gar theologisch begründet wurde, sondern „mit den Mitteln des Unausgesprochenen, der Ironie und der Beiläufigkeit“20 so in den Diskurs eingebracht wurde, dass Vorurteile und Stereotypen nicht mehr explizit benannt werden mussten, sondern als bekannt vorausgesetzt und so indirekt abgerufen werden konnten. Äußerst aufschlussreich für diesen Aspekt sind die Analysen einiger Fotografien aus missionarisch-kolonialen Kontexten des 20. Jahrhunderts, mittels derer HölzlHölzl, Richard die in den Bildkompositionen erkennbaren rassistischen Beziehungen und Vorstellungen aufdeckt21.

Der Begriff des Rassismus ist in der Gegenwart einigen Erweiterungen und Präzisierungen unterworfen. Fabian LehrLehr, Fabian, deutsch-österreichischer Marxist, macht in einer kritischen Analyse etwa darauf aufmerksam, dass gerade in Europa Rassismus sich nicht nur im Verhalten Schwarzen Menschen gegenüber äußert22.

Dies ist eine wichtige Ergänzung zu den antirassistischen Überlegungen im Postkolonialismus, da diese sich häufig an den Beziehungen zwischen Menschen aus Europa und aus Afrika und den anderen Kolonialstaaten orientieren sowie Menschen gegenüber, die durch den internationalen SklavInnenhandel in andere Regionen und Kulturkreise entführt wurden. Lehr zeigt hingegen, dass daneben ein kulturell tief verwurzelter Rassismus in den westeuropäischen Staaten besteht, der sich gegen Menschen aus Osteuropa richtet, und der seine Ursprünge mindestens bereits im Mittelalter habe. Rassistische Vorurteile gegenüber Menschen aus dem ehemaligen ‚Ostblock‘ (auch dieser Begriff enthält eine essentialistische Veranderung) weist er bis in die Gegenwart nach.

Gleichgültig, ob man mit Lehr diese Erweiterung der Rassismuskonzeption vornehmen möchte, verweist sie doch darauf, dass eine einseitige Festlegung des Rassismusbegriffs auf Beziehungen zwischen Menschen bestimmter Hautfarbe ebenfalls essentialisierende Züge annimmt und in der Gefahr ist, selbst rassistische Positionen zu besetzen. Antirassistische Analysen aus postkolonialen Studien und Theologien können insofern auch die Beziehungen zwischen anderen Menschen, die essentialistisch verschiedenen sozialen Gruppen zugeordnet wurden, erhellen. Sie machen an ihrer Wurzel häufig auf das Problem der Konstruktionen europäischer Überlegenheit aufmerksam.

Postkoloniale Theologien

Подняться наверх