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b) Die Pflichtmitgliedschaft in berufsständischen Organisationen

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Art. 2 Abs. 1 GG wird nach der Rechtsprechung insbesondere im Zusammenhang mit der Pflichtmitgliedschaft relevant, wie sie die berufsständischen Kammern vorsehen. Das geltende Recht kennt neben den Industrie- und Handelskammern sowie den Handwerkskammern (s. näher unten Rn 205 ff) vor allem Kammern für die freien Berufe[450]. Kennzeichen aller Regelungen ist die Pflichtmitgliedschaft der im Kammergebiet ansässigen Freiberufler oder Gewerbetreibenden. Das BVerfG hat deren Verfassungsmäßigkeit am Beispiel der IHK bejaht[451]. Die Pflichtmitgliedschaft beschränkt sich allerdings nicht auf die Pflicht zur Beitragszahlung; Kammern regeln in weitem Umfang auch die Berufsausübung der Mitglieder (zur Grundrechtsbindung schon Rn 56, 111); Berufsgerichte ahnden entsprechende Verstöße.

Die Pflichtmitgliedschaft greift nach der Rechtsprechung weder in Art. 12 GG (dazu oben Rn 118) noch in die Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 GG[452] ein, auch die negative Vereinigungsfreiheit des Art. 9 Abs. 1 GG erstreckt sich nicht auf öffentlichrechtliche Vereinigungen wie die Kammern[453]. Eine Rechtfertigung ist möglich aufgrund eines formell und materiell mit der Verfassung in Einklang stehenden Gesetzes[454], so dass die Pflichtmitgliedschaft im Ergebnis vor allem dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen muss. „In der zwingenden Beteiligung der sachnahen Betroffenen an den sie berührenden Entscheidungen“[455], liegt ein legitimer Zweck. Die Erforderlichkeit ist ebenfalls zu bejahen, da ein milderes Mittel wie zB die Vertretung durch Verbände nicht genauso effektiv ist. Aufgrund des relativ schwachen Eingriffs bestehen auch keine Zweifel an der Zumutbarkeit für die betroffenen Mitglieder. Dies gilt nach der Rechtsprechung selbst in den Fällen der Doppelmitgliedschaft[456]. Deswegen ist die Pflichtmitgliedschaft in berufsständischen Kammern verfassungskonform.

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Fall 8 (Rn 99)

Zu den freien und gleichzeitig „verkammerten“ Berufen gehört auch der selbstständige Apotheker, obwohl er ein Handelsgewerbe (§ 1 Abs. 2 HGB) betreibt. A ist also Pflichtmitglied in der Landesapothekerkammer, der auch die Überwachung des beruflichen Verhaltens der Mitglieder obliegt. Die Pflichtmitgliedschaft beruht auf den einschlägigen gesetzlichen Regelungen, hier § 2 Abs. 1 Nr 4 HBKG BW. Sie ist nach dem Gesagten verfassungsgemäß (vgl Rn 141). Verstöße gegen Berufspflichten werden durch Berufsgerichte als Gerichte für besondere Sachgebiete im Sinne von Art. 101 Abs. 2 GG geahndet[457]. Sie stehen neben den allgemeinen Gerichten, so dass ihre Entscheidungen nicht von den allgemeinen Gerichten, etwa den Verwaltungsgerichten, überprüft werden können. Ihre gesetzliche Grundlage findet die Berufsgerichtsbarkeit in den entsprechenden Landesgesetzen, hier den §§ 55 ff BWHBKG, der Berufsgerichtsordnung und der Berufsordnung der Landesapothekerkammer. Im berufsgerichtlichen Verfahren kann eine der gesetzlich vorgesehenen berufsgerichtlichen Maßnahmen verhängt werden. Diese allerdings sind nicht an Art. 2 Abs. 1 GG, sondern an Art. 12 GG zu messen[458].

