Читать книгу Magic Tales - Verhext um Mitternacht - Stefanie Hasse - Страница 10
ADELA
ОглавлениеIn Anbetracht der Ereignisse letzte Nacht neige ich dazu, dir die Erlaubnis zu erteilen«, sagte Calliope kühl und starrte mich einen endlosen Moment an, ohne auch nur einmal zu blinzeln. Meine Fingerspitzen kribbelten und ich hatte Mühe, stillzustehen. »Aber du wärst komplett schutzlos, das kann ich nicht verantworten.«
»Es ist unsere einzige Chance! Niemand wird mich als Hexe erkennen, ich bin seit vier Jahren nicht mehr öffentlich aufgetreten. Die Pr…« Mein Magen ballte sich zusammen und anstelle meiner Worte stieg schwarzer Rauch aus meinem Mund. Der Ban, der mächtigste vom Rat gewirkte Bannzauber, machte es mir unmöglich, über die Prophezeiung zu sprechen. Ich kippte vornüber und stützte mich nach Atem ringend auf meinen Oberschenkeln ab, um nicht auf die Knie zu fallen oder mich auf den hellen Marmor zu übergeben. Ich würgte.
Hastig blinzelte ich die Tränen weg. Der Druck auf meine Augen verschwand nur langsam, die dunklen Fliesen des Pentagramms ringsum gewannen wieder an Kontur. Nach Luft ringend richtete ich mich auf. »Niemand weiß, wer ich bin. Ich werde sogar mit dem Zug anreisen, um jegliche magische Nachverfolgung unmöglich zu machen.«
Calliope sah zu Sato und ich flehte ihn stumm um ein Ja an. Gegen die Stimme des stellvertretenden Ratsvorsitzenden könnten auch meine Eltern nicht mehr einschreiten.
Die Wände des fensterlosen Raumes rückten näher, während Sato ganz offensichtlich das Für und Wider gegeneinander aufwog, seine eigene Position im Rat gegen das Wohl aller Hexen. Seine Zweifel tränkten die Luft, vermischten sich mit der rauchigen Note von Calliopes Macht.
Sein tiefer Atemzug durchbrach die gnadenlose Stille im Saal. Er nickte und ich stieß erleichtert die Luft aus.
Calliope sah weder unzufrieden noch froh aus. Sie war schwerer zu lesen als Sigillen. Ohne den zitrusähnlichen frischen Geruch, der zu mir durchdrang, hätte ich nicht vorhersehen können, wie ihre Antwort ausfallen würde.
»So sei es. Deinem Vorschlag wird zugestimmt. Wir werden ebenfalls nach Falkhausen reisen und uns dort einquartieren, damit du uns Bericht erstatten kannst.« Sie stand auf und ihre Sigille begann zu leuchten. »Adela Mescinia, finde denjenigen, der das Ritual sabotieren wird. Handle nicht auf eigene Faust. Du unterstehst dem Gesetz der Hexengemeinschaft wie alle anderen auch. Ziehe die Jäger hinzu, sobald ein hinreichender Verdacht besteht, dass die Weißroben eingreifen müssen.«
Das Leuchten an ihrem Unterarm wurde stärker, schwebte zu mir und sickerte als unsichtbare und dennoch unberechbare Anweisung in meine Haut. Ihre Abschiedsworte hingen noch im Raum, als sie bereits verschwunden war. »Bewahre das Erbe. Bewahre die Tradition.«
Zurück in unserer römischen Stadtvilla fragte ich mich, weshalb ich Angst vor Calliope gehabt hatte, wo meine Eltern noch viel Furcht einflößender sein konnten. Alfredo und Giulia Mescinia saßen mir gegenüber an dem überdimensionierten Esszimmertisch, lehnten sich in ihren von den Arbeiten in der Nacht schmutzigen Jägeruniformen steif gegen die hohen gepolsterten Stühle mit den Renaissance-Schnitzereien. Es war ja klar, dass sie mein Vorgehen im Rat missbilligten, aber jetzt war ihr Gesichtsausdruck geradezu inquisitorisch. Kaum dass Papà die Dienstboten fortgeschickt hatte, bröckelte ihrer beider Miene.
Mamma sah nun regelrecht gequält aus. Der Gedanke, dass ich dafür verantwortlich war, zerriss mir das Herz. Und doch musste ich mich beherrschen, durfte nicht nachgeben. Mir war klar, dass Mamma Angst um mich hatte, mich beschützen wollte. Aber wie meine Schwester Gloria immer sagte, würde sie mich nicht für immer beschützen können. Ich nahm ihre Hand und drückte sie sanft, bis Mamma wieder gefasster wirkte.
Wir schwiegen uns weiter an. Niemand sprach über die Vision der Auguren, die Prophezeiung, die es mir ermöglicht hatte, mich mit meinem Vorschlag an Calliope zu wenden. Es hätte auch niemand darüber sprechen können, selbst wenn er gewollt hätte. Erneut stieg Magensäure meine Speiseröhre empor, der bittere Geschmack des schwarzen Rauchs haftete noch auf meiner Zunge.
Doch gegenüber den beiden Personen, die mich nun voller widersprüchlicher Emotionen im Gesicht musterten, musste ich auch nicht darüber sprechen. Sie kannten die Prophezeiung genauso gut wie ich.
Um meine Aufregung und Nervosität zu verbergen, hatte ich meine Hände auf dem Schoß liegen, meine Fingernägel bohrten sich in meine Jeans. Die Zeit drängte. Und das wussten auch meine Eltern, ganz egal, was sie dabei empfanden.
Während sie schwiegen, starrte ich auf die bunten Flecken auf dem weitläufigen Marmorboden. Ich liebte diesen Moment des Tages, wenn die Sonnenstrahlen den kahlen großen Raum aus Weiß und Beige in ein Meer aus Farbtupfen verwandelten, sobald sie sich zu den Buntglasfenstern vorangetastet hatten. Von draußen drangen leise die Geräusche des erwachenden Roms an mein Ohr: Hupende Autos, weil es alle eilig zur Arbeit hatten, das Dröhnen der Kehrmaschinen, die all die Reste der nächtlichen Partys verschwinden ließen, ehe die Touristenbusse von Neuem anrollten. Die Müllautos waren glücklicherweise schon durch: Ihren Geruch konnte ich selbst durch die geschlossenen Fenster nicht ertragen und es hätte meinen gesamten Auftritt vor meinen Eltern versaut, wenn ich mich übergeben hätte. Dafür hatte ich zu lange auf eine solche Gelegenheit hingearbeitet. Nun konnte ich meine Eltern vor vollendete Tatsachen stellen.
»Calliope hat sich die Entscheidung nicht leicht gemacht«, sagte ich und rieb dabei über die Stelle an meinem Arm, an der das magische Dekret eingedrungen war. »Ich habe ihr und Sato meine Idee bereits letzte Woche präsentiert. Aber nach dem Anschlag letzte Nacht …«
Mehr musste ich nicht sagen. Mamma und Papà waren eben erst aus Deutschland zurückgekommen, kreidebleich und ausgezehrt von der Reise mittels Magie, der Sigillenfährte. Die beiden hatten dabei geholfen, den panischen Menschen, die mitten in der Nacht erst den Beweis für die Existenz von Magie gesehen hatten, die Erinnerung mithilfe des mächtigsten Zaubers der Jägergilde zu löschen. So etwas durfte nicht mehr passieren. Wir mussten die Dunkelmagier aufhalten und das wussten auch meine Eltern. Mein Vorschlag war die einzige Chance, diejenigen zu enttarnen, die das Walpurgisritual sabotieren wollten. Wenn wir sie nicht aufhielten, wäre es sinnlos, nach meinem Ritualpartner zu suchen, und wir könnten uns gleich für einen Krieg wappnen. Ein widerlicher Geschmack legte sich auf meine Zunge. Mammas Hand in meiner wurde eiskalt.
»Calliope hat mich direkt abgewiesen, obwohl Sebastien und ich sämtliche Möglichkeiten durchgegangen sind. Wir sind …«
»Dein Cousin hat dich dazu angestiftet?«, unterbrach mich Mamma und zog ihre Hand zurück.
Ich schüttelte den Kopf. »Das hat er nicht. Seit die Pr …, seit der Ban verhängt wurde, denke ich über eine Lösung nach. Meine Forschungen sind nicht weit genug, die Blutmagie zu entkräften. Die einzige Möglichkeit besteht darin, jemanden einzuschleusen.«
Papà verlor die Beherrschung. »Wie konnte Sato uns einfach übergehen?« Funken stoben von seinem Unterarm auf wie immer, wenn er seine Gefühle nicht unter Kontrolle hatte. Sato und Papà waren oft unterschiedlicher Meinung, jedoch nie zuvor hatte man meine Eltern aus einer Entscheidung ausgeschlossen. »Der Rat hat genug andere Spione!«
Ich schluckte und sah meinem Vater direkt in die Augen. »Ihr wisst genau, dass wir keine andere Möglichkeit haben.« Mit einem tiefen Atemzug wappnete ich mich davor, ihnen geradeheraus das vorzuwerfen, was ich die letzten Jahre nur Gloria und Sebastien gegenüber ausgesprochen hatte. Ich wusste, es würde sie verletzen. »Ihr habt mich aus Sorge die letzten Jahre über versteckt, mit dem Ban wurde ich sogar aus sämtlichen offiziellen Registern gelöscht. Das ist jetzt unser Vorteil. Niemand weiß, wie ich aussehe, niemand kennt meinen Namen. Es gibt niemanden, der mich erkennen und enttarnen kann, sobald ich den Hämatit angelegt habe. Und ich bin ebenso gut ausgebildet wie Gloria.«
Als hätte ich sie gerufen, tauchte meine Schwester in dem Moment auf, als in Mammas Gesicht ihr schlechtes Gewissen aufflackerte. Es roch für mich leicht säuerlich wie die meisten negativen Gefühle. Aber ich konzentrierte mich auf die frische Note, die Gloria mitbrachte. Sie setzte sich neben mich, nun stand es zwei gegen zwei. Ich war mir ganz sicher, dass sie gelauscht hatte, denn kaum, dass sie sich gesetzt hatte, polterten ihr die Worte aus dem Mund.
»Ela hat recht und das wisst ihr genau. Ihr lasst sie seit Jahren nicht mehr zum Unterricht oder zu den Zirkeltreffen.« Sie zählte die Punkte an ihren Fingern ab. »Sie darf ohne Garde nicht einmal mehr die Villa verlassen. Auf Elas Forschungsergebnissen steht mein Name und alle denken, dass ich das Genie und die Begabte in der Familie bin, die Auserwählte.« Sie spuckte das Wort beinahe aus. »Und seit dem letzten Jahr habt ihr sie auch noch aus den offiziellen Akten gelöscht. Niemand kennt sie oder weiß auch nur von ihrer Existenz.«
Mamma war nicht in der Lage, mir oder meiner Schwester in die Augen zu sehen. Daher übernahm Papà das Reden, meine Schwester fest im Blick: »Gloria, wir sind dir dankbar, dass du Adela in der Öffentlichkeit vertrittst. Aber das hier …«, er hatte gewartet, bis ich ihn direkt ansah. »Es ist einfach zu gefährlich.«
»Nicht gefährlicher als das, was mir bevorsteht, wenn ich es nicht schon durch diesen Einsatz verhindern kann.«
Dieses Mal gewann ich das Blickduell gegen Papà. Mamma verzog den Mund. Auch wenn ich ihr ansehen konnte, wie sehr sie sich dagegen sträubte, mich gehen zu lassen, nannte Mamma mir ihre Bedingung: »Du kannst gehen, aber du wirst niemandem sagen, wer du wirklich bist.«
Damit hatte ich mich bereits abgefunden und gemeinsam mit Sebastien eine Tarnidentität entwickelt. Mamma nickte zu guter Letzt, versuchte sich sogar an einem Lächeln. Vielleicht lag da sogar ein Hauch von Stolz unter der tiefen Sorge in ihren Augen? Ich sprang auf, warf mich um ihren Hals und vergaß in dem Gefühlsrausch, die Luft anzuhalten. Den Geruch ihres schweren Rosenwassers würde ich für die nächsten Stunden nicht mehr aus der Nase bekommen. Doch selbst das war mir heute egal.
Gloria begleitete mich in mein Zimmer und ich bedankte mich für die Unterstützung, die durchaus überraschend kam. Ich war davon ausgegangen, dass sie mich zurückhalten wollte, mich beschützen. Doch ich war alt genug für eigene Entscheidungen, vielleicht hatte selbst Gloria das inzwischen eingesehen.
Gemeinsam packten wir meinen Koffer. Gloria ließ immer wieder fallen, wie neidisch sie war, dass ich die beiden Söhne der Gastgeberfamilie des Walpurgisrituals noch vor ihr sehen konnte. Sie erreichte damit ihr offensichtliches Ziel und lenkte mich von dem ab, was gleich kommen würde.
Der Duft nach Karamell und Popcorn, eine Mischung aus kribbelnder Erwartung und Vorfreude, überlagerte den beißenden Gestank meiner Angst, als ich nach dem Kofferpacken in die Küche ging.
Das schwarze Armband war der einzige Gegenstand auf dem Tisch. Die einzelnen verflochtenen Stränge spiegelten sich in der glänzenden weißen Oberfläche.
»Das ist es, was du willst?«, fragte mich unsere Haushälterin Abelarda mit rauer Stimme.
»Es ist, was ich tun muss. Sonst würde mich jeder als Hexe erkennen.« Ich setzte mich auf den Stuhl ihr gegenüber und legte meinen linken Arm neben das Armband. Sämtliche Instinkte drängten, den Arm sofort zurückzuziehen, mir nicht das nehmen zu lassen, was mich ausmachte. Magie.
»Niemand zwingt dich, Ela.« Sie fasste nach meiner Hand. Im Gegensatz zu Mammas Fingern waren ihre warm, ihr Griff fest.
»Ich weiß. Aber ich bin die Einzige, die etwas über die Dunkelmagier herausfinden kann. Sebastien ist etliche Möglichkeiten durchgegangen.« Ich ließ unerwähnt, dass ich bei der Gelegenheit potenzielle Ritualpartner noch vor den offiziellen Ballnächten begutachten konnte. »Nichts zu tun, wäre schlimmer.«
Abelarda nickte. »Es wird wehtun.«
Ich presste Zähne und Lippen fest aufeinander und wappnete mich für den Schmerz.
»Deine Magie wirkt nicht nur, wenn du sie aufrufst«, Abelarda nahm das Armband vorsichtig auf, um ja nicht den eingeflochtenen Hämatit zu berühren. »Du wirst dich anders fühlen, anders riechen und schmecken. Deine Instinkte könnten dich täuschen. Du wirst keine Magie wirken können, sie jedoch sehen.«
Die weitere Erklärung hing zwischen uns in der Luft. Wer die Magie sehen konnte, konnte auch verhext werden. Der Hämatit machte mich zu einer Wissenden wie die in die Welt der Hexen eingeführten Menschen. Mit meiner Mission würde ich dafür sorgen, dass man sie auch weiterhin einweihen musste, dass das Occultatum erneuert werden konnte und nicht alle Menschen wie früher das Leuchten der Magie sehen konnten und Jagd auf uns machten.
Ich holte tief Luft durch die Nase, roch den Lavendel, den Abelarda in ihrem Zimmer hängen hatte, ließ den Geschmack des Limonentees von ihrem Frühstück auf meiner Zunge zergehen, genoss noch ein letztes Mal die honiggleiche Süße, nach der ihre Fürsorge schmeckte.
Ein kaum hörbares Zischen brannte all die Gerüche weg. Ein Brennen setzte ein. Mein Herz begann zu rasen und alles geriet durcheinander. Meine Angst schmeckte plötzlich nach Karamell. Ich wollte meinen Arm zurückreißen, doch Abelarda hielt ihn fest und schloss mittels Magie den Verschluss des Armbands, während ihr Daumen beruhigend über meinen Handrücken fuhr.
Meine Hand wurde weiß wie der Tisch, auf dem sie lag. Ich sah zu, wie die sternenbildgleichen schwarzen Linien meiner Sigille aufleuchteten, als wirkte ich einen Zauber, ehe ihr Licht zusammen mit meinem Zeichen in den Stein gesogen wurde. Ich wollte aufschreien, doch es kam nur ein Stöhnen über meine Lippen. Der Schmerz der Verbrennung ließ nach und ich blinzelte die Tränen weg. Eine davon rollte über meine Wange. Schnell fuhr ich mit dem Handrücken darüber.
Die Welt wirkte verschwommen, weniger farbig und kontrastreich. Unsere Küche glänzte nicht wie zuvor, meine Nase nahm kaum mehr Abelardas vertrauten Lavendelduft wahr.
Ich hob die Hand und dachte an einen einfachen Zauber. Doch egal, wie stark ich mich konzentrierte und wie sehr ich den offenen Fensterflügel fixierte – er rührte sich nicht.
»Geht es dir gut?«, fragte Abelarda.
Weil ich meiner Stimme nicht traute, nickte ich nur und schluckte vergeblich gegen den Kloß in meiner Kehle an, rutschte den Stuhl nach hinten und ging zum ersten Mal seit langer Zeit ohne von Magie verstärkte Sinne die langen Flure der Villa Mescinia entlang zu meinem Zimmer und spürte dabei die Hilflosigkeit all jener Hexen längst vergangener Jahrhunderte, die von Menschen enttarnt und mithilfe eines Hämatits gebändigt und getötet worden waren. Etwas, was nie wieder geschehen sollte. Nie wieder geschehen durfte.