Читать книгу Öffentliches Wirtschaftsrecht - Stefan Storr - Страница 76
d) Die Grundrechtsprüfung: Schutzbereich, Eingriff und Rechtfertigung
Оглавление113
Die Abwehrfunktion der Grundrechte prägt in den meisten Fällen die Grundrechtsprüfung[318]. Grundrechte gewähren keinen absoluten Schutz. Sofern ein Verhalten in den typischerweise eher weit gefassten Schutzbereich eines Grundrechts fällt (zum sachlichen Schutzbereich vgl die einzelnen Grundrechte, zum persönlichen Schutzbereich Rn 108 ff), ist jede staatliche Beeinträchtigung des Schutzbereichs, die sich als Eingriff darstellt rechtfertigungsbedürftig. Im Rahmen der jeweiligen Grundrechtsschranken muss sich der Eingriff dabei insbes als verhältnismäßig erweisen. Gerade beim zentralen Wirtschaftsgrundrecht der Berufsfreiheit gelten aber in mehrfacher Hinsicht Besonderheiten. Einerseits hat das BVerfG mittels der Dreistufentheorie (Rn 120 ff) die Verhältnismäßigkeitsprüfung ausdifferenziert, vor allem aber wurden die „faktisch-mittelbaren“ Grundrechtseingriffe in die Berufsfreiheit zu einem Dauerbrenner der verfassungsrechtlichen Diskussion.
Der klassische Grundrechtseingriff in Form staatlicher Rechtsakte (Gesetz und Verwaltungsakt), die unmittelbar gegenüber dem Betroffenen ergehen und in Form einer Regelung Rechtsverbindlichkeit beanspruchen, erwies sich nicht zuletzt angesichts der Ausdifferenzierung der staatlichen Handlungsformen als zu eng. Es wurde sogar die Forderung erhoben, „das gesamte sog. ʼinformaleʼ Handeln, die ʼweichenʼ Formen, die Vorgänge mit Auslandsberührung und die vielfältigen Realakte grundrechtlich systematisch neu zu vermessen“[319]. Die Probleme hängen wesentlich mit der Rechtsfigur des Eingriffes als des „unentbehrlichen Systemelementes“ der Grundrechtsdogmatik[320] zusammen, der trotz der mittlerweile jahrzehntelangen Diskussion um die „faktisch-mittelbaren Grundrechtseingriffe“ immer noch nicht geklärt ist[321]. Allerdings hat das BVerfG seine häufig kritisierte Glykol-Rechtsprechung zu den staatlichen Informationseingriffen im Bereich des Art. 12 GG mittlerweile aufgegeben (s. Rn 118 f). Da im öffentlichen Wirtschaftsrecht weiterhin der (adressatenbezogene) Verwaltungsakt dominiert, bedarf es nur selten einer Auseinandersetzung mit dem Eingriffsbegriff. Zugleich hat sich die Diskussion um das staatliche Informationshandeln auf die Ebene des einfachen Rechts verlagert, vgl Fall 10 (Rn 101, 119). Dabei werden die nationalen Grundrechtsstandards durch das Unionsrecht verdrängt, sofern – wie insbes beim bankaufsichtsrechtlichen „Naming and shaming“ – die Vorschriften eine unionsrechtliche Grundlage haben (dazu Rn 134).