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Bei der IHK stellt sich angesichts der heterogenen Mitgliederstruktur die Lage allerdings differenzierter dar als die Entscheidung des BVerfG glauben lässt. Bei ihr handelt es sich vor dem Hintergrund der in § 1 IHKG genannten Aufgaben weniger um „berufsständische Selbstverwaltung“ als um Wirtschaftsförderung und Interessenvertretung[459]. Gemeinsame Interessen vertritt die IHK angesichts ihrer heterogenen Mitgliederstruktur viel weniger als die anderen Kammern, was trotz der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit verfassungsrechtliche Bedenken aufwirft. Jedenfalls muss mit der Pflichtmitgliedschaft nicht nur das „Recht des Mitglieds auf die Unterlassung von Aufgabenüberschreitungen“[460], sondern auch die „demokratische Binnenorganisation“[461] der Kammern korrespondieren. Problematisch ist es jedoch, wenn einer Zwangsmitgliedschaft gerade keine mitgliedschaftlichen Rechte korrespondieren. So unterliegen die sog. Kleinunternehmer zwar der Pflichtmitgliedschaft in der Handwerkskammer, sie haben aber weder das aktive noch das passive Wahlrecht zu den Kammervertretungen. Jedenfalls sollte der Gesetzgeber bei der IHK die rudimentären Regelungen ergänzen (ausführlich ▸ Klausurenkurs Fall Nr 3)[462].

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Die allgemeine Handlungsfreiheit schützt aber auch im Rahmen des Rechts auf freie Entfaltung davor, von Kammern ungerechtfertigt in Anspruch genommen zu werden (status negativus), gewährt also einen Anspruch darauf, dass sich die entsprechenden Organisationen auf ihren gesetzlichen Aufgabenbereich beschränken. Dies schließt insbesondere ein allgemeinpolitisches Mandat aus und gewährt dem Mitglied die Befugnis, diesen Anspruch auch gerichtlich durchzusetzen (ausführlich ▸ Klausurenkurs Fall Nr 3)[463]. Die Begründung einer Pflichtmitgliedschaft verlangt zugleich die Flankierung mit Mitgliedschaftsrechten, die dem „Zwangsmitglied“ die Möglichkeit zur demokratischen Partizipation an kammerinternen Entscheidungen geben.

Satzungsmäßiges Kontrollorgan ist die Vollversammlung, das demokratisch legitimierte Hauptorgan der Kammer[464]. Der Gesetzgeber konnte diese zwar trotz des insoweit irreführenden Namens als Repräsentativorgan ausgestalten[465] und diesem die Kontrolle des Präsidiums übertragen. Grundsätzlich stehen daher auch die für die Kontrolle unerlässlichen Informationsrechte der Vollversammlung als Gesamtorgan zu[466]. Deren Befugnisse kann daher ein einzelnes Mitglied auch nicht im Wege der Prozessstandschaft geltend machen[467]. Diese gesetzliche Regelung ist nach der Rechtsprechung abschließend, was aber vor dem Hintergrund des Demokratieprinzips in doppelter Hinsicht problematisch ist[468]. Bereits bei der Vollversammlung überzeugt es nicht, dass nur das Gesamtorgan die entsprechenden Befugnisse geltend machen kann, da es gerade keine „Fraktionen“ gibt und damit Minderheiten ihre Rechte nicht durchsetzen können. Zum Schutz der Minderheitsmeinung muss man daher jedenfalls den Mitgliedern der Vollversammlung die entsprechenden Befugnisse zuerkennen[469]. Schwieriger zu beantworten ist die Frage, ob dies für alle Mitglieder gelten muss. Insoweit leitet das BVerwG aus dem weiten gesetzgeberischen Spielraum bei der Ausgestaltung der funktionalen Selbstverwaltung ab, dass ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung das einzelne Mitglied keine organschaftlichen Befugnisse hat[470]. Überzeugender ist es jedoch, angesichts des verfassungsrechtlichen Junktims von Zwangsmitgliedschaft und Partizipationsbefugnissen jedenfalls bestimmte Mindestbefugnisse des einzelnen Mitglieds zu fordern bzw eine Zwangsmitgliedschaft ohne jegliche Möglichkeit zur Partizipation an den Entscheidungsprozessen der Kammer als unverhältnismäßig anzusehen[471].

